Magazinrundschau - Archiv

Moskowskije Novosti

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Magazinrundschau vom 08.01.2008 - Moskowskije Novosti

Der Streitfall um Falanster, eine der besten Buchhandlungen intellektueller Literatur in Moskau hat in der russischen Öffentlichkeit große Proteste ausgelöst. Die Behörden legen seinem Inhaber Boris Kuprijanow zur Last "Bücher mit pornografischem Inhalt verbreitet zu haben" (hier ein Video mit ihm). Zu diesen Bücher gehören Virginie Despentes' "Baise Moi" (mehr) und Lydia Lunchs "Paradoxia: A Predator's Journey" (mehr). "Für die Anklage gibt es mehrere Motive, aber sie alle haben unvermeidlich politischen Charakter", schreibt Juri Aprischkin in seinem Artikel. "Falanster ist als Ort der Freidenker bekannt. Hier haben viele Lesungen von linken und oppositionellen Autoren stattgefunden. Der Verlag Ultrakultura, mit dem die Buchhandlung zusammengearbeitet hat, wurde bereits von den Behörden mehrmals angegriffen. Die Werke zu Philosophie, Geschichte und Soziologie, die hier verkauft werden, kann man sonst nirgends mehr in Moskau finden. Die Schließung des Buchladens hätte schwere Folgen für das kulturelle Klima im Land." (Mehr über Ultrakultura hier - zum Artikel "Publishers protest russian book bans" scrollen - und hier).

Magazinrundschau vom 29.12.2007 - Moskowskije Novosti

"Die russische Kultur sollte einen neuen Weg der Entwicklung finden", meint Michail Schvydkoy, Leiter des russischen Kulturministeriums in einem umfangreichen Interview. "Die Leute in Russland geben unheimlich viel Geld für einen Urlaub im Ausland, für schöne Kleidung oder Essen aus. Als ob sie vergessen hätten, dass der Mensch sich nicht nur physisch, sondern auch geistig nähren muss. Früher hat man uns gelehrt einander zu respektieren, weil wir eine Einheit bildeten. Das 20. Jahrhundert hat ein neues Verständnis mit sich gebracht: Wir müssen einander respektieren, weil wir verschieden sind. Darin besteht ein grundlegender Unterschied unserer Zeit zu der damaligen. Deshalb ist die Erhaltung der ethnischen Gemeinschaften heutzutage viel wichtiger als die der Ölreserven."

"In 50 Jahren wird Russland mit der Tatsache konfrontiert sein, dass ein Drittel seiner Bevölkerung Muslime sind ", schreibt Vassilina Orlova in "Position und Prozess". In ihrem Hintergrundbericht betrachtet die Journalistin die Rolle der wachsenden islamischen Gemeinschaft in Russland. "Im Unterschied zu Europa, wo die islamische Bevölkerung aus Immigranten besteht, gehören die russischen Muslime zu den Ureinwohnern. In vielen ex-sowjetischen Republiken ist der Islam längst zur offiziellen Staatsreligion aufgestiegen. Allerdings gibt es in den russischen Islam-Kreisen keinen gemeinsamen Führer. Diese Situation ist nichts Neues, denn was Hierarchie angeht, gehört der Islam zu den demokratischsten aller monotheistischen Religionen. Aber trotz dieser Freiheit, zeigen die Muslime einen erstaunlichen Zusammenhalt, wenn es um die Durchsetzung ihrer Interesse geht."

Magazinrundschau vom 16.08.2004 - Moskowskije Novosti

Russland hat seit heute eine neue Wochenzeitschrift: Novy otschewidez (Der neue Augenzeuge). Das mit großen Vorschusslorbeeren bedachte "Wochenblatt für Publizistik und Kultur" soll, so Chefredakteur Sergej Mostowschikow im Interview, "der russische New Yorker" werden und der "soeben in Russland wieder aufflammenden Liebe zum geschriebenen Wort" Rechnung tragen. "Das Leben der Russen hat sich verändert. Sie haben in den letzten Jahren ihre notwendigsten Bedürfnisse nach Waren gestillt und suchen jetzt wieder geistige Nahrung", glaubt Mostowschikow. Von seiner Generation hält der Journalist nicht viel. Er bezeichnet sie als "Schädlinge, die nicht aufbauen, sondern zerstören". Auch Wladimir Putin gehört für ihn "zu dieser Klasse von Emporkömmlingen, er ist aus demselben Holz geschnitzt". Mostowschikow hat Großes vor, er will "für diejenigen schreiben, die zu wirklichen Veränderungen bereit sind und sich kritisch mit der Welt auseinander setzen". (Schön wäre es, wenn einer dieser Emporkömmlinge Mostowschikow Lügen strafen und die Honorare für eine Übersetzung der Zeitschrift ins Englische übernehmen würde!)

Magazinrundschau vom 07.06.2004 - Moskowskije Novosti

Der wichtigste russische Literaturpreis "Nationaler Bestseller" geht in diesem Jahr an Viktor Pelewin, einen der erfolgreichsten russischen Chronisten der Gegenwart. Tatjana Moskwina kommentiert das kleine Literaturtheater" hinter den Kulissen und gratuliert Pelewin zu seinem im September auf Deutsch erscheinenden Roman "Die Dialektik der Übergangsperiode von Nirgendwoher nach Nirgendwoher", der "eine abgrundtief komische Phantasmagorie der Jetztzeit" sei. Moskwina gibt allerdings zu bedenken: "Pelewins Roman ist doch sehr abgehoben und leidet wie die russische Literatur im Allgemeinen derzeit darunter, dass die Schriftsteller nicht über das schreiben, was die Russen am meisten bewegt".
Stichwörter: Russische Literatur

Magazinrundschau vom 01.06.2004 - Moskowskije Novosti

Moskowskije Novosti bespricht in dieser Woche in einem sehr differenzierten Artikel über die soeben in Russland erschienene Biografie Kasimir Malewitsch, den Begründer des Suprematismus. Irina Wakar und Tatjana Michienko, die Autoren des zweibändigen "hoch spannenden, akademischen Monumentalwerkes" mit dem Titel "Malewitsch über sich - Zeitgenossen über Malewitsch", haben Briefe, Tagebücher, Zeitungsartikel sowie bislang geheim gehaltenes Archivmaterial ausgewertet. Nach den neuesten Quellen zu urteilen "war Malewitsch noch viel radikaler als Trotzki oder Lenin", die "im Vergleich zu ihm harmlose Lausbuben" gewesen seien. Über den inzwischen "in derselben Preisklasse wie Rembrandt oder Tizian gehandelten" exzentrischen Maler heißt es weiter: "Malewitsch war der erste Sektenanführer einer totalitären Sekte im 20. Jahrhundert, dem unzählige Anhänger unter dem Banner der nebulösen, magischen Symbolik gefolgt sind, mit dem Ziel, die Welt zu verändern". Berühmte zeitgenössische Kollegen wie etwa "den einfühlsamen Romantiker Marc Chagall" und einige andere habe Malewitsch damit allerdings in die Flucht getrieben.

Magazinrundschau vom 19.04.2004 - Moskowskije Novosti

In dieser Woche veröffentlicht Moskowskije Novosti einen sehr aufschlussreichen Artikel von Tatjana Andriasowa über die Finanzstreitigkeiten hinter den Kulissen des 1998 eröffneten Nabokov-Museums in Sankt Petersburg. Der Immobilienausschuss der Sankt Petersburger Stadtverwaltung hat die gemeinnützige Einrichtung auf "Mietrückstände in Höhe von 20.000 Dollar" verklagt. Der Prozess beginnt am 19. April, kurz vor der Eröffnung einer von Dmitri Nabokov, Vladimir Nabokovs einzigem Sohn, in Genf anberaumten Auktion zur Versteigerung eines Teils der "Nabokov-Familienbibliothek". Das kann kein Zufall sein. Dmitri Nabokov vermutet "hausgemachte bürokratische Verzögerungen und inkompetente, korrupte Kulturbeamte" hinter dem "Komplott zur Erpressung einer hübschen Summe" für die Sanierung des im Verfall begriffenen Jugendstilgemäuers an der "Bolschaja Morskaja Uliza", in dem Vladimir Nabokov 18 Jahre seines Lebens verbrachte.

Magazinrundschau vom 22.03.2004 - Moskowskije Novosti

In der Moskowskije Novosti beklagt Natalja Aljakrinskaja die mangelnde Dankbarkeit der russischen Regierung gegenüber George Soros. In 15 Jahren habe "der große Wohltäter und Mäzen" 700 Millionen Dollar "in das russische Geistesleben investiert", doch sei er nicht ein einziges Mal von Putin persönlich empfangen worden. Soros hat die russische Vertretung seines Institutes "Offene Gesellschaft" in Moskau geschlossen und will sich nun in Zentralasien, Georgien und Moldawien engagieren. "Russland ist inzwischen ein wirtschaftlich starkes Land geworden, das genug eigene Mäzene hervorbringt", sagte Soros bei seinem letzten Russland-Besuch im Sommer 2003.

Magazinrundschau vom 23.02.2004 - Moskowskije Novosti

In dieser Woche druckt Moskowskije Novosti ein sehr aufschlussreiches Interview mit Irina Chakamada, der selbsternannten liberalen Präsidentschaftskandidatin, die 2002 für die russische Seite mit den tschetschenischen Geiselnehmern im Musical-Theater Nord-Ost verhandelte. Chakamada bezeichnet die russische Staatsführung unter Wladimir Putin als "archaisch" und "vorsintflutlich", da sie "Gegner einfach unterdrückt und ausschaltet". Ein Machtwechsel sei "dringend nötig", um den Tschetschenienkrieg zu beenden. Man müsse endlich wieder Verhandlungen mit den Tschetschenen aufnehmen, zum Beispiel mit Aslan Maschadow. Es sei nicht bewiesen, "dass Maschadow hinter dem jüngsten Terroranschlag in der Moskauer U-Bahn steht, wie Präsident Putin vorschnell urteilte". "Maschadow ist zwar der Anführer der tschetschenischen Kämpfer", aber das heißt nicht, dass man ihn als Terroristen bezeichnen und von Verhandlungen ausschließen kann. Das Vorgehen in Tschetschenien sei "kein 'Kampf gegen den Terror', sondern ein regulärer Krieg, in dem zwei Kriegsparteien einander gegenüberstehen - die russische Armee und die tschetschenischen Kämpfer". Ohnehin sollte "ein moderner Staat durch weitsichtiges und zivilisiertes Handeln Stärke beweisen. Nicht imperiale Größe zählt, sondern das einzelne Menschenleben". Nach Chakamada zu urteilen ist es das Hauptziel des Terrorismus im 21. Jahrhundert, "die demokratische Ordnung auszuhebeln", und wenn "nach den Terroranschlägen in Amerika und in Russland demokratische Grundrechte eingeschränkt werden, dann haben die Terroristen ihr Ziel erreicht."

Magazinrundschau vom 16.02.2004 - Moskowskije Novosti

Olga Bakuschinskaja hat sich den soeben in Russland gestarteten Film "72 Meter" des russischen Filmregisseurs Vladimir Chotinenko angesehen und kam sich vor wie auf der "Titanic": fehlte nur noch, dass Leonardo Di Caprio an Deck des U-Bootes "Slawjanka" auftauchte, das in 72 Meter Tiefe auf eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg läuft. Der Regisseur "inszeniert die Katastrophe als Hochglanz-Hollywoodtragödie", das Schiff sinkt zu den Klängen von Ennio Morricone, die Offiziersgattin liest Dostojewski und selbst die Matrosen sind "literaturbeflissene tolle Hechte". Der Film sei "kein Katastrophen-, sondern ein Abenteuerfilm", sagt der Regisseur, es gehe nicht darum, "ob die Matrosen gerettet wurden oder nicht, wichtig ist, dass sie ihre Seele gerettet haben". Genau, so was ähnliches werden sich auch die armen Schweine auf der Kursk gedacht haben!

Michail Solotonossow hat Ljudmila Ulitzkajas neuen Roman "Herzlichst Euer Schurik" gelesen und eine Trendwende in Ulitzkajas Schaffen ausgemacht. Die Hauptfigur Alexander Korn alias Schurik versucht, sich in der komplexen Gefühlswelt der Frauen zurechtzufinden und wird dabei unfreiwillig in die "Rolle des Psychoanalytikers" gedrängt, "der seinen Patienten gegenüber zwischen Mitgefühl und Begierde schwankt". In dem dichten, pathosfreien und ironischen Familienroman geht es auch diesmal um seelische Qualen, Frauenschicksale und Mitgefühl, allerdings, so der Kritiker, "führt Ulitzkaja in diesem Roman ihren früheren Sentimentalismus ad absurdum und widerlegt genau die Gefühle, die sie doch eigentlich beim Leser hervorruft. Diese emotionale Dynamik in Bezug auf sowohl ihre Romanfiguren als auch ihre Leser ist neu."

Magazinrundschau vom 19.01.2004 - Moskowskije Novosti

In der ersten Ausgabe des neuen Jahres bringt die Moskowskije Novosti einen Artikel über ein ausgesprochen progressives Moskauer Theaterkonzept namens "Teatra.doc", das "das Theater des Internet-Zeitalters" zu werden verspricht. Die von den Dramaturgen Michail Ugarow und Elena Gremina ersonnene "Verbatim-Technik", eine Synthese aus "nicht normativer Lexik" und Laienschauspiel, erinnert auch aufgrund des düsteren Aufführungsortes in dem Moskauer Kellertheater "Trjechprudny" an die Dogma-Filme. Das Theater plant nach dreißig erfolgreichen Projekten für die neue Saison eine Kooperation mit dem Künstlertheater, in deren Rahmen Moskauer Obdachlose einen realen Text nach Maßgabe der Dramaturgen "nicht spielen, sondern wirklich durchleben sollen".
Stichwörter: Dramaturgen