Magazinrundschau
Hochgeladener Geist
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
10.01.2023. Auch nach Lektüre des Kongress-Berichts zum Sturm aufs Kapitol versteht der New Yorker die Amerikaner nicht mehr. A2 und Novinki denken über den Zerfall der Tschechoslowakei vor 30 Jahren nach. Atlantic versucht sich als Konnektom in eine transhumanistische Welt zu denken. Ist Georgien noch eine Demokratie, fragt Osteuropa. Die LRB lernt, welche Rolle die Bingtuan bei der Unterdrückung der Uiguren spielen. In Words without Borders erzählt Jaroslav Kalfař wie er als Teenager in Florida Englisch lernte. Esquire sieht die Zukunft des Journalismus.
New Yorker (USA), 16.01.2023

Außerdem: Alexis Okeowo forscht dem Schicksal von Migranten nach, die auf dem Weg nach Europa verschwanden. Joshua Rothman geht den verschiedenen Wegen des Denkens nach. Jennifer Gonnerman fragt nach, warum UPS-Mitarbeiter streiken wollen, obwohl es der Firma gut geht und sie Mittelklassejobs wie früher anbietet. Becca Rothfield liest eine ungekürzte Ausgabe der Tagebücher Franz Kafkas. Und Anthony Lane sah Alice Diops Film "Saint Omer" im Kino.
A2 (Tschechien), 09.01.2023

The Atlantic (USA), 01.02.2023

Der finnische, nicht irgendwo, sondern in Oxford lehrende Historiker Pekka Hämäläinen versucht seit einigen Büchern so etwas wie eine kopernikanische Wende in der Geschichtsschreibung über die amerikanischen Natives, die auf einmal nicht mehr nur als Opfer von Seuchen und Vernichtung erscheinen, sondern als politische Mächte ganz eigener Art. David Waldstreicher liest seine Bücher mit Faszination, aber auch Unbehagen. Nebenbei stellt sich bei Hämäläinen heraus, dass nicht nur die weißen, sondern auch die Natives ganz aktiv beteiligt waren an der Zerstörung der amerikanischen Natur, der sie so verbunden waren, mal abgesehen davon, dass sie Sklaven hielten: "Hämäläinen zeigt, wie die Komantschen eine 'Politik des Grases' entwickelten, wie er es nennt. Ein einzigartiges Grasland-Ökosystem in den Ebenen ermöglichte es ihnen, riesige Pferdeherden zu züchten. Sie verschaffte ihnen Zugang zu Bisons, die sie in eine Marktdominanz gegenüber Völkern umwandelten, die andere von ihnen gewünschte Güter wie Waffen, Konserven und Sklaven sowohl für den Handel als auch für den Dienst als Cowboys liefern konnten."
Außerdem: Timothy McLaughlin erzählt, wie die chinesische Regierung versucht die Demokratiebewegung in Hongkong zu diskreditieren, indem sie sie als Handlanger des Medienunternehmers Jimmy Lai darstellt, der in Gerichtsprozessen als Volksverräter und Agent des Westens denunziert wird.
Osteuropa (Deutschland), 09.01.2023

Weiteres: Die Osteuropahistorikerin Franziska Davies wirft der einstigen Moskau-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz erneut Halbwahrheiten und Desinformation vor. Felix Ackermann stellt (leider nicht online) fest, dass für die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland die alten Dialogmodelle und Foren nicht mehr taugen, in denen Deutschland um Verzeihung bittet und Polen vergibt.
London Review of Books (UK), 05.01.2023

Weiteres: James Meek besucht für eine seiner Riesenreportagen Boston in Lincolnshire, das recht idyllisch an der englischen Ostküste gelegen sein könnte, wenn es nicht alle Jubeljahre von heftigen Sturmfluten heimgesucht würde. Die Gemeinde lässt dennoch immer weiter bauen und treibt ihre Stadtplaner damit an den Rand des Wahnsinns. Und Tim Parks liest Alessandro Manzonis Klassiker "Die Brautleute".
Merkur (Deutschland), 09.01.2023

Außerdem: Till Breyer diskutiert verschiedene Formen des Asylrechts als individuelles Recht und in der historischen Version des territorialen Recht etwas beim Kirchenasyl.
En attendant Nadeau (Frankreich), 05.01.2023

Elet es Irodalom (Ungarn), 06.01.2023

Words without Borders (USA), 04.01.2023

Der amerikanische Autor Jaroslav Kalfař erinnert sich daran, wie er nach dem Zerwürfnis mit seinem Vater als Teenager seiner Mutter von Tschechien nach Amerika folgte. Sein Vater hielt nie etwas von seinem Interesse für Literatur (sein Stiefvater in Amerika auch nicht) und prophezeite ihm komplettes Versagen, zumal der junge Jaroslav kein Englisch konnte: "In einigen Dingen hatte mein Vater recht. Obwohl ich nie zurückkehrte, um ihn um Vergebung zu bitten, waren meine ersten Jahre in den Vereinigten Staaten weitaus schwieriger, als ich es mir hätte vorstellen können. In der High School hatte ich Angst, überhaupt zu sprechen und erntete dafür Misstrauen und Spott von meinen Mitschülern. ... Ich wollte das Schreiben aufgeben. Aber ich tat es nicht. Stattdessen vertiefte ich mich in die gleichen parasitären kreativen Aktivitäten, die mir mein Vater vorwarf. Ich las die tschechischen Romane, die ich mit nach Amerika gebracht hatte, immer wieder - Asimovs "I, Robot", Čapeks "War with the Newts", Le Guins "The Dispossessed". In der Bibliothek lieh ich mir die englischen Versionen dieser Romane aus und las sie Seite an Seite, so dass meine Geburtssprache und meine Adoptivsprache nebeneinander lagen. Ich verglich die Unterschiede in der Syntax und erforschte die Nuancen des Vokabulars. Schließlich kehrte ich zu den handgeschriebenen Kurzgeschichten zurück, die ich aus der Tschechischen Republik mitgebracht hatte. Ich verbrachte Stunden damit, meine Werke ins Englische zu übersetzen, unbeholfen und mit Ergebnissen, die im Nachhinein lächerlich sind. Aber es funktionierte. Zwischen diesem literarischen Streben und der Umgangssprache der Fernsehsendungen und meiner weitaus cooleren Highschool-Kollegen, zwischen dem Zwang, mit den Kunden zu scherzen, denen ich bei Friendly's Eis servierte, und dem Erreichen einer Zwei in meinem ersten Aufsatz am Community College - ein B- in Englisch, was für ein Traum - begann meine neue Sprache einen Sinn zu ergeben. Sie wurde instinktiv. Lebendig."
Novinky.cz (Tschechien), 05.01.2023

Esquire (USA), 30.12.2022

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