
Masha Gessen
porträtiert russische Journalisten im Exil in Riga, die trotz ihrer Kremlkritischen Haltung skeptisch betrachtet werden. Immerhin hat Lettland - anders als viele Nachbarländer - den Redaktionen von
TV Rain (Doschd),
Meduza und natürlich der
Novaja Gazeta großzügig Aufnahme geboten: "Der Medientheoretiker
Jay Rosen schreibt, dass der Journalismus seine Autorität aus dem Anspruch zieht,
am Ort des Geschehens zu sein, wo der Leser oder Zuschauer nicht ist: 'Voraussetzungen für die Berichterstattung ist
eine gemeinsame Welt, ein Geflecht gemeinsamer Annahmen, das Reporter und Rezipienten verbindet', erklärt Rosen. 'Wenn das auseinanderbricht, ist auch die Möglichkeit von Journalismus dahin'. Aber genau das, was TV Rain in die Lage versetzt, mit Russen in Russland zu sprechen, macht es auch außerhalb Russlands verdächtig.
Galina Timtschenko, die 2014 das Internetportal
Meduza ins Leben rief, leistete Pionierarbeit mit dem Modell der Berichterstattung aus dem Exil. Die technischen und redaktionellen Mitarbeiter von
Meduza arbeiteten von Riga aus, während die Journalisten aus Russland berichteten. Auf diese Weise konnte der Kreml, auch wenn einzelne Journalisten manchmal mit Einschüchterungen und Drohungen konfrontiert waren, die Publikation selbst nicht verfolgen... Aber
Meduza hat immer noch einen Weg, aus Russland zu berichten: Meduza beauftragt vier oder fünf verschiedene Personen vor Ort mit der diskreten Beschaffung von Informationen; Autoren und Redakteure in Riga fügen dann die Geschichte zusammen. 'All unsere Quellen und all unsere Journalisten sind jetzt anonym', sagte Timtschenko. Die
Meduza-Leser in Russland müssen virtuelle private Netzwerke (VPN) nutzen, um die Zensur des Kremls zu umgehen. Sie lesen das Medium, um sich über den Krieg in der Ukraine zu informieren, aber auch um praktische Informationen zu erhalten. Nach Beginn der Einberufung im Herbst veröffentlichte Meduza eine Reihe von Beiträgen in der Art von '
Wie man nicht im Krieg landet' und 'Was passiert, wenn man sich nicht bei der Rekrutierungsstelle meldet'... Andere Journalisten im Exil äußerten sich ähnlich. 'Unser kurzfristiges Ziel ist es, dass diejenigen, die im Land sind und gegen den Krieg sind, nicht den Verstand verlieren', sagte mir Denis Kamaljagin, Herausgeber von Pskowskaja Gubernija, einer seit langem umkämpften unabhängigen Regionalzeitung. Kamaljagin, der aus Russland floh, nachdem die Polizei sein Büro und seine Wohnung durchsucht hatte, überraschte mich mit der Aussage, er verstehe die Letten, die russische Journalisten als Bedrohung ihrer Sicherheit ansähen. 'Soll Lettland begeistert sein, dass wir hierher kommen und
die russische Geheimpolizei mitbringen, vor der wir fliehen?', sagte er. 'Was ist, wenn sie hier anfangen, uns zu töten?'"