Magazinrundschau
Fürst der Unordnung
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
21.09.2021. Atlantic lernt, warum der Investor Peter Thiel nur Moonshots liebt. Vielleicht verkörpert er damit die Essenz des Libertarismus, vermutet die LRB, die uns außerdem in die sinistre Welt des Rohstoffhandels einführt. Das New York Magazine feiert Gaetano Pesce, der etwas Asche in die blutigen Stigmata der Hand Christi streut. Wired kuschelt mit Hopepunk. Die NYT berichtet über die systematische Entrechtung von Muslimen in der indischen Provinz Assam durch ein neues Staatsbürgergesetz. Africa is a Country fragt: Was ist Whiteness in Nordafrika?
The Atlantic (USA), 14.09.2021

Und in einem weiteren Beitrag prügelt Ian Bogost auf das E-Book ein und sucht nach einem triftigen Grund, warum er dem herkömmlichen Buch so viel mehr abgewinnen kann: Es ist seine Buchmäßigkeit! "Angesichts der langen Geschichte der Buchmäßigkeit ist ein Buch weniger irgendein spezifisches Ding als ein Echo der langen Geschichte der Buchmacherei - und eine Hommage an die Idee von einem Buch, individuell und kollektiv, wie sie in unseren Köpfen existiert. Das unterscheidet Bücher von anderen menschlichen Technologien. Der Mensch musste schon immer essen, aber die Methoden der Landwirtschaft, der Konservierung und Verteilung haben sich weiterentwickelt. Der Mensch wollte sich schon immer fortbewegen, aber der Verkehr hat dafür schnellere und spezialisiertere Möglichkeiten erschlossen. Ideen und Informationen haben ebenfalls einen technologischen Wandel erfahren - Kino, Fernsehen und Computer, um nur einige zu nennen, haben den Ausdruck verändert. Aber wenn es ums Sammeln von Wörtern und Bildern geht, die zuerst auf Seiten und dann zwischen Deckeln gepresst werden, ist das Buch weitgehend gleich geblieben. Damit stehen Bücher auf Augenhöhe mit anderen Super-Erfindungen der menschlichen Zivilisation, mit Straßen, Mühlen, Zement, Turbinen, Glas und dem mathematischen Konzept der Null."
London Review of Books (UK), 20.09.2021

David Runciman entnimmt Max Chafkins Porträt des Investors Peter Thiel, dass dieser natürlich kein echter Libertär ist, sondern nur den Sozialstaat hasst. Er selbst verdient sein Geld nämlich am liebsten mit staatlichen Aufträgen, etwa wenn sein AI-Unternehmen Palantir den militärischen Geheimdiensten Schlangenöl verkauft: "Er möchte, dass der Einzelne frei entscheiden kann, wo, wann und wie er Steuern zahlt - und an wen. Er glaubt an die Schaffung von Monopolen durch innovative Technologien und den Einsatz dieser Technologien, um die unhaltbare und überholte Monopolmacht des modernen Staates zu brechen, einschließlich seiner Macht, Geld zu drucken. Was sich mit dieser Philosophie nur schwer vereinbaren lässt, ist die Tatsache, dass Thiel den Großteil seines eigenen Geldes durch die Ausnutzung der Monopolmacht des Staates verdient hat, um sich lukrative Verteidigungsaufträge zu sichern. Wie kann ein Libertärer mit Staatsfonds, dem militärisch-industriellen Establishment und dem Sicherheitsstaat auf Tuchfühlung gehen? Eine mögliche Antwort ist, dass Thiel gar kein Libertärer ist. ... Die andere Möglichkeit ist jedoch, dass dies die Essenz des Libertarismus ist", den Runciman mit Robert Nozicks 1974 erschienenem Buch "Anarchy, State and Utopia" beschreibt.
HVG (Ungarn), 16.09.2021

Africa is a Country (USA), 21.09.2021
Was ist Whiteness in Nordafrika, fragt sich Leila O. Tayeb anlässlich einer libysche Fernsehshow, für die sich die Moderatorin schwarz schminkte und mit zwei Affen als Kindern posierte. Tayeb fällt auf, dass "Afrikaner" die "gängige Bezeichnung für schwarze Menschen in Nordafrika ist, die sich von einer nicht näher bezeichneten (unmarkierten) Norm unterscheiden. Diese diskursive Praxis erzeugt auch ein spannungsgeladenes und ambivalentes Weißsein, mit dem die algerische Diaspora-Aktivistin Houria Bouteldja kürzlich in einer Polemik über 'Weiße, Juden und uns' tanzte. Sie schreibt: 'Fünfzig Jahre nach den Unabhängigkeitsbewegungen ist es Nordafrika, das seine eigenen Bürger und Schwarzafrikaner unterdrückt. Ich wollte eigentlich meine afrikanischen Brüder sagen. Aber das traue ich mich nicht mehr, jetzt, da ich mein Verbrechen zugegeben habe. Lebt wohl, Bandung.' Indem sie es 'nicht mehr wagt', brüderliche Verwandtschaft zu beanspruchen, erkennt Bouteldja die Gewalt der nordafrikanischen Anti-Blackness an. Doch selbst dann, wenn sie 'Nordafrika' als 'Unterdrücker seiner eigenen Bürger und Schwarzafrikaner' beschreibt, scheint sie anzudeuten, dass das Ende des kolonial konstruierten Staatssystems die nordafrikanische Anti-Schwarzheit beenden könnte. Letztere geht jedoch viel tiefer als der postkoloniale Staat. Das nordafrikanische unmarkierte Weißsein selbst hält das 'und' in ihrem Satz, 'seine eigenen Bürger und Schwarzafrikaner', hoch, als ob diese Kategorien sich gegenseitig ausschließen oder immer ausgeschlossen hätten."

Noah Tsika empfiehlt die Fortsetzung von Kemi Adetibas Netflixfilm "King of Boys", eine Art "Der Pate" auf nigerianisch, nur dass der Pate hier eine Frau ist, Eniola Salami, gespielt von der großartigen Sola Sobowale. In dem als Serie angelegten "The Return of the King" versucht Salami für ein politisches Amt zu kandidieren. Adetiba nimmt dabei erbarmungslos die Korruption nigerianischer Politiker aufs Korn: "'Die Rückkehr des Königs' geht davon aus, dass Betrug und Korruption zur nigerianischen Wahlpolitik gehören wie die Egusi-Suppe. Noch stärker als der ursprüngliche Spielfilm spielt die Netflix-Serie auf die jüngere Geschichte Nigerias an. Während im ersten Teil Porträts von Goodluck Jonathan auftauchen, wird im zweiten Teil ein fiktiver Präsident eingesetzt, der es Adetiba ermöglicht, die Skandale einiger tatsächlicher nigerianischer Staatsoberhäupter mittels eines imaginären Stellvertreter zu untersuchen. Vor allem der ehemalige Präsident Olusegun Obasanjo geistert durch die dramatischen Vorgänge, ebenso die Tatsache, dass im Jahr 2007 (dem Jahr, in dem Obasanjo aus dem Amt schied) 31 der 36 Gouverneure Nigerias wegen Korruption angeklagt wurden. Obasanjos Anti-Korruptions-Rhetorik diente jedoch nur dazu, das Fehlverhalten, das er zuließ, zu verschleiern - vor allem für die ausländische Presse."
Außerdem: Grace Adeniyi-Ogunyankin und Simidele Dosekun unterhalten sich über Postfeminismus in Nigeria.

Noah Tsika empfiehlt die Fortsetzung von Kemi Adetibas Netflixfilm "King of Boys", eine Art "Der Pate" auf nigerianisch, nur dass der Pate hier eine Frau ist, Eniola Salami, gespielt von der großartigen Sola Sobowale. In dem als Serie angelegten "The Return of the King" versucht Salami für ein politisches Amt zu kandidieren. Adetiba nimmt dabei erbarmungslos die Korruption nigerianischer Politiker aufs Korn: "'Die Rückkehr des Königs' geht davon aus, dass Betrug und Korruption zur nigerianischen Wahlpolitik gehören wie die Egusi-Suppe. Noch stärker als der ursprüngliche Spielfilm spielt die Netflix-Serie auf die jüngere Geschichte Nigerias an. Während im ersten Teil Porträts von Goodluck Jonathan auftauchen, wird im zweiten Teil ein fiktiver Präsident eingesetzt, der es Adetiba ermöglicht, die Skandale einiger tatsächlicher nigerianischer Staatsoberhäupter mittels eines imaginären Stellvertreter zu untersuchen. Vor allem der ehemalige Präsident Olusegun Obasanjo geistert durch die dramatischen Vorgänge, ebenso die Tatsache, dass im Jahr 2007 (dem Jahr, in dem Obasanjo aus dem Amt schied) 31 der 36 Gouverneure Nigerias wegen Korruption angeklagt wurden. Obasanjos Anti-Korruptions-Rhetorik diente jedoch nur dazu, das Fehlverhalten, das er zuließ, zu verschleiern - vor allem für die ausländische Presse."
Außerdem: Grace Adeniyi-Ogunyankin und Simidele Dosekun unterhalten sich über Postfeminismus in Nigeria.
New York Magazine (USA), 21.09.2021




Von links oben im Uhrzeigersinn: Golgotha Chair aus mit Dacron gefülltem und mit Harz getränktem Glasfasergewebe, 1972. Senza Fine Unica, Sessel aus polychromem PVC, 2010. Die bemalte Harztür in Ruth Lande Shumans Apartment, das Pesce Ende der 80er überarbeitete. Das Selbstporträt-Regal aus Harz, 2019. Alles von Gaetano Pesce.
Modernes Design - da denkt man an kühle Stromlinienförmigkeit. "Das ist nicht die Moderne von Gaetano Pesce", schreibt Matthew Schneier in einer Hommage an den 1939 in Ligurien geborenen Industriedesigner-Künstler-Architekt-Prophet Pesce, der gerade ein neues Comeback erlebt, von dem zahlreiche Ausstellungen zeugen. Pesce hasst glattes, gesichtsloses Design - auch in der Architektur, er findet es totalitär. Für seine eigenen Möbel bevorzugt er organische Materialien wie Harz oder Filz. Und er hat Witz. Zeit für ein Gespräch in Pesces Studio im Brooklyn Navy Yard in New York, wo Pesce seit 1980 lebt: "Ein lippenstiftroter Polyurethanfuß in der Größe eines Motorrads oder ein Bücherregal aus Harz in Form des Gesichts seines Schöpfers können den Weg versperren. In einem Archiv im Obergeschoss stehen reihenweise Vasen aus lollipopartigem Harz Wache, Souvenirs und Satelliten der Pescewelt. Große Stücke, wie das Bücherregal mit dem Gesicht oder der Fuß, kosten 180.000 Dollar und mehr. Über all dem thront Pesce selbst, ein Kobold in Issey Miyake, der sich an seinen Kreationen erfreut, wonky (schrullig) und Wonka. Das lässt ihn etwas harmloser klingen, als er ist. Er ist ein Bombenwerfer, ein 'Fürst der Unordnung', wie Glenn Adamson, ein bekannter Pesce-Forscher, sagt. 'Gaetano ist auf Ärger aus', sagt sein Freund und Förderer Murray Moss, der mit seinem einflussreichen Designgeschäft Moss in Soho dazu beitrug, Pesces Werk in den USA bekannt zu machen. Wer sonst würde einem italienischen Unternehmen vorschlagen, Aschenbecher in Form der gekreuzigten Hand Christi herzustellen, damit man seine Asche direkt in seine blutigen Stigmata streuen kann? (Das war 1969; das Unternehmen lehnte ab.) Oder Modelle aus rohem Fleisch für eine Ausstellung im Louvre anfertigen und sie dann verwesen lassen, bis das Museum von dem Geruch überwältigt war? 'Es gibt viele meiner Kollegen, die Dekoration oder schöne Dinge machen', sagt er. 'Das interessiert mich nicht.'"
Respekt (Tschechien), 19.09.2021

Wired (USA), 16.09.2021

New York Times (USA), 15.09.2021

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