Magazinrundschau - Archiv

Hospodarske noviny

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Magazinrundschau vom 29.11.2016 - Hospodarske noviny

Ein höchst aufschlussreiches Gespräch führt Zuzana Válková mit der weißrussischen Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch über die Frage, ob Freiheit für die Menschen in Russland und andernorts überhaupt noch interessant ist. Alexijewitschs Fazit ist ernüchternd: "Nach allem, was ich gehört und gesehen habe, glaube ich, dass die Menschen die Freiheit nicht brauchen. Sie ist ihnen eine Last, was sich an vielen Dingen ablesen lässt. Als nach dem Wechsel des Regimes in Russland auf einmal eine Menge von Zeitungen erschienen, waren die Leute nicht froh - es hat sie verwirrt. Davor hatten sie ein einziges Blatt gelesen, und alles war klar. (…) In Putins Russland ist es wenigstens noch gelungen, eine Höhlenversion des Kapitalismus einzuführen. In Weißrussland dagegen ist die Zeit komplett stehengeblieben. Dort hat sich nichts verändert. Die Weißrussen haben zwar jetzt ein anderes Auto und geringfügig bessere Lebensbedingungen, doch ihre Haltung zum Leben ist immer noch die gleiche. Es sind dieselben sozialistischen Menschen." Alexijewitsch führt es darauf zurück, dass es in Weißrussland kein kollektives Freiheitsgedächtnis gebe. "Die Tschechen haben ein Gedächtnis, das Erinnerungen an freie Zeiten beinhaltet - die Großmutter, die ein Restaurant besaß, der Onkel, der Hotelier war. Aber zum Beispiel mein Vater hatte völlig andere Erinnerungen. Er erzählte mir etwa, wie er als Journalistikstudent nach den Ferien in die Hochschule zurückkehrte und die Hälfte seiner Professoren plötzlich verhaftet waren."

Magazinrundschau vom 04.10.2016 - Hospodarske noviny

Zum 80. Geburtstag des 2011 verstorbenen Václav Havel fragt sich David Klimeš, welches von Havels Vermächtnissen heute am wichtigsten sei. "Havel vergaß nie jene innere Freiheit, die er in der Zeit der Unfreiheit im Milieu der Dissidenten gefunden hatte. Nur in dieser - wie er selbst sagte - 'naturgemäß verrückten' Welt konnte er frei sein. Im Jahr 1985 schrieb er kategorisch, sobald ein Dissident nach der Macht greife, mache er sich lächerlich: er werde zum 'Minister ohne Ministerium, General ohne Heer, Präsidenten ohne Republik'. Diese Freiheit des Dissidenten gab er niemals ganz auf, selbst als er Präsident (mitsamt Republik) wurde. Niemals formulierte er eine eindeutige und langfristige politische Ideologie. Deshalb ist es für heutige Politiker so schwierig, an Havel anzuknüpfen, also für jene, denen zumindest etwas daran gelegen ist." Klimeš schließt am Ende seines Artikels, neben dem Revolutionär Havel und dem Dramatiker Havel sei zwar der Präsident Havel am bekanntesten, doch biete Havel für die heutige Politik keinen "keinen verlässlichen Kompass dafür, mit wem man sich abgeben sollte und mit wem nicht". Heutzutage sei der am wenigsten bekannte Havel der wichtigste: der "Zerstörer der heuchlerischen Sprache".
Stichwörter: Havel, Vaclav

Magazinrundschau vom 06.09.2016 - Hospodarske noviny

Zum Schulbeginn macht sich der tschechische Ökonom und Autor Tomáš Sedláček Gedanken über die digitalisierte Jugend. Während Mobiltelefone ja ursprünglich das Instrument reicher, wichtiger, unentbehrlicher Geschäftsleute waren, sind sie heute das Spielzeug der Kinder - und Sedláček möchte das keineswegs verteufeln, auch wenn viele ihre Kinder lieber im Sand spielen sähen. "Ein Teil unserer politischen und unternehmerischen Eliten versucht uns unablässig einzureden, dass wir handwerklich geschickte Arbeitskräfte benötigen. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass in ein paar Jahren intelligente Roboter die manuelle Arbeit ersetzen werden. Es ist, als wollte man Achtjährige zu zukünftigen Taxifahrern trainieren, während wir doch täglich in der Zeitung von Autos lesen, die sich fahrerlos fortbewegen werden. Sicher, ein paar Leute werden noch Auto fahren - etwa so, wie man heute noch reitet. Aus Spaß, als Sport, aus Nostalgie. Vielleicht ahnen unsere Kinder etwas, was wir uns selbst nicht bewusst machen. Dass sie, indem sie sich in der digitalen Welt orientieren, am ehesten 'auf Sicherheit setzen' - auch wenn ich diese Formulierung nicht besonders mag. (...) Statt also gegen digitale Spiele anzukämpfen, sollten wir darüber nachdenken, ob es nicht diese Spiele sind, die unsere Kinder gleichzeitig schulen. Ich habe zum Beispiel den begründeten Verdacht, dass Minecraft meinem Sohn in den Sommerferien mehr englische Vokabeln beigebracht hat als ein ganzes Schuljahr. (...) Vielleicht sollten wir anfangen, diese Spiele als Schulung zu sehen. Als Schulung für eine Welt, auf die nicht einmal wir selbst vorbereitet sind."

Magazinrundschau vom 19.07.2016 - Hospodarske noviny

Interessante Debatten auf dem Diskussionsforum "Melting Pot" des Festivals Colours of Ostrava: Zur Frage, warum die Öffentlichkeit den Medien nicht mehr vertraue, bemerkte dort der amerikanische Historiker Timothy Snyder: "Das größte Problem der gegenwärtigen Medien ist nicht, dass sie nicht genug Fakten hätten, sondern dass sich immer mehr von ihnen auf Emotionen statt auf Fakten konzentrieren" und führte als Beispiel das britische Referendum zum EU-Austritt an. Die Brexit-Befürworter hätten eher dadurch gewonnen, dass es ihnen gelungen sei, an die Gefühle der Wähler zu appellieren, als dass sie die besseren Argumente vorgelegt hätten. Der ebenfalls teilnehmende tschechische Außenminister Lubomír Zaorálek meinte, es sei schwer geworden, heute Debatten rein auf der Grundlage von Fakten zu führen. "Selbst die präzisesten und fundiertesten Argumente garantieren keinen Erfolg mehr, denn wir leben in einer Welt, die zunehmend von Bildern beherrscht wird." Er erinnerte daran, dass die allgemeine Medienskepsis auch durch gezielte Desinformation wie im Phänomen des Hybridkriegs verstärkt und ausgenutzt werden könne: "Indem irgendwo Soldaten ohne genaue Kennzeichnung aufmarschieren und von Anfang an Ungewissheit besteht, wer eigentlich wer ist, ergeben sich die verschiedensten Interpretationen" - eine klare Anspielung auf die russische Krim-Annexion.

Magazinrundschau vom 19.04.2016 - Hospodarske noviny

Der tschechische Außenminister bedachte wohl nicht, welche Emotionen er aufwirbeln würde, als er letzte Woche vorschlug, den internationalen Namen seines Landes innerhalb der UNO von Czech Republic in Czechia umzuwandeln. Diverse Befürchtungen wurden laut, man würde von nun an mit Tschetschenien (Chechnya), verwechselt. Außerdem sind wieder einmal die Mähren nicht richtig inbegriffen, da "Čechy" etymologisch eigentlich nur Böhmen umfasst. (In Deutschland hat sich nach der Teilung der Tschechoslowakei ja der Begriff "Tschechien" durchgesetzt, da die Bezeichung "Tschechei" durch Hitlers Gebrauch belastet war - deren tschechische Entsprechung, "Česko", hat sich gleichwohl im tschechischen Alltagsgebrauch längst durchgesetzt.) Filip Rožánek kommentiert die Aufregung: "Bei einem Land, das sich 23 Jahre lang seiner Identität nicht sicher ist, ist es letztlich völlig egal, wie es heißt. Wir haben keine wirklichen Probleme, also schaffen wir uns welche und vergeuden Zeit damit, tiefe historische Gräbenkämpfe darüber zu führen. Beunruhigend ist, dass wir es nicht schaffen, ebenso leidenschaftlich darüber zu streiten, was uns am Horizont von fünf oder zehn Jahren erwartet und was wir dafür tun, nicht abseits zu stehen."

Magazinrundschau vom 08.03.2016 - Hospodarske noviny

In der Prager Stadtgalerie am Altstädter Ring sind bis Juli die surrealen Requisiten aus der Filmwelt des Regisseurs David Cronenberg zu besichtigen. Petr Fischer ist beeindruckt. "'Ich bin Existenzialist, was heutzutage nicht mehr so populär ist wie zu Zeiten von Sartre und Simone de Beauvoir', sagt Cronenberg im abschließenden Video, was viele Besucher zumindest überraschen dürfte. [...] Gerade weil David Cronenberg die Geheimnisse des Wesens unserer Existenz erforscht, muss er in einen Zwischenraum vordringen, wo sich die traditionelle Menschheit mit Lebewesen oder Wesenheiten anderer Art vermischt, seien es mediale Ungeheuer oder Geld oder Ruhm. So ist auch der Film 'The Fly' auf den ersten Blick vor allem guter Horror, doch er verweist auch auf die Unmöglichkeit, aus der eigenen Haut zu schlüpfen. Cronenberg nutzt geschickt das Kafka-Motiv der Verwandlung, aber nicht um wie Kafka auf die klaustrophobe Gewalt der Familie und der überwiegend bürgerlichen Gesellschaft aufmerksam zu machen, sondern im Gegenteil, um anzudeuten, dass wir mit dem biologisch-mentalen Käfig, der unser Ich umschließt, besser nicht spielen sollten. Die Transformation der Existenz ist nichtsdestoweniger schon lange im Gang, wie wir aus den anderen Cronenberg-Filmen schließen, wo sich auf der Suche nach dem Glück auch unser eigenes Wesen radikal verändert."

Magazinrundschau vom 01.03.2016 - Hospodarske noviny

Trotz all der derzeitigen Gehässigkeit gegen Flüchtlinge und die EU-Politik erlaubt sich der tschechische Ökonom Tomáš Sedláček Optimismus in Hinblick auf sein Land. Volkes Stimme drücke sich immer noch in den Wahlen aus. "Und dieses Land hat eine Regierung mit Premier Sobotka an der Spitze gewählt, die Zemans und Klause haben in den Parlamentswahlen kaum Stimmen gewonnen. Der tschechische Wähler will das Geschimpfe und das Wälzen in Angst und Hass (gegen die EU, gegen die USA, gegen Flüchtlinge, gegen Andersdenkende), doch nur auf einer rhetorischen Ebene. Der Hass, den das Volk empfindet, will impotent und passiv bleiben, auf einer symbolischen Ebene. All das Gezeter ist nur Gezeter. Offenbar wollen wir einen Präsidenten, der in fast jede Richtung (außer Russland) Gift und Galle spuckt, aber wir wollen ihn nicht in der Regierung. Darin unterscheidet sich die tschechische Republik von den anderen Ländern der Visegrader Vier. Alle anderen hatte im Lauf der nachkommunistischen Jahre eine extremistische oder nationalistische Partei in der Regierung, die im Rest der westlichen Welt zu Stirnrunzeln geführt hat. Wir nicht. Um Verschlossenheit, Exzesse und extremistische Meinungen haben sich immer unsere letzten beiden Präsidenten gekümmert. Ihr Hass blieb dabei immer machtlos, wenn er auch als Ventil zum Dampfablassen, als Begleitung zum Bier-auf-den-Tisch-Knallen, gute Dienste geleistet hat."

Magazinrundschau vom 23.02.2016 - Hospodarske noviny

Daniel Konrád berichtet von einer Buchvorstellung in Prag, auf der die russische Autorin Ljudmila Ulitzkaja über Samizdat-Zeiten und auch über das heutige Russland sprach. Ihrer Meinung nach hat Russland wegen der nicht stattgefundenen Lustration seine Vergangenheit nicht verarbeitet und neige heute dazu, sie vergessen. "Nach dem Auseinanderfallen der Sowjetunion hätte das Gleiche passieren müssen wie in Deutschland, wo die Nazi-Prominenz bestraft und kollaborierenden Beamten die Möglichkeit entzogen wurde, den Fortgang des Staates zu beeinflussen", so Ulitzkaja. Sie selbst verknüpft die Zukunft Russlands mit nur "vierzehn Prozent der Einwohner", was den Umfragen nach jener Teil Russlands ist, der Putins Regime nicht unterstützt. "Das sind etwa die gleichen vierzehn Prozent, die während des Kommunismus Samizdat-Literatur lasen", meint Ulitzkaja, die wegen ihrer Kritik am Ukrainekrieg in Russland inzwischen als Vaterlandsverräterin gilt.

Magazinrundschau vom 02.02.2016 - Hospodarske noviny

Kurz vor der Weltpremiere der Oper "South Pole", die soeben an der bayerischen Staatsoper München umjubelt aufgeführt wurde (mehr hier), hat Ondřej Formánek ein langes Interview mit dem jungen Komponisten Miroslav Srnka geführt. Dass er in Tschechien quasi unbekannt sei, begründet Srnka unter anderem mit der landesüblichen Bescheidenheit. Im Westen erwarte man ein gewisses selbstbewusstes Auftreten - ins Tschechische übersetzt klänge das gleich furchtbar arrogant. "Wir sind unfähig, ernsthafte Worte zu wählen, daraus werden schnell kleine Witzchen und Schwejkiaden, wir schämen uns für alle großen Dinge und Emotionen und versuchen sie sprachlich irgendwie zu verhüllen." Hinzukomme das Desinteresse an zeitgenössischer E-Musik. Schon anlässlich seiner Kinderoper wurde er gefragt, ob zeitgenössische Musik denn für Kinder nicht zu schwierig sei. "Da geht mir das Messer in der Hose auf. Vielleicht etablieren sich bei uns neue künstlerische Richtungen gerade deshalb so schwer, weil die Medien uns systematisch als schwer verdaulich darstellen. Es ist, als würde man in den Kulturnachrichten sagen: 'Achtung, gleich kommt zeitgenössische Musik. Bereiten Sie sich also psychisch darauf vor. Vielleicht halten Sie es aus, aber es wird kein Spaß.' (…) In der tschechischen Gesellschaft sind derzeit schnelle und einfache Lösungen gefährlich erfolgreich. Das Zurückschrecken vor zeitgenössischer Musik ist ähnlich wie die Angst vor Flüchtlingen, neuen Kräften, Innovationen, vor allem, was uns aus unserem Sicherheitsgefühl herausreißt. Da ist es natürlich am billigsten und dankbarsten, auf so einer Welle mitzureiten." Aber auch über die westlichen Rituale macht Srnka sich ein wenig lustig. "Vor allem mit den deutschen Veranstaltern streite ich oft über die offiziellen Fotografien. Sie möchten, dass ich darauf so einen ernsten, intelligenten und tiefsinnigen Eindruck mache. Als meine Kinder noch klein waren, haben sie mich gefragt, warum ich auf den Fotos denn so traurig aussähe."

Magazinrundschau vom 12.01.2016 - Hospodarske noviny

Tschechien beschäftigt sich mit Lída Baarová: Kurz bevor ein gleichnamiger Spielfilm über die tschechische Schauspielerin in die Kinos kommt, die in den 30er-Jahren in deutschen UFA-Filmen als slawische Schönheit eingesetzt wurde und der eine Liebelei mit Joseph Goebbels nachgesagt wird, ist auch ein Dokumentarfilm über sie angelaufen, "Zkáza krásou" (etwa: Verderben durch Schönheit). Petr Fischer lobt die Regisseurin Helena Třeštíková dafür, wie sie das Subgenre des Kompilationsfilms in Tschechien wiederbelebt: "Ausgehend von ihrem eigenen, zwanzig Jahre zurückliegenden Gespräch mit der Schauspielerin baut sie darum eine Komposition, in der hauptsächlich historisches Archivmaterial sowie empathisch gelesene Auszüge aus Baarovás Erinnerungen zu Wort kommen - vor allem aber Montage und Schnitt. (…) Die Passage, in der Baarová - vor dem Hintergrund von Filmaufnahmen einer Naziversammlung - ihre Faszination für diesen Goebbels in Aktion, für den Genossen in seinem Element beschreibt, ist die dokumentarisch aufschlussreichste und eindrücklichste Stelle des Films, eine Stelle, die zugleich in wenigen Sekunden die Spannung verdichtet, die auch in den Wörtern 'Schönheit' und 'Verderben' des Filmtitels enthalten ist. 'Darin lag so eine Kraft', erinnert sich Lída Baarová, 'die mich zugleich angezogen und erschreckt hat.'"

Hier ein deutscher Dokumentarfilm von Werner Koch und Günter Krause über und mit Lida Baarova von 1991: