Osteuropa widmet sein aktuelles Heft dem Massaker in der
Schlucht von Babyn Jar. Innerhalb von zwei Tagen im Jahr 1941, am 29. und 30. September, brachten deutsche Truppen - SS, Wehrmacht und Polizeibataillone - am Stadtrand von Kiew
mehr als dreißigtausend Juden um. Das Verbrechen war lange vor der Wannsee-Konferenz der Auftakt zur Vernichtung der europäischen Juden. Der Historiker
Bert Hoppe rekonstruiert die Ereignisse, vom
Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion über die Besatzung Kiews bis zu den Bombenanschlägen, die der sowjetische Geheimdienst nach dem Rückzug der Roten Armee auf Besatzungsstellen verübt hatte: "In den zeitgenössischen deutschen Dokumenten wurde das Massaker durchweg als militärische Reaktion auf die Bombenanschläge dargestellt. Doch handelte es sich dabei um einen Vorwand, um
den ohnehin geplanten Massenmord zu legitimieren: Auffällig war schon allein, dass nur Juden erschossen werden sollten. Zwischen (SS-Standartenführer Paul) Blobel und (Generalfeldmarschall Walter von) Reichenau bestand hinsichtlich des Judenmords große Einigkeit. Schon einen Monat vorher hatte von Reichenau persönlich die
Tötung von 90 jüdischen Kindern in der südlich von Kiew gelegenen Stadt Bila Cerkva angeordnet, deren Eltern die Männer des Sk 4a zuvor erschossen hatten."
Im Editorial
erklären die Herausgeber Manfred Sapper und Volker Weichsel Babyn Jar aber auch zu einem Symbol einer ideologisch motivierten Verschleierung auf mehreren Seiten: "Nach der Befreiung Kiews Anfang 1943 durch die Rote Armee nahm eine sowjetische Kommission die Untersuchung der Gräueltaten auf. Ihren Bericht sandte sie nach Moskau. Dort wurde er allerdings umgeschrieben. Die Opfer wurden als '
sowjetische Bürger' bezeichnet. Dass vor allem Juden ermordet worden waren, wurde verschleiert. Das 'Schwarzbuch' über den
Genozid an den sowjetischen Juden, das
Wassili Grossman und Ilja Ehrenburg zwischen 1943 und 1947 zusammengestellt hatten und das mit einer Schilderung der Ereignisse von Babyn Jar einsetzt, durfte in der Sowjetunion nicht erscheinen. Im Land der Täter dauerte es bis 1967, ehe sich Mitglieder des Sonderkommandos für die Tötung von circa 60.000 Menschen verantworten mussten. Doch der sogenannte
Callsen-Prozess, der wie der Frankfurter Auschwitz-Prozess maßgeblich vom Hessischen Generalstaatsanwalt
Fritz Bauer vorangetrieben wurde, fand kein Interesse. Die Zuschauerbänke im Landgericht Darmstadt
blieben meist leer. Die Zeugenaussage von
Dina Proničeva, einer der wenigen Überlebenden des Massakers, erregte keine öffentliche Aufmerksamkeit. Dieses
Schlüsseldokument zur Geschichte des Massakers vom April 1968 wird im vorliegenden Band zum ersten Mal publiziert. Die Verbrechen der Einsatzgruppen und der Polizeibataillone wurden seinerzeit beschwiegen."