Mord und Ratschlag

Eine exemplarische Drecksau

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
31.05.2007. In Växjö wird eine Frau ermordet. Linda. Stockholm schickt ausgerechnet Evert Bäckstrom in das schwedische Provinznest, um den Buschsheriffs unter die Arme zu greifen. Mit "Mörderische Idylle" legt Leif GW Persson nicht nur eine guten Krimi vor, sondern auch das schreiend komische Porträt eines cleveren Kotzbrockens.
Schwedische Provinz, ein Sexualmord an einer Polizeischülerin. Im Polizeijargon: Der Lindamord, nach dem Vornamen des Opfers. In Leif GW Perssons Roman "Mörderische Idylle" ist dieses Detail des Jargons keine Kleinigkeit, darauf verweist schon der Titel des Originals, den der deutsche Verlag mal wieder ins komplett Unverbindliche übersetzt hat: "Linda - som i Lindamord". Alle Morde an Frauen, nicht aber an Männern, werden in der internen Sprachregelung mit Vornamen etikettiert. Das ist der alltägliche Sexismus, bei dem sich keiner was denkt. Und um diesen Sexismus geht es Persson - ganz nebenbei, wie es auf den ersten Blick scheint. In Wahrheit aber als Hauptsache.

Oft genug machen die besten Absichten einen Kriminalroman zum moralinsauren Traktat. Persson jedoch findet einen Dreh, um der Verkommenheit in Sprechen und Denken zu Leibe zu rücken. Er macht nämlich einfach eine exemplarische Drecksau zur Hauptfigur. Evert Bäckström ist sein Name, er ist leitender Ermittler der in Stockholm angesiedelten, landesweit operierenden Mordkommission. Mit der Arroganz des Hauptstädters, und überhaupt desjenigen, der die Welt lang schon durchschaut hat, begibt sich Bäckström - in Begleitung eines größeren Teams - nach Växjö, in ein smaländische Städtchen, in dem ein Mord wie dieser noch nicht vorgekommen ist. Eher widerwillig gibt Bäckström sich dort ab mit den "Buschsheriffs" der Provinz und bestätigt den üblen Ruf, in dem er sowieso und zwar völlig zu Recht steht.

Bäckström ist einer, der sich Vorteile nimmt, wo er sie sieht. So lässt er gleich nach der Ankunft im Hotel bei Hochsommertemperaturen seinen Winterkleidungsbestand auf Polizeikosten reinigen. Später dann schleicht er sich ins Hotelzimmer eines ahnungslosen Kollegen und guckt auf dessen dienstliche Rechnung den Pornokanal. Bäckström wird nur sentimental, wenn es um seinen Goldfisch geht, den er in Stockholm mit einer übergroßen Dosis Futter im Glas zurücklässt. Und er ist einer, der alles politisch Korrekte verachtet, weil er im schmutzigen Grund seines Herzens erstens sich selbst für das Maß aller Dinge und sich und seine "Supersalami" (O-Ton Bäckström) für unwiderstehlich hält. Und zweitens weil er halt weiß, was Sache ist in zwischenmenschlichen Dingen, dass Dreistigkeit siegt, dass Frauen keine Ahnung haben und dass Ausländern nicht zu trauen ist.

Das Raffinierte an Perssons Roman ist die Technik, mit der er das Geschehen perspektiviert. Er macht Bäckström nicht zum Ich-Erzähler, sondern nimmt ihn doppelt in den Blick. Protokolliert wird immer zugleich, wie er sich gibt und das, was er denkt. Da Bäckström nicht blöd ist und weiß, was die Umwelt von ihm erwartet, sagt er in der Öffentlichkeit selten, was ihm so an Schweinereien durch den Kopf geht. Höchstens rutscht ihm mal was heraus. Eine misogyne Bemerkung hier, eine Grobheit da, und einmal auch, in einer Situation, die er gründlich missversteht, seine Supersalami. Sehr zuverlässig liefert der neutral bleibende Erzähler aber stets Bäckströms Haupt- und Hintergedanken mit. Was so entsteht, ist das oft schreiend komische Porträt eines cleveren Heuchlers, der der Welt gibt, was sie will, und all jene, die ihm auf den Leim gehen, gründlich verachtet. Die Komik verdankt sich gerade der Kluft zwischen Außendarstellung und Binnenwahrheit und dem unvermittelten Kontrast zwischen beidem.

Interessanter Nebeneffekt dieses Arrangements ist, dass man als Leser nie so richtig ideologisch einwandfreien Boden unter die Füße bekommt. Der Blick auf die Welt ist und bleibt die meiste Zeit verdreht. Nur gelegentlich schiebt Persson Passagen mit sehr viel angenehmeren Protagonisten ein, die meiste Zeit aber geht nichts ohne Bäckström. Minuziös wird das Vorangehen, oder vielmehr das Steckenbleiben der Ermittlungen beschrieben. Bäckström lässt Speichelproben nehmen und trinkt ein Bier nach dem anderen. Irgendwann ist der neue schwedische Speichelproben-Rekord erreicht, die Datenschützer sind aufgebracht - und ein Mörder ist noch immer nicht in Sicht.

Verblüffenderweise macht es Spaß, dem Kommissar und seinen Kumpanen beim Dilettieren zuzusehen. Und zwar über hunderte von Seiten, auf denen zwar gelegentlich ein Verdächtiger aufgetan wird - der es dann natürlich nicht war. An der Liebe zum Detail merkt man einfach: Persson kennt sich aus. Er ist selbst Professor der Kriminologie und in Schweden bekannt wie ein bunter Hund, als Autor einer guten Handvoll bestens verkaufter Kriminalromane, aber auch zahlreicher Sachbücher sowie als Fachberater des schwedischen "Aktenzeichen XY"-Äquivalents. Lustvoll führt er als Experte in "Mörderische Idylle" vor, wie man es macht, wenn man sich ganz besonders dumm und einfallslos anstellen will.

Unverkennbar sind aber auch Sjöwall/Wahlöö, die Meister des gesellschaftskritischen schwedischen Kriminalromans, ein Vorbild - ihnen ist das Buch ausdrücklich gewidmet. Wie nebenbei zeichnet Persson mit großer Schärfe nämlich das Porträt einer bis in die smaländische Provinz längst multikulturellen Gesellschaft, der Typen wie Bäckström nicht gewachsen sind. In der sie nur um den Preis überleben, dass sie sich von Vorurteil zu Vorurteil hangeln, platt machen, was sich platt machen lässt und allem, was ihnen fremd ist, so frech wie dumm kommen. Indem er aber fast alles, was geschieht, durch das Prisma der Bäckströmschen Torheit fallen lässt, kann es sich Persson auch erlauben, einen zu Unrecht verdächtigten Farbigen oder wohlmeinende, aber hoffnungslos naive Kleinstadtbürgerinnen und -bürger ziemlich unsympathisch zu zeichnen. Umso komplexer das Porträt: Umso weniger sicher der Grund, auf dem man als Leser sich bewegt. Eine Art Trost gibt es schon am Ende, neben der Lösung des Falls. Bäckström muss zurück nach Stockholm, degradiert zum polizeidienstlichen und sozialen Auslaufmodell. Was an seine Stelle tritt, sind zwei starke Frauen. Und ein knorriger Polizeichef, in dem Persson nicht ganz uneitel sich selbst porträtiert.


Leif GW Persson: Mörderische Idylle. Roman. Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs. btb, München 2007. 544 Seiten, gebunden, 19,95 Euro
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