Mord und Ratschlag

Literat und Leser

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
18.10.2010. Silvina Ocampos und Adolfo Bioy Casares' Krimi "Hass der Liebenden" dekliniert die verschiedensten Arten des Giftmords durch. Guillermo Orsi liefert mt "Im Morgengrauen" einen aktuellen Politthriller, der wirr genug ist, dass man seinen Staatsstreich selbst planen muss.
Giftmorde sind aus der Mode gekommen, wer zeitgemäß töten will, der schießt, würgt, foltert, stößt die Klippen hinunter, injiziert unbekannte Viren oder saugt Blut. Gift gehört heute ins Kriminaltheater, wo alte Damen ihre Pralinen oder Holunderweine mit Arsen, Strychnin oder Zyankali versetzen. Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares aber haben in ihrem 1946 erstmals veröffentlichten Buch "Hass der Liebenden" noch die Gifte in so vielen verschiedenen Dosierungen verteilt, dass allein diese virtuose Handhabung die Neuauflage dieses Klassikers der argentinischen Kriminalliteratur vollauf rechtfertigt.

Der Erzähler dieser Geschichte ist Arzt, Schriftsteller und Übersetzer des "Satyricon", ein Mann von tadellosen Manieren und erlesenem Geschmack, der sich der nobelsten Eigenschaften so sicher ist, wie es ein Mann seines Standes und seiner Erziehung nur sein kann. Und er würde nach eigenen Worten immer die Vortäuschung der Ordnung der Ordnung selbst vorziehen, wenn sich dadurch Unschicklichkeiten vermeiden lassen. Über seine Größe und Würde wird einst die Literaturgeschichte urteilen. Sein Name ist Humberto Hubermann, er ist arsensüchtig, und auch wenn er sich mangels Menschenkenntnis und Urteilsfähigkeit als ausgesprochen unzuverlässiger Erzähler erweisen wird, folgt man ihm freudig durch seine fantastische Erzählung.

Die Geschichte führt in die argentinische Ödnis, eine unwirtliche Gegend an der Atlantikküste, deren Hotels eher von den Sanddünen und Meereswinden bedroht sind, als dass sie Sommerfrische verheißen. Hier kommt Humberto Hubermann unter, trifft auf eine ebenso kultivierte wie affektierte Gruppe der besseren Gesellschaft und verliebt sich vom Fleck weg in die Übersetzerin Mary, die mit Abstand überspannteste Person dieses Kreises. Noch am gleichen Abend wird Mary ermordet, mit Strychnin vergiftet, und die schillernde Gesellschaft aus arsensüchtigen Ärzten, Alkoholikern, Inspektoren und absonderlichen Verwandten macht sich daran, mit allen Mitteln menschlicher Ignoranz und kriminalistischer Ratlosigkeit den Fall aufzuklären. Jeder Hinweis wird zu einer Theorie, jede Theorie zu einer neuen Realität. Und mitunter bekommt jemand eine ungenau kalkulierte Dosis Strychnin ab.

Ocampo und Casares erzählen dies mit einer ganz feinen Ironie, sie spielen geschickt mit der Bedeutung der von ihnen gelegten Spuren und der Labilität ihres Erzählers, dem die Realität so entglitten ist, dass Traum und Fiktion ihm weit vertrauter erscheinen. Als sich Hubermann wieder einmal die Lösung des Falles erspinnt und einen unhaltbaren Verdacht ausspricht, wird er sich dafür mit den Worten verteidigen: "Ich bin ein Literat und Leser und habe, wie es Menschen meines Schlags so oft ergeht, die Realität mit einem Buch verwechselt. Wenn ein Buch uns von einem präparierten Vogel erzählt und später von verschwundenem Schmuck, welches andere Versteck könnte der Autor dann noch wählen, ohne sich lächerlich zu machen?"

"Der Hass der Liebenden", dieser einzige 1946 von Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares gemeinsam geschriebene Roman, ist der mit Abstand intelligenteste und modernste Krimi, der in diesem Jahre aus Argentinien auf den deutsche Markt gekommen ist.

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Guillermo Orsis "Im Morgengrauen" gehört schon deshalb zu den interessanteren der argentinischen Krimis, weil er sich nicht an einer Aufarbeitung der Militärdiktatur verhebt - wie etwa Marcelo Figueras mit seinem lahmen Dan-Brown-Verschnitt "Der Spion der Zeit"). Und da Orsi auch nicht in die Fußstapfen von Jose Luis Borges treten möchte, folgt "Im Morgengrauen" auch keiner surrealen Traumlogik. Das Buch ist einfach ein vielleicht etwas wirrer, aber aktueller Politthriller mit einem Helden, der mit den kapitalistischen Verhältnissen ebenso hadert wie mit seinem Alter. Und wenn dieser Pablo Martelli nicht so schön zynisch und fröhlich frivol wäre, würde man Orsi all seine Verschwörungstheorien bestimmt so übelnehmen wie die geheimnisvolle, Tango tanzenden Guerillera.

"Gläubige wissen, dass es über Gott nichts gibt, und Atheisten, dass über dem Nichts nur Nichts ist, aber wir Argentinier werden niemals herausfinden, wer bei uns wirklich den Schalthebeln der Macht sitzt." Die Frage ist also immer noch: Wer wen? Und um dies zu klären, schickt Orsi den etwas aus der Bahn geworfenen Pablo Martelli im Dezember 2001 in die Pampa und ins Herz der argentinischen Staatskrise. Martelli war einmal Polizist, ein Freund der Frauen und vielleicht ein freundlicher Mensch. Inzwischen hat er seinen Dienst quittiert und verkauft Kloschüsseln. Nun ruft ihn ein alter Freund in Bahia Blanca um Hilfe, doch als Martelli dort ankommt, ist der Freund bereits tot, und es bleibt nur der Trost, dass er in Aktion mit seiner jungen blonden Geliebten und nicht an einer Altherrenkrankheit starb. Kurz darauf wird Martelli die tote Blondine ins Hotelbett gelegt, sein Wagen in die Luft gejagt, und die Tochter des ermordeten Freundes entführt. Aber wie sich bald herausstellt, ist dieses Kaff Bahia Blanca nur ein Nebenschauplatz, das Hauptdrama spielt sich in Buenos Aires ab, wo sich der Staatsbankrott ankündigt, die Regierung alle Bankkonten einfriert, Geschäfte geplündert werden, die bestürmten Banken auf die Menschenmengen schießen lassen, und der Präsident auf der Flucht vor dem aufgebrachten Volk im Hubschrauber seinen Palast verlässt.

Dabei bleiben wir Martelli immer dicht, wenn auch etwas orientierungslos auf den Fersen, wenn er einsam auf der Autobahn zwischen Buenos Aires und Bahia Blanca hin- und herjagt, bis sich ihm das Provinzpolizisten-Duo zur Seite stellt, das sich als eigentlich ganz verträglich, nur ein bisschen überfordert erweist. Auch sein journalistischer Freund ("als Fußballer eine Niete, für die Uni zu wenig Grips ") ist ihm eine treue, aber leider nur mäßige Hilfe. So unterhaltsam dieser machistische Herrenclub ist, so schwer tut er sich doch, die Vorfälle in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen, der Plot wird eher umso wirrer, je mehr sich herauskristallisiert, was für Verschwörungen alles im Untergrund wirken, linke Militärs und rechte Zivilisten, Freimaurerlogen und Biosprit-Erzeuger versuchen das Machtvakuum zu nutzen, und nicht immer weiß man, wessen Staatsstreich nun erfolgreich war und wessen verhindert wurde. Man spinnt sich dazu selbst was zusammen und dass man dazu überhaupt Lust hat, hebt diesen Krimi unter vielen anderen doch heraus.

Silvina Ocampo, Adolfo Bioy Casares: Der Hass der Liebenden. Roman. Aus dem Spanischen von Petra Strien-Bourmer. Manesse Verlag, München 2010, 188 Seiten, 18,95 Euro ()

Guillermo Orsi: Im Morgengrauen. Kriminalroman. Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. dtv, München 2010, 365 Seiten, 8,95 Euro ()