Mord und Ratschlag

Leseprobe zu 'Der Hohepriester' von Charles Willeford

Die Krimikolumne.
17.05.2002. Leseprobe zu 'Der Hohepriester' von Charles Willeford


"Antihero". Feat. Charles Willefords "Der Hohepriester". Pulp Master 10. Herausgegeben von Frank Nowatzki. Maas Verlag, Berlin 2001, broschiert, 11 Euro




Klappentext:


Das Kernstück dieser Anthologie über Antihelden ist Charles Willefords Debütroman "Der Hohepriester": Im San Francisco der fünfziger Jahre inszeniert der selbstgefällige Gebrauchtwagenhändler Russel seine Interpretation des American-Way-of-Life und manipuliert seine Mitmenschen gnadenlos.


Zum Autor:

Der Amerikaner Charles Willeford wurde 1919 in Little Rock, Arkansas geboren. Mit acht Jahren war er Vollwaise, Straßenkind, später Berufssoldat, dann Journalist und Literaturkritiker für den angesehenen Miami Herald. 1953 erschien sein erster Roman "Der Hohepriester". Doch erst die vier Bücher um Hoke Moseley (1984 bis 1988), machten ihn berühmt. Charles Willeford starb 1988.


Leseprobe, Kapitel 7:

Ich jagte den Champion durch die Stadt. Mein Kopf war beschäftigt und ich fuhr unkonzentriert. Befremdliche Gedanken in meinem Kopf. Alyce war die Art von Frau, die von Männern geheiratet wird. Und einem Mann konnte Schlimmeres passieren. Aber ein Mann wie ich, dreiunddreißig Jahre alt, der nie verheiratet war, und nie heiraten wird. Im Leben jedes Mannes gibt es eine Zeit, in der das möglich ist. Aber wenn sie vorüber ist, ist der Zug abgefahren. Was mich schmerzte, war die Vorstellung, vielleicht etwas verpasst zu haben. Als ich den Wagen parkte, kam mir der Gedanke, dass ich Alyce vor zehn Jahren wahrscheinlich geheiratet hätte. Sie war perfekt: einfach gestrickt, loyal und freundlich. Der Typ, um den man sich keine Sorgen machen muss, der nimmt, was er kriegt, und nichts erwartet. Schade, dass ich sie nicht früher kennen gelernt hatte. Zu schade. Zu schade für mich und zu schade für Alyce.

Ich machte mir ein Avocado-Gurken-Sandwich und kochte eine Kanne Kaffee. Während der Kaffee durchlief, tauschte ich meinen Anzug gegen Pyjama und Hausmantel. Es war noch früh. Ich dachte über mein Projekt nach. Es war lange her, seit ich etwas geschrieben hatte. Ich nahm mir einen Stapel Papier, entfernte die Abdeckhaube von der tragbaren Schreibmaschine und spannte einen Bogen ein. James Joyces Ulysses und Stuart Gilberts Study standen Seite an Seite in meinem Bücherregal. Ich brachte die Bücher zum Schreibtisch und begann zu arbeiten.

Ulysses erfüllt immer seinen Zweck. Ich arbeitete eine Stunde daran, veraltete Ausdrücke aus dem Text zu nehmen und sie durch heute gebräuchliche zu ersetzen. Nachdem ich die Worte eines Absatzes verändert hatte, schrieb ich gewöhnlich den Absatz in einfacher Sprache neu. Das tat ich schon seit Jahren als eine Form der Entspannung und hatte einen ansehnlichen Stapel Manuskripte beisammen. Eines Tages wollte ich ein Buch schreiben über das System, mit dem ich arbeitete, und meine übertragenen Texte würde ich als Anhang verwenden. Es war eine Idee, die sich bestimmt glänzend auszahlen und außerdem ein großartiges Buch einer einfachen Leserschaft näher bringen konnte. Die Zeit drängte nicht. Es war mehr ein Hobby, und wenn ich mit Ulysses fertig war, konnte ich dasselbe mit Finnegan?s Wake machen.

Aber nach einer Stunde hatte ich genug. Ich war unruhig, hatte keine Lust mehr zu arbeiten. Mir war weder nach lesen noch nach einem Drink. Das Radio konnte meine Aufmerksamkeit nicht fesseln. Nach einer langweiligen Nachrichtensendung schaltete ich ab.

Ich versuchte, in einem Sessel zu entspannen, und dachte über Wege nach, Salvatore loszuwerden. Der alte Bastard. Ein syphilitischer Bastard wie er heiratet ein unschuldiges Mädchen wie Alyce. Ich sprang vom Sessel hoch.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags.