Mord und Ratschlag

Geliebte Mörderin

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
04.12.2003. In Graham Swifts Roman "Das helle Licht des Tages" bleibt sich der Mensch ein Rätsel. Er liebt, er tötet und versteht sich selbst nicht. In Bodo Kirchhoffs "Schundroman" bleibt er dagegen ein Abziehbild trivialliterarischer Vorbilder.
Graham Swifts "Das helle Licht des Tages" ist ein Roman mit einem Privatdetektiv als Ich-Erzähler, aber es ist kein Detektivroman. In seinem Zentrum stehen ein Mord, über den man erst nach und nach Einzelheiten erfährt, und - klassische Noir-Konstellation - die Liebe des Detektivs zur Klientin, die zugleich die Mörderin ist, aber ein Krimi ist das Buch keineswegs. Denn Swift interessiert sich nicht für die Dramaturgie eines "Falles" und seiner Auflösung, noch weniger für die psychologische Erläuterung eines Mordmotivs. Das Rätsel, um das der Roman sich dreht, und zwar mit großer, mitunter etwas aufdringlicher Insistenz, ist der eine Satz, der die einfache und kaum begreifliche Wahrheit zusammenfasst, mit der George Webb, der Detektiv, sich konfrontiert sieht: "Irgendwas ist über dich gekommen." Es ist dies der erste Satz des Buches und was über den Detektiv gekommen ist, ist nicht weniger als die Liebe. Die Liebe zu der Frau, die einen Mord begangen hat, ohne sagen zu können, wie ihr geschah. Denn Sarah Nash tötet ihren Mann in dem Moment, in dem er die Frau, mit der er sie betrog, auf immer verabschiedet hat. Eine Tat, die sich der naheliegenden Erklärung entzieht. "Irgendwas ist über dich gekommen."

Swift baut der Geschichte, die er erzählt, der Geschichte, an der ihn das Rätseln interessiert, nicht das Enträtseln, das Staunen, nicht das Erklären, er baut dieser Geschichte einen Gegenwartsrahmen. Zwei Jahre sind vergangen seit der Tat, George Webb, der Detektiv, macht sich auf, erst das Grab des Opfers, dann die Täterin aufzusuchen, im Gefängnis. Alle zwei Wochen fährt er hinaus, das erfahren wir bald, am Anfang will sie nichts wissen von ihm, glaubt nicht an jene Gewissheit, die ihn wiederkommen lässt, immer wieder, bis sie ihn doch akzeptiert, ihn und die Gewissheit, dass es Liebe sein muss, nichts anderes.

Eine amour fou, ohne Frage, und ein Begehren, dessen Erfüllung um acht Jahre aufgeschoben ist. Der Roman einer Liebe, und doch kein Liebesroman. In den Gegenwartsrahmen, diese schlichte Bewegung eines Tages, fügt Swift an Stelle der Evokation der Liebe Erinnerungsfragmente, die zwar kontinuierlich fortlaufen, sich jedoch stets unterbrechen, ins Wort fallen, und damit jeden Fluss, die Aufrundung zur geschlossenen Erzählung verhindern. Mosaikstein um Mosaikstein wird eingefügt, es ergibt sich ein Bild, aber es bleiben Leerstellen. Leer bleibt, genauer gesagt, das Zentrum des Romans und darin liegt seine eigentliche Pointe. Die Lücke des Rätsels, das der Mensch sich bleiben muss, gerade da, wo er Staunen macht, sich und die anderen, will Swift nicht füllen. Das wird immer deutlicher gerade in der stockenden Annäherung des Erzählers an sich selbst und seinen sonst so geregelten Alltag. Zwischen dem Mann, den er kannte, und der blendenden Gewissheit einer verrückten Liebe vermittelt nichts: Kein Wort, keine Erklärung, keine Psychologie. "Irgendwas ist über dich gekommen" - die ersten Worte des Romans könnten auch die letzten sein.

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Die Liebe kommt auch, falls der Tod nicht schneller ist, über mehr oder weniger alle Figuren in Bodo Kirchhoffs "Schundroman", der nun im dem Genre gemäßen Format erschienen ist, als Taschenbuch. Freilich kommt die Liebe hier in ungleich weniger subtiler Manier über die Menschen als bei Swift, was, siehe den Titel, nur recht und billig ist, sollte man denken. Jedenfalls ist Kirchhoffs Werk, bei allem mit Gusto inszenierten Mord-, Tod- und Wundenschlag rund um die Frankfurter Buchmesse, und dem authentischen Pulp-Titelbild zum Trotz, nicht nur ein Hardboiled-Kriminal-, sondern auch ein dem Sentiment nicht abgeneigter Liebesroman. Die amour fou und jede Menge Liebeswollen sind die Luft, die die Figuren atmen, zur Liebe glaubt der nicht näher bestimmbare Erzähler unentwegt seine eher neunmalklugen als tiefsinnigen Kommentare geben zu müssen. Wo hier die Geschwätzigkeit endet, die Parodie beginnt, ist oft schwer zu entscheiden, zumal, das muss gesagt sein, Kirchhoff im ganzen durchaus mit einigem Ernst an die ihm - naja, mehr oder weniger - fremde Sache des Grellen und Trivialen geht. "Ein Roman aus der Hüfte", schreibt er in einer kurzen Vorbemerkung, entschuldigend vielleicht, jedenfalls liegen die Hüfte, aus der man schießt, die Lende, aus der man vögelt, im als Männerphantasie verstandenen "Schundroman" weiß Gott nah beieinander.

Der größte Fehler, den Kirchhoff begeht, ist jedoch die gleich doppelte Verbeugung vor Charles Willeford, der in der Vorbemerkung als Inspiration des Werks aufgerufen wird. In Willefords "Miami Blues" erwischt es an der Stelle, an der hier der Reich-Ranicki-Verschnitt Louis Freytag so früh wie unglücklich aus dem Leben scheidet, einen Hare Krishna - und in gewisser Weise liegt darin schon der entscheidende Unterschied. Denn selbst wenn man von Lakonie, Intelligenz, Witz und Präzision des Willefordschen Erzählens großzügig absieht - in keiner dieser Kategorien nämlich kann Kirchhoff Willeford auch nur im mindesten das Wasser reichen -, selbst dann muss man dem Möchtegern-Schundautor einen eklatanten Mangel an Bösartigkeit, wenn nicht gar Feigheit vor dem Feind bescheinigen.

Von der einzig für ihre Prominenz berühmten Gattenmörderin über das Privatdetektiv-und-am-Ende-doch-so-etwas-wie-Liebespaar bis hin zur vermeintlichen Femme Fatale und dem Auftragskiller und böse am Schwanz lädierten Schmerzensmann: Keine der Figuren ist, subtrahiert man das ungelenk Satirische, mehr als bloßes Abziehbild trivialliterarischer Vorbilder, und gerade die Reflexion über, die Darstellung der Liebe ist der Versuch einer Überschreitung des Trivialliterarischen, die, Präzision durch Geschwätzigkeit ersetzend, in Wahrheit seine Unterschreitung ist (nimmt man die Meisterwerke der Schundliteratur als Maßstab). Willefords große Kunst, tief ambivalente Charaktere als glaubwürdige zu entwerfen, mildert Kirchhoff ab ins nur schwach gepfeffert Satirische. Um Kompromisse und Absicherung ist das Unternehmen umso mehr bemüht, als es sich in vermeintlicher Kompromisslosigkeit groß tut. Seine Literaturbetriebskritik ist, durch Überspitzung verharmlosend, gänzlich literaturbetriebskompatibel. Im juste milieu jenes Betriebs, der sich mit der Diskussion um Idiotien wie Walsers bei Kirchhoff am Rande erwähnten "Tod eines Kritikers" in Schwung hält, sitzt der "Schundroman" wie die Made im Speck.


Graham Swift: "Das helle Licht des Tages". Roman. Aus dem Englischen von Barbara Rojahn-Deyk. Hanser Verlag, München 2003, 327 Seiten, gebunden, 19,90 Euro. Eine Leseprobe finden Sie hier.

Bodo Kirchhoff: "Schundroman". Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2003, 316 Seiten, Taschenbuch, 9,90 Euro