Magazinrundschau - Archiv

Elet es Irodalom

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Magazinrundschau vom 16.04.2024 - Elet es Irodalom

Der Dichter und Kulturmanager Renátó Fehér spricht im Interview mit Nikolett Antal unter anderem über die Rolle der Technologie in unserem Leben, die wiederum von den Intellektuellen zumindest bewusst gemacht werden sollte: "Es beschäftigt mich sehr, was das kapitalistische Spitzenprodukt unserer Zeit - das, was wir als soziale Medien bezeichnen - mit uns gemacht hat. Was es mit unseren Gemeinschaften, unserer Psyche, unserem Selbstverständnis und unserer Kommunikation macht. Nirgendwo sonst kann die Desinformationskriegsführung so gut funktionieren wie in den sozialen Medien, sei es bei Kriegen, Epidemien oder was auch immer. Der andere Aspekt ist, dass plötzlich die öffentliche Sphäre über uns zusammengebrochen ist: Was ich teile, halte ich für von öffentlichem Interesse, auch wenn es sehr persönlich ist. Es ist eine Atomisierungs- und Fluchtstrategie. Wir erschaffen unseren Avatar und beginnen, uns mit ihm zu identifizieren. Wir machen aus unserem eigenen Leben eine Truman-Show, während um uns herum Jumanji stattfindet. Es ist ein unbewusster Lifestyle-Deal."
Stichwörter: Feher, Renato, Soziale Medien

Magazinrundschau vom 08.04.2024 - Elet es Irodalom

Sándor Biszak, Gründer des digitalen Archivs Arcanum, spricht unter anderem über den Zustand der Bibliotheken und Archive in Ungarn, sowie über die drei größten Gefahren für Bücher: "Wir bekommen schreckliche Materialien. Die Bibliothekare sollten mir nicht sagen, dass ich barbarisch bin, denn Bibliotheken sind oft in barbarischen Zuständen. Niemand kennt die Zeitschriftenlager der Region besser als ich. Es gibt verschimmelte, zerfledderte, halb gefaltete, zerrissene Zeitschriften. Unser Erbe, unsere Schätze gehen vor die Hunde und werden vernichtet. Viele von ihnen werden in einem besseren Zustand zurückgegeben, als wir sie geholt haben. Aber es wird auch viel weggeworfen, und leider sind wir nicht immer vor Ort. (…) Fest gebundene, große Bände lassen sich mit keiner anderen Methode digitalisieren als unsere. Es bricht mir das Herz, wenn ein Dokument mühsam digitalisiert wird aber die Mitte nicht sichtbar ist, weil zwei oder drei Wörter fehlen und der Text durch die Biegung schwer zu lesen ist. Der größte Feind des Buches ist der Leser. Er reißt (Seiten) heraus, schneidet Artikel mit einer Rasierklinge aus, aber auch der Bibliothekar kann durch falsche Aufbewahrung Schaden anrichten. Erst an dritter Stelle würde ich den Digitalisierer nennen, denn natürlich gibt es beim Digitalisieren Kollateralschäden. Aber am Ende glättet man die Seiten, bügelt sie aus und klebt sie. Für manche Zeitungen ist es die Erlösung, wenn sie digitalisiert werden."

Magazinrundschau vom 26.03.2024 - Elet es Irodalom

Szilárd Demeter, Direktor des Petőfi Literaturmuseums, wurde von der ungarischen Regierung zum Direktor eines neu zu schaffenden Museumskonglomerats ernannt - ohne jedoch über die nötige Fachausbildung und -kenntnisse oder Erfahrung zu verfügen. Das muss nicht unbedingt zum Schaden des neuen Konglomerats sein, denkt sich der Sprachwissenschaftler István Kenesei: "Wie wir gesehen haben, kann ein Orchester von einem Nicht-Musiker geleitet werden, so auch ein Museum oder ein Museumskonglomerat von einem 'Nicht-Fachmann'. Allerdings wäre es der Sache doch förderlich, wenn der Leiter einer Einrichtung fundiertes Wissen über deren Fachgebiet hat, um Entscheidungen treffen zu können, zum Beispiel in jenen Fragen, in denen die Mitarbeiter oder Führungskräfte einer Einrichtung unterschiedlicher Meinung sind. Wenn er sie nicht versteht, sondern dem geschickteren Argumentierer oder Debattierer den Vorzug gibt, verliert er schnell an Glaubwürdigkeit und endet wie die in den 50er Jahren ernannten 'Arbeiterdirektoren', die, wenn sie vernünftig waren, den Chefingenieur entscheiden ließen und ihm lediglich den Rücken freihielten. So wie ich das verstehe, hat Demeter das bisher beim Literaturmuseum gemacht: Er hat einen Schutzschirm über die Mitarbeiter gehalten, sie arbeiten lassen und ihnen gegeben, was sie brauchten. Sobald er sich aber beruflich zu Wort meldet, muss er sich gefallen lassen, dass man hinter seinem Rücken über ihn lacht. Und das gilt nicht nur für den Direktor, sondern für alle, die sich ohne Kompetenz zu Themen äußern, die Fachwissen erfordern, in diesem Falle der Staatssekretär und der Minister, die mit ihren verschiedenen Äußerungen zum Nationalmuseum ihre Unkenntnis unter Beweis stellten."

Magazinrundschau vom 19.03.2024 - Elet es Irodalom

Die Pläne der ungarischen Politik, mehrerer Kulturinstitutionen unter der Führung des Nationalmuseums zusammenzulegen, beschäftigt weiterhin Kulturschaffende. Der Kunsthistoriker Péter György wäre nicht dagegen, vorausgesetzt das Gewebe, die Fragmentierung und die Schichten der ungarischen Geschichte würden darin abgebildet. "Um nicht missverstanden zu werden", erklärt er: "Das Nationalmuseum sollte keine thematische Aufbereitung verschiedener Epochen gemäß der gerade vorherrschenden Ideologie anbieten, auch kein separater und getrennter Raum für verschiedene kulturellen Gruppen sein, sondern einfach ein Ort, an dem deutlich gemacht wird, dass die ungarische Kultur nicht homogen ist, sondern dass es in Ungarn viele Subkulturen gibt, die in ständigem Dialog miteinander stehen. Wir müssen uns fragen, ob die Definition einer Kultur durch einen neuen Direktor, die eine einheitliche ungarische nationale Identität verkündet, auch Subkulturen einschließt, die mit verschiedenen historischen Epochen oder verschiedenen sozialen Gruppen verbunden sind. Wenn die Besucher des Nationalmuseums auf die miteinander verknüpften Geschichten verschiedener Subkulturen und unterschiedlicher Gemeinschaften stoßen, wenn sie in der kulturellen Vielfalt Geschichten - sogar historische Traumata - finden, mit denen sie sich identifizieren können, dann wird das Museum ein Gemeinschaftserlebnis für alle schaffen können. Auch die Architektur ländlicher Städte und Gemeinden, ihre Geschichten und Ereignisse gehörten dazu. All dies böte dem Nationalmuseum die Chance, eine nationale Institution zu werden - in der Realität und nicht nur in einer politischen Theorie."

Magazinrundschau vom 05.03.2024 - Elet es Irodalom

Im Interview mit J.A. Tillmann spricht der Komponist Kristóf J. Weber über sein Romandebüt "Walzer" und erklärt, warum er sich nicht als Eindringling in die Literatur betrachtet: "Mit dem Roman habe ich versucht, auf meine Musik aufmerksam zu machen. Heutzutage erhalten die Nutzer Musik in Form eines Live-Konzerts oder einer Audiodatei. Aber ich bin kein Instrumentalist, und das wenige Wissen, das ich einst hatte, scheint mit dem Alter ebenfalls zu schwinden. Musik existiert hauptsächlich in meinem Kopf. Einige dieser Gedanken können mit Noten niedergeschrieben werden, andere mit Buchstaben. Vielleicht wäre es angemessen gewesen, einen Essay über meine Musik zu schreiben, aber der Essay ist für mich ein zu weit gefasstes Genre, und mir fehlen die Kniffe, um voranzukommen. (…) Mit einem Roman kann ich ein breiteres Publikum ansprechen als mit einer Essayreihe. (...) Die ungarische Literatur könnte gerade jetzt ein paar Eindringlinge gebrauchen. Schließlich ist die Literatur heute wegen der Kulturpolitik der Regierung in der Defensive. Gegenwärtig schreiben die Schriftsteller fast ausschließlich für sich selbst. Wenn es keinen Einfluss von außen gibt, wird die ungarische Literatur zu einer Subkultur, die sich auf ein eng begrenztes soziales Milieu beschränkt."

Magazinrundschau vom 27.02.2024 - Elet es Irodalom

In einem Werkstattgespräch der Wochenzeitschrift Élet és Irodalom und des Buchladens Írók Boltja spricht die Übersetzerin und Autorin Lídia Nádori (u.a. überträgt sie Hertha Müller und Terézia Mora ins Ungarische) über die Notwendigkeit eines Kontrolllektors bei literarischen Übersetzungen. "Natürlich soll der Übersetzer allein und einsam arbeiten, es gibt keinen anderen Weg. Das heißt aber nicht, dass man keinen Partner braucht, der den Text mit einem guten Auge durchschaut. Darüber gibt es zwar geteilte Meinungen, aber es gibt eben auch die Realität. Einige Verlage senken die Kosten für die Herstellung von Büchern so stark, dass sie nur noch selten einen Korrekturleser beschäftigen, der die Ursprungssprache gut kennt und das Original mit der Übersetzung vergleichen kann. Man muss auch sehen, dass in der Verlagswelt die Lektoren meist nur Englisch sprechen, und das ist zumindest problematisch. Inzwischen bin ich auch der Meinung, dass ein guter Lektor ein Auge für Übersetzungsfehler haben sollte, auch wenn er oder sie die Originalsprache nicht versteht. Ich stimme also absolut der Ansicht zu, dass ein Kontrolllektor benötigt wird."

Magazinrundschau vom 20.02.2024 - Elet es Irodalom

Der Philosoph András Kardos sieht durchaus selbstkritisch die Mitverantwortung der Intellektuellen für die Orban-Regierung durch ihren Verrat an den Werten der Wende. "Die einzige Theorie, die einen echten Versuch darstellt, diesen verbrecherischen Staat, den Mafia-Staat, ja die gesamte postkommunistische Welt umfassend im Sinne der Freiheit und der liberalen Werte zu verstehen, ist die von Bálint Magyar, der zusammen mit Bálint Madlovics versucht hat, die Schande der Intellektuellen zumindest etwas zu lindern: Durch sie wissen wir genau, was aus der Wende geworden ist, und ich füge hinzu, dass die Intelligenz, zwar nicht nur in unserem Land, aber vor allem hier, eine große Verantwortung dafür trägt, dass sie nicht einmal zu verstehen wagte, 'warum wir es zugelassen haben'. Die konkurrierenden Systemtheorien, von der illiberalen Demokratie, dem hybriden System über die Wahlautokratie bis hin zum faschistischen Mutanten, sind allesamt gescheiterte Versuche, die Orbán-Diktatur zu verstehen. Und unter diesen Theorien gibt es zwar einige mutige, wenn auch falsche Theorien, (...) aber die meisten Konzepte sind leider im Geiste der Legitimierung der Diktatur geboren. Hinzu kam der apokalyptische Antikapitalismus der Linken, vor allem der von Miklós Tamás Gáspár, der natürlich die Diktatur nicht legitimierte, aber die linke Kritik ohne wirkliche Alternative oder Erklärung ließ."
Stichwörter: Ungarn, Kardos, Andras, Mafia

Magazinrundschau vom 13.02.2024 - Elet es Irodalom

Der in Los Angeles lebende Regisseur und Drehbuchautor Gyula Gazdag betrachtet sich außerhalb der gegenwärtigen ungarischen Filmindustrie und spricht  darüber, wie er Kontakt zu Filmemachern in der Region hält: "Ich habe Kontakte, und zwar nicht nur zu Ungarn. Ich sehe mir gerade zum zweiten Mal den zweiten Schnitt des ersten Spielfilms eines albanischen Regisseurs aus dem Kosovo an. Ich arbeite auch mit vielen Filmemachern in der Region zusammen, und es gibt einige, die mir regelmäßig ihre Arbeiten in verschiedenen Stadien des Filmprozesses zeigen. Darunter gibt es auch manche Ungarn. Das ist wichtig für mich, denn ich interessiere mich dafür, wie verschiedene Generationen über die Welt denken und welche Art von Filmen sie machen wollen, was jedoch nicht stammes- oder nationenspezifisch ist. Ich treffe junge Filmemacher und ihre Arbeiten an vielen Orten, und darunter sind freilich auch Ungarn. Was ich jedenfalls sehe ist, dass heutzutage ein talentierter Filmemacher in Ungarn zu sein, gleichbedeutend mit einem an die Unmöglichkeit grenzenden schwierigen Leben ist."

Magazinrundschau vom 06.02.2024 - Elet es Irodalom

Der Schriftsteller und Dramaturg László Garaczi spricht unter anderem über mögliche langfristige Auswirkungen von COVID-19, sowie über Stimmenvielfalt in der ungarischen Öffentlichkeit: "COVID ist in die Reihe von schlimmen Krisen eingetreten: Bankenkrise, Flüchtlingskrise, COVID, Ukraine. Krisen hat es immer gegeben: 1956, drei Monate nach meiner Geburt, gab es eine ernste Krise in Ungarn, dann Vietnam, wirtschaftliche Zusammenbrüche, linker Terror, Afghanistan (der Sowjets), die Wende und so weiter, aber jetzt ist es wie ein Konglomerat verschiedener Arten von Krisen. (…) Nun, der Wangenkuss ist (durch COVID) vorbei. Wir wissen nicht, inwieweit sich dies auf die Geschichte auswirken wird, ob es eine Zivilisationskrise auslösen wird. Aber was mir wirklich wichtig ist, dass COVID zu Kooperationen geführt hat, die vorher undenkbar waren, zum Beispiel zum Informationsaustausch zwischen rivalisierenden Pharmaunternehmen während der Impfstoffproduktion. Dies ist eine gute Konsequenz, auf die wir bauen könnten. (...) Die meisten Stimmen der Gegenwart zeichnen ein sehr düsteres Bild von der Gegenwart und der Zukunft der Welt. Aber ich denke manchmal, wie Cărtărescu, dass wir den Menschen nicht ständig Angst vor der Apokalypse machen sollten. Ich zeige gerne eine Sichtweise, die nicht so typisch für das Denken in der ungarischen Öffentlichkeit ist, dass es nicht unbedingt das Ende von allem ist."

Magazinrundschau vom 30.01.2024 - Elet es Irodalom

Eher skeptisch sieht der Publizist István Váncsa die Verabschiedung des European Media Freedom Act durch die EU zum Schutz der Pressefreiheit, von Journalisten und ihren Quellen (mehr hier): "Zweifeln am guten Willen der EU soll man nicht, das Problem ist allerdings, dass unsere apostolische Regierung sich nicht durch schöne Worte, Vogelgezwitscher oder wilde Blumen stoppen lässt. Die EU ist jedoch unermüdlich in ihren Bemühungen, und probiert es weiter, sei es nur, weil sie im Moment keine bessere Idee hat, und wer weiß, eines Tages, in einer fernen Zukunft, die unserer Gegenwart in keiner Weise ähneln wird, könnte sie sogar Erfolg haben." Oder auch nicht, "laut Freedom House ist Ungarn bereits schlechter dran als Albanien, und die Tatsache, dass Ungarn der einzige EU-Mitgliedstaat ist, in der die Presse nur 'teilweise frei' ist, ist ein weiteres Indiz dafür. Im Moment. Wahrscheinlich wird es später nicht mal mehr 'teilweise frei' sein, und längerfristig gesehen ist die Grenze nicht der Himmel, sondern der Boden der Hölle."