Mord und Ratschlag

Melancholischer Mörder, perfekter Mord

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
17.07.2002. Die Krimikolumne. Heute: Francois Emmanuels "Melancholischer Mörder" agiert in einem Zwischenreich der Unwirklichkeit. Von Ekkehard Knörer
Leonard Gründ, der melancholische Mörder des Titels, ist nicht das, was man sich unter einem Auftragskiller vorstellt. Das sieht er selbst nicht anders: "Menschen umzubringen, ist nie meine große Stärke gewesen", so lautet schon der erste Satz des Romans. Dann berichtet Ich-Erzähler Gründ erst einmal, wie alles kam: Auf der Suche nach einem Job hat er sich auf die Ausschreibung einer Detektei gemeldet und die Stelle als Privatsekretär des Chefs prompt bekommen. Auch der Chef, Anatol Stukowski, ist nicht das, was man sich unter einem Privatdetektiv vorstellt: Fett, vulgär und rund um die Uhr mehr oder weniger untätig. Der Job selbst ist entsprechend gemütlich, besteht zum großen Teil aus tiefsinnigen Gesprächen mit Stukowski: "Auch andere große Themen waren Gegenstand unserer Unterhaltungen: die Gesellschaft, die Freiheit, die Demokratie." Gründ freilich hält nichts vom Schwadronieren, er ist ein bescheidener Mann.

Auch eine Frau kommt ins Spiel, Helena Lawson, sie wohnt im selben Gebäude, in dem sich die Detektei befindet, in der Swamp Street. Sie ist die Schwägerin Stukowskis, behaupten die beiden jedenfalls, sie hat, behauptet sie, den Verlust diverser Ehemänner hinter sich, von denen sie erstaunliche Geschichten zu erzählen weiß, und ist folglich frei genug, Leonard Gründ höchst gründlich zu verführen. Und auch Stukowski plant, im Bund mit Helen, eine Art Verführung: zum Mord.

Der Detektiv schickt seinen Sekretär mit einem Giftfläschchen in ein Etablissement mit dem Namen Paradise Loft; kein Paradies, nicht einmal ein verlorenes, sondern ein letztes Asyl für Menschen, die vom Leben nichts mehr zu erwarten haben. Dort soll Gründ einen älteren Herrn namens Abimael Green aufspüren und umstandslos vergiften, so lautet der Auftrag, der sich als Bitte um einen kleinen Gefallen tarnt.

Nun kommt aber erst recht alles anders, als man denkt. Der Beginn des Romans war seltsam verschoben, bedenkt man die Konventionen der Kriminalliteratur. Der Ich-Erzähler, in der Regel sonst der Detektiv, ist ein kleiner Gehilfe, wie man ihn eher in den Romanen Robert Walsers als Raymond Chandlers vermutet. Bemüht, das Richtige zu tun und nicht das Falsche, fügt er sich dem freundlich vorgebrachten Befehl des Vorgesetzten und scheint zum Mord bereit. Under Cover, als Sardinenfabrikbesitzer im geschäftlichen Unglück, begibt er sich ins Paradise Loft, macht sich mit den Bewohnern, darunter ein Doc Watson, bekannt, und hört sich ihre Geschichten an. Er trifft auf Green, der in Begleitung einer jungen Indianerin ist, die den Leser ganz unweigerlich an Wilhelm Meisters Mignon erinnert. Green selbst ist ein der Welt ein wenig abhanden gekommener Philosoph, der sich für die Sonne hält, sich nicht mehr an seine Vergangenheit erinnert und gänzlich harmlos scheint.

Gründ schreitet, das verwundert kaum, nicht zur Tat. Vielmehr wird er nun selbst zum Ermittler, beginnt eine Recherche zum komischen Heiligen Green, der sich gerne auch in der Kirche St Jeremy-the-Birds aufhält. Die merkwürdigen Geschichten aus fernen Zeiten und von unwahrscheinlichen Orten, an denen es dem Roman schon zuvor nicht mangelte, vervielfachen sich. Halb sind sie fantastisch, halb Zitat aus anderer Literatur. Auch Emmanuels Roman selbst spielt in einem seltsamen Zwischenreich der Unwirklichkeit. Der Schauplatz ist eine anonyme amerikanische Großstadt, die so wenig auf irgend einer Karte verzeichnet ist wie das verlassene Konsulat oder ein abgewracktes Frachtschiff mit dem vielsagenden Namen Columbus - alles Orte, zu denen Gründ dem ruhelosen Propheten Green folgt. Manchen Schritt tut die Geschichte mit ihrem Ich-Erzähler hinein in den Dschungel halben oder ganzen Wahns, mitunter denkt man, sie findet nicht wieder hinaus.

Da aber hat man sich ein weiteres Mal in diesem raffinierten Roman getäuscht. Die Fäden nämlich beginnen sich zu entwirren. Gründ wagt einen nächtlichen Einbruch ins Büro seines Chefs und entdeckt die Hintergründe des Mordauftrags. Er kommt dem Vorleben Abimael Greens auf die Spur und konfrontiert ihn mit seiner Vergangenheit. Ganz am Ende gibt es den Toten, nach dem das Genre verlangt; anders aber als es üblich ist, kommen damit die Ermittlungen zu ihrem Ende, der Tod wird zur Auflösung des Falls, ein perfekter Mord, der keine Fragen offen lässt. Das Schlussbild des Romans ist ein Traum, der noch einmal alle Beteiligten versammelt, aber für nichts möchte man dem ausgebildeten Psychoanalytiker Francois Emmanuel mehr danken als für seinen Verzicht auf Deutungsvorgaben. Vieles, das er erzählt, bleibt rätselhaft und wahrt die Faszination gerade dadurch, dass er dem Leser keinen Schlüssel in die Hand drückt, es aufzuschließen.


Francois Emmanuel: "Der melancholische Mörder". Roman. Antje Kunstmann Verlag, München 2002. Gebunden, 200 Seiten, 16,90 Euro. (Zur)