Mord und Ratschlag

Sanfter Irrsinn in Stuttgart

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
21.01.2004. In Bernhard Sinkels Krimi "Bluff" rächt sich ein zur Stasi gepresster IM an seinen Peinigern. Heinrich Steinfest erzählt in "Ein sturer Hund" von der Jagd nach einer außer Kontrolle geratenen Serienmörderin. Vom Fach ist keiner der beiden Autoren. Aber das macht ja nichts - wenigstens in einem Fall.
Grundsätzlich ist ja Vorsicht geboten, wenn Leute, die nicht vom Fach sind, anfangen Krimis zu schreiben. Der Verdacht liegt dann nah, dass dabei das Genre für fremde Zwecke und besser per Post oder Sachbuch verschickte Botschaften in Dienst genommen werden soll - und darob in seinen Anforderungen grob unterschätzt wird. Gute Krimis, das zeigt sich rasch, schreiben sich nicht mit links - und der Weg zum internationalen Niveau, mit dem am regelmäßigsten die metro-Reihe des Unionsverlags den deutschsprachigen Markt immer wieder konfrontiert, ist weit. So ist der wohl erfolgreichste deutsche Krimiautor Jacques Berndorf (mehr) - dahinter steckt der einstige Spiegel-Redakteur Michael Preute - zwar ein Profi, aber mehr als ganz ordentlich geschriebene Gebrauchstexte mit Politanspruch sind seine Eifel-Krimis gewiss nicht. Von Horst Ehmke zu schweigen, der sich von der Politik auf den Thriller verlegt hat, ohne bei der Literatur angekommen zu sein. Und das immerhin mit dem letztjährigen Krimi-Preis (3. Platz) ausgezeichnete Duo Göran Hachmeister und Richard Birkefeld benützt, nicht ohne Verdienst und Geschick, aber auch nicht ganz ohne Missbrauchsabsichten, in "Wer übrig bleibt, hat recht" das Genre als Vehikel für Geschichtsdarstellung.

In diese Reihe umgeschulter Krimiautoren hat sich nun auch der bisher als Filmregisseur - etwa von "Lina Braake" (1975) und "Der Kinoerzähler" (1993) - hervorgetretene Bernhard Sinkel gestellt. "Bluff", sein erster Roman, ist, das verkündet schon der Titel, ein Thriller. Auf dem Titelbild: das Monument Valley. Sinkel wagt sich in die Höhle des Löwen, ins Herzland des Genres, in die USA. Allerdings, muss man gleich hinzufügen, mit einer urdeutschen Geschichte. Einer urostdeutschen, genauer gesagt. Es geht um eine Liste von kommunistischen Agenten in den USA und politischen Kindsmissbrauch, Liebe und Verrat. Dies alles personalisiert und zugespitzt zu einer Rachegeschichte zwischen dem gepressten "IM" Raoul Levokovitz, der als Gedächtniskünstler der Stasi zu Diensten sein musste, und seinem väterlichen und gewissenlosen Führungsoffizier Kasunke. Eine schöne Frau spielt auch eine Rolle, das ist ja klar. Falsch: Zwei sind es, schön portioniert, eine in der Vergangenheit, eine in der Gegenwart. Letztere sind die späten 90er Jahre, erzählt wird von einem langgezogenen Showdown in den USA - der in Bluff, Arizona endet - und zwischenrein schiebt Sinkel, häppchenweise, die Vorgeschichte. Oder, ganz kurz gesagt: "Ein Mann rechnet ab. Die Jagd nach seinem Peiniger führt ihn von den Ufern des Webellinsees bis in die Weiten Arizonas". (Klappentext)

Sinkel also hat einen Stoff, der, wie man so sagt, auf der Straße liegt und motzt ihn ohne rechte Notwendigkeit auf mit Thriller-Versatzstücken, die wohl auch so rumlagen. Vielleicht hat er kein Geld zusammenbekommen, einen Film daraus zu machen. Streckenweise liest sich das wie ein Drehbuch, genauso unsinnlich jedenfalls und der auf Dauer enervierende Wechsel vom Erzähl-Präteritum ins Präsens und zurück bestärkt diesen Verdacht nur. Den Erzählfluss zerstört sich Sinkel durchs Hin und Her zwischen Gegenwart und Vergangenheit selbst, aber auch sonst ist er alles andere als ein großer Autor. Er schreckt vor keinem Sprachklischee zurück und seine Figuren bleiben von der ersten bis zur letzten Zeile Papier. Ja, es kommt einem ein ums andere Mal vor, als würden Pappkameraden vor dem Blue Screen durch die Gegend geschoben und danach wird ohne wirklichen Zusammenhang amerikanische Breitleinwandlandschaft dazugesampelt. Dabei ist "Bluff" alles andere als ein lieblos heruntergerissenes Stück Möchtegernthriller. Das Problem ist vielmehr, dass so offenkundig das Gegenteil der Fall ist: Sinkel hat recherchiert und fraglos recht lange am Reißbrett gesessen, an dem er seine Geschichte zusammengebaut hat. Leider nur ist dem Roman genau diese Mühe anzumerken und auch der Mangel an Inspiration. Schade drum.

Nun aber zu einem ganz anderen Fall: Heinrich Steinfest. Auch er kommt von einer anderen Kunst, der bildenden nämlich, aber hier ist's egal, weil er nämlich schreibt, als hätte er nie etwas anderes getan. Sein neuestes Werk "Ein sturer Hund" wird seit Monaten landauf, landab gelobt und gepriesen, aber es hilft nichts, aufs Kritikerfeuer der Begeisterung muss weiter Kohle geschaufelt werden, vielleicht fangen dann endlich auch die Massen an, Steinfest zu lesen und zu kaufen und zu preisen. Wenigstens hat er jetzt, mit dem sechsten Roman, endlich den Verlag gewechselt, von Bastei-Lübbe zu Piper, das passte nicht recht zusammen zuvor, oder nur, wenn man ganz schräg von der Seite geguckt hat. (Kurios ist freilich, das nebenbei, dass das Lektorat bei Piper offenbar viel schlampiger arbeitet als das des vermeintlichen Schund-Verlags - da finden sich grammatikalische und sonstige Peinlichkeiten zuhauf.) Jedenfalls, kurz gesagt: Wenn es unter den deutschsprachigen Autoren des Genres einer verdient hat, der Gegenwartsliteratur ohne alle Abstriche zugerechnet zu werden, dann Heinrich Steinfest, und zwar noch vor Wolf Haas, Österreicher wie Steinfest und auch sonst nicht ganz unverwandt. Mit dem Genre machen sich beide, das verbindet sie, einen Spaß, und zwar ganz im Ernst. Sie schreiben keine Parodien, vielmehr schubsen sie die Konventionen und drehen an den Knöpfen der kriminalliterarischen Gebräuche, bis das, was herauskommt, aussieht wie ein Krimi und auch wieder nicht. Sie setzen dem Genre, könnte man sagen, den Kopf verkehrt herum auf, aber so, dass man bald ihrem sanften Irrsinn verfällt und glaubt, das gehört so. Und genau das tut es dann ja auch.

Natürlich gehört es sich, dass der ermittelnde Detektiv - der einarmige Cheng, dessen Beziehungen zu China weniger eng sind als der Name anzudeuten scheint - erst nach gut hundert Seiten aus dem Hintergrund hervorspaziert kommt, während zuvor ein erfolgloser Autor einen sauber abgetrennten Kopf in ein Aquarium plumpsen sieht und manch andere Ungereimtheit mehr erlebt. Natürlich gehört es sich, dass nicht die Ermittlung und die sich immer wüster gebärdende Geschichte um eine außer Kontrolle geratene Serienmörderin im Zentrum des Romans stehen, sondern genau das, was einem Kriminalschriftsteller, der alle Tassen im Schrank hat, keinen Halbsatz wert wäre. Träume etwa, die mit dem Fortgang der Handlung nichts zu tun, Ereignisse, die mit dem Zusammenhang des Ganzen nichts zu schaffen haben.

Steinfests ganze Liebe gilt nämlich der genauesten Beobachtung des Nebensächlichen. Nur dass der Abschweifung, in der er zu Hause ist, der Plot immer wieder dazwischen kommt wie das Klingeln eines Weckers den schönsten Träumen. Steinfest schmiegt dabei seine zwar ausgefallen, aber immer präzise passenden Sprachbilder an eine Welt, die eben darum, des Schmiegens, des Ausgefallenen und des Passens wegen, eine ganz eigene Welt ist. Eine aus der Sprache, die hier tut, was sie mag, hervorgezauberte Welt, in der es, der ganzen Träumerei zum Trotz, auch wieder handfest und blutig zugehen kann. Daneben aber finden sich Verwunderungen, nicht selten Geziertheiten, die ein wenig an Max Goldt gemahnen, und Bilder, wie sie sonst nur Peter Glaser findet und erfindet (wobei, das sei zugegeben, an Glaser reicht Steinfest dann doch nicht heran. Aber wer tut das schon?). Das Tolle also neben dem Schönen und mittendrin, das sei nicht vergessen: Lauscher, der trägste Hund der Welt. Das ganze spielt übrigens in Stuttgart, dessen Fernsehturm in unvergesslicher Weise geschildert wird. Und ein herrliches Nachwort gibt es auch, das so beginnt: "Um etwaigen Missverständnissen zuvorzukommen, muss gesagt werden, dass sämtliche Personen und Handlungen der Wirklichkeit entsprechen." Oh, und den deutschen Krimipreis (3. Platz) hat Steinfest auch gerade gewonnen.

Also, wer jetzt nicht losgeht und kauft und liest und preist, dem ist ja wirklich nicht mehr zu helfen.


Bernhard Sinkel: "Bluff". Roman. Dtv, München 2003. 277 Seiten, Taschenbuch, 14,50 Euro ()

Heinrich Steinfest: "Ein sturer Hund". Roman. Piper Verlag, München 2003. 313 Seiten, Taschenbuch, 8,90 Euro ()