Magazinrundschau - Archiv

Dissent

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Magazinrundschau vom 14.10.2008 - Dissent

Carlos Fraenkel, Philosophieprofessor an der McGill University in Montreal, schickt einen sehr spannenden Bericht über drei Wochen, die er an der Alauddin State Islamic University in Makassar unterrichtet hat. Makassar ist die Hauptstadt der indonesischen Provinz Sulawesi. Aber wozu braucht man in Indonesien Philosophen? "Tatsächlich kann Philosophie eine wichtige Rolle spielen im größten muslimischen Land der Welt (von 240 Millionen Einwohnern sind 88 Prozent Muslime, so viel wie im ganzen Nahen Osten). Das heutige Indonesien, zumindest wie es sich mir präsentierte, ist ein riesiges intellektuelles und politisches Labor, in dem der Islam nicht nur versucht, ein Arrangement mit der Demokratie zu finden, sondern auch mit dem langjährigen Verständnis von religiösem Pluralismus, Modernisierung und der Konstruktion einer nationalen Identität. Um friedlich mit den Spannungen umgehen zu können, die dieser Prozess hervorbringt, erfordert eine Menge kreatives Denken. Dafür können die Werkzeuge der Philosophie hilfreich sein." Diskutiert werden Platon, Harun Nasution, Aristoteles, al-Farabi, Maimonides und Nurcholish Madjid. (Beim Suchen der Links finde ich den Artikel leicht gekürzt auch auf Deutsch, natürlich in der kosmopolitischen NZZ.)

Magazinrundschau vom 27.11.2007 - Dissent

Susie Linfield (mehr hier) leistet eine traurige und ausführliche Bestandsaufnahme der Lage in Zimbabwe und stellt zugleich einige Bücher über das afrikanische Desaster vor. Sie erinnert an hoffnungsvolle Anfänge des Mugabe-Regimes und sieht Mugabe selbst als den Hauptverantworlichen der Katastrophe des Landes, das heute auf Platz 4 im "Failed States Index" der Zeitschrift Foreign Policy steht: "Mugabes Abstieg in hemmungslose Tyrannei, der bizarre Schiffbruch seines Landes, waren nicht unvermeidlich: Ganz leicht könnte man sich unterschiedliche Szanarien vorstellen die weder Fantasie noch Wunschdenken sind. Die Zerstörung des Landes erscheint dadurch noch bestürzender, empörender, tragischer."

Die Herbstnummer von Dissent bringt übrigens auch ein schönes Dossier über Frankreich.
Stichwörter: Failed States

Magazinrundschau vom 28.08.2007 - Dissent

Die ehemaligen linken Befürworter des Irak-Kriegs zerstreiten sich. Im Sommerheft von Dissent bespricht der Journalist Johann Hari das Buch "What's Left?" des britischen Kolumnisten Nick Cohen, das sich mit der Frage auseinandersetzt, wie die einst kriegsbefürwortende Linke mit dem Debakel im Irak umgehen soll. "Mit 'What's Left' ist das substanzreichste Buch eines linken Intellektuellen veröffentlicht und wir können fragen: Hat diese seltsame Nische in der anglo-amerikanischen Politik - zu der ich eine Zeitlang gehörte - irgendwelche dauerhaften Einsichten produziert?" Und sein Ergebnis: Die wenigen Einsichten dieser Schule seien "in den Killing Fields von Mesopotamien splitterzerbombt und selbstmordmassakriert" worden. Cohens sehr scharfe Antwort aus der kommenden Herbstnummer von Dissent sowie Haris ebenso scharfe Antwort auf die Antwort sind online bereits publiziert. (Hier noch ein Auszug aus dem Buch, der im Guardian abgedruckt war. Das Buch hat auch in England eine Diskussion ausgelöst. Hier und hier Reaktionen im Guardian. Und hier ein Kommentar aus dem Spectator, der die Diskussionsfreudigkeit linker Intellektueller bewundert.)

Magazinrundschau vom 24.04.2007 - Dissent

Dissent stellt die selbstkritische Frage: "Demokratieexport: Was haben wir im Irak gelernt?". Die meisten der Autoren bleiben bei ihrer Meinung, so auch Paul Berman ("Terror und Liberalismus"), dem heute vorgeworfen wird, dass er den Krieg befürwortete: "Ich glaube nicht, dass wir die Idee der Verbreitung von Demokratie aufgeben sollten, nur weil die Bush-Regierung dieses Projekt vermasselt hat. Die Vereinigten Staaten sind zu mächtig, um neutral zu sein - eine Art gigantische Schweiz ohne einfluss auf irgendjemand anderen. Wenn wir in den Vereinigten Staaten nicht Demokratie verbreiten, werden wir etwas Nichtdemokratisches verbreiten, also entweder die Diktatur (unsere Politik der letzten sechzig Jahre) oder Chaos (das wir jetzt erreicht haben)."

Viel kritischer klingt Michael Walzers Einschätzung im Editorial des Hefts. Nutzen bringt Krieg nur selten, schreibt er, entgegen Clausewitz' bekannter Formel vom Krieg als der Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln: "Positive Folgen wie die Errichtung liberaler, pluralistischer und demokratischer Herrschaft braucht einen politischen und ideologischen Kampf im Vorfeld, während und - besser: anstelle - des Krieges. Die Mittel politischen Kampfes - Agitation, Organisation, Erziehung, Demonstrationen - sind eng verbunden mit der Praxis der Demokratie. Sie sind sozusagen, Einübung des Ausübens von Demokratie. Krieg bringt nichts Ähnliches."

Weitere Autoren sind: Daniele Archibugi, Ofra Bengio, Seyla Benhabib, Mitchell Cohen, Thomas Cushman, John Lister und Shibley Telhami.

Magazinrundschau vom 03.04.2007 - Dissent

Johann Hari bespricht eine Reihe von Büchern zum Islam in Europa, von Ayaan Hirsi Alis "Caged Virgin" bis Bruce Bawers "While Europe Slept" und weist auf einen gravierenden Denkfehler der Multikulturalisten hin: "Multikulturalismus ist von der Annahme ausgegangen, dass es einen reinen Islam gibt, einen, den die älteren Mullahs repräsentieren. Jetzt, da sich der Islam in einen liberalen und traditionellen Flügel aufspaltet, stellt dieser Ansatz die europäischen Länder näher zu den Reaktionären als zu den Feministinnen. Wir müssen sicherstellen, dass es keine staatlich finanzierten Islamschulen und Jugendclubs mehr geben wird, keinen privilegierten Status für reaktionäre Kleriker. 'Es muss für Kinder unmöglich werden', schreibt Bawer, 'in Westeuropa aufzuwachsen und ihre religiöse Bindung als einziges und oberstes Merkmal ihrer Identität anzusehen'. Um einen islamischen Bürgerkrieg ausbrechen zu lassen - einen, den die Liberalen gewinnen - muss sich Europa von zweierlei verabschieden: dem konservative Verlangen nach einem apokalyptischen Zusammenprall und der liberalen Fixierung auf den Multikulturalismus."

Magazinrundschau vom 02.02.2004 - Dissent

In Dissent betrachtet Fawaz A. Gerges, Professor für International Affairs and the Middle East am Sarah Lawrence College, das Verhalten der arabischen Staaten vor, während und nach dem Irak-Krieg und lässt dabei wenig Raum für Illusionen. "Die Irakkrise hat die arabische Liga diskreditiert und geschwächt. Noch schwerer wiegt, dass sie die alten Mythen von arabischer Einheit und Solidarität und die Bedeutung der arabischen Identität zertrümmert hat. Es ging nicht nur ein tiefer Riss durch die arabische Bevölkerung, sondern ein Großteil stimmte der Invasion und Besetzung ihres Bruderstaates durch eine Fremdmacht auch noch stillschweigend zu. Die arabischen Machthaber standen in den Augen ihres nervösen Volkes in voller Blöße da; letzteres beschuldigte sich noch untereinander mit erhobenem Zeigefinger für das Hängenlassen des Iraks und der irakischen Bevölkerung. Selbst jetzt noch, Monate nach Kriegsende, haben die arabischen Machthaber hinsichtlich ihrer Visionen für einen Irak nach dem Baath-Regime wenig zu sagen."

Paul Berman, dessen Buch "Terror und Liberalismus" demnächst auf Deutsch erscheint, hockt mit einem Freund in der Kneipe und muss sich einen Verräter an der Linken schimpfen lassen, der eine faschistische amerikanische Regierung unterstützt. Da bricht es aus ihm heraus: "'Du hast nicht die leiseste Ahnung, was Faschismus ist', sagte ich. 'Ich habe immer geglaubt, ein leidenschaftliches Bewusstsein für extreme Unterdrückung wäre der tiefste Wesenszug eines linken Herzens. Massengräber, dreihunderttausend vermisste Iraker, eine Bevölkerung, zerbrochen von fünfunddreißig Jahren, in denen Baathisten-Stiefel über ihre Gesichter trampelten - das ist Faschismus! Und du glaubst, ein paar korrupte Insider-Verträge mit Bushs Kumpeln bei Halliburton, ein bisschen rückschrittliches auf die Bibel pochen, Bushs lächerliche Steuerkürzungen und seine Goldgruben für die Superreichen sind davon nicht zu unterscheiden? Ununterscheidbar vom Faschismus? Von einer Politik des Abschlachtens? Die Linke ist angeblich dem Realitätsprinzip verpflichtet. Die Linke verkörpert angeblich die Fähigkeit, das große Bild zu sehen. Der Verräter an der Linken bist du, mein Freund ...'" In Amerika erscheint übrigens im Frühjahr Bermans neues Buch "The Passion of Joschka Fischer".

Außerdem: Michael Walzer (Bücher) nimmt den Irak-Krieg zum Anlass, die Frage nach dem gerechten Krieg weiterzudenken: kann es nach einem ungerechten Krieg eine gerechte Besatzung geben?