Magazinrundschau - Archiv

The Guardian

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Magazinrundschau vom 24.01.2023 - Guardian

Kaum etwas ist der Kommunistischen Partei heute so peinlich wie die Kulturrevolution, die Mao 1966 vom Zaun brach, um seine gefährdete Position abzusichern. Millionen von Teenagern hetzte er gegen ideologische Gegner und Intellektuelle auf, gegen alte Autoritäten und kulturelle Institutionen, und als selbst ihm die agitierten Horden unheimlich wurden, verfrachtete er sie aufs Land. Tania Branigan sieht in der Kulturrevolution den Schlüssel zum Verständnis des heutigen Chinas, in dem sich gnadenloser Konformismus und erbarmungsloser Individualismus verbinden: "Maos sprunghaftes Wesen, seine wechselnden Taktiken und absichtlich kryptischen Äußerungen, die politischen Intrigen an der Parteispitze, die widerstreitenden Interessen und Motive auf allen Ebenen der Bewegung, einschließlich kleinlicher Missgunst und banaler Ambitionen, die vielen Phasen, die sie durchlief, ihr schieres Ausmaß - all das macht es schwer, sie zu entschlüsseln. Selbst Chinas ideologische Brüder taten sich schwer, dieses Chaos zu verstehen: Nordkoreanische Kader verspotteten sie als 'großen Irrsinn, der weder mit Kultur noch mit Revolution zu tun hat'. In Teilen ähnelt sie den schrecklichen Völkermorden des 20. Jahrhunderts, obwohl hier die Menschen ihre eigenen Leute töteten - die Grenze zwischen Opfern und Tätern verschob sich von einem Moment zum anderen. In mancher Hinsicht erinnert sie an die stalinistischen Säuberungen, allerdings mit begeisterter Beteiligung der Massen. Im Gegensatz zu anderen Tragödien unter der Kommunistischen Partei Chinas war die Kulturrevolution allumfassend. Kein Arbeitsplatz blieb unangetastet, kein Haushalt blieb unschuldig. 'Komplizenschaft' ist ein zu kleines Wort - Genosse wandte sich gegen Genosse, Freund gegen Freund, Ehemann gegen Ehefrau und Kind gegen Eltern. Der persönliche Verrat und die abrupten Kehrtwendungen zerrissen das Gefüge Chinas, die konfuzianischen Ideale des familiären Gehorsams und die neueren kommunistischen Versprechen der Brüderlichkeit. Doch diese Ära, die das moderne China geprägt hat, ist heute weitgehend vergessen. In der Vergangenheit wurde sie zwar breiter diskutiert, aber nie frei. Die Berichte über die Schrecken dieser Zeit trugen dazu bei, die Abkehr von der sozialistischen Orthodoxie hin zum Markt zu rechtfertigen. Im Laufe der Zeit haben Angst, Schuldgefühle und offizielle Unterdrückung das Thema wieder in den Schatten gedrängt."

Magazinrundschau vom 13.12.2022 - Guardian

Die iranische Protestbewegung gibt einfach nicht auf, trotz der mittlerweile 450 Toten und fast zwanzigtausend Verhafteten. Christopher de Bellaigue, früher Iran-Korrespondent des Economist, bewundert Mut und Ausdauer der vor allem jungen Menschen, aber an ihren Erfolg kann er nicht ganz glauben: "Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen denen, die im Iran leben, und denen außerhalb: Für die ungeduldigen Exilanten würden das Atomabkommen und die Aufhebung der Sanktionen einem Rettungsanker für die Islamische Republik gleichkommen - es wäre für sie inakzeptabel. Für die Iraner, die in der Islamischen Republik leben, würde es die Verbesserung der Lebensbedingungen bedeuten, die in den letzten Jahren unerträglich geworden sind. Die Aufrufe zu einem landesweiten Streik, der auch die Basare, die Lehrer und - ganz wichtig - die Ölarbeiter einschließen sollte, sind weitgehend unbeachtet geblieben. Dies kann nicht allein mit der Einschüchterung durch die Regierung erklärt werden. Es liegt auch an der Erhöhung von Gehältern und Zulagen, die die Regierung in den vergangenen Monaten den Angestellten des öffentlichen Dienstes und den armen Familien gewährt hat. Und es liegt daran, dass bei allem Heldentum der Demonstranten für den unwahrscheinlichen Fall, dass das Regime plötzlich zusammenbricht, niemand auch nur die geringste Ahnung hat, was dann kommen wird. Einem internen Bericht des Regimes zufolge, der am 25. November von Hackern, die sich Black Reward nennen, veröffentlicht wurde, wollen 51 Prozent der Iraner, dass der Hidschab eine Frage der persönlichen Entscheidung ist, und 56 Prozent erwarten, dass die Proteste weitergehen. Aber mit welchem Ziel? Eine Opposition ohne klare Führung hat den Vorteil, dass sie nicht enthauptet werden kann. Doch so vielfältig wie diese Opposition ist, würde jede Diskussion über eine Post-Islamische Republik Iran die mühsam aufgebaute Einheit gefährden. Unter den heutigen Revolutionären wird jeder, der die Frage aufwirft, wie es weiter gehen soll, wahrscheinlich mit Phrasen wie 'Jetzt ist nicht die Zeit für solche Diskussionen' und 'Alles ist besser als diese Bande' abgewimmelt oder der Komplizenschaft mit der Islamischen Republik beschuldigt und mit deren Taktik, Angst zu verbreiten, dass auf den Sturz des Regimes das Chaos folgen wird."

Magazinrundschau vom 02.08.2022 - Guardian

Der Schriftsteller Mohsin Hamid hat immer geglaubt, dass trotz Kriegen, Klimawandel und anderen Katastrophen die Welt im Grunde eine gute ist und sich immer weiter zum Positiven entwickeln würde. In letzter Zeit hat er Zweifel: "Die Maschinenwelt ist eine binäre Welt, und mir scheint, dass wir gelernt haben, diese Nullen und Einsen auf unser Denken anzuwenden und unseren Impuls zu verstärken, uns gegenseitig in Gleiche und Ungleiche einzuteilen, und zwar zu einem Zeitpunkt, der historisch gesehen der denkbar ungünstigste ist: zu einem Zeitpunkt, da das Imperium im Rückzug begriffen ist und wir bereits dazu neigen, übermäßig zu sortieren und Reinheitstests zu fetischisieren. Das Ergebnis ist, wie wir überall um uns herum sehen können, ein katastrophales Zusammentreffen von Polarisierung, Militarismus, demokratischer Dysfunktion und Missachtung der Umwelt. So wie der tödlichste Aspekt von Covid, bevor es Impfstoffe und pharmazeutische Behandlungen gab, eine Überreaktion unseres Immunsystems auf das Virus war - der gefürchtete Zytokinsturm -, der in einem übereifrigen Versuch, die Krankheit zu bekämpfen, gesundes Lungengewebe zerstörte, so ist die Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, eine Überreaktion unseres gesellschaftlichen Immunsystems aufeinander. Es ist ruinös für uns, wenn wir diejenigen, mit denen wir in irgendeiner Weise nicht übereinstimmen, pauschal als Nullen bezeichnen. Es unterschätzt die menschliche Fähigkeit zu chaotischer und unerwarteter Plastizität. Es müssen dringend andere Ansätze gefunden werden, um eine bessere, integrativere und gerechtere Zukunft zu erreichen."

Magazinrundschau vom 05.07.2022 - Guardian

Dass Janet Malcolm und Joan Didion ihre Gesprächspartner wie japanische Geisha bezirzten, hatte nichts mit Charme zu tun, stellt Peter Conrad klar, es war die bevorzugte Kampftechnik dieser beiden Starjournalistinnen, die nun, nach ihrem Tod, in die ruhmreiche Reihe "The Last Interview" aufgenommen wurden: "Janet Malcom verdiente sich ihren Platz aufgrund der Kämpfe, die zu führen sie gewählt hatte. In einem Fall, der die Gerichte zehn Jahre lang beschäftigt hielt, war sie gleich zweimal von einem Psychoanalytiker wegen Rufschädigung verklagt worden, den sie in ihrem Buch über die Freud-Archive 'einen intellektuellen Gigolo' nannte. Am Ende freigesprochen, bedauerte Malcolm nichts: 'Die Freiheit, grausam zu sein', glaubte sie, gehört zu den unangetasteten Privilegien des Journalismus'. Als sie einem Interviewer ihre Wohnung beschrieb, wies sie anerkennend auf die Risse im Sofa, das ihre Katze 'böse zerkratzt' hatte. Joan Didion suchte nie die Auseinandersetzung wie Malcolm, sie verdankte ihren Ruhm auch ihren modischen Accessoires. Während sie in Malibu lebte und in Hollywood als Drehbuchautorin arbeitete, kreuzte sie am Pacific den Küsten-Highway in einer kanariengelben Corvette; später, mit achtzig Jahren, als sie hinter ihrer eulenhaften Sonnenbrille geradezu schmerzlich verwundbar aussah, ließ sie sich zum Gesicht der französischen Modemarke Celine machen. Didions Interviewer erwähnen die Blässe und Zerbrechlichkeit, doch sie bemerken auch alle die krallenhafte Stärke ihrer Hände und die Intensität ihrer blauen Augen. Diese kleine, schrumpfende Frau trotzte jeder Gefahr während ihrer Einsätze als Kriegsreporterin in El Salvador, und im 'Jahr des Magischen Denkens', das sioe nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes schrieb, enthüllte sie die sentimentale Selbsttäuschung hinter der Trauer. Mit derselben natürlichen Toughness, widersetzt sie sich Interviewern, die ihr berufliche Geheimnisse entlocken wollen: 'Ich weiß nicht', antwortet sie schulterzuckend auf Fragen nach existenziellen Sprüngen in ihren Romanen, um dann etwas offener hinzuzufügen: 'Das ist nichts, was ich zu genau untersuchen möchten.'"

Magazinrundschau vom 21.06.2022 - Guardian

Dayanita Singh, File Museum, 2012. © Dayanita Singh


Orhan Pamuk singt im Guardian ein Liebeslied auf Dayanita Singhs Fotografien von Indiens zerfallenden Papierarchiven, die gerade mit dem Hasselblad Award ausgezeichnet wurde. Wenn er sie ansieht, steigt ihm sofort ein Geruch aus Flussschlamm und Fischschleim in die Nase, der ihn in die Vergangenheit beamt: "Ich sah dieselben Schränke, riesigen Ordner und Berge von Akten in den türkischen Behörden, die ich in den 1960er Jahren mit meiner Mutter und meinem Bruder besuchte, wann immer wir Impfunterlagen oder Eigentumsurkunden abholen oder eine Geburt registrieren mussten. Schon als Kind spürte ich, dass der Zauber dieses riesigen und monströsen Gebildes, das wir 'den Staat' nannten, an diesen Orten eine viel stärkere Anziehungskraft ausübte als in der Schule, bei militärischen Zeremonien oder bei den Feiern zum Tag der Republik. Was den Staat in erster Linie zu einem Staat machte, waren nicht seine Soldaten und Polizisten, sondern diese Ordner, Akten, Dokumente und Papiere. ... Der strenge, herrische Ton, in dem die meisten Beamten in den Ämtern zu uns sprachen, sowie die Tatsache, dass nie etwas reibungslos ablief (es schien immer ein Fehler vorzuliegen oder etwas zu fehlen), verstärkten unsere Wahrnehmung, dass der Staat mächtig und wir schwach waren." (Eine Ausstellung von Fotografien Singhs ist derzeit noch bis 7. August im Berliner Gropius Bau zu sehen.)

Magazinrundschau vom 03.05.2022 - Guardian

Die jüdische Diaspora im Norden und Süden Afrikas ist bekannt, doch auch in vorwiegend christlich und muslimisch geprägten Ländern Afrikas wie Nigeria haben sich in den vergangenen Jahren Gemeinden gebildet, die in ihrer Tradition Gemeinsamkeiten mit dem Judentum sehen, was sie aus ihrer Sicht als Israeliten legitimiert, berichtet Samanth Subramanian, der einige dieser Gemeinden besucht hat. Israel erkennt sie nicht an, liberalere Rabbiner aus den USA sehen in ihnen jedoch eine Chance für das Judentum, sich vielfältiger weiterzuentwickeln und zu verbreiten: "Neun von zehn nigerianischen Juden sind Igbo, fragt man sie nach dieser fast schon totalen Übereinstimmung, geben alle die gleiche Antwort: Laut ihrer traditionellen Erzählung stammen die Igbo von Gad ab, einem der Söhne Jakobs und Anführer von einem der zehn verlorenen Stämme Israels. Als Beweis verweisen sie auch auf die Bräuche der Igbo, die jene der Tora widerspiegelten: die Beschneidung eines männlichen Kindes acht Tage nach der Geburt, zum Beispiel, oder die Regelungen, wann eine menstruierende Frau als 'rein' oder 'unrein' gilt. Ein Mann, den ich in Abuja traf, hatte eine Liste mit hunderten Igbo-Wörtern zusammengestellt, die ähnlich wie ihre hebräischen Synonyme klangen. Ein anderer zeigte mir ein Video eines traditionellen Igbo-Tanzes, in dem ein Mann einen blau-weiß karierten Umhang trug - die gleichen Farben wie der jüdische Gebetsmantel. Ben Avraham, dessen Bart an schwarze Stahlwolle erinnert und der seine Schläfenlocken bis über den Kiefer trägt, ist auch ein Igbo. Als seine Unzufriedenheit mit der Kirche wuchs, glaubte er, der Judaismus könnte sich ungehindert mit seiner Igbo-Identität verweben. Doch er musste noch herausfinden, wie das Judentum praktiziert wird, dafür war sein Timing perfekt. In den 1990er und 2000er Jahren verkleinerte sich die Welt so stark und schnell, dass Igbo-Juden mit Hilfe ferner Ratschläge und dem Internet in der Lage waren, sich selbst ihren erwählten Glauben beizubringen. Während Ben Avraham lernte, jüdische Websites studierte, E-Mails an Rabbis im Ausland sendete und sich mit jüdischen Besuchern in Port Harcourt befreundete, um sie nach Informationen auszufragen, fühlte er sich mehr und mehr zu Hause. Jüdisch werden, sagte er, ist für die Igbo 'keine Entdeckung. Es ist eine Rückkehr'."

Magazinrundschau vom 22.03.2022 - Guardian

Während die Welt mit Corona beschäftigt war, sah sich Kenia mit einem unerklärlichen Phänomen konfrontiert: Die Pegel der großen Seen des Landes steigen in enormer Geschwindigkeit, wie Carey Baraka berichtet: Lake Baringo, Nakuru oder Naivasha haben sich um bis zu 50 Prozent ausgebreitet, zehntausende Familien mussten bereits umgesiedelt werden. Ein Regierungsbericht macht die durch den Klimawandel gestiegenen Regenfälle verantwortlich, Geologen tippen auf tektonischen Verschiebungen im Rift Valley. Doch selbst der in der Wüste gelegenen Lake Turkana weitet sich auch: "In einem Dorf an seinen Ufern beklagten die El Molo das Ansteigen des Sees. Die Dorfältesten erzählten mir, dass sie gezwungen waren, ihr Dorf Luyeni umzusiedeln, indem sie ihre Strohhäuser vorsichtig entwurzelten und sie weiter vom Wasser entfernt aufstellten. Während wir sprachen, schwebten weiße Möwen träge über dem Wasser, wie von einem Zephir getragen. Die Ältesten hatten bemerkt, dass der See immer größer wurde, und durch ihre Fischzüge wussten sie, dass er auch immer tiefer wurde. Sie erzählten mir von einer Straße, die zuletzt vor zehn Jahren benutzt worden war, bevor sie unter dem Wasser versank, und sagten voraus, dass die Straße, die ich genommen hatte, um nach Luyeni zu kommen, ebenfalls bald unter Wasser stehen würde. Sie wussten auch, dass dies nicht nur ein Phänomen der Turkana ist; sie hatten gehört, dass dasselbe in anderen Seen des Rifttals, sogar in Kisumu, passierte. Die Ältesten hatten ihre eigenen Theorien darüber, was mit ihrem See, Mpaso, in der lokalen Sprache der El Molo, geschah. 'Vielleicht gibt es eine gebrochene Quelle im Boden, vielleicht sind die Felsen zerbrochen, so dass das Wasser hochschießt', sagte einer von ihnen. Vielleicht ist der Fluss Omo in Äthiopien derjenige mit dem Riss, schlug ein anderer Älterer vor."

Magazinrundschau vom 15.03.2022 - Guardian

Sehr lesenswert ist Keith Gessens kurze Geschichte der Ukraine, die auch durchaus kritisch die Expansion der Nato beleuchtet, ohne damit Putins Angriffskrieg zu rechtfertigen. Schön vor allem, wie Gessen der Ukraine das Recht zugesteht, eine imperfekte Demokratie zu sein: "Die Ukraine erlebte unter den Geburtswehen einer Nation. Viele der postsowjetischen Staaten hatten ihre Probleme - korrupte Eliten, ethnische Minderheiten, eine Grenze mit Russland. Die Ukraine hatten von all dem immer noch ein bisschen mehr. Weil sie groß und industrialisiert war, gab es viel, das man stehlen konnte. Weil sie mit Odessa einen großen Hafen am Schwarzen Meer hatte, gab es einen leicht zugänglichen Seeweg, über den man stehlen konnte. Als die ukrainische Armee 2014 gebraucht wurde, zeigte sich, dass ein Großteil ihrer Ausrüstung aus diesem Hafen hinausgeschmuggelt worden war. Zu all dem kam, dass die Ukraine vielleicht nicht unbedingt gespalten war, aber doch auch nicht unmittelbar als ein geeintes Gesamtes zu erkennen war. Weil das Land so oft erobert und geteilt worden war, war sein geschichtliches Gedächtnis fragmentiert. In den Wortes eines Historikers: 'Verschiedene Gegenwarten hatten unterschiedliche Vergangenheiten.' Ursprünglich waren die Kosaken Kämpfer, die der Leibeigenschaft entkommen waren. Ihr politisches System war eine radikale Demokratie. Darin lag durchaus etwas Schönes. Doch in Sachen moderner Staatlichkeit hatte dies Nachteile. In einer kurz nach der Unabhängigkeit der Ukraine verfassten, mittlerweile berüchtigten Analyse sagte die CIA voraus, dass das Land wahrscheinlich auseinanderfallen würde. Zwei Jahrzehnte lang tat sie es nicht. Auf Gedeih und Verderb war die Demokratie tief in der politischen Kultur der Ukraine verwurzelt, und während in Russland die Macht noch nie an eine Opposition übergegangen war, tat sie es in der Ukraine andauernd."

Außerdem bringt der Guardian einen Auszug aus Oliver Bulloughs Aufsehen erregendem Buch "Butler to the World", das nacherzählt, wie sich die britische Regierung den den Oligarchen andiente und sie gegen Cash mit Immobilien, Ritterschlag und Aufenthaltsrechten ausstattete. Hier geht es um den ukrainischen Geschäftsmann Dmitry Firtash, der dank eines Deals mit Gasprom quasi über Nacht zum Multimilliardär geworden war, sich dann aber doch lieber nach London abseilte.

Magazinrundschau vom 22.02.2022 - Guardian

Selbst Mazar-i-Sharif, einst die liberalste Stadt in Afghanistan, hat sich ohne Widerstand den Taliban ergeben, berichtet Ghaith Abdul-Ahad in einer spannenden Reportage, für die er etwa den Polizeichef der Taliban traf, eine oppositionelle Politikerin und einen verarmten Bauern, der aus Not seine beiden Töchter verkauft hat. Ein früherer Kommandant der regierungstreuen Truppen erzählt ihm sogar freimütig, wie am Ende die Warlords, die mit ihrer Korruption die jungen Männer in die Arme der Taliban trieben, auch noch die Regierung verkauften: "Im Jahr 2020, nachdem die Trump-Administration den Abzug angekündigt hatte, verstärkte sich der Feldzug der Taliban, und die Sicherheitsstrukturen der afghanischen Regierung begannen zu bröckeln. Soldaten erhielten monatelang keinen Sold, und diejenigen, die in isolierten Stützpunkten stationiert waren, hatten manchmal kaum noch militärische Unterstützung. 'Wenn Soldaten während der Kämpfe um Hilfe baten oder tagelang ohne Nahrung und Munition belagert wurden, logen wir und sagten ihnen, dass die Hilfe unterwegs sei und sie warten müssten', so Babak. 'Ich hatte 100 Soldaten in meiner Gruppe, aber sie bekamen ihren Sold nicht. Sogar ich musste mir manchmal Geld leihen. Die Soldaten waren gezwungen, ihre Munition zu verkaufen. Die Taliban haben sie gekauft. Manchmal kauften sie sogar Kontrollpunkte oder Militärposten von Armee- und Polizeibeamten. Sie heuerten jemanden in den Stützpunkten an, um Informationen zu sammeln und die Soldaten davon zu überzeugen, nicht zu kämpfen', sagte er. 'In den letzten Tagen haben die Soldaten einfach aufgehört zu kämpfen.' Er hielt eine Weile inne, bevor er hinzufügte: 'Wir waren diejenigen, die die Regierung mit unserer Korruption zu Fall gebracht haben. Die Taliban haben sie nicht erobert, wir haben sie zum Einsturz gebracht. Wir konnten nicht kämpfen, wir haben sie verkauft.' Zum ersten Mal in der langen Kriegsgeschichte von Mazar folgten auf eine Niederlage keine Massaker. Babak und andere Kommandeure erklären sich den neuen Pragmatismus der Taliban mit ihrem schnellen Sieg: 'In den letzten Tagen haben die Taliban eine neue Politik der Diplomatie betrieben, die uns sehr beeindruckt hat - sie verkündeten eine Amnestie für alle, ließen Gefangene frei und gaben ihnen Geld, etwa 5.000 Afghani, umgerechnet 40 Pfund.'"
Stichwörter: Afghanistan, Taliban

Magazinrundschau vom 08.02.2022 - Guardian

Der amerikanische Historiker Daniel Immerwahr blickt auf die verheerenden Waldbrände und Buschfeuer, die in den vergangenen Jahren Australien oder Sibirien heimsuchten und stellt fest, dass auch in der Klimakrise der Planet nicht "in Flammen aufgeht". Die Wahrheit sei komplizierter, meint er: "Feuer hat einen langen und produktiven Platz in der Geschichte der Menschheit, aber es gibt jetzt weniger als jemals zuvor seit der Antike. Wir verdrängen das Feuer aus dem Land und aus unserem täglichen Leben, wo es einst ständig präsent war. Aus der einst harmonischen Beziehung zwischen Mensch und Feuer ist eine feindliche geworden. Heute wüten weniger Brände, aber die, die übrig sind, sind gewaltig. Unsere Pyrolandschaft ist aus den Fugen geraten, das Feuer nimmt neue Formen an, sucht neue Orte auf und verzehrt neue Brennstoffe. Die Ergebnisse sind ebenso verwirrend wie beunruhigend, und unsere Instinkte sind dabei schlechte Ratgeber. Obwohl wir oft von Bränden in reichen Gegenden wie dem Süden Australiens und dem Westen der USA hören, fordern Brände dort, wo arme Menschen leben, wie in Südostasien und Afrika südlich der Sahara, mit Abstand die meisten Opfer. Die tödlichsten Brände sind nicht die größten und spektakulärsten, sondern die kleineren, regelmäßigen Brände, über die die internationalen Medien selten berichten. Sie töten eher durch Rauch als durch Flammen, und ihre Hauptursache ist nicht die globale Erwärmung. Viele werden sie durch die von Unternehmen betriebene Landrodung entfacht."