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Stimmen aus der Gruft

13.03.2002. Der Deutsche Bücherpreis, der nächste Woche in acht Kategorien in Leipzig verliehen wird, nimmt Konturen an. Einen ''festlich-attraktiven Showrahmen'' versprechen die einen. "Stimmen aus der Gruft!" befürchten die anderen.
Der Deutsche Bücherpreis nimmt Konturen an

Nach dem dritten Viertele stürmt Günter Grass auf die Tanzfläche. Wie damals nach der Verleihung des Nobelpreises. Doch in den Armen wiegt er nicht seine Gattin, sondern die ebenfalls kurzsichtige Nana Mouskouri. Derweil die eher glückstrunkene Christa Wolf mit Nena Luftballon und Nino-Jenseits-von-Eden-de Angelo um die Wette Karaoke singt. Während Elke Heidenreich sich mit Dietrich Schwanitz unter die prächtig kostümierten Tänzern des MDR-Fernsehballetts mischt, um gemeinsam die Beine zum Can Can zu heben.

Der allseits erwartete Clash der Kulturen ist bislang zwar ausgeblieben. Doch schon nächste Woche droht ein neues beängstigendes Szenario. Ob der Deutsche Bücherpreis, der am Donnerstag, 21. März, in neun Kategorien im Rahmen einer Fernseh-Gala in Leipzig (22.05 Uhr im MDR) verliehen wird, so versöhnlich ausklingt wie eingangs beschrieben, steht derzeit noch in den Sternen. Mittwoch Mittag hat der Mitteldeutsche Rundfunk zusammen mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die mit der Leipziger Buchmesse, der Stadt Leipzig und dem Land Sachsen den Bücher-"Oscar" veranstalten, vorab den zweiten Preisträger bekannt gegeben: In der Kategorie des Publikumspreises gewinnt, wen wundert`s, Joanne K. Rowling, für die sich das Gros der 15000 befragten Buchhändler entschieden hatte, gefolgt von Günter Grass' "Im Krebsgang" auf Platz zwei; für ihr Lebenswerk wird außerdem Christa Wolf ausgezeichnet. Anschließend erläuterte MDR Fernsehdirektor Wolfgang Vietze an der Seite von Moderator Frank Elstner das Konzept der Preis-Gala: ein "festlich-attraktiver Showrahmen" soll's werden.

"Wir wollen das Buch so populär wie möglich in einer Gala-Veranstaltung präsentieren", skizzierte Vietze die grobe Marschrichtung. Und wurde anschließend konkreter: Von den 21 nominierten Autoren - darunter sind neben den oben Genannten Schriftsteller wie Ulla Hahn, Umberto Eco, Florian Illies und John le Carre - werden rund drei Viertel bei der Gala anwesend sein. Als Laudatoren für den von Random House, Holtzbrinck und Ravensburger gesponsorten Preis konnten die Organisatoren unter anderen Heiner Geissler und Ralf Bauer gewinnen. Den "festlich-attraktiven Showrahmen" - "es wird getanzt, es wird gesungen, wie auf einer Party" (Elstner) - bestreiten neben den oben Genannten Chris Norman, Kim Fisher und die Gregorians. Also allesamt ausgewiesene Koryphäen der Buchbranche. Ein Journalist konnte es sich nicht verkneifen, das Unterhaltungsprogramm des Abends, der etwa 700000 Euro kosten wird, mit "Stimmen aus der Gruft!" zu kommentieren.

So ehrenwert das Unternehmen, einen Buch-"Oscar" auf deutschem Boden zu verleihen, und so seltsam die Mischung von Schlager, Softpop, Mittel- und Hochkultur - der Deutsche Bücherpreis war von Beginn an als Versuch gedacht, den Literaturbetrieb für ein breiteres Publikum zu öffnen und tüchtig Marketing fürs Buch zu betreiben. "Das Buch muss runter von seinem Sockel", hatte Dieter Schormann, Vorsteher des Börsenvereins im Vorfeld, gesagt. "Es ist nicht nur Kulturgut, sondern auch Kult." Wie die "Ode an die Freude", die Nana Mouskouri zur Feier des Tages interpretieren wird.

Informationen zu den nominierten Autoren und zur Jury hier.