"Das neue Amerika und das alte Europa." Héctor Abad macht sich
häretische Gedanken zum gerade in Kolumbien tagenden
6. Amerika-Gipfel: "Die Leute lieben es, schlecht durchdachte
Banalitäten zu verkünden, als handelte es sich um endgültige
Wahrheiten. Ein aktuelles Beispiel hierfür lautet: 'Das europäische Modell ist gescheitert, weg damit, suchen wir uns etwas Anderes.' Ein Irrtum, dessen Umsetzung gefährliche Folgen hätte: Westeuropa, selbst inmitten seiner Wirtschaftskrise, ist in politischer, kultureller und sozialer Hinsicht das bislang erfolgreichste Modell
der letzten 5000 Jahre (von dem, was davor war, weiß man so gut wie nichts). Wie alles, was Menschen machen, ist es nicht vollkommen. Aber mehr als 200 Jahre nach der Unabhängigkeit der amerikanischen Staaten fragt man sich, ob es nicht zumindest einigen von ihnen besser ergangen wäre, wenn sie europäische Kolonien geblieben wären. Dem französischen Überseedepartement
Guadeloupe ist es weniger schlecht ergangen als
Haiti (so heldenhaft die dortige Sklavenbefreiung war), und müsste ich mich heute entscheiden, ob ich in dem so unabhängigen
Cuba oder dem so abhängigen
Puerto Rico leben sollte, fiele meine Wahl zweifellos auf Letzteres; für einen Algerier ohne ideologische Scheuklappen sollte es nicht ausgeschlossen sein, darüber nachzudenken, ob sein Land nicht besser ein französisches Departement geblieben wäre; und die
Malwinen- bzw. Falklandinseln fahren mit England besser als mit Argentinien."