Magazinrundschau - Archiv

Europa

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Magazinrundschau vom 22.05.2007 - Europa

Zwei interessante Beiträge im Wochenendmagazin der Tageszeitung Dziennik widmen sich der Frage von alten und neuen intellektuellen Eliten. Im Interview wundert sich die bekannte Regisseurin Agnieszka Holland darüber, dass die Regierenden in Polen so viel Energie aufwenden, die alten Eliten zu zerstören, obwohl das Land so viel davon nicht zu bieten hat. "Eliten werden nicht dekretiert, einen solchen Status erwirbt man nicht durch irgendeine Wahl, sondern durch seinen ethischen Standpunkt, sein Talent, sein Charisma, seinen Mut usw. Es ist nicht so, dass Vertreter der Eliten auf der politischen Ebene herrschen müssen. Aber das heißt auch nicht, dass in dem Moment, wo sie es nicht tun, bewiesen werden muss, dass sie keinen Platz mehr im Wertesystem haben. Anderenfalls hätten wir es mit einer Kulturrevolution zu tun und nicht mit einem echten, natürlichen Elitenwechsel."

Maciej Urbanowski ist sich sicher, dass die voluminöse Sammlung von Briefen zwischen dem Exilschriftsteller Slawomir Mrozek und dem Exilverleger Wojciech Skalmowski zu einem "großen Ereignis" wird. "Man kann diese Korrespondenz auf zweierlei Arten lesen: kursorisch, indem man sich brillanter Gedanken und pikanter Kommentare erfreut, unbekannte Tatsachen entdeckt und nach Skandalen sucht. Oder von Anfang bis Ende, wie einen 'Künstlerroman' in Briefen, einen Roman über die Geschicke der polnischen Intelligenz am Ende des 20. Jahrhunderts oder auch über die Seelenlage unseres politischen Exils. Man die Briefesammlung schließlich wie ein mehrstimmiges Selbstporträt der Generation 1930 und eine intellektuelle Autobiografie von Mrozek lesen."

Magazinrundschau vom 08.05.2007 - Europa

Nachdem der Liberalismus als gesellschaftliches und weltanschauliches Konzept momentan in Polen ins Hintertreffen geraten ist, entwickelt sich im Magazin der Tageszeitung Dziennik eine Debatte über notwendige Veränderungen. Hatte Agata Bielik-Robson vor kurzem noch gefordert, dem Liberalismus etwas mehr Leben und Lebensfreude einzuhauchen, antwortet der Philosoph Andrzej Szahaj betont kühl: "Wenn das Welken des Liberalismus darin besteht, dass er stur an einer Vervollkommnung der gesellschaftlichen Verhältnisse arbeiten will, statt revolutionäre Umstürze zu fordern; dass er Versöhnung und Kompromiss will, statt Kampf auf Leben und Tod; dass er nicht im Namen einer Großen Idee Menschen verletzt, und dass er am sozialen Frieden festhält, dann soll er ruhig welken. Zum Wohl!"
Stichwörter: Liberalismus

Magazinrundschau vom 17.04.2007 - Europa

Die von vielen konstatierte Demokratiekrise in den ostmitteleuropäischen Ländern hat ihre Ursprüunge in der Natur der Systemtransformation, meint die polnische Politologin Lena Kolarska-Bobinska. "Sie verlief im Zeichen des Vorrangs ökonomischer Veränderungen vor politischen. Leszek Balcerowicz und andere wirtschaftsliberale Reformer glaubten, die Stärkung der Demokratie werde wie von selbst nachziehen. Man kann sogar sagen, sie waren nicht an einer aktiven Gesellschaft interessiert - man fürchtete Proteste gegen die marktwirtschaftliche Entwicklung." Trotz großer Erwartungen an den EU-Beitritt hat sich das Misstrauen der Polen gegenüber staatlicher Institutionen noch erhöht, wozu die jetzige Regierung beigetragen habe, so die Politologin. Sie hofft jedoch, dass die in gut regierten Ländern gemachten Erfahrungen, u.a. durch Arbeitsmigration, die Erwartungen der Polen gegenüber eigenen Institutionen steigern und zu mehr zivilgesellschaftlichem Engagement führen wird.
Stichwörter: Arbeitsmigration

Magazinrundschau vom 03.04.2007 - Europa

In der Wochenendbeilage der polnischen Tageszeitung Dziennik wird (immer noch) über Slavoj Zizeks Buch "Die Revolution steht bevor" diskutiert. Während einer Diskussion, die die Tageszeitung organisiert hat, entlarvt die Philosophin Agata Bielik-Robson den Slowenen als 'Trickster': "Hin und wieder taucht in der langweiligen akademischen Welt jemand auf, mit dem man nichts anzufangen weiß: er ist zu intelligent, um ihn als Scharlatan zu ignorieren, und zu provokant um ihn ernst zu nehmen. Die Anthropologen nennen diese Person einen 'Trickster': jemand, der die pure Subversion verkörpert und sie dazu benutzt, seine Umgebung zu verwirren. So geht Slavoj Zizek vor: er experimentiert mit Gestalten, die sich eines ambivalenten Ruhms im Westen erfreuen, und präsentiert uns so den wiedergeborenen Lenin quasi als Che - eine Ikone der Weltrevolution, als Vorbild zur Nachahmung". Den Rest der Debatte kann man hier nachlesen.

Magazinrundschau vom 20.03.2007 - Europa

Das Magazin der polnischen Tageszeitung Dziennik beschäftigt sich in der letzten Ausgabe mit Radikalismen und Revolutionen. Philippe Raynaud stellt den Philosophen Alain Badiou vor, dessen Buch "Paulus. Die Begründung des Universalismus" bald in Polen erscheint (mehr dazu hier). Im Artikel platziert Raynaud Badiou unter den Vertretern der neuen radikalen Linken, die dem Marxismus und Leninismus nicht abgeschworen hat. "Seine politischen Positionen spiegeln oft die Meinung der Mehrheit der französischen Gesellschaft wider, er ist aber zweifellos originell in seinem Radikalismus, was sich in seinem philosophischen und vor allem politischen Weg ausdrückt. Der Charme seiner Werke begründet sich in der Verbindung zweier Typen von radikaler Kritik an der Demokratie: die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft für ihre Mittelmäßigkeit und der Vorwurf, das Gleichheitsversprechen nicht eingelöst zu haben. Badious Erfolg rührt teilweise auch daher, dass er antidemokratische Leidenschaften ausdrückt, die bei einem großen Teil der radikalen Linken noch lange nicht erloschen sind."

In Polen ist eine Diskussion über das neueste Buch des Dichters und Schriftstellers Jaroslaw Marek Rymkiewicz entbrannt. In "Wieszanie" ("Hängen") behauptet er, hätten die Polen 1794 (Kosciuszko-Aufstand) und 1989 härter mit den Verrätern abgerechnet, wäre die heutige Gesellschaft moderner und "politischer", statt an der Idee der nationalen Einheit zu hängen. Für den Philosophen Bronislaw Lagowski wird das Buch deswegen so stark rezipiert, weil es die momentane Stimmung der "Post-Solidarität" (im doppelten Sinne) in der Gesellschaft ausdrückt. "Jede politisch-kulturelle Formation will sich in historischen Vorbildern, Mythen oder Präzedenzfällen wiederfinden. Die heute vorherrschende Formation wird sich in dem wiederfinden, was uns Rymkiewicz vor die Augen hält. Die Leser wiederum werden gerne dieses gut geschriebene Buch über das Hängen von Verrätern lesen - als Ausgleich zur tatsächlichen Entwicklung der letzten zwanzig Jahre."