Santiago Amigorena

Kein Ort ist fern genug

Roman
Cover: Kein Ort ist fern genug
Aufbau Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783351038311
Gebunden, 184 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Nicola Denis. Santiago Amigorena erzählt die Geschichte seines Großvaters: In den Zwanzigern flüchtet Vicente Rosenberg aus Warschau nach Buenos Aires. Dort verliebt er sich in Rosita, gründet mit ihr eine Familie und betreibt ein Möbelgeschäft. Fernab von dem, was in Europa geschieht. Doch mit jedem neuen Brief seiner Mutter aus dem Warschauer Ghetto wachsen Schuld und Ohnmacht. Bis Vicente verstummt und ins innere Exil geht. Rosita aber kämpft weiter - um ihre Liebe, um ihre Familie, um eine Zukunft.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 11.12.2020

Rezensent Roman Bucheli entdeckt in Santiago H. Amigorenas Roman das Dokument einer Befreiung. Indem der Autor seinem angesichts der Kriegsgräuel und der Deportation ins Schweigen verfallenen polnischen Großvater seine Stimme gibt, errichtet er ihm ein Denkmal, meint Bucheli. Dass der Text "nicht romanhaft" ist, wie Bucheli feststellt, obgleich das meiste darin erfunden ist, scheint dem Rezensenten bemerkenswert. Und wenn Amigorena ausdrücklich nicht das Warschauer Ghetto oder die Deportation seiner Großmutter thematisiert, sondern eher nüchtern das Geschehen in Polen schildert, so bleibt das Grauen für Bucheli doch spürbar, aufgehoben im Gesicht des Großvaters.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.10.2020

Santiago Amigorenas Roman zieht den Rezensenten Joseph Hanimann in seinen Bann. Der in Paris lebende argentinische Autor erzählt hier von seinem Großvater, der vor dem Zweiten Weltkrieg von Warschau nach Buenos Aires auswanderte und ab 1940 angesichts der Nachrichten aus seiner Heimat in Verzweiflung und Schweigen versinkt. Der Rezensent lobt, dass Amigorena nicht die literarisch vielfach dargestellten historischen Umstände ins Zentrum stellt, sondern sich ganz auf die Innenperspektive Vicentes konzentriert. Allerdings fehlt ihm dabei eine filternde "klare Erzählinstanz", die auch zwischen Innensicht und Weltgeschehen vermittelt. Dennoch lobt er das "feinsinnige und kluge" Buch, dessen nie bedeutungsschweren Tonfall die Übersetzerin Nicola Denis gelungen ins Deutsche übertragen habe.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.10.2020

Seit zwanzig Jahren schreibt der französische Autor Santiago Amigorena an einem Zyklus autobiografischer Romane, und der nun auf Deutsch vorliegende erzählt sozusagen die Vorgeschichte, weiß Rezensent Wolfgang Schneider. Er liest hier die "imaginierte" Geschichte von Amigorenas Großvater, der als polnischer Jude Ende der Zwanziger nach Argentinien emigrierte, im lebendigen Buenos Aires mit Frau und drei Kindern als Möbelverkäufer arbeitet, sich mit Tango, Roulette und Pferderennen vergnügt - und zugleich darunter leidet, nicht zu wissen, wie es seiner zurückgelassenen Mutter und den engsten Angehörigen im Warschauer Getto geht, resümiert der Kritiker. Schneider hat durchaus Probleme damit, dass der Autor seinem Erzähler Gedanken über Identität in den Mund legt, die eher nach 2019 klingen. Auch, dass Amigorena ähnlich wie Olivier Guez oder Eric Vuillard immer wieder Reportageelemente und historische Exkurse einflicht, stört den Rezensenten ein wenig. Angesichts der "leisen Eindringlichkeit" und der unbekannten Perspektive, die der Roman auf die Shoah wirft, kann der Kritiker allerdings darüber hinwegsehen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.10.2020

"Kein Ort ist fern genug" lautet der Titel von Santiago Amigorenas Roman über einen Juden, der in den vierziger Jahren in Buenos Aires lebt und dort feststellen muss, dass wirklich "kein Ort fern genug ist", um ihn von seiner Herkunft und seinem Jüdischsein zu trennen. Rezensentin Cornelia Geißler scheint durchaus berührt von dieser Geschichte über Vicente Rosenberg - Amigorenas eigenen Großvater. Sicher können wir uns jedoch nicht sein, was Geißler von diesem Buch hält, da sich ihre Rezension lediglich auf eine Kurzanalyse und Zusammenfassung der Handlung beschränkt. Zentrales Thema ist das Schweigen angesichts der unbenennbaren Gräueltaten, von denen Vicente nur aus den Nachrichten und den Briefen seiner polnischen Mutter erfährt. Je mehr er weiß, desto größer werden seine Schuldgefühle ob der Untätigkeit und des angenehmen Lebens, das er in Argentinien führt. Amigorena erzählt diese Geschichte in wechselnden Stilen - mal leichtfüßig, fast "märchenhaft", mal eher essayistisch, so die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 03.09.2020

Auch wenn die Verhältnisse im Argentinien der 1940er Jahre im Buch eher marginal bleiben, scheint Rezensent Dirk Fuhrig von Santiago Amigorenas Roman begeistert. Über die Verwüstungen, die die Verfolgung jüdischer Angehöriger in den Seelen der Exilierten in Buenos Aires anrichtete, und über Scham und Schuldgefühle schreibt der Autor laut Fuhrig mit psychologischer Finesse, direkt und drastisch. Dass dem Text mitunter die literarische Distanz abgeht, erklärt sich Fuhrig damit, dass die Hauptfigur im Roman der aus Polen stammende Großvater des Autors ist.