Magazinrundschau - Archiv

Literaturen

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Magazinrundschau vom 12.01.2010 - Literaturen

Die Autorin und Wissenschaftlerin Anett Gröschner lebt seit 1983 im Prenzlauer Berg. Inzwischen ist ihr das allerdings etwas peinlich, wie sie in ihrem Porträt des Bezirks (das zur Titelgeschichte "Über Berlin" gehört) zugibt. Der nämlich gleicht sich ihrer Erfahrung nach tatsächlich dem Bionade-Biedermeier-Klischee an: "Die öffentliche Wahrnehmung des Prenzlauer Berg ist inzwischen besetzt durch eine Mittelstandsgesellschaft, die eine perfekte Fassade aufgebaut hat, die derjenigen der sanierten Häuser ähnelt (den Keller sieht ja niemand). Man gibt sich aufgeklärt, wählt grün, bekommt im fortgeschrittenen Alter noch die gesellschaftlich geforderten und geförderten zwei Kinder, engagiert sich in privaten Kindergärten und Schulen und bildet Baugruppen, um sich den Traum vom Eigenheim gemeinsam zu erfüllen. Dabei werden jahrhundertealte Bäume abgeholzt, die Trinker von ihren Plätzen vertrieben, den Hinterhofwohnungen vergeht das Licht. Ja, es gibt sie noch, die Indianer in ihren Reservaten, die den Touristen Kunststückchen vorführen, in der Kittelschürze über die Straße in die Kaufhalle huschen oder sich dem Trunk hingeben. Die Reservate aber werden knapp."

Weitere Artikel: In seiner Kolumne "schreiben: Stoff" ist Sascha Stanisic realiter und virtuell unterwegs. Jochen Schmidt sieht Deutschland auf dem Weg zum Literaturzwergentum. Aram Lintzel findet Popliteraturseiten im Netz.

Besprochen werden unter anderem Margaret Atwoods Roman "Das Jahr der Flut", Rainald Goetz' neues Buch "Loslabern", Alexander Kluges "Chronik der Gefühle" als Hörbuch, Alex Ross' Geschichte der Musik des 20. Jahrhunderts "The Rest is Noise", Hans Blumenbergs posthum versammelte Aufsätze zur "Geistesgeschichte der Technik", neue Krimis, Spike Jonzes Kinderbuchverfilmung "Wo die wilden Kerle wohnen" und ein Bildband mit Fotografien von Dennis Hopper.

Magazinrundschau vom 03.11.2009 - Literaturen

Die Literaturen-Website ist nun im neuen Friedrich-Verlag-Kulturmagazin kultiversum.de aufgegangen. Was einerseits gut ist - alles ist übersichtlicher und man kann die Texte jetzt vernünftig lesen. Andererseits kam so etwas, wie bei der Titelgeschichte früher nicht vor. Der derzeit wirklich omnipräsente Alleserklärer Richard David Precht gibt darin eine geistesgeschichtliche Einführung ins große Titelthema "Glück" - als Online-Leser wird man dabei jedoch nach rund einem Drittel des Artikels rüde aus der Lektüre gerissen und in Richtung Print verwiesen.

Vollständig einzusehen dagegen Rene Aguigahs Besprechung zweier neuer Bücher von Michael Hampe und Kwame Anthony Appiah, die sich gleichfalls ums Lebensglück drehen und darum, wie man's erlangt. Und auch Aguigah beginnt mit Precht: "Die Beobachtung des Philosophen und Bestsellerautors Richard David Precht ist eindeutig: Die Frage nach dem Lebensglück markiert die Geburt der abendländischen Philosophie, doch die real existierende Hochschulphilosophie der Gegenwart hat sie aus dem Blick verloren und den Ratgeber-Büchern überlassen. Aristoteles wusste, dass alle Menschen nach Glück streben - nicht nach dem Glück im Spiel oder anderen Zufällen, sondern nach eudaimonia, Glückseligkeit. Diese hielt er für das höchste aller Güter und richtete seine 'Nikomachische Ethik' darauf aus. Heute dagegen wird man Philosoph, indem man andere Philosophen kommentiert. Nicht, wie ein Leben gelingen könne, ist die Frage der modernen Fachdisziplin, sondern, wie man zum Beispiel Neoaristoteliker wird."

Weitere Artikel: Die von Neo Rauch gestalteten Cover der Frankfurter-Verlagsanstalt-Herbstbücher hat sich der Autor Thomas Kapielski angesehen. Jochen Schmidt sitzt für seine Kolumne in der leeren Badewanne und liest. Abgedruckt werden Fotografien von der Bagdadbahn: Frederic Lezmi hat sie gemacht und von Ronald Düker werden sie kommentiert. Aram Lintzel beobachtet, wie man mit Twitter Lyrisches macht und Daniel Kothenschulte hat die Donna-Cross-Verfilmung "Die Päpstin" gesehen.

Magazinrundschau vom 06.10.2009 - Literaturen

Die Schriftsteller Christoph Hein und Ingo Schulze unterhalten sich über das Jahr 1989. Schulze erklärt, warum er lieber nicht von der "Wende" sprechen möchte und auch das Etikett "Wenderoman" problematisch findet: "Zu einem Roman über 1989 gehören die Welt davor und die Welt danach und der Wechsel der Abhängigkeiten. Deshalb habe ich mich immer dagegen gewehrt, 'Simple Storys' als Wenderoman zu bezeichnen. 'Neue Leben' würde das schon eher erfüllen. Aber eigentlich möchte ich mich nicht darauf einlassen. Das ist eine Vereinfachung, die man wieder zurückbekommt, wenn es heißt, ach Gott, jetzt hat der schon wieder was über die Wende geschrieben. Der Begriff sitzt dann wie eine fette Kröte oben drauf - nichts gegen Kröten! -, aber man schaut dann gar nicht mehr genau hin, was da druntersteckt."

Weitere Artikel: Frauke Meyer-Gosau hat die französische Autorin Emmanuelle Pagano in ihrem Heimatort Aubenas besucht. Ronald Düker porträtiert den Amazon-Top-Kritiker Thorsten Wiedau. Jochen Schmidt macht sich Gedanken über sein glücklicherweise sehr "unkomplexes" Gehirn. In seiner Netzkolumne empfiehlt Aram Lintzel Monika Rincks Sprachfund-Website begriffsstudio. Besprochen werden - online - Richard Powers' neuer Roman "Das größere Glück" und Julia Voss' Sachbuch "Darwins Jim Knopf".

Magazinrundschau vom 08.09.2009 - Literaturen

Eine gutgelaunte Terezia Mora spricht im Interview über ihren neuen Roman "Der einzige Mann auf dem Kontinent", dessen Hauptperson Darius in der IT-Branche arbeitet und dann seinen Job verliert. Ein Kommentar zur Wirtschaftskrise ist der Roman aber nicht, sagt Mora. "Was ich im Kopf hatte, war die Krise von 2001. Sie war eine Art Wetterscheide für die IT-Gemeinde. Die jetzige Krise begreift man dort (noch) nicht als die eigene, das ist die Krise der Banken. Und für mich ist der Roman ein Buch zur Frage, wie wir sind, wie wir leben, und zwar nicht nur jetzt, sondern schon seit einer ganzen Weile. (...) Das Interessante an dieser Gruppe ist, dass sie nicht höher steigen wollen, sie wollen nicht Oberschicht sein. So, wie sie jetzt leben, soll es bleiben. Auf die Frage nach der Entwicklung ihrer Arbeitsbedingungen sagten die Arbeitskollegen meines Mannes unisono: 'Bis ich 65 bin, wird sich das System noch haltenlassen.'"

Im Schwerpunkt von Literaturen geht's um China, das Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Jörg Magenau war zusammen mit den Schriftstellern Marcel Beyer und Rolf Lappert und dem Übersetzer Ulrich Kautz eingeladen worden, an Germanistischen Instituten in Schanghai und Nanjing zu lesen und Seminare abzuhalten. Einer ihrer Gesprächspartner ist der Schriftsteller Bi Feiyu: "Deutsche und Chinesen, sagt er, haben ein ähnliches Problem. Die deutsche Sprache sei durch die Faschisten verschmutzt worden, die chinesische durch die Kulturrevolution. Chinesische Autoren müssten deshalb 'die Reinheit der Sprache' wiederherstellen: 'Das geht nicht im Geschirrspüler. Man muss die Teller von Hand abspülen.' Große Hoffnungen setzt Bi Feiyu auf die Jüngeren, die in den achtziger Jahren geboren wurden, denn seine eigene Generation sei verdorben worden. Und er rühmt Bernhard Schlinks Roman 'Der Vorleser', weil Schlink sich der Geschichte stelle. 'Du musst dich erinnern', sagt er, 'ist der Imperativ des Erzählens.'"

Weiter gibt es im Schwerpunkt Besprechungen neuer Bücher von Li Yiyun, Ma Jian, Liao Yiwu, ZhuWen und anderen. Der Sinologe Ulrich Kautz erklärt, wie man chinesische Literatur übersetzt. Und es gibt einen Text von Bi Feiyu. Besprochen werden außerdem David Foster Wallaces Roman "Unendlicher Spaß", Roberto Bolanos "2666", politische Bücher zum Wahlkampf und der neue Vargas-Krimi "Der verbotene Ort".

Magazinrundschau vom 30.06.2009 - Literaturen

Frauke Meyer-Gosau schreibt über Aleksandar Hemons von der Kritik gefeierten Roman "Lazarus". In Chicago hat sie auch den Autor getroffen, der freilich eher aus den Niederungen als von den Höhepunkten seiner Aktivitäten als Autor berichtet: "Doch Aleksandar Hemon will lieber von einer 'Lazarus'-Lesung in Kalifornien erzählen, zu der genau sechs Zuhörer erschienen: drei seiner Freunde, eine Holocaust-Forscherin von der Universität und zwei alte Damen, die eigentlich zur Präsentation eines Kochbuchs wollten, doch zu höflich waren, wieder aufzustehen. 'In Deutschland stellt dich ein renommierter Kritiker vor, du brauchst nur zu lesen und dessen Fragen zu beantworten - er steht mit seinem Namen für die Qualität des Buches, und die Leute kaufen es. In Amerika dagegen musst du alles allein machen: die Leute für dich und das Buch interessieren, nett und lustig sein und sie zum Kaufen animieren. - Die beiden Damen, die das Kochbuch kennenlernen wollten, haben 'Lazarus' dann übrigens gekauft.' Also doch ein Erfolg? Hemon grinst und spießt ein Pfannkuchenstück auf."

Weitere Artikel: Eva Menasse befasst sich mit einer ganzen Reihe komischer "jüdischer" Romane. Die Schriftstellerin Silke Scheuermann, derzeit Stipendiatin der Villa Massimo, ist "Mitten in" Rom unterwegs. In der Krimi-Kolumne liest Frauke Meyer-Gosau Petros Markaris' neuen Kriminalroman "Die Kinderfrau". In der Rubrik "Was liest..." kommt Antje Ravic Strubel über einer Pizza unter anderem auf Julie Elias und James Baldwin zu sprechen. Aram Lintzel nähert sich dem Niedlichkeits-Fanatismus der Seite Cuteoverload.com. Als "Bücher des Monats" werden Martin Gecks Kurz-Essay-Band "Wenn der Buckelwal in die Oper geht" und Ma Jians Reisebericht "Red Dust. Drei Jahre unterwegs in China" vorgestellt.

Magazinrundschau vom 26.05.2009 - Literaturen

Im Rahmen des Titelthemas "Was Sie schon immer über Sex lesen wollten" denkt die Romanistin Barbara Vinken über die jüngere Frauenliteratur von Charlotte Roche bis Tracey Emin nach: "Die, die da die lange Reihe ihrer Sexgeschichten vor uns ausbreiten, sind weniger junge Mädchen als Kinder. Das unterscheidet die aktuelle Welle krass von den explizit erotischen französischen Romanen, die vor einigen Jahren für Aufmerksamkeit sorgten: Von Catherine Millet bis Catherine Breillat schrieben jene Autorinnen von den Triebschicksalen erwachsener Frauen. Bei all ihrer unglaublichen sexuellen Aktivität wollen die neuen kindlichen englischen und deutschen Heldinnen dagegen aus tiefstem Herzen nur eines: dass ihre Eltern, geschieden oder nicht verheiratet, wieder zusammenkommen. Männer spielen deswegen in diesen Szenarios eigentlich kaum eine Rolle."

Weitere Artikel: Die Autorinnen Katja Lange-Müller und Judith Hermann unterhalten sich übers Schreiben und über Hermanns neues Buch "Alice". In seinen "Typologien der Literatur" schreibt Peter Licht diesmal über den "Leser". In "Mitten aus Athen" berichtet der Schriftsteller Petros Markaris, dass die griechische Realität die Fiktion der dort sehr beliebten US-Fernsehserie "Prison Break" längst eingeholt hat. Kathrin Schmidt liest Kurban Saids Roman "Ali und Nino". Aram Lintzel hat für die "Netzkarte" preisgegebene Geheimnisse auf Twitter entdeckt.

Besprochen werden Paul Veynes nun bei Reclam erschienene Studie über Michel Foucault (hier eine Leseprobe), Ben Katchors Comics "Der Jude von New York", Natascha Wodins Roman "Nachtgeschwister", Hans Magnus Enzensbergers neuer Gedichtband "Rebus", Richard David Prechts Buch über "Liebe", Arne Dahls jüngster Kriminalroman "Totenmesse", Hörbücher mit Texten von Wolfgang Koeppen, Thomas Mann und Heino Jaeger, und die Verfilmung von Jonathan Trigells Roman "Boy A".

Magazinrundschau vom 28.04.2009 - Literaturen

Im Gespräch über sein neues Buch "Du musst dein Leben ändern" erklärt Peter Sloterdijk, warum er den Begriff der Religion lieber abschaffen möchte. Und, warum er mit Richard Sennett seinen Zeitgenossen wohl gerne "Üben, üben, üben" zurufen würde: "Natürlich hat Sennett den Zeitgeist gegen sich, wenn er daran erinnert: Um ein passabler Handwerker zu werden oder ein akzeptabler Musiker, sind in der Regel nicht weniger als 10.000 Übungsstunden nötig. Das will begreiflicherweise niemand hören. Man meint heute eher, man habe ein Recht darauf, binnen weniger Minuten zu lernen, wie alle wesentlichen Tasten funktionieren. Dabei bleibt der Gedanke an die Verkörperung des Könnens auf der Strecke."

Weitere Artikel: Im Rahmen des Titel-Schwerpunkts "Jahrestage" denkt der Literaturwissenschaftler Hans-Ulrich Gumbrecht über unseren Umgang mit Gedenken und Geschichte bzw. der "nachhistorischen Modalität von Gegenwärtigkeit" nach. Der Autor Lutz Seiler liest gerade J.M. Coetzee. Peterlicht (Schriftsteller) eröffnet eine neue Beiseite-Serie zu "Typologien der Literatur" mit einer Analyse des Typus "Schriftsteller" unter der Überschrift "Mittlere Wänste in mittleren Jahren". Aram Lintzel weiß in der "Netzkarte", wo es im Internet "Nestwärme" gibt (bei myheimat.de zum Beispiel).

Besprochen werden Peter Esterhazys Roman "Keine Kunst", Veit Heinichens neuer Laurenti-Krimi "Die Ruhe des Stärkeren" und der jetzt auf DVD erschienene Vampirfilm "So finster die Nacht".

Magazinrundschau vom 31.03.2009 - Literaturen

Aram Lintzel untersucht in seiner Netzkarte-Kolumne diesmal, welche Formen der Hass im Web so annimmt: "Die Seite www.hatebook.org ... folgt dem paradoxen Motto 'Everybody loves to hate' und versteht sich als ein 'antisoziales Programm', das seine Mitglieder von den Hassobjekten dieser Welt 'disconnected'. Wenn Facebook dazu dient, soziales Kapital - das heißt: Freunde und Beziehungen - anzuhäufen, dann ist Hatebook in diesem Sinne eine Kapitalvernichtungsmaschine. Wer die Aufforderung ernst nimmt, sein 'Hate-Profile' zu 'pimpen', also aufzumotzen, und die Felder 'Books I hate' oder 'Interests that suck' ausfüllt, der, so könnte man sagen, kappt mit diesen konkreten Negationen bewusst die Verbindungen ans produktive Netzwerk der Medien, Märkte und Meinungen. Da macht es auch nichts, dass hier wie bei so vielen Web 2.0-Phänomenen die Frage, wie ernst oder ironisch das alles gemeint ist, meist unentscheidbar bleibt."
(Nachtrag: ein Leser macht uns gerade darauf aufmerksam, dass dies die "Netzkarte" aus dem letzten Heft ist. Offenbar war die Webseite von Literaturen heute morgen noch nicht vollständig aktualisiert.)

Sehr viel positiver gestimmt ist der Titel des neuen Hefts: Da geht es nämlich um den Erfolg und die Frage, an AutorInnen und Verlage, wie man ihn mit Büchern hat. Nichts davon ist online. Aber ein Sätzchen sei doch zitiert aus dem Gespräch des Lektors Wolfgang Hörner, der Buchhändlerin Ruth Klinkenberg, dem Autor Tilman Rammstedt und der Verlegerin Elisabeth Ruge. Letztere meint über den Sinn von Anzeigen: "Und wenn man sich überlegt, dass zwei Anzeigen in der FAZ oder der Süddeutschen bei vielen Verlagen der Vorauszahlung für den Roman entsprechen, die man einem jungen Autor gegenüber leistet, dann ist das doch verrückt. Da muss man sich fragen, ob eine solche Ausgabe wirklich sinnvoll ist." (Natürlich nicht, schalten Sie im Perlentaucher!)

Weiteres: Das Kriminal hat diesmal Frauke Meyer-Gosau verfasst, es geht um Jan Costin Wagners neuen Roman "Im Winter der Löwen". (Online ist nicht zu erfahren, ob der Kolumnenautor Franz Schuh einmalig oder auf Dauer aus dem Weg geräumt wurde.) In ihrer "Beiseite"-Kolumne erzählt Sibylle Berg von einem, der die Schweizer hassen und diesem Hass eine Form zu geben lernt. Diesmal berichtet die Autorin A.S. Byatt, was sie gerade liest.

Besprochen werden Jan Schüttes Isaac-B.-Singer-Verfilmung "Späte Liebe" sowie John Dickies Kulinarik-Sachbuch "Delizia! Die Italiener und ihre Küche", Viktor Jerofejews neues Buch über die "Russische Apokalypse", Cord Riechelmanns Hörbuch "Die Stimmen der Tiere" und Herfried Münklers Ideengeschichte "Die Deutschen und ihre Mythen".

Magazinrundschau vom 24.02.2009 - Literaturen

Zu den "avanciertesten Battle-Rapperinnen deutscher Zunge" zählt Jutta Person Sibylle Lewitscharoff, die in ihrem neuen Roman "Apostoloff" die Ich-Erzählerin - eine wahre "Motz-Königin" - zusammen mit ihrer Schwester und einem Chauffeur mit der schockgefrorenen Leiche ihres lange toten Vaters nach Bulgarien reisen lässt, um ihn dort nochmal zu beerdigen. "Was ist so hassenswert an diesem Mann? Nicht nur, dass er sich umgebracht hat, als die Mädchen elf und dreizehn Jahre alt waren. Seinen Strick hinter sich herschleifend, erscheint er in den Träumen der Ich-Erzählerin,die sich wehrt, indem sie den Charakter des Melancholikers zerpflückt: Das 'Aas von Vater' war 'ein Finsterling, der die Herzen seiner Kinder verdüsterte', eine 'weichliche, selbstische Seelenmolluske' und ein 'Empfindlichkeitsapostel' - nahe liegend,dass man am besten zur Verbalschlägerin wird, wenn die Stelle der verletzlich-schwermütigen Diva schon vergeben ist."

Der Schwerpunkt ist Uwe Johnson gewidmet, den Literaturen zum Schriftsteller des Gedenkjahres 2009 kürt. Frauke Meyer Gosau preist Autor und Werk. Jörg Magenau besucht das Frankfurter Johnson-Archiv. Stefanie Peter porträtiert den Osteuropahistoriker und "forschenden Flaneur" Karl Schögel.

Magazinrundschau vom 30.12.2008 - Literaturen

Sigrid Löffler verabschiedet sich nach mehr als acht Jahren als Herausgeberin der Zeitschrift, mit mahnenden Worten, die eventuell auch an die Zukunft des Magazins gerichtet sind: "Literaturkritiker sind keine Literaturbetriebsnudeln, und Literaturkritik ist etwas anderes als journalistische Dienstleistung, etwas anderes als markthörige Lobhudelei und Werbung für Easy Reading. Literaturkritik muss auch nein sagen können - nein zu nichtswürdigen Hypes und wesenlosem Radau um dumme Bücher und dubiose Autoren."

In ihrer letzten Titelgeschichte feiert Löffler den ungarischen Autor Sandor Marai als Tagebuchschreiber von Weltrang: "Sein wichtigstes Reflexions- und Selbstverständigungsmedium jedoch wurde sein Tagebuch, das ihn zu einem der bedeutendsten Diaristen des Jahrhunderts machen sollte, neben Franz Kafka, Thomas Mann und Julien Green... In Momenten schonungsloser Ehrlichkeit mit sich selbst bekennt er, dass die eigene Stimme ihm 'Brechreiz' bereite, diese 'melodiöse Marai-Stimme, die zuletzt schon wirklich etwas Drehorgelartiges hatte, eine knarrende Melodie. Ich hasse diese Stimme'. Und für die Nachkriegszeit schwört er sich: 'Wenn ich am Leben bleibe, wird meine einzige Lebensaufgabe sein: Ich muss zehn Bände lang schweigen.'"

Weitere Artikel: Martina Meister nähert sich dem Bestseller-Phänomen Anna Gavalda nicht ohne Sympathie. Der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch denkt über das Ich und das Geld und Unsichtbare Hände nach, die womöglich gar nicht existieren. In seiner "Kriminal"-Kolumne befasst sich Franz Schuh mit Richard Starks Roman "Fragen Sie den Papagei" und erklärt dabei, warum Kriminalliteratur Expertisen der Enge besitzt. In der Netzkarte stellt Aram Lintzel die Hass-2.0-Community Hatebook vor. Die britische Autorin Antonia S. Byatt erzählt, was sie gerade so liest (eine ganze Menge Verschiedenes gleichzeitig). Besprochen werden neue Hörbücher und Jan Schüttes Isaac-B.-Singer-Verfilmung "Bis später, Max!".