Magazinrundschau - Archiv

Le Monde

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Magazinrundschau vom 19.11.2013 - Le Monde

"Arbeitgeber und Kirche schicken die Dummköpfe auf die Straße", so hat der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon die Proteste der "Bonnets rouges" in der Bretagne kommentiert. "So hat seit Jahrzehnten niemand mehr über die Bretonen gesprochen", schreibt empört der bretonische Autor Yannick Le Bourdonnec an die Adresse der "linken Zentralisten" in Frankreich. Die Bretagne hatte zu sechzig Prozent für François Hollande gestimmt, und doch sei sie für die klassische Linke in Frankreich schwer zu verstehen: "Was manche Beobachter am meisten irritiert sind diese sichtbare Gemeinschaftlichkeit jenseits sozialer Kategorien und die Bezüge zu einer Geschichte, die oft gegen Paris gemacht wurde. Nicht Klassenkampf liegt in diesen Protesten, sondern Entschlossenheit, eine Heimat zu verteidigen."

Magazinrundschau vom 10.09.2013 - Le Monde

Während die Mordpolitik des syrischen Regimes in Deutschland kommunikativ beschwiegen wird, und man das Massaker mit Schulterzucken geschehen lässt, äußern sich in Paris die Intellektuellen immerhin noch. Ein Dossier in Le Monde mit verschiedenen Reaktionen zeigt allerdings, dass auch in Frankreich die Ratslosigkeit groß ist. André Glucksmann fordert eine militärische Intervention des Westens (wir zitierten am Samstag). Anders der Historiker und Publizist Tzvetan Todorov, der für eine Art aktives Nichtstun plädiert: "Sollte die Verantwortlichkeit für den Gaseinsatz geklärt sein, so wird eine partielle Sanktionierung auch nichts dazu beitragen, die Region vom Übel zu befreien. Andererseits wird Nichtstun möglicherweise noch mehr Schäden anrichten. Ist es die Lösung, einer der beiden Kriegsparteien zu helfen? Oder wäre es nicht besser zwei Feinde, die sich hassen, die 'Terroristen' auf der einen Seite und den 'Tyrannen' auf der anderen Seite, zu Verhandlungen zu drängen?"

Ähnlich Edgar Morin, der für einen "Kompromiss" optiert: "Ein solcher Kompromiss müsste zunächst ein Kompromiss unter den beteiligten Mächten sein. Eine solche Vereinbarung müsste zwischen Russland, dem Iran, den arabischen Ländern und den westlichen Ländern geschlossen werden, womöglich unter Ägide der UNO, und sie müsste den Kriegsparteien dann vorgeschlagen - ja aufgezwungen - werden. Es mag unerträglich erscheinen, dass Baschar al-Assad nicht sofort entfernt wird. Aber auch in Chile wurde die Demokratie nur durch einen Kompromiss erreicht, der den Henker Pinochet für zwei Jahre an der Staatsspitze beließ."

Außerdem fragt Annick Cojean in einem reichlich Marie-Claire-haften Artikel, warum gerade Léa Seydoux die angesagteste Schauspielerin Frankreichs ist. Könnte es daran liegen, dass sie gerade zwei Filme (nämlich "Grand central" und "La vie d'Adèle") im aktuellen Programm hat?

Magazinrundschau vom 13.08.2013 - Le Monde

"Kann die Kultur einfach weitermachen, während die Welt um sie herum zusammenbricht?", fragt Laurent Carpentier in einer Reportage über das Kulturleben in Detroit. Über die Stadt, die gerade in Konkurs gegangen ist, wurde viel geschrieben. Die Einwohnerzahl ist von 1.8 Millionen auf 700.000 gesunken, die auf einer riesigen maroden Fläche leben. Aber die Stadt Detroit hat auch das sechstgrößte Museum der Vereinigten Staaten, das Detroit Institute of Arts (DIA), mit einer Menge kostbarer Gemälde. Der Direktor dementiert Verkaufsgerüchte in aller Deutlichkeit: "'Wenn wir auch nur ein Gemälde von Wert verkaufen, wird das sofort Auswirkungen haben', empört sich Graham Beal. 'Wir werden sofort aus der Gemeinschaft der Museen ausgeschlossen, und wir werden das Vertrauen unserer Spender verlieren. Ich kann Ihnen versichern: Die Schließung des DIA wäre schlimmer als die Pleite von General Motors. Sie würde bedeuten, dass die Stadt den Kampf aufgegeben hat.'"

Gerade ist auch eine Fernsehserie über das Leben in Detroit gestartet: "Low Winter Sun". Zur Lektüre empfiehlt Carpentier Charlie LeDuffs Buch "Detroit, an American Autopsy" (Auszug).
Stichwörter: Detroit, Fernsehserien

Magazinrundschau vom 30.07.2013 - Le Monde

Le Monde setzt die schöne Serie über die wahre Geschichte hinter einigen berühmten Fotos fort. Für den fünften Teil hat Claire Guillot herausgefunden, dass die kalifornische Wanderarbeiterin auf einem beühmten Foto Dorothea Langes, die das ganze Elend der Depression und den ganzen Elan der helfen wollenden Roosevelt-Administration repräsentierte, keine Wanderarbeiterin war, sondern eine Cherokee-Indianerin, die in Wirklichkeit gar nicht von Roosevelts Maßnahmen profitierte. Ihr Name war Florence Owens Thompson: "Das Foto hat Florence Owens und ihren Kindern, die sich als Opfer stilisiert sahen, nie gefallen. 2002 hat ihnen der Regisseur Geoffrey Dunne im Magazin New Times eine Stimme gegeben. Norma Rydlewski, das Baby auf dem Foto, erklärt: 'Mama liebte das Leben und ihre Kinder. Und sie liebte Musik und tanzte gern. Dieses Foto macht mich traurig. Es ist nicht so wie meine Erinnerung an sie."
Stichwörter: Norma, Lange, Dorothea

Magazinrundschau vom 16.07.2013 - Le Monde

Im Rahmen der Debatte "Steckt der politische Islam in einer Sackgasse?" bescheinigt der Politologe und Islam-Experte Olivier Roy den Muslimbrüdern Scheitern auf der ganzen Linie, politisch sowieso, aber auch, was ihre religiöse Position angeht. Roy schreibt: "Die Ausbreitung des Salafismus ist paradoxerweise Ausdruck des Auftauchens eines individualistischeren, weniger politisierten, wenn auch sehr strengen Islam. Das religiöse Feld demokratisiert sich, ohne notwendigerweise das Feld einer religiöser Reform oder Säkularisierung zu durchlaufen. Und wenn die alte Generation der Muslimbrüder, die die religiöse Wortführerschaft in der Politik gepachtet zu haben glaubte, nicht begreift, was gerade geschieht, haben doch ein Großteil der jüngeren Anhänger und Führungskader der Bruderschaft verstanden, dass es Zeit war, dass die islamistische Partei sich reformiert. Das Schicksal des politischen Islam ist aufgezeigt. Man könnte hoffen, dem Paradigma zu entkommen, das das politische Leben in Ägypten und der arabischen Welt seit dreißig Jahren belastet hat: vorgeblich laizistische Diktaturen contra einen vorgeblich revolutionären Islamismus."

Magazinrundschau vom 09.07.2013 - Le Monde

"La situation est calamiteuse", stellt der bekannte Islamwissenschaftler Gilles Kepel mit Blick auf die arabischen Revolutionen fest. Allenfalls Tunesien mit seinen starken zivilen Gegenkräften gesteht er im Moment noch eine größere Chance auf Demokratisierung zu. In Ägypten stellt sich für ihn jetzt die Schicksalsfrage: "Werden die Rebellen, die Mursis Sturz herbeigeführt haben, genug Kraft haben, Ägypten auf einen Weg in die politische Moderne zu bringen und seine selbstzerstörerischen Tendenzen auszubalancieren? Nur so ließe sich für die Region eine neue Dynamik anstoßen, die sich dem tunesischen Modell annähert."
Stichwörter: Kepel, Gilles, Tunesien

Magazinrundschau vom 02.07.2013 - Le Monde

Le Monde des Idees bringt ein Dossier über Brasilien, dazu gehört ein Stimmungsbericht des Schriftstellers Juliàn Fuks, der zunächst beschreibt, wie die Masse die ganze Stadt Sao Paolo paralysiert. Und "während eines dieser Momente der Stille, die uns manchmal ergreifen, bemerkt ein Demonstrant, dass wir uns in der Glasfassade eines großen Gebäudes spiegeln. Für einen Moment sind wir bestürzt über unsere eigene Größe, beglückt von dieser Vision: Diese Avenue, die stets vollgestopft ist mit ausdruckslosen Metallkisten, wird plötzlich besetzt von Tausenden von Männern und Frauen. Wir nehmen uns die Stadt zurück, die von Maschinen besetzt worden war, und wir verstehen, dass wir die Stadt gar nicht paralysierten. Sie war nie so in Bewegung und so lebendig wie jetzt."
Stichwörter: Sao Paolo

Magazinrundschau vom 04.06.2013 - Le Monde

Le Monde des Idées hat die überaus erfreuliche Angewohnheit entwickelt, Woche für Woche zu den wichtigsten Debattenthemen Dossiers zusammenzustellen. Das Dossier dieser Woche befasst sich mit der Frage, was nach einem möglichen Tod Abdelaziz Bouteflikas, der in Paris im Krankenhaus liegt, aus Algerien werden soll. Auch Friedenspreisträger Boualem Sansal schreibt - und nimmt kein Blatt vor den Mund: "Ehrlich gesagt, die Aussicht, einen Artikel über Algerien zu schreiben, macht mich nicht gerade an", eröffnet er eben diesen Artikel. Und bitter bleibt der Ton. Mag Bouteflika sterben - längst haben sich die Kinder der Funktionäre breit gemacht: "Ihre Kinder sind schön, brillant, vielsprachig und effizient wie Manager multinationaler Konzerne. Sie handeln mit der ganzen Welt, mit den Chinesen, den Russen, den Hindus, den Türken und dem unvermeidlichen Dubai. Man hat Vertrauen zu ihnen, sie arbeiten nie mit der internationalen Justiz zusammen. Das Geld verdienen sie hier, aber sie geben es im Westen aus, wo die Demokratie die Reichen und die Diebe zu schützen weiß."

Weitere Artikel in dem Dossier: Der Politologe Mohamed Chafik Mesbah fürchtet eine Implosion des Landes nach Bouteflikas Tod. Ähnlich sieht es sein Kollege Luis Martinez, der sogar einen Rückfall in die entfesselte Gewalt der neunziger Jahre an die Wand malt.

Magazinrundschau vom 28.05.2013 - Le Monde

Le Monde hat ein ganzes Dossier zur Interpretation der Proteste gegen die Schwulenehe in Frankreich zusammengestellt - das selbst allerdings eher die Sackgassen des politischen Diskurses in Frankreich aufzeigt. Zwischen 150.000 (Polizei) und einer Million (Veranstalter) Menschen protestierten am Sonntag noch einmal gegen das bereits verabschiedete Gesetz, und die Intellektuellen versuchen das Phänomen zu fassen.

Zwei Artikel liefern die erwartbaren Reaktionen: Ludivine Bantigny (hier) und François Cusset (hier) beklagen vor allem, dass die Protestbewegung um die ehemalige Komikerin Frigide Barjot den 68ern das Copyright auf gewisse Protestformen und Slogans geraubt habe. Die Philosophin Chantal Delsol tritt dagegen aus offenbar linkskatholischer Sicht für die Protestbewegung ein und wünscht sich eine Linke, die die "totalitäre" Schwulenehe aus Gründen einer "Ökologie des Menschen" ablehnt. Allein der Soziologe Jean-Pierre Le Goff findet auch ein paar kritische Worte für die gerade in den französischen Medien hegemonialen 68er: Diese Altlinken würden sowohl übersehen, dass die neue Protestbewegung kein Remake des Faschismus ist und dass unter den Demonstranten viele junge Leute seien. "Statt diese Fragen anzugehen, kuschelt sich die wohlmeinende Linke in ihrem Gemeinschaftsgefühl ein und weist sich selbst die schöne Rolle des Antifaschisten zu. Währenddessen zerfällt die französische Gesellschaft immer mehr - nicht nur aus ökonomischen und sozialen, sondern gerade auch aus kulturellen Gründen."

Magazinrundschau vom 21.05.2013 - Le Monde

Le Monde hat ein kleines Dossier zur Verteidigung und Feier der Figur des Dissidenten zusammengestellt. Ausgangspunkt ist wohl jener leider etwas kraftlose Text von Salman Rushdie, den die FAZ neulich auf Deutsch (und die New York Times zuerst auf Englisch) brachte. Eigens für Le Monde aber hat wohl Liao Yiwu an die Adresse der Franzosen geschrieben, denen er Wohlgefälligkeit gegenüber Mao und dem jetzigen chinesischen Regime vorwirft. Er nennt Freunde, die im Gefängnis sind, allen voran Liu Xiaobo: "Wer erinnert sich heute noch in Frankreich an seinen Namen, welche Intellektuelle eilen zu seiner Unterstützung, welcher Sinologe hat sich für seine Freilassung eingesetzt?" Und gerade die Sinologen scheinen Liao kritikwürdig: "Jeder fürchtet nur um sein Visum für China, um die Subvention für seine Universität, wenn er ein Konfuzius-Institut einrichten hilft, um die China-Reisen zu Kolloquien, die sich als große Festivitäten in Luxushotels präsentieren."

Zu dem Dossier gehört auch eine kleine Rede, die Philip Roth beim Pen-Festival in New York gehalten hat und die auf Englisch im New Yorker zu lesen war. Er erinnert sich an seine Reisen nach Prag in den siebziger Jahren, wo er Freunde der Charta 77 besuchte, bis er festgenommen wurde und kein Visum mehr bekam. Sein Freund Ivan Klima wurde daraufhin stundenlang verhört. Was Roth in Prag gewollt habe... "'Aber lesen Sie denn seine Bücher nicht?', fragte Ivan die Polizisten, die ihn perplex anguckten. Ivan klärte sie auf: 'Er kommt wegen der Mädchen."

Heftig diskutiert wird auf Le Monde des Idées außerdem ein Text der in Frankreich populären Autorin Nancy Huston und des Entwicklungsbiologen Michel Raymond unter dem Titel "Geschlecht und Rasse, zwei Fakten". Sie wehren sich gegen einen Diskurs der Geisteswissenschaften, der alle Natur leugnet und etwa Geschlecht nur mehr als eine "soziale Konstruktion" verstehen will. "Und die Feststellung, dass sich der Mensch aus einem afrikanischen Ursprung vor 70 bis 100.000 Jahren in verschiedenen Teilen der Welt realtiv autonom entwickelt hat und verschiedene Unterarten oder - pardon! - Rassen entwickelt hat, nicht eine Meinung, und noch weniger ein politisches Dekret, sondern schlicht und einfach eine Realität. Sie zieht keinerlei Werturteil nach sich. Die moderne Genetik will nur beschreiben."