Magazinrundschau - Archiv

Il Foglio

72 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 8

Magazinrundschau vom 16.10.2007 - Foglio

Leone Piccioni plaudert in seinem Buch "Memoria e fedelta" aus dem Nähkästchen des italienischen Literaturbetriebs der Nachkriegszeit. Gabriella Mecucci zitiert die Höhepunkte. "Der genialste italienische Schriftsteller, Carlo Emilio Gadda, war ein ziemlich extravaganter und naiver Charakter, weshalb er zum Ziel von entzückenden Scherzen wurde, die er oft nicht verstand. Ein glühender Monarchist, regte er sich Anfang der Sechziger über die Nachricht auf, die Prinzessin Titti di Savoia habe eine Beziehung mit Maurizio Arena, einem 'armen, aber schönen' Mann, nur Muskeln, wenig Hirn. Goffredo Parise und Leone Piccioni, leitender Redakteur beim Rai und Sohn eines wichtigen Christdemokraten, einigten sich darauf, das auszunutzen. Schon am nächsten Tag hat Parise ein Abendessen mit Gadda, und dieser fängt wie erwartet an, sich über das Gebaren von Titti aufzuregen. Wie kann es sein, dass eine Savoy sich mit Maurizio Arena einlässt? Parise gibt sich als konzentrierter Zuhörer und meint, nachdem er die Flasche Mineralwasser angeboten hat: 'Man sagt, seiner ist so dick'. Dieselbe Szene ereignet sich am darauffolgenden Abend. Diesmal ist der Tischgast Leone Piccioni. Das gleiche Gejammer des Meisters über Titti, und wieder der Verweis auf die Flasche: 'Man sagt, er hat einen so dicken." Gadda schnellt in die Höhe, wird puterrot und ruft mit lauter verzweifelter Stimme: 'Aber dann ist es wahr!'"

Außerdem: Siegmund Ginzberg porträtiert stolz und doppelseitig (hier und hier) Mario Capecchi, den italienisch-amerikanischen Medizinnobelpreisträger. Und Giulio Meotti widmet sich dem einzigen schwarzen Mitglied des Supreme Courts und "meistgehassten Richter Amerikas", Clarence Thomas, und dessen Buch.

Magazinrundschau vom 09.10.2007 - Foglio

Im Jahr 1924, als sich die Faschisten das erste Mal den Wählern stellten, erhielt Benito Mussolini dringend benötigte Schützenhilfe von einem Indianer, erzählt Nicola Fanon. "Weißer Hirsch" war damals einer der Superstars von Italien. Die Frauen fielen reihenweise in Ohnmacht, die Plätze für seine Shows waren Monate im voraus ausgebucht. "Er war Schauspieler, halb Komiker, halb Politiker und halb ethnischer Schausteller. Er tourte monatelang durch Italien, nachdem er Europa abgeklappert hatte. In seiner Show präsentierte er sich als der Häuptling eines Stammes, der Jahrhunderte lang über ein riesiges Gebiet an der kanadisch-amerikanischen Grenze geherrscht hatte. Seine Spektakel bestanden zum Großteil aus eine Reihe von Kunststücken (Pistolenschießen, Axtwerfen) und indianischen Tänzen." Nebenbei trommelte "Weißer Hirsch" für die Faschisten. "Seine Unterstützung ist nicht zu unterschätzen. Auf seinen Shows beschwor er einen Sturm der Erneuerung herauf, er warb für die Befreiung von Regeln und von Althergebrachtem, von Institutionen und jeglichen demokratischen Konventionen."
Stichwörter: Mussolini, Benito

Magazinrundschau vom 11.09.2007 - Foglio

Siegmund Ginzberg kehrt hier und hier nach 50 Jahren nach Istanbul zurück, wo er seine Kindheit verbrachte, bevor die Familie nach Italien auswanderte. Die Erinnerungen drehen sich vor allem ums Essen: "die mittendurch gespaltenen Schafsköpfe aus dem Ofen (in Istanbul backt man sie, zusammen mit Kartoffeln, im offenen Ofen), die Kuttelsuppe mit Ei, Zitronen und Knoblauch, und die rohe, leicht gesalzene Makrele. In Istanbul habe ich in den letzten Tagen sogar noch Besseres gefunden, die Kokorec aus Schafsinnereien und das Lakerda, der marinierte Thunfisch, den man einst in Blechkanistern an den Straßenecken kaufen konnte. Mein Vater brachte ihn mit, als er nach Hause kam, stoßgeschützt eingewickelt in gelbem Karton, zusammen mit einer unverzichtbaren halben roten Zwiebel. Ich kann diesen Geschmack den Lesern nicht beschreiben, die das nie probiert haben. Um einen groben Eindruck zu bekommen, kann ich nur sagen, dass es die Mutter aller Sushi und Sashimi ist."
Stichwörter: Mutter, Kartoffeln

Magazinrundschau vom 28.08.2007 - Foglio

Bollywood, Hollywood und - Nollywood. Maurizio Stefanini porträtiert die drittgrößte Traumfabrik der Welt in Nigerias Hauptstadt Lagos. 1200 Filme im Jahr, die aber nicht nur zur Unterhaltung dienen, sondern auch in der politischen Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Christen eingesetzt werden. "In einem geteilten Land wie Nigeria reicht es, den religiösen Nerv leicht zu reizen, um einen Skandal zu produzieren. Manchmal passiert das in gutmenschlicher Absicht: zum Beispiel in 'Not without my daughter', der Geschichte eines muslimischen Romeos und einer christlichen Julia, die zu heiraten versuchen, trotz der Hindernisse, die ihnen die gegenseitigen Vorurteile in den Weg legen. Auch im gefeierten 'Amina' versucht man die komplizierte Frage der nationalen Einheit zu verhandeln. Aber im Jahr 2000, sofort nach der Einführung des koranischen Gesetzes in einigen muslimischen Staaten des Nordens, kam ein Film heraus, der unverblümt 'Sharia' hieß. Er nahm sich des Themas im Tonfall eines Theo van Gogh an, und erregte den Zorn vieler Muslime des Nordens. 'Man sieht wie einem Dieb die Hand abgehackt wird ohne die entsprechenden Prozeduren einzuhalten', heißt es in einem Protestbrief gegen diesen Auswuchs der 'Islamophobie'."

Weiteres: Sandra Fusino schwelgt hier und hier in Erinnerungen an den blümeranten Sommer des Jahres 1967 in den USA. Besprochen wird die Ausstellung "Trilogia del sacro selvaggio? mit Fotografien von Gerard Rancinan auf der Mailänder Triennale sowie drei Bücher zu Mensch und Tier.

Magazinrundschau vom 21.08.2007 - Foglio

Tommaso Piffer erzählt die Geschichte von Roberto Anderson, der als italienischer Ingenieur 1924 in die Sowjetunion ging. Anderson war nur einer von Hunderten von Italienern, die aus kommunistischer Überzeugung das Mussolini-Regime verließen, sich dort aber zwischen allen Stühlen wiederfanden. "Zum Beispiel Emilio Guarneschelli, ein Turiner, der erst nach Frankreich, dann nach Belgien und schließlich in die UdSSR auswanderte, wo er Kurse in Marxismus-Leninismus, der Geschichte des Klassenkampfes und der Kommunistischen Partei besuchte. Sein Mut, die Wirklichkeit beim Namen zu nennen, bezahlte er mit der Hinrichtung. Pompeo Nale hingegen hatte sich schon seit früher Jungend in der sozialistischen Partei eingagiert und war an einem Mord an einem Faschisten beteiligt gewesen, bevor er in die UdSSR emigierte. Als er wegen des Vorwurfs des Trotzkismus verhaftet wurde, unterstellten sie ihm, diesen Mord organisiert zu haben, um als Antifaschist zu erscheinen, während er in Wahrheit nichts anderes als ein Spion sei. Er wurde im März 1934 in Butovo erschossen. Und dann gibt es etwa noch Aldo Gorelli aus Mailand, den Antonio Roasio als 'moralisch krank' und 'unzufrieden' bezeichnete. Seine Überreste befinden sich auf dem Gemeindefriedhof von Kommunaeka."

Außerdem empfiehlt Paola Bacchiddu den Roman "Il signor figlio" des bekannten TV-Conferenciers Alessandro Zaccuri, in dem Giacomo Leopardi und Rudyard Kipling ihren Auftritt haben.

Magazinrundschau vom 14.08.2007 - Foglio

Aus den Trümmern des Faschismus will Angiolo Bandinelli wenigstens den Architekten Luigi Moretti retten, der von 1933 bis 1937 im römischen Viertel Trastevere das Haus der faschistischen Jugendorganisation "Gioventu Italiana del Littorio" gebaut hat. "In der Mitte öffnet sich der Eingang zum Lichtspielhaus,damals ein integrativer Bestandteil der Bildungseinrichtungen des Komplexes, heute ein öffentliches Kino (ein paar Meter weiter liegt das noch viel berühmtere Kino Nuovo Sacher von Nanni Moretti). Links vom Turm weicht die Fassade sofort von der Ascianghi-Straße zurück, und öffnet sich überraschend in eine großzügige quadratische Einbuchtung, mit einer hohen glatten Wand, die eine Abfolge von Fenstern und Öffnungen von großer formaler Reinheit überragt."

Der größte Held Italiens ist immer noch eine Schlagzeile wert. "Die tausend (Leiden) des Garibaldi", betitelt Nicola Fano in Anspielung auf die legendäre Truppe des Revolutionärs seinen Artikel über die drei Ehen des ansonsten disziplinierten Patrioten. "Tausend Fehler. Tausend, dass scheint seine magische Zahl zu sein. Kurz bevor er sein Heer zusammenstellte, das ihn von Quarto über Marsala bis zu Neapel siegen lassen würde, hat er den schlimmsten menschlichen Fehler seines langen Lebens gemacht: er lief einem Heiratsvertrag hinterher, der ihn teuer zu stehen kam. Ich bin ein überzeugter Garibaldianer, aber um die Reinheit meiner Anbetung zu erhalten, muss ich diese nicht gerade sehr erbauliche Geschichte erzählen. Wenn Sie sie zu Ende gelesen haben, dann verstehen Sie, dass Garibaldi ein Mann und ein Italiener war. Was ihn als Helden nicht kleiner macht."

Weiteres: Maurizio Stefanini ist ganz fasziniert von den Oligarchen Asiens, über deren zurückgezogenes Leben er aus Joe Studwells Buch "Asian Godfathers: Money and Power in Hong Kong and Southeast Asia" erfährt. Alfonso Berardinelli würdigt den Schriftsteller Alberto Moravia, der vor hundert Jahren geboren wurde.

Magazinrundschau vom 07.08.2007 - Foglio

Edoardo Camurri amüsiert sich bei den von David Rose herausgegebenen Kontaktanzeigen der London Review of Books so sehr, dass er hier gleich ein neues Genre das Licht der Welt erblicken sieht. Sein Favorit ist ein Engländer. "Allele, anatta, arrear, arrere, bedded, bettee, breere, caccap, ceesse, cobbob, desse, dolool, doodad, effere, emmele, emmene, ennean, essede, feyffe, gaggee, giggit, googol, gregge, hammam, hummum, hubbub, jettee, kokoon, lessee, lesses, mammal, mammee, mossoo, mutuum, nerrer, ossous, pazazz, pepper, perree, pippin, powwow, reeder, reefer, reeffe, refeff, retree, seasse, secess, seesen, sensse, sessle, settee, sissoo, tattee, tattoo, tedded, teerer, teeter, testee, tethee, tetter, tittee, treete, unnung, veerer, weeded, zaarra. Wörter mit sechs Buchstaben, in denen ein Buchstabe jeweils einmal, ein anderer zweimal und ein dritter dreimal vorkommt. Oh Gott, ich brauche eine Frau. Einundvierzig Jahre, Postfach 4290."

Weiteres: Adriano Sofri verabschiedet erstaunlicherweise Ingmar Bergman und nicht Michelangelo Antonioni. Ugo Bertone porträtiert hier und hier große Zeitungsdynastien. Rolla Scolari erlebt eine Beduinenhochzeit in der israelischen Negev-Wüste.

Magazinrundschau vom 31.07.2007 - Foglio

Fabio Dal Boni trommelt gegen die zunehmende Ausbreitung privater Kliniken, die dem Magnaten Carlo De Benedetti ebenso gehören wie die Konkurrentblätter. Dal Boni sieht hier vereinte Kräfte am Werk: "Bei jedem Unfall und jedem Ausfall wird das öffentliche Gesundheitsystem an den Pranger gestellt und mit dem System anderer Länder verglichen, vor allem mit dem amerikanischen, wo man für den Service zahle und er funktioniere (natürlich nur für diejenigen, die privat versichert sind). Nun fällt einem auf, und vielleicht ist es ein purer Zufall, dass sich hier Hospital auf Zeitung reimt. Denn Carlo De Benedetti besitzt den Espresso, die Repubblica, sechzehn lokale Tageszeitungen, ein paar Radiosendcer (Deejay und Capital), einen Musiksender (All Music-Rete A), Blogs und Internetportale." (Zufall ist wohl auch, dass Il Foglio auf einmal das öffentliche Gesundheitssystem für sich entdeckt.)

Cristina Giudici porträtiert Lietta Manganelli, die Tochter des italienischen Schriftstellers Giorgio Manganelli, die von Anfang an ein eher schwieriges Verhältnis zu ihrem vom Leid der Existenz geplagten und wenig liebevollen Vater hatte. "Als sie fünf Jahre alt war, gab ihre schöne und außergewöhnlich schwermütige Mutter Fausta - die der Vater trotzdem als sein schönes Märchen bezeichnete - sie bei ihrer Tante in Parma ab, 'Ich komme in fünfzehn Tagen, um Dich zu holen', erzählte sie ihr, nachdem sie sich schon von ihrem Mann getrennt hatte. 'Sie kam fünfzehn Jahre später', witzelt Lietta."

Weiteres: Siegmund Ginzberg erzählt hier und hier die Geschichte des russischen Geheimdienstes, dessen Vorgänger Okhrana schon im 19,. Jahrhundert in London und Paris operierte. Rothaarige haben mit schrecklich vielen Vorurteilen zu kämpfen, konstatiert Guilda Giarneri, um gleich darauf einige Emanzipationsbewegungen Betroffener vorzustellen.
Stichwörter: Mutter, Gesundheitssystem

Magazinrundschau vom 17.07.2007 - Foglio

Nach fünfzig Jahren wird Alberto Arbasinos Roman "Le piccole vacanze? wieder aufgelegt, ein Grund für Camillo Langone, tief zum Sommer wie er einmal war hinabzutauchen. "Schon lange vorbei sind die Fünfziger, in denen die Ferien zwar klein, aber eben noch Ferien waren, viel Platz und eine Zeit, die gleichsam aufgehoben war wie in den Gedichten von Cradarelli (nicht umsonst heißt seine erste Erzählung 'Weiter Sommer') Höchstens ein kurzes Teleonat ab und zu, am Fersnprecher, um zu erfahren ob zu Hause alle noch lebendig waren. Man trank Tamarinde oder auch Negroni, man fuhr im Spider herum oder im Kombi (giardinetta), ein schönes Wort für die gstreckte Version des neuen Fiat 500."

Weiteres: Fabiana Giacomotti stellt die derzeit begehrteste Konsumentenklasse vor: Erwachsene im Jugendwahn, sogenannte Kidults. Und Roberta Tatafiore würdigt Harry
Benjamin und Hans Magnus Hirschfeld und ihre Forschungen zu Transvestiten.
Stichwörter: Hirschfeld, Magnus, Fiat

Magazinrundschau vom 10.07.2007 - Foglio

In apokalyptischem Ausmaß sorgt sich Edoardo Camurri um das Buch, die Buchhandlungen und die Leser in Italien. "Um zusammenzufassen: Zu viele Neuheiten jedes Jahr, Buchhandlungen, die in Titeln ertrinken, der Kampf um die besten Verkaufsplätze, der Buchhändler verwandelt sich in einen Serienkiller, der Leser unterwirft sich den kommerziellen Mustern, die kleinen Verlagshäuser suchen nach alternativen Strategien, und über das alles regiert, in seiner olympischen Neutralität, das kalte und unbeeindruckte Gesetz der Verkaufszahlen. Man bräuchte vielleicht einen Generalstreik, wie bei den Steuern. Hört auf mit dem Lesen! Schluss. Aus. Intelligente Analphabeten sind besser als trottelige Leser."

Weiteres: Marco Respinti porträtiert die feministische amerikanische Historikerin Betsy Fox-Genovese. Fabi Dal Boni regt sich über die Computerstimmen auf, die ertönen, wo immer er auch anruft.