Mord und Ratschlag

Von Häckselmaschinen und Schneckenwellen

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
23.08.2007. Schwabenreporterin Lisa Nerz sorgt in Christine Lehmanns hoch unterhaltsamem Provinzkrimi "Allmachtsdackel" für allerlei Turbulenzen auf der schwäbischen Alb. Bei Scott Frosts "Risk" wünscht man sich dagegen, der Serienkiller möge das entführte Gör endlich umbringen.
Die Schwabenreporterin Lisa Nerz, die Serienheldin nun schon des fünften Kriminalromans von Christine Lehmann, ist als Figur starker Tobak. Eine selbstbewusste, androgyne Feministin mittleren Alters im Anzug, eine Frau, die Männer wie Frauen liebt, Männern mit Frauen, Frauen mit Männern betrügt; die keinen Schönheitsidealen genügt und nicht Ruhe gibt, bevor nicht alles, woran alle anderen lieber nicht rühren, aufgedeckt und geklärt ist. Zuhause ist diese Lisa Nerz zu allem Überfluss auch noch im biederen Stuttgart und ums biedere Stuttgart herum, und im neusten Roman mit dem schönen Titel "Allmachtsdackel" ermittelt sie so ungestüm wie unverfroren auf der Schwäbischen Alb.

Seltsames trägt sich da zu, seit Jahren schon sterben junge Menschen auf zwar landwirtschaftsübliche, in der Häufung aber merkwürdige Weise, in Häckselmaschinen und Schneckenwellen von Mühlen zum Beispiel. Verdächtig, jedenfalls Lisa Nerz, scheint aber zunächst der Tod eines alten Herrn, des bei allen, die ihn kannten, offenbar denkbar unbeliebten, einst erfolgreichen Unternehmers, im Alter dann missionarisch gesinnten, christlichen Fundamentalisten Martinus Weber. Mit dessen Sohn ist Lisa Nerz, das kommt erschwerend hinzu, liiert, an ihrer Lust, alle Welt, auch den engsten Familienumkreis des Mordes - um den es sich offiziell gar nicht handelt - zu verdächtigen, ändert das nichts.

Vom Sohn des Verstorbenen, dem Staatsanwalt Richard Weber, führen kurze Wege ins Honorationenmilieu Stuttgarts, aber auch in die Vergangenheit von Lisas Lebensgefährten, eine Vergangenheit, in der ihn mit der heutigen Archerindbäuerin Barbara einst der Traum einer gemeinsamen Zukunft verband. Daraus wurde nichts, Barbara heiratete einen Mann, den sie eher nicht liebt, Richard ging hinaus in die Welt, kehrt nun mit Lisa zurück, die sich so heftig zu Barbara hingezogen fühlt, dass die beiden auch schon beginnen, Pläne für eine gemeinsame Zukunft zu machen. Das ist so die Restromantik, die auch in einer wie Lisa steckt. Aber dann verdächtigt sie, sie kann wohl nicht anders, auch Barbara des Mordes, was naturgemäß der Liebe nicht gut tut.

Um eine Figur wie Lisa Nerz, ein, zwei Nummern größer als das gewöhnliche Leben, glaubwürdig zu gestalten, muss eine Autorin schon was können, sehr viel mehr jedenfalls als die große Mehrheit all der lokalkoloritversessenen Regionalkrimiproduzentinnen und -produzenten, die die ahnungslose Vermutung, dass einen Krimi noch jede/r zustandebringt, Buch für Buch eindrucksvoll widerlegen. Und tatsächlich kann Christine Lehmann viel mehr. Sie gibt ihrer Heldin eine mit bunten Aktionsverben versetzte Sprache, in der "Blicke genagelt", mit dem Auto "geschüsselt" wird, eine Sprache, die nie auf aufdringliche Weise schnoddrig wirkt.

Und natürlich hat Lisa Nerz als Hard-Boiled-Figur ihre Vorbilder, von Sarah Paretskys PI Vic Warshawski bis zu Liza Codys nonkonformistischer Catcherin/Ermittlerin Eva Wylie. Es steckt aber andererseits auch viel regionaler Eigensinn in ihr, eine , die auch einen Schuss ins Bein ganz tough wegsteckt, Vorbilder in der Kriminalliteratur. Das harte Holz, aus dem sie geschnitzt ist, das kennt man aus dem Feld zwischen Sarah Paretskys Vic Warshawskigründliche Sozialisation auch in westdeutschem Feminismus, die ihr erstaunlicherweise sehr überzeugend einen ganz eigenen, männerzermürbenden Charme verleiht.

Was Christine Lehmann auch kann: die Gesetze der klaren Strukturierung des Kriminalplots links liegen lassen. Man weiß die meiste Zeit eigentlich nicht recht, was in diesem Roman eigentlich der Fall ist. Unter jeden Teppich, stellt sich heraus, wird hier der Dreck gekehrt, man muss nur, wie Lisa Nerz, nachsehen, da folgt dann ein Übelstand auf den anderen. Das hat so viel Tempo und die Figuren sind so liebevoll charakterisiert, dass man den roten Faden ganz schnell überhaupt nicht mehr vermisst. In "Allmachtsdackel" verbinden sich so dynamischer Vorwärtsdrang und fortgesetzte Seitwärtsbewegung zu einer durchweg unterhaltsamen Provinzinvestigation. Mehr davon!


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Von Scott Frosts "Risk", einem mit sehr viel mehr Power in den Markt gedrängten Thriller (zufällig das Bahnmagazin vom Juli gelesen?), kann man dergleichen leider nicht wünschen. Auch hier gibt es eine Serienheldin, die im Beruf ungemein erfolgreiche Polizistin Alex Delillo, die freilich, wie man es aus dem Klischeebilderbuch kennt, im Privatleben so ihre Probleme hat. Mit der Tochter Lacy vor allem, die sich als Schönheitskönigin der Rosenparade zur Wahl stellt. Die Rosenparade ist ein gesellschaftliches und mediales Riesenereignis im kailfornischen Pasadena und Delillos Tochter sorgt für entsprechendes Aufsehen, als sie den Wettbewerb für umweltschützerische Agitation missbraucht.

Zur Strafe, für Mutter wie Tochter, wird letztere dann entführt. Und zwar von einem dieser abgrundtief bösen Serienkiller, die man in den letzten Jahrzehnten bis zum Überdruss in Kino, TV und eben der Blockbuster-Thrillerliteratur kennengelernt hat. Dieser hat ein Händchen für Bomben und Bömbchen, jagt dies und das in die Luft, auf der irgendwie fehlgeleiteten Suche nach Aufmerksamkeit, versteht sich. Scott Frost, der gemeinsam mit seinem Bruder Mark einst - kaum zu glauben - an der Fernsehserie "Twin Peaks" mitgschrieben hat, macht aus dieser Geschichte ein Katz- und Maus-Spiel, das umso öder ist, als die Werkzeuge, mit denen hier Spannung erzeugt werden soll, so offen zu Tage liegen.

Die Beliebtheit von Serienkillern verdankt sich ja nicht zuletzt ihrer Verwendbarkeit für Spannungsfertigbauweisen. Wenn mit dem nächsten Mord stets zu rechnen ist, erübrigt sich schnell jede weitere Bemühung ums Mitfiebern der Leserschaft. Auch das abgrundtief Böse kommt mit dem Serienkiller frei Haus. Frost tut in "Risk" eben noch ein wenig tief empfundenen frauenversteherischen Mutter-mit-schlechtem-Gewissen-Tief- und -Blödsinn dazu, die Hauptfigur bleibt trotzdem von Anfang bis Ende von Pappe. Und spätestens, wenn man als Leser den Wunsch verspürt, der Serienkiller möge, damit Ruhe ist, das Gör endlich umbringen, ist unmissverständlich klar, dass hier dem Autor ganz grundsätzlich was misslungen ist.

Christine Lehmann: Allmachtsdackel. Roman. Argument Verlag. Hamburg 2007. 316 Seiten, 9,90 Euro

Scott Frost: Risk. Psychothriller. Droemer-Knaur. München 2007. 471 Seiten, 8,95 Euro ()