Mord und Ratschlag

Die richtige Sorte Cornflakes

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
24.07.2019. Nicholas Searle zelebriert in seinem um Syrien-Heimkehrer kreisenden Thriller "Der Sprengsatz" die schmallippige Feinsinnigkeit britischer Geheimdienste. Adrian McKinty setzt in seinen Belfast-Krimi "Cold Water" auf die Smartness seines katholischen Cops bei der Royal Ulster Constabulary.
Cover: Der SprengsatzJake Winter ist das Musterbeispiel eines britischen Geheimdienstlers: Er ist freundlich, distanziert, professionell. Die perfekte Kombination aus Lässigkeit und Effizienz. Er kann seinen Job. Er weiß, dass man niemanden kaufen kann. Wenn man jemanden dazu bringen will, mit dem MI5 zusammenzuarbeiten, muss man eine Bindung aufbauen. Geld bringt gar nichts. Wenn es um die Arbeit mit V-Leuten geht, trichtert er seiner neuen Kollegin daher immer wieder ein: "Finden Sie etwas an ihnen, das sie mögen. Irgendwas gibt's immer."

Schwer zu sagen, ob dieser Grundsatz wirklich dem Handbuch des sensiblen V-Mann-Führers entstammt oder eher den Regeln des Kreativen Schreibens. Für Nicholas Searles Roman "Der Sprengsatz" tut er seinen Dienst. Selten wurden in einem Thriller islamistische Attentäter mit so viel Willen zur Empathie gezeichnet.

In der namenlosen nordenglischen Stadt, in der Searles Roman "Sprengsatz" spielt, wimmelt es nur so vor Heimkehrern aus Syrien oder dem Islamischen Staat. Der erfahrene Jake Winter hatte die Szenerie eigentlich gut im Blick, aber dann lief doch etwas schrecklich schief. Bei einem schweren Attentat im Bahnhof starben dreiundsechzig Menschen. Schwer zu sagen, ob Jakes V-Mann Abu Omar wusste, dass die Generalprobe schon der Ernstfall wird, oder nicht. Ein Untersuchungsausschuss soll jetzt Aufklärung bringen, gerät aber schnell zu der grellen Arena, in der sich verschiedene Abteilungen gegenseitig die Verantwortung zuschanzen, Politiker ihre Machtspielchen treiben, und brillante Verteidiger sich in Szene setzen.

Und während Jake noch ausstehen muss, dass er von seinen Chefs zum Bauernopfer gemacht wird, wiederholt sich seine Geschichte. Wieder berichtet ihm ein V-Mann, dass ein furchtbares Attentat geplant sei. Wieder sammelt sich ein Trupp orientierungsloser Syrien-Heimkehrer, um für den Terrorpaten der Stadt die mörderische Drecksarbeit zu erledigen. Wieder weiß Jake nicht, ob der von Gewissensqualen zerrissene Rashid ihm die Wahrheit sagt oder ob er selbst zu gutgläubig ist.

In den Angaben zu Nicholas Searles Biografie wird besonders gern betont, dass er über seine bisherige Arbeit nicht mehr sagen dürfe, als dass er im Öffentlichen Dienst stand. Das gibt ihm geheimdienstliche Credibility und verhalf ihm vielleicht auch auf dem britischen Buchmarkt zu seinem Erfolg. Sein Roman "Das alte Böse" wird mit Helen Mirren verfilmt.

Searle schreibt dynamisch, kraftvoll, wenn auch nicht unbedingt elegant. Gerade zu Beginn lastet seine hüftsteife Beamtenprosa auf der Erzählung wie die Akten auf dem Schreibtisch eines Berliner Finanzbeamten. Vor allem aber bleibt Searle stets in den beliebten Konventionen des britischen Thrillers, in dem sich der pflichtbewusste MI5-Mann nicht anders gegen die Intrigen der Politik zu behaupten weiß als durch schmallippig-ironische Feinsinnigkeit.

Zu den Standards dieses Genres gehören auch die Animositäten zwischen britischen und amerikanischen Agenten, bei denen die Briten die amerikanische Rohheit verachten, während die Amerikaner die britische Überheblichkeit nicht ertragen können. Originell ist allerdings, wie geschickt es britische Politiker bei Searle verstehen, antiamerikanische Ressentiments einzusetzen, indem sie ihnen selbstverständlich die Führungsrolle überlassen. Zu so viel falscher Bescheidenheit wären Franzosen niemals in der Lage!

Ziemlich eindrücklich und in seiner ganzen menschlichen Dramatik zeichnet Searle allerdings die immense Schizophrenie der Rückkehrer aus Syrien, die ihre Dschihadisten-Existenz mit dem durchschnittlichen Leben in einer britischen Mittelstadt unter einen Hut bringen wollen. Die gern für Allah in den Krieg ziehen, aber zu faul sind, fünf Sätze Arabisch zu lernen. Die tagsüber ein Attentat planen, und nachts koksend im Club abhängen. Die sich in Syrien und dem Irak dem Blutrausch hingaben, zahllose Männer, Frauen und Kinder töteten, aber zurück in England über die richtige Sorte Cornflakes grübeln. Und die keinen Schimmer haben, wie sie das, was sie angerichtet haben, überleben sollen.

Nicholas Searle: Der Sprengsatz. Thriller. Aus dem Englischen von Jan Schönherr. Kindler Verlag, Hamburg 2019, 303 Seiten, 20 Euro. (Bestellen)


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Cover: Cold WaterGemessen an Nicholas Searles geschmeidigen Erfolgsromanen muss man Adrian McKinty wohl am entgegengesetzten Ende des britischen Thriller-Spektrums verorten. Dem nordirischen Autor, der mit seinen Romanen den Intellectual Chic in den Noir brachte, war nie finanzieller Erfolg vergönnt, nicht einmal mit seinen leichter konsumierbaren Belfast-Romanen, die bei aller Nordirland-Tristesse das reinste Lesevergnügen waren. Wie McKinty dem Guardian gestand, hat er sich von all dem eingeheimsten Lob und Preis der KritikerInnen leider ziemlich wenig kaufen können. Sein Geld verdiente er hinterm Tresen oder als Uber-Fahrer. Aber offenbar ist diese Phase jetzt vorbei, ein amerikanischer Agent hat ihn für seinen nächsten Roman auf einen amerikanischen Stoff verpflichtet und mit einem entsprechenden Honorar entschädigt.

Grund genug, den letzten Band der Belfast-Reihe um den katholischen Polizisten Sean Duffy zu goutieren, der in schwarzer Lederjacke, mit solider Bildung und erstklassigem Musikgeschmack dem religiös-politischen Nordirland-Wahnsinn zu trotzen versucht. "Cold Water" setzt am 1. Januar 1990 ein. Vom Fall des Eisernen Vorhangs ist hier wenig zu spüren. Belfast ist nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs total kaputt, aber die Mauer steht: "Die düsteren, schmierigen, schäbigen Siebziger waren einmal in die gewalttätigen, neonfarbenen, schrecklichen Achtziger übergegangen. Die Neunziger können nicht schlimmer werden', war ein Gedanke, den ich nicht nur niemals aussprechen, sondern auch niemals zu denken wagen würde."

Duffy hat die achtziger Jahre mit ihren Hunderten von Morden und Anschlägen überlebt, und weil er auch noch die neunziger Jahren erleben will, beendet er seinen Dienst Detective Inspector bei der Royal Ulster Constabulary. Er zieht mit Frau und Tocher auf die sichere Seite der Irischen See, nach Schottland. Ein letzter Fall wartet noch auf ihn, bevor er sich in den Vorruhestand verdrücken kann: Ein fünfzehnjähriges Tinkermädchen wird vermisst. Kat McAtamney ist zwar schon öfter ausgerissen, aber diesmal macht sich die Mutter wirklich Sorgen. Aus sentimentalen Gründen will Duffy keinen Fall unabgeschlossen lassen, auch wenn sich die Öffentlichkeit und der Rest der Polizei keinen Deut für eine ungebärdige Vagabundin interessieren. Die Männer auf dem Revier wissen, dass es meist nur vier Möglichkeiten gibt, wenn im ultrakonservativen Nordirland eine Fünfzehnjährige verschwindet: Sie ist schwanger und nach Liverpool gegangen, um das Kind abtreiben zu lassen. Sie ist schwanger und nach Liverpool gegangen, um das Kind dort zu bekommen. Sie ist schwanger und anderswohin abgehauen. Sie ist schwanger, hat es dem Vater des Kindes gesagt, und der hat sie umgebracht.

Aber Kat war nicht schwanger und sie ist nicht in Liverpool. Es gibt ein Notizbuch, in dem sich die Nummern dreier nicht mehr ganz junger Männer finden, die offenbar allesamt mit dem Mädchen verbandelt waren und natürlich ganz entsetzt und voller Unschuld reagieren, wenn sie vom Verschwinden der hübschen und eigentlich doch schon sehr reifen Kat erfahren: Was, erst fünfzehn? Panik. Nacheinander lässt McKinty seinen ruppigen Cop an den Säulen der Gesellschaft vorbeidefilieren. Die Herren aus Kunst, Politik und Wissenschaft müssen ebenso die Hose runter lassen, wie der IRA-Mann, der natürlich ein wertvoller Spitzel des Geheimdienstes ist.

Apropos: Duffy muss sich auch noch dem verängstigten John Strong kümmern, der als Agent von der IRA bei der Polizei eingeschleust, aber von der RUC umgedreht wurde und nun wiederum seine Enttarnung als Doppelagent fürchtet und vom MI5 schrecklich im Stich gelassen wird. Auch in der Sympathie für den britischen Geheimdienst, muss man McKinty als Gegenpol zu Searle lesen.

"Cold Water" ist nicht der stärkste Band der Reihe, mit der McKinty so einprägsam das Elend der Troubles in Erinnerung gehalten hat, ein bisschen schnell zusammengestrickt und für die deutsche Ausgabe mit einem Titel versehen, der wie ein Männer-Duschgel klingt. Im Original heißt er nach einem Tom-Waits-Song "The Detective Up Late". Es ist trotzdem zum Heulen, dass ein Autor mit solch einem smarten Sound, mit so viel Witz und Dynamik keinen finanziellen Erfolg haben konnte. Hoffentlich musste er für seinen nächsten Roman nicht allzu schmerzliche Kompromisse machen.

Adrian McKinty: Cold Water. Thriller. Aus dem Englischen von Peter Thorberg. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 376 Seiten, 15,95 Euro (Bestellen)