Magazinrundschau - Archiv

Magyar Hirlap

21 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 3

Magazinrundschau vom 11.04.2006 - Magyar Hirlap

Der junge Theatermacher Arpad Schilling denkt über das politische Theater in der Demokratie nach: "Vor 1989 war die Lage einfach: Theater kritisierte entweder die bestehende Ordnung, oder war Unterhaltung. Der auf der Bühne zum Ausdruck gebrachte Widerstand fand natürlich Anklang, denn er richtete sich gegen eine bestimmte Macht, deren Opfer sie alle waren: die Schauspieler und das Publikum... Die Theater waren voll, weil mit dem Herzen gespielt wurde. Draußen lauerte der Feind. Es war ein gemeinsamer Kampf, ein gemeinsames Theatererlebnis... Heute haben wir keinen gemeinsamen Feind mehr. Wir sind uns selbst Feind. Politiker erzählen uns, es gebe Bruchlinien, verschiedene Absichten, Feindbilder. Doch zwei Jahre nach dem EU-Beitritt ahnt jeder vernünftige Mensch, dass es in Grundsatzfragen keine Alternativen gibt. Die Frage ist nur, mit welcher Demagogie man gerade an die Macht kommt."
Stichwörter: Politisches Theater

Magazinrundschau vom 10.01.2006 - Magyar Hirlap

Kolumnistin Julianna R. Szekely kritisiert den Onlinewettbewerb "Freedom Fighter", den das Ungarische Bildungsministerium anlässlich des 50. Jahrestags des 1956er Aufstands für Schüler ausgeschrieben hat: "Das Ziel ist, dass die Kinder nicht mehr als globaler Terminator im virtuellen Raum um sich schießen, sondern sich mit den Budapester Jungs identifizieren, die mit virtuellen Benzinflaschen die virtuellen sowjetischen Panzer vernichten. ? So werden die Kinder ein Verhältnis zu dem Aufstand entwickeln, das unter ihren Eltern bereits verbreitet ist: Unklarheit, Unwissenheit, Schwarz-Weiß-Malerei und die daraus resultierende Langeweile. Wie man sieht, kann sogar unsere Geschichte in der Diktatur und die Heldenhaftigkeit des Aufstandes gegen das riesige Reich zu einem Klischee reduziert werden."
Stichwörter: Langeweile, Terminator

Magazinrundschau vom 27.12.2005 - Magyar Hirlap

In der Weihnachtsbeilage erzählt der Schriftsteller Peter Nadas im Interview über die Jahre, in denen er an seinem neuen Roman "Parallele Geschichten" arbeitete: "Am spannendsten war es natürlich, Frau zu sein. Es gab Wochen, in denen ich mich plötzlich ziemlich komisch fühlte, als ob sich mein Körper gerade verändern würde. Ein Schriftsteller muss ja ein guter Schauspieler sein. Frauen und Männer haben die gleichen Organe im physiologischen Sinne, nur einige Gene haben uns in der frühen Phase des embryonalen Lebens verschiedene Richtungen gezeigt. Ob wir eine Frau oder ein Mann sind, wir tragen den Keim beider Geschlechter in uns." Gegen Ende des Gesprächs erklärt er überraschend, dass "Parallele Geschichten" vielleicht sein letzter Roman ist, denn "ich kann nichts Besseres schreiben. Es gibt sicherlich bessere und noch bessere erreichbare Qualitäten, aber ich bin weder Beamter, noch Angestellter, ich kann jederzeit mit dem Schreiben aufhören. Die Mechanik des Romanschreibens, ja das ganze Rollenspiel des Romanciers interessieren mich nicht mehr."
Stichwörter: Nadas, Peter

Magazinrundschau vom 01.11.2005 - Magyar Hirlap

Betrachten sich die Ostmitteleuropäer als "Vasallen der USA"? Der Publizist Zsolt Prieger meint, dass sich die Ungarn so daran gewöhnt haben, als kleines Land hinter dem Eisernen Vorhang dem riesigen sowjetischen Imperium ausgeliefert zu sein, dass sie sich jetzt auch nicht trauen, die USA zu kritisieren: "In der salonfähigen ungarischen Presse ist Kritik an den USA tabu. Wer es dennoch tut, dem wird vorgeworfen, er stehe dem Westen, der Zivilisation und der Kultur der Menschheit feindlich gegenüber, sei antichristlich und ein Gesandter des Teufels". Dagegen gelte jegliche Israel-Kritik als antisemitisch: "Warum darf man Israel aus der liberalen Perspektive nicht kritisieren? Warum überlassen unsere linken Intellektuellen diese wichtige und aktuelle Aufgabe wahnwitzigen Rassisten? Und warum soll jemand ein Feind des freiesten Landes der Welt sein, nur weil er die momentan amtierende Bush-Regierung ablehnt?"

Magazinrundschau vom 27.09.2005 - Magyar Hirlap

Den Deutschen geht es noch nicht schlecht genug, meint ein über die deutschen Wahlergebnisse überraschter Andras Sztankoczy, denn in Zeiten, in denen Reformen dringend notwendig sind, werden in anderen Ländern meistens konservativ-liberale Parteien gewählt: "Die Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung steht heulend da und fleht, man solle ihnen ihren Sozialismus zurückgeben, in dem sie einen Lohn erhielten, ohne arbeiten zu müssen. ... Deutschland ist das Land der abstrakten Reformwünsche: alle unterstützen die Reformen im Allgemeinen, die einzelnen konkreten Pläne doch nicht. Die Botschaft dieser Wahlergebnisse ist eindeutig: den Deutschen geht es noch nicht schlecht genug. Sie möchten lieber mit bunten Filzstiften Koalitionsmöglichkeiten malen, eine schlechter als die andere. Ein hübsches Hobby, und wenn die Lage irgendwann wirklich schlimm ist, wählen sie sich endlich eine konservativ-liberale Regierung. Bis dahin sollten sie aber mit dem Jammern aufhören und sich endlich wieder auf die Einsternecampings am Plattensee einstellen."

Magazinrundschau vom 06.09.2005 - Magyar Hirlap

Der Schriftsteller György Konrad erinnert sich an die Gründung der Solidarnosc, die er in Polen persönlich erlebte: "Die Warschauer Straßen hatten eine eigenartige Atmosphäre: die Menschen waren plötzlich irgendwie schöner, überall gut gekleidete, sorgfältig geschminkte, schlanke Frauen und Männer mit einer schmaleren, aber höheren Stirn. Ich folgerte daraus, dass Freiheit schön macht, besonders dann, wenn man in den Geschäften nur Gurkenkonserven und türkische Teedosen bekommt... Zwei Freunde waren unter den Begründern besonders wichtig: der vor kurzem verstorbene Jacek Kuron (Zigarette, Wodka, breite Schultern, Jeanshemd, kräftige Stimme, starke Ausstrahlung) und Adam Michnik, der mir in seinem holprigen Französisch, mit seiner flammenden, wenn auch immer wieder ins Stottern geratenden Rede, seinen ausdrucksvollen Grimassen und seinem großartigen Lachen immer alles sagen konnte, was wichtig war."

Magazinrundschau vom 09.08.2005 - Magyar Hirlap

"Entweder fühlen sich die rumänischen und bulgarischen Politiker zu sicher im Sattel oder sie pfeifen auf die Meinung Brüssels. Anders lässt sich nicht erklären, dass - knapp anderthalb Monate nach der Warnung der EU-Kommission, Bulgarien und Rumänien seien mit der Erfüllung der Beitrittsbedingungen im Rückstand - die Bulgaren eine peinliche Burleske inszenieren, statt endlich eine Regierung zu bilden, während in Rumänien der seit einem halben Jahr amtierende Regierungschef heute erklärt, dass er geht, dann morgen wieder, dass er bleibt", kommentiert die Politikwissenschaftlerin Nora Rockenbauer. "Bukarest und Sofia tun Brüssel ungewollt einen Gefallen, wenn sie durch spektakuläre politische Skandale zeigen, dass sie noch nicht auf den EU-Beitritt vorbereitet sind. Die EU sucht schon seit längerem nach Möglichkeiten, den Beitritt der beiden Länder zu verschieben, ohne dafür selbst die Verantwortung tragen zu müssen."

Magazinrundschau vom 07.06.2005 - Magyar Hirlap

Für den Publizisten Andras Sztankoczy ist das Verfassungsdebakel in Frankreich und den Niederlanden ein dringender Anlass, das Demokratiedefizit der EU endlich ernst zu nehmen: "Die europäische Integration konnte nur bis zu diesem Punkt weiter schreiten, ohne die Menschen einzubeziehen. Nach langen Jahren wurde ihnen endlich eine Frage über die EU gestellt. Natürlich beantworteten sie auch alle bisherigen, nicht gestellten Fragen mit. Die sich aufgestauten Neins ergaben dann ein negatives Gesamtergebnis. ... Die Mehrheit der Europäer möchte ein graueres Europa mit weniger Vermögensunterschieden und Einwanderern, womit sie die These illustrieren, dass sich mit der Homogenität auch die Solidarität verringern kann. Vielleicht ist das nicht nett von ihnen, vielleicht könnte das alte Europa ohnehin nicht wiederhergestellt werden. Aber die Menschen haben ein Recht auf ihre Irrtümer und Vorurteile, sie haben Recht, das in den letzten Jahren diktierte Tempo als zu schnell zu empfinden."

Magazinrundschau vom 29.03.2005 - Magyar Hirlap

Die ungarischen Politiker interessieren sich nur um sich selbst, das Schicksal des Landes ist ihnen egal, klagt Julianna R. Szekely, Kolumnistin der liberalen ungarischen Tageszeitung Magyar Hirlap. Sie blickt neidisch auf Westeuropa, wo "ein gut recherchierter Zeitungsartikel über einen begründeten Korruptionsverdacht meistens das Ende einer politischen Laufbahn bedeutet ... Aber auch in Westeuropa dauerte es zwei-, dreihundert Jahre lang, um viele Schafweiden wurden willkürlich Zäune gezogen, viele Pistolenkugeln flogen, viel Blut wurde vergossen, bis sich endlich die Einstellung durchsetzte, dass nur moralisches Verhalten langfristig lohnt. Unsere fünfzehn Jahre sind sehr kurz. Fünfzehn Jahre sind mit historischen Maßstäben so lang, wie eine Schiffsreise in einer Jack-London-Novelle, in der ein hungernder Landstreicher an Bord geholt wurde. Er nahm plötzlich beträchtlich zu, aber nicht weil er so viel ass, sondern weil er, von seinen Erinnerungen an die schweren Zeiten gequält, immer mehr Lebensmittel unter seinen Mantel verstopfte. Bis der Schiff den nächsten Hafen anlief, hat er sich das jedoch abgewöhnt."

Der Publizist Tibor Varkonyi wundert sich über die übertriebene Nettigkeit, mit der Wladimir Putin in Paris von Jaques Chirac, Gerhard Schröder und Jose Luis Rodriguez Zapatero empfangen wurde, obwohl Putin in der internationalen Presse heftig kritisiert wird und seine Popularität sogar im eigenen Land wackelt: "Die Hymnen über seinen Ruhm und seine Ehre erklingen immer seltener, die Maler porträtieren ihn auch nicht mehr so oft freiwillig wie früher. Es wird gemunkelt, dass auch er höchstpersönlich ein anderer Mensch geworden ist. Wenn die Gerüchte nicht übertreiben, ist Putin inzwischen sogar von seiner Lieblingsbeschäftigung gelangweilt, Staatsminister und Gouverneure nach Lust und Laune zu feuern ... Und doch schrieb Le Figaro, noch bevor Putins Flieger in Paris landete, dass Jaques Chirac einen Freund erwarte, Liberation sprach von einem bevorstehenden 'wolkenfreien Gipfeltreffen'. Und die Prophezeiungen bewahrheiteten sich Wort für Wort."

Magazinrundschau vom 01.03.2005 - Magyar Hirlap

Andrzej Stasiuk (mehr hier) hat im Gespräch mit der jungen ungarischen Autorin Orsolya Karafiath zwei Geheimnisse verraten: Warum Ungarn das Lieblingsland eines polnischen Schriftstellers ist (man liebt die gleichen Dinge, die einen zu Hause wahnsinnig machen) und woran er gerade arbeitet: "Ich schreibe eine Oper über die mitteleuropäischen Roma für ein deutsches Theater und einen Roman, dessen zwei Hauptfiguren Geschäfte mit Secondhand-Kleidung machen. Gebrauchte Kleidung ist auch bei uns populär, und meine Hauptfiguren versuchen dieses florierende Business international zu erweitern. Die Geschichte spielt im vereinten Europa, in dem es keine Grenzen mehr gibt, beziehungsweise in den Grenzgebieten wohnen nur Roma. Das Thema ist Secondhand als Ware und im abstrakteren Sinne Europa als Secondhand. Aber ich habe erst dreißig Seiten fertig, meine Helden machen ihre Winkelzüge gerade in der Slowakei ."