Mord und Ratschlag

Talentiert, aber unreif

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
09.12.2019. In seinem Roman "Federball" lässt John Le Carré die Freunde Europas und der Sozialdemokratie zum großen Match gegen Oligarchen und Brexit-Betreiber antreten. In Sara Schulmans "Trüb" kämpft sich die trockene Expolizistin Maggie in zwölf Schritten durch ihren persönlichen Nebel und die umkämpften Communities von New York.
Cover: FederballBadminton ist ein wunderbarer, sehr eleganter Sport. Man kann ihn einzeln spielen oder im Doppel. Er ist nicht so elitär wie Tennis und nicht so rabiat wie Squash. Worauf es beim Badminton ankommt, erklärt John Le Carré, sind "List, Geduld und Tempo".

Die Partie, die Le Carré in seinem neuen Roman "Federball" ausfechten lässt, beginnt im Athleticus Club von Battersea, der gesellschaftliche Frieden bleibt in diesem Vorort von London nur gewahrt, weil heikle Diskussionen gemieden werden: "Der Brexit muss draußen bleiben", prangt in großen Lettern über der Bar des Sportclubs. Hier residiert Nat, 47 Jahre alt und verheiratet mit einer engagierten Rechtsanwältin, als Vereinsvorsitzender und ungeschlagener Badminton-Meister. Seine berufliche Karriere liegt bereits hinter ihm. Der britische Geheimdienst hat keine Verwendung mehr für einen Mann mit seinen Erfahrungen und seinem Weltbild aus dem 20. Jahrhundert.

Einst war Nat wie geschaffen für eine Karriere im Dienste Ihrer Majestät: Sein Vater war Major der Schottischen Garde, seine Mutter kam aus einer weißrussischen Adelsfamilie, er selbst wuchs dreisprachig am Nato-Hauptquartier von Fontainebleau auf und arbeitete anschließend fünfundzwanzig Jahre für den Secret Service in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Er brachte dort andere Menschen dazu, ihr Land oder zumindest einige seiner Geheimnisse an die Briten zu verraten, wobei sie immer glauben konnten, sie täten es für den Westen, das globale Gewissen oder zumindest für die anständigste Nation der Welt. Tempi passati. Heute arbeiten in der Russland-Abteilung der Behörde nur noch Computer-Cracks, das Durchschnittsalter liegt bei dreiunddreißig und der Chef ist permanent in Washington. Nat darf die Oase leiten, eine unbedeutende Nebenstelle für den Großraum London.

Verhängnisvoll für seine weitere Laufbahn, aber eine Wohltat für seine Seele wird Nats Begegnung mit zwei jungen Menschen. Im Sportclub lernt er den jungen Ed Shannon kennen, einen etwas schrägen, aber sympathischen Typen. Er bezeichnet Donald Trump nur als "Putins Latrinenputzer" und droht am Brexit schier zugrunde zu gehen: Unerträglich ist für ihn die Abkehr von Europa, die völlige Abhängigkeit von den USA und die Zersetzung der Demokratie auf der ganzen Welt. Den Austritt nennt er die schwerwiegendste Entscheidung des Landes seit 1939, und wenn er wieder "mürrisch, ernsthaft und belehrend" war, dann entschuldigt er sich für seine "deutsche Seele": Er hat einige Jahre in Berlin gelebt.

Die andere Person, die Nats Leben in eine neue Umlaufbahn katapultieren wird, ist die junge Florence, die in seiner Abteilung arbeitet, in den führenden Etagen jedoch wegen ihres Idealismus mit Misstrauen beäugt wird. "Talentiert, aber unreif", heißt es in ihrer Personalakte. Sie hat sich an die unzufriedene Mätresse eines ukrainischen Oligarchen herangearbeitet, der von London aus Verbindungen nach Moskau hält und die prorussischen Kräfte in Kiew unterstützt. Doch ihre Operation "Jericho" wird von der Hierarchie torpediert. Die Gattin des stellvertretenden Abteilungsleiters, Baroness Rachel, ist in Regierungskreisen sehr einflussreich und derzeit "die angesagte Investorin in der City für scheißreiche Ukrainer".

In "Federball" sind die politischen Fronten klar. In diesem Match werden Europa und seine sozialdemokratischen Institutionen verteidigt gegen eine transatlantische Allianz aus Geheimdiensten, reaktionären Politstrategen und Oligarchen. Nicht gerade mit Geduld, aber mit List und Tempo. Der leichte Tonfall und die federnde Eleganz des Romans stehen in einem fantastischen Kontrast zur Härte und Abgründigkeit der Auseinandersetzung.

Le Carré war immer Moralist und Patriot. Einen subversiven Roman wie "Der menschliche Faktor", in dem Graham Greene den Verrat an einem Land verteidigt, um den Menschen die Treue zu halten, hätte Le Carré bis vor fünf Jahren nie und nimmer geschrieben. Auch in "Federball" wird Nat natürlich Patriot bleiben, der den Nationalismus ebenso ablehnt wie die zynische Verachtung jeglichen Zugehörigkeitsgefühls. Aber er wird eher Europa die Treue halten als den von Geld und Macht korrumpierten Institutionen seines Landes. Dass John Le Carré mit 88 Jahren diese Wendung gemacht hat, ist nahezu unglaublich. Und wie freigiebig und zuversichtlich er die Zukunft des Kontinents in die Hände junger Europäer legt, ist bewunderungswürdig.

John Le Carré: Federball. Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Ullstein Verlag, Berlin 2019. 350 Seiten, 24 Euro (Bestellen)

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Cover: TrübSarah Schulman gehört zu jenen Menschen, die dank eines abgebrochenen Studiums einer geregelten Laufbahn entkamen und statt dessen ein abwechslungsreiches Leben führten. Schulman ist eine der umtriebigsten Aktivistinnen des superlinken New Yorks. Sie schrieb schon in den achtziger Jahre Romane, Krimis und Theaterstücke, war Aktivistin von Act Up, Gründerin eines schwul-lesbischen Filmfestivals in New York und Unterstützerin der extrem israelkritischen Jewish Voices for Peace. Ihr Buch "Conflict is not Abuse. Overstating Harm, Community Responsibility und the Duty of Repair" möchte man allerdings sofort lesen.

Vom ersten Satz an weiß man, dass "Trüb" nicht nur Kriminalroman ist, sondern auch Barometer des linken Debattenstands: "Alle waren komplett verwirrt, denn der Präsident war ein Irrer." Überhaupt nicht mehr zurecht findet sich Maggie Terry. Sie hat achtzehn Monate Entzug hinter sich, die sie von ihrem bisherigen Leben trennen. Maggie war Polizistin beim NYPD, aber unaufhaltsam auf der abschüssigen Bahn, ständig zugedröhnt und eigentlich komplett unzurechnungsfähig. Sie wurde gefeuert. Auch ihre Lebensgefährtin will nichts mehr von ihr wissen, das Kind, das sie gemeinsam großziehen wollten, darf sie nicht sehen.

Es wäre falsch zu schreiben, dass Maggie eine zweite Chance bekommt. Solch ein spießiges Konzept läge Sarah Schulman fern, vielmehr gibt es Leute aus der Community, die zu Maggie halten. Ein alter Freund Mike Fitzgerald, dessen eigene Überlebensstrategie - wie bei einem Rheinländer - "in blinder Heiterkeit" bestand, lässt sie für seine Anwaltskanzlei als Privatermittlerin arbeiten. Ihr Fall ist denkbar unspektakulär: Eine bekannte Schauspielerin will den Mord an einer jungen Schauspielerin ihres Ensembles aufklären lassen, bei dem die Polizei nicht weiterkommt. Als Broadwaygröße steht sie kurz davor, mit Disney einen Vertrag für ein Musical abzuschließen,  sie darf sich keinen Skandal leisten, wenn sie die Indianerprinzessin spielen will. Maggie und ihr alerter Kollege Craig müssen eigentlich nur dem Ex auf den Zahn fühlen, von dem die junge Jamie Wagner gestalkt wurde.

Maggie gehört nicht zu denjenigen, die sich smart durch Metropole New York bewegen. Sie besitzt nicht einmal ein Handy. Eigentlich hat sie schon Mühe, sich überhaupt auf den Beinen zu halten. Ihre Instinkte sind so gestört wie ihr Hirn und ihr Gefühlshaushalt. Dreimal am Tag schleppt sie sich zu den Anonymen Alkoholikern, in den Keller einer Kirchengemeinde, ins Untergeschoss eines Kindergartens. Immer schön in zwölf Schritten durch den Nebel. Möglichst im großen Bogen um die Dealer oder die Bars von früher und auf keinen Fall Richtung Frances, die mit ihrer neuen Freundin und der kleinen Alina in Brooklyn am Ende des Q-Train lebt.

"Trüb" ist ein echter Aktivistinnen-Roman, der mitten hinein ins Debattengetümmel der Stadt und ihrer Communities führt, wild und ungestüm, aber deutlich kunstvoller gestaltet als das Gros in diesem Genre. Es gibt tolle Dialoge, wunderbare Beobachtungen zur Verspießung der Mittelschicht und bei allem Witz auch beachtliche polizeiliche Erkenntnisse: "Mord ist was für Menschen, die nicht bremsen können. Das wissen alle Kripoleute. Also sucht man nach der Person, deren Verstand rast."

Etwas anstrengend ist Schulmans Hang zum Psychologisieren: Keine ihrer Figuren entkommt der Ausdeutung oder dem Durchblick der Erzählerin, die zwischen Sozialarbeiter-Sprech und Pädagogen-Jargon schwankend die Menschen immer wieder auf ihre Mickrigkeit runterbricht. Klar, dass Maggie ihrem Kind am liebsten das Buch "Alle müssen kacken" vorlas. Darunter leiden die vielen klugen Einsichten zu Polizei-Kultur, angstbesetztem Rassismus, Suchterfahrungen und Selbstviktimisierung von Menschen in Machtpositionen: Wer einen Schwarzen umbringt, darf sich bedroht fühlen. Wer sich weigert, mit seinem Ex zu reden, darf sich gestalkt fühlen.

Am spannendsten sind jedoch die Passagen, in denen Schulman vom Leben in New York erzählt, von der Hitze und dem Müll, den gutmütigen und knallharten Menschen, die die Stadt hervorbringt, von der Luxusverödung des Greenwich Village, vom Leben in Jared Kushners Immobilienimperium oder dem Schrecken, dem sich die Einwanderer aus Jamaika oder Bangladesch ausgesetzt fühlen, seit Trump regiert. Schön, New York wieder als echte Stadt mit verschiedenen Milieus und all ihren kommunalen Konflikten zu erleben und nicht nur als Ikone, die als bildlicher Hintergrund einer global anschlussfähigen Weltmarktliteratur dient.

Sarah Schulman: Trüb. Roman. Aus dem Amerikanischen von Else Laudan. Ariadne, Hamburg 2019, 263 Seiten, 20 Euro
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