Magazinrundschau - Archiv

Letras Libres

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Magazinrundschau vom 24.07.2007 - Letras Libres

"Good Morning USA." Der kubanische Schriftsteller Jose Kozer, 1940 als Sohn polnisch-tschechisch-jüdischer Emigranten in Havanna geboren und 1960 in die USA übergesiedelt, beschreibt das ihm dort zu eigen gewordene Lebensgefühl, zumindest seit 2001: "Zusammengefasst kann ich sagen, dass die USA seit Jahren Tag für Tag mit dem gleichen Ekel erwachen. Ekel begleitet von brutaler Einsamkeit. Eine Einsamkeit, die der Normalbürger überspielt, verbirgt, vor sich selbst und vor den anderen. Eine einzige große Selbsttäuschung, die sich damit entschuldigt, stets beschäftigt zu sein, mit der Arbeit nicht nachzukommen, in der Flut unaufschiebbarer Verpflichtungen unterzugehen. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, muss man heute viel mehr Zeit aufwenden als vor 20 Jahren (eigentlich den ganzen Tag): Mußestunden? Fehlanzeige. Und im einzigen 'Intellektuellen-Sender' des Landes, im 'National Public Radio', geht es schon seit Jahren tagaus, tagein um nichts anderes als Irak, Irak, Irak, oder, zur Abwechslung, Iraq, Iraq, Iraq."
Stichwörter: Einsamkeit, Havanna, Irak

Magazinrundschau vom 12.06.2007 - Letras Libres

"Endlich das Ende." Auch der chilenische Schriftsteller und Journalist Rafael Gumucio macht sich Gedanken zu Erderwärmung und Klimakatastrophe: "Wir Menschen sind schuld. Einzig und allein unseretwegen rast die Erde dem Untergang entgegen. Wer wie wir während des Kalten Krieges aufgewachsen ist, für den hat diese Nachricht durchaus etwas Befreiendes. Damals war die drohende Vernichtung ebenso real wie heute - was nicht heißt, dass sie nicht auch einem instinktiven Bedürfnis unserer Vorstellungswelt entspricht. Denn, geben wir es zu, noch nie schien es gerecht, dass wir sterben und die pietätlose Welt uns überleben solle. Nicht zu wissen, welchen Platz unser Leben in der Geschichte des Universums dereinst einnehmen wird, welcher Schluss daraus zu ziehen ist, wie, in welchem Tonfall, diese Geschichte erzählt werden soll, was deren Zentrum und was bloßer Anhang ist - damit waren wir doch noch nie einverstanden."

Magazinrundschau vom 15.05.2007 - Letras Libres

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift hat sich den Iran zum Schwerpunktthema gewählt. Ist Teheran eine emblematische Stadt?, fragt in diesem Zusammenhang der Schriftsteller und Philosoph Dariush Shayegan (s. a. hier). In einem für diese Ausgabe übersetzten Vortrag aus dem letzten Jahr kommt er zu einem überraschend optimistischen Ergebnis: "Teheran steht vor einem grundlegenden Wandel; im Schatten dieser grauen und traurigen Stadt verbirgt sich eine erstaunliche neue Welt; wenn deren unterirdischen Kräfte eines Tages an die Oberfläche kommen, werden wir Zeugen eines radikalen Perspektivwechsels sein. Ihr laizistischer Charakter wird in aller Frische aus dem Inneren der sogenannten islamischen Gesellschaft auftauchen. Wir haben die Hoffnung, allmählich Licht am Ende des Tunnels zu erblicken, den andere islamische Länder, die sich noch etwas von einem Wandel hin zu einer religiös bestimmten Ordnung erhoffen, gerade in Gegenrichtung durchqueren. In nicht allzu ferner Zukunft wird Teheran das lebendige und eloquente Beispiel für diesen Wandel sein."

In einem sehr lesenswerten Interview mit Leon Krauze gelangt Newsweek-Herausgeber Fareed Zakaria zu einer ähnlichen Einschätzung: "In fünf oder zehn Jahren werden wir einen Iran sehen, der eine modernere Politik macht als die übrigen Länder des Nahen Ostens und die Religion wieder stärker in den privaten Bereich verweist. Es ist einfach so: das Leben drängt von selbst zur Modernisierung und die Religion gelangt dann auch irgendwann dorthin."

Weniger optimistisch fällt die Analyse der gegenwärtigen Situation aus israelischer Sicht aus. Der Soziologe Joseph Hodara von der Bar-Ilan Universität sieht als einzig praktikable Alternative zu einem möglichen Präventivschlag gegen iranische Atomanlagen weitere Verhandlungen "um wenigstens wie während des Kalten Krieges zu Vereinbarungen zu gelangen, die die Temperatur niedrig halten und für einen Großteil der israelischen Gesellschaft wie natürlich auch für ihre Gegner akzeptabel sind."

Magazinrundschau vom 10.04.2007 - Letras Libres

Der kubanische Schriftsteller Jose Antonio Ponte, einer der Protagonisten des hierzulande gerade angelaufenen Dokumentarfilms "Havanna - Die neue Kunst, Ruinen zu bauen", hat sich Florian Henckel von Donnersmarcks "Das Leben der Anderen" angesehen: "Ungenau, vereinfachend, schlecht umgesetzt - der Film ist außerstande, ein politisches System und eine Epoche glaubwürdig darzustellen. Trotzdem scheint er gut geeignet (vielleicht gerade weil er so ungenau und vereinfachend vorgeht), einem breiten Publikum bestimmte Vorgehensweisen vorzuführen, die mit dem Fall der Berliner Mauer keineswegs aufgehört haben, auch wenn sie aus Deutschland verschwunden sein mögen. Anders als die übrigen mit einem Oscar ausgezeichneten Filme wird der Erstling von Florian Henckel von Donnersmarck jedenfalls schwerlich in kubanischen Kinos zu sehen sein. Stattdessen wird er in Kuba im Verborgenen zirkulieren, von Hand zu Hand gehen und der kubanischen Staatssicherheit, Schülerin und Erbin der Stasi, zusätzlich Anlass zur Wachsamkeit bieten."

Das Journalistenduo Maite Rico und Bertrand de la Grange besteht derweil - auch gegen Einwände John Lee Andersons - auf seiner vor wenigen Wochen veröffentlichten These, im offiziellen Grab Che Guevaras auf Kuba liege überhaupt nicht Che Guevara begraben (Perlentaucher berichtete, Mario Vargas Llosa kommentierte).

Magazinrundschau vom 06.02.2007 - Letras Libres

"Operacion Che": Pünktlich zum 30. Todestag Ernesto Che Guevaras wurden im Sommer 1997 auf Anordnung Fidel Castros in einer großen Haupt- und Staatsaktion die von einem kubanischen Suchtrupp "endlich gefundenen und identifizierten" sterblichen Überreste des "Guerrillero Heroico" von Bolivien nach Kuba überführt und im eigens geschaffenen Mausoleum von Santa Clara beigesetzt. Oder war das alles nur ein Fake? Das behaupten gut dokumentiert Maite Rico und Bertrand de la Grange in der neuen Ausgabe der mexikanisch-spanischen Zeitschrift Letras Libres, die mittlerweile zu großen Teilen frei im Netz lesbar ist: "Die Knochen und die medizinischen Daten gehören zu einundderselben Person - nur ist es nicht der Che. Der 'Fund' seiner Überreste war weder eine Heldentat noch ein Wunder: es handelte sich um eine als wissenschaftliche Mission getarnte Geheimdienstoperation. Höchstwahrscheinlich erfolgte die Manipulation der Grabstelle noch vor dem Eintreffen der renommierten argentinischen Forensiker. Wie schafften es die Kubaner aber, aus sechs Leichen sieben Skelette zu zaubern?"

Der polnische Lyriker Adam Zagajewski sorgt sich derweil um das aus dem Gleichgewicht geratene Verhältnis von Zentrum und Peripherie in der Literatur: "Die neue Vorherrschaft der Provinzen sorgt für einen Überschuss an Literatur, die sich vornehmlich mit den Menschen als Kollektiv beschäftigt, mit der Politik, der Unterdrückung, der Gesellschaft, etc. Heute steht manchmal die Erinnerung der Imagination im Wege, als fände neben soviel geschichtlicher oder persönlicher Erinnerung die Imagination ihren eigenen Ort nicht mehr."