Efeu - Die Kulturrundschau

Sinnlich-intellektuelle Gegenwartserschließung

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17.09.2022. Die Zeitungen feiern mit Florentina Holzingers nackten Nixen an der Volksbühne eine extrem infektiöse, schamlose Party und beerdigen faulige Männerfantasien. Der Tagesspiegel fragt im Gropius Bau: Kann Kunst heilen? Die Documenta heilte jedenfalls nicht, sondern begünstigte Wut und Hass, hält Nicole Deitelhoff in der Welt fest. Artechock wünscht sich mehr Filmbesprechungen und weniger Skandalinflation. Die taz tastet sich in Triest an die Mode der Zukunft heran. Und der Tagesanzeiger fragt: Wurde Virginie Despentes' neuer Roman "Cher Connard" nicht für den Prix Goncourt nominiert, weil er Sexismus im Literaturbetrieb thematisiert?
9punkt - Die Debattenrundschau vom 17.09.2022 finden Sie hier

Bühne

Szene aus "Ophelia's got Talent. Bild: Nicole Marianna Wytyczak

"Beglückend schamlos", jubelt Nachtkritikerin Gabi Hift, nachdem sie Florentina Holzingers neuste Inszenierung "Ophelia's got Talent" an der Berliner Volksbühne gesehen hat. "Feminismus als Kampfkunst" erlebt Hift, wenn Holzinger Schwertschluckerinnen, Nixen und Nackte "Männerfantasien als verfaultes Material mit Sonden und Schläuchen aus ihrem Inneren herausziehen" lässt. Irgendwann öffnet sich eine "gigantische Wasserwelt: ein riesiger Pool mit vier Bahnen, dahinter ein mehrere Meter breites Aquarium, rundherum Kameras, die alle Arten von Luft und Unterwasseraufnahmen ermöglichen und das Universum der Wasserballettfilme von Esther Williams aus den 40er Jahren aufrufen. Zuerst wird alles erkundet, was an Mythen und Fantasien auf dem Wasser stattfindet: Piraten, Matrosen, Geisterschiffe. Aber die Frauen in der Show sind keine von Seemännern an Ufern Verlassenen: Sie sind selbst die Matrosinnen, tragen Matrosenhemden, untenrum nackt, sehnen sich nach der großen Freiheit, lassen sich den Wind der Weltenmeere um die Vulva wehen. Florentina Holzinger ist eine begnadete Choreographin."

"Mehr geht nicht", denkt Ulrich Seidler (Berliner Zeitung) in jeder Sekunde - und dann landet plötzlich ein Hubschrauber auf der Bühne, die kurz darauf auch schon brennt: "Die kleinwüchsige Performerin Saioa Alvarez Ruiz wird aus dem Cockpit gehoben, sie hatte an diesem Abend schon so einiges zu leisten: bekommt live einen kleinen Anker auf den Hintern tätowiert, reißt sich als Klempner bei einem Striptease mit Pümpel und Spirale - Gerätschaften, mit denen man verstopfte Abflüsse reinigt - den Blaumann vom Leib. Nun trägt sie einen runden Babybauch, der ihr, weil ihr Unterleib sich in einen Fischschwanz verwandelt, aufgeschnitten werden muss - die Kamera ist bei solchen Gelegenheiten stets nah dran. Im Nabelschnur- und Darmgekröse findet sich ein funktionstüchtiges Feuerzeug, mit dem die Bühne in Brand gesetzt wird."

Dabei "stand vor der Uraufführung auch Misstrauen im Raum", weiß eine dennoch vom "Spektakel" überwältigte Kathrin Bettina Müller in der taz: "Gegenüber Holzingers Lust an der Verschwendung und am technischen Aufwand, die quer steht zur neuen Suche nach ressourcenschonender Produktion, auch in den Künsten. Gegenüber den visuellen Oberflächenreizen und Schockeffekten, die sie nutzt. Gegenüber einem Feminismus, der immer auch etwas Plakatives hat." "Mal sehen, ob der Volksbühnen-Tanker damit auf Kurs kommt", meint Dorion Weickmann in der SZ nach einem kulturgeschichtlichen Tauchgang, vorbei an Shakespeare, Schiller, Schubert und Fassbinder. "Die Volksbühne unter René Pollesch dürfte ihren ersten Hit haben", ist sich Bert Rebhandl im Standard indes bereits sicher. Eine "gigantische Party", die "im besten Sinne komplett bei sich und deshalb extrem infektiös ist", erlebt Christine Wahl im Tagesspiegel.

"Ich finde nicht, dass es eine kollektive Hilfsbereitschaft gibt. Die gab es nicht gegenüber den Syrern oder Afghanen, die gab es nicht gegenüber allen Einwanderern aus Afrika", sagt der Regisseur Luk Perceval, der aktuell Lion Feuchtwangers "Exil" am Berliner Ensemble inszeniert im FAS-Gespräch mit Thomas David: "Jetzt schmücken wir uns mit Flüchtlingen aus der Ukraine, weil sie aus einem Land stammen, das für den Westen eine wirtschaftliche Pufferzone ist, und wir daraus Profit ziehen. Ich bezweifle auch, dass die ganzen Flüchtlinge noch willkommen sein werden, wenn die Energiekosten so sehr steigen, dass es für jeden von uns schwierig wird zu überleben. Ich glaube immer noch an den Egoismus."

Außerdem: In der SZ porträtiert Till Briegleb das australische Back to Back Theatre, in dem Menschen mit Behinderung spielen und das den diesjährigen Ibsen-Preis in Oslo erhalten wird. Die Berliner Zeitung meldet, dass laut Hausmitteilung durch Intendant René Pollesch die Volksbühne erneut besetzt werden soll: "Die Leitung nehme diese Hinweise ernst und habe die Kulturverwaltung und die Polizei verständigt".

Besprochen werden das Stück "Werewolves by the sea" von Thermoboy FK am TD Berlin (nachtkritik), Christopher Rüpings Inszenierung "Border" nach dem Film von Ali Abbasi am Schauspielhaus Zürich (nachtkritik), die Inszenierung "Der Phönix aus der Währung" von Bonn Park und Ben Roessler am Theater Basel (nachtkritik), Mark St. Germains Stück "Die Tanzstunde" am Fritz Remond Theater in Frankfurt (FR), Rainer Ewerriens Inszenierung "Der nackte Albatros" im Frankfurter Stallburg-Theater (FR) und ein Parcours für Musik, Rhythmus und Bewegung, inszeniert von Sasha Waltz in der Innenstadt von Marl (FAZ).
Archiv: Bühne

Literatur

Das literarische Frankreich diskutiert darüber, warum Virginie Despentes' neuer Roman "Cher Connard" nicht für den Prix Goncourt nominiert wurde. Der Roman spießt MeToo-Dynamiken offenbar ziemlich satirisch, aber vor allem ziemlich unangenehm auf. "Wollte man sich nicht die Finger verbrennen an einem Buch, das sich mit dem Sexismus im Literatur- und Theaterbetrieb auseinandersetzt? Das zudem gegen allzu simple #MeToo-Muster löckt", fragt sich Alexandra Kedves im Tagesanzeiger. "Der Präsident der Académie Goncourt sah sich jedenfalls zur Reaktion gezwungen und erklärte, dass Despentes elfter Roman nicht aus ästhetischen, sondern aus ethischen Gründen nicht zur Debatte stehe: Von 2016 bis 2020 war die feministische Autorin selbst Mitglied der Goncourt-Jury."

Weiteres: Im SZ-Gespräch erinnert sich die Schriftstellerin Bernardine Evaristo daran, wie sie 2019 als erste schwarze Frau den Booker Prize gewann. In der NZZ erinnert Jurko Prochasko an den Schriftsteller Leopold Sacher-Masoch, der vor allem wegen der zweiten Hälfte seines Doppelnamens in die Literaturgeschichte eingegangen ist, da nach ihm der Masochismus benannt wurde. Nadine A. Brügger erzählt in der NZZ die Erfolgsgeschichte von J.K. Rowlings "Harry Potter"-Serie.

Die SZ dokumentiert die Laudatio des Schriftstellers Michael Maar auf seinen Kollegen Jonathan Franzen, der mit dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet wurde. In der SZ-Reihe über schlimme Lesungen erinnert sich der Schriftsteller Uwe Twimm daran, wie er in den Siebzigern immer wieder mit dem Verfasser gleichen Namens einer anarchistischen Broschüre verwechselt wurde. Ausgehen von Adenauer-Passagen in neuen Büchern von Henry Kissinger und Uwe Tellkamp fragt sich der Literaturwissenschaftler Helmuth Kiesel im Literarischen Leben der FAZ: "Warum zögert man, zu sagen, dass Adenauer der größte deutsche Staatsmann der letzten zweihundert Jahre war?"

Besprochen werden unter anderem Grete Weils "Der Weg zur Grenze" (NZZ), Wojciech Rogacins Biografie über Wolodimir Selenski (taz), Jan Faktors "Trottel" (taz), Charles Lewinskys "Sein Sohn" (Presse), Einar Turkowski "Die Geheimnisse von Pinewood Hill" (Tsp) und die Neuausgabe von Velimir Chlebnikovs Werkausgabe (FAZ).
Archiv: Literatur

Kunst

Bild: Kader Attia, On Silence, 2021. Prothesen, variable Maße. Courtesy: der Künstler, Galerie Nagel Draxler und Lehmann Maupin, beauftragt von Mathaf: Arab Museum of Modern Art, Doha, Foto: Markus Elbaus

Die Frage, ob Kunst heilen kann, wird für Elka Linda Buchholz im Tagesspiegel in der Ausstellung "Care, Repair, Heal", die im Martin Gropius Bau durch einen Themen-Parcours von Feminismus bis Postkolonialismus einlädt, zwar nicht beantwortet. Aber die Schau zeigt Wege auf und macht Leid sichtbar, so Buchholz: "Durch Rätselhaftigkeit … fasziniert Yhonnie Scarces düstere Arbeit 'Missile Park'. In drei Wellblechschuppen reiht sie Dutzende schwarzglänzender Glasobjekte auf Tischen. Die mundgeblasenen Volumen erinnern an reife Früchte - oder Bomben. Sie verweisen auf ein dunkles Kapitel der australischen Geschichte: Britische Atomtests der 1950er und 1960er Jahre verursachten Strahlenvergiftung, Vertreibung und Traumata für Generationen Einheimischer, die Familie der Künstlerin, inbegriffen. Kann es Heilung von so etwas überhaupt geben?"

Die Documenta heilte jedenfalls nicht: Der Diskurs ist endgültig gescheitert, bilanziert Julian Dörr im Tagesspiegel+. Nicht zuletzt, weil Ruangrupa die Welt in "Gut und Böse" aufteilt, meint ihm gegenüber Meron Mendel: "Ein weiteres Beispiel dafür, wie auf der Documenta Konversationen beendet wurden, bevor sie beginnen konnten, findet sich in der äußersten Ecke im ersten Stock des Fridericianums. Auf einem Holztisch liegt das Material der Archives des luttes des femmes en Algérie. Viele Besucher streifen um diesen Tisch, ab und zu blättert jemand in den Schriftstücken. Darunter eine Karikatur, auf der ein israelischer Soldat zu sehen ist, der ein Kind bedroht. Nachdem diese Darstellung zu Beginn der Documenta in die Kritik geraten war, ergänzten die Künstler:innen das Material auf dem Tisch um einen mehrseitigen Brief. Die Kurzzusammenfassung: Wer hier Antisemitismus sieht, hat etwas falsch verstanden. 'Im Grunde genommen ist das ein Missbrauch des Begriffs der Kontextualisierung', sagt Meron Mendel. 'Das Problem sind nur die Zuschauer, die zu blöd sind und die Kunst nicht verstehen.'"

In den "Tokyo Reels" ist von "Konzentrationslagern in Israel" und vom "Genozid an den Palästinensern" die Rede, zudem werde Gewalt und Terror gegen Israel verherrlicht, was zu einer Stimmung von "Wut und Hass" führen könne, sagt die Politologin Nicole Deitelhoff, Leiterin des einberufenen Expertengremiums im Welt-Gespräch, in dem sie auch nochmal die "problematische kuratorische Struktur der Documenta" kritisiert, "die eine Gesamtverantwortung für die Schau vermissen lässt und Kontrolle an immer weitere Kollektive delegiert hat. Im Ergebnis führt das dazu, dass nahezu alle Werke, und es sind viele, die sich mit dem Nahost-Konflikt beschäftigen, eine israelkritische bis dezidiert israelfeindliche Haltung zum Ausdruck bringen, während Präsentationen zum Holocaust oder zu Terror gegen Israelis und Juden komplett fehlen. In einem solchen Setting gedeiht letztlich eine antizionistische, israelfeindliche und auch antisemitische Stimmung, die wir auf der Documenta beobachten."

Laut Dietmar Pieper bei Spon hat die Documenta 15 noch ein Problem: Sie reproduziere das koloniale Konzept der Völkerschau, meint er: "Damals wie heute bei der Documenta war Authentizität ein hoher Wert. Und auch damals schon handelte es sich um einen professionellen Betrieb. (...) Aus heutiger Sicht sind Menschenzoos abscheulich, weil die Menschen dort zur Ressource gemacht wurden, um die Schaulust und die Wissbegierde der Besucher zu befriedigen. Aber ist das Konzept der Documenta so viel anders und besser? Bei den deutschen Verantwortlichen handelt es sich um arrivierte Intellektuelle, die sich dafür entschieden haben, auf eine ganz besondere Ressource zuzugreifen: den unverfälschten Rohstoff der Kreativität des globalen Südens. Auch das ist eine Form der Ausbeutung."

Außerdem: Die Berliner Zeitung stellt die Highlights der Berlin Art Week zusammen. Besprochen werden die Ausstellung "Idole und Rivalen" über den Wettstreit der Künste im Wiener KHM (Standard), Erik Schmidts Ausstellung "Retreat" im Kunstraum Potsdam (Tagesspiegel), die 16. Lyon Biennale mit dem Titel "A Manifesto of Fragility" (FAS) und die Ausstellung "Mix & Match. Die Sammlung neu entdecken" zum 20. Geburtstag der Pinakothek der Moderne in München (FAZ).
Archiv: Kunst

Film

Auf Artechock beklagt Rüdiger Suchsland, dass immer weniger Filmkritiker tatsächlich Filme besprechen, sondern lieber "der allgemeinen Neigung nachgehen, überall Skandale zu finden und Filme, besser noch ihre Macher zu skandalisieren. Diese Skandalinflation führt vor allem dazu, dass man sich für die tatsächlichen Skandale nicht mehr interessiert. ... Wie fehlgeleitet und verquer unsere augenblicklichen Diskurse sind, beweist gerade wieder die sogenannte 'Affäre' um den österreichischen Filmregisseur Ulrich Seidl: Diffuse Vorwürfe, die falls sie überhaupt zutreffen, größtenteils nicht strafrechtlich relevant sind, die außerdem komplett unbewiesen sind und aus diffusen Quellen und von zweifelhaften Autoren stammen, genügen, um einen Filmemacher öffentlich fertigzumachen."

Nachdem das Filmfestival Toronto Seidls Film "Sparta" ausgeladen hatte, freut sich José Luis Rebordinos, Leiter des Filmfestivals San Sebastian umso mehr auf die Premiere am kommenden Sonntag, melden die Agenturen: "Es ist ein herausragender, sehr eleganter Film und alles, was den Betrachter verstören oder schockieren könnte, ist im Off." Die österreichische Filmszene gleiche einem "Hofstaat", kommentiert derweil Valerie Dirk im Standard. Gerüchte gebe es allenthalben, aber niemand werde konkret: "Vielleicht halten sich manche, die um ihre Arbeit fürchten müssen, mit belastenden Aussagen zurück."

Außerdem: In der SZ würdigt der Schriftsteller Durs Grünbein Jean-Luc Godard als "klügsten Filmhistoriker unserer in Bildern ertrinkenden Epoche", für Ulf Poschardt morgen in der WamS war Godard "der letzte linke Künstler und Intellektuelle, der Avantgarde war und zugleich Kunst- beziehungsweise Denkhandwerker". Artechock sammelt zahlreiche Stimmen zum Tod Godars (mehr dazu hier und dort). Dunja Bialas liefert auf Artechock Einblicke ins Programm des Randfilm-Festivals in Kassel. Rüdiger Suchsland sichtet für Artechock Filme über die Queen. Axel Timo Purr schreibt auf Artechock einen Nachruf auf den Schweizer Filmemacher Alain Tanner. In der FAZ gratuliert Claudius Seidl dem Filmhistoriker Ulrich Gregor zum 90. Geburtstag.

Besprochen werden Annika Pinskes Debütfilm "Alle reden übers Wetter" (Standard, Tsp, Artechock), Olivier Assayas' HBO-Serie "Irma Vep" (FAZ), Brett Morgans Dokumentarfilm "Moonage Daydream" über David Bowie (Artechock, mehr dazu bereits hier), Werner Herzogs Memoiren (Jungle World), Lav Diaz' "When the Waves Are Gone" (Artechock), Louis-Julien Petits "Die Küchenbrigade" (Artechock), Till Schweigers "Lieber Kurt" (Artechock), die Liebeskomödie "Ticket ins Paradies" mit Julia Roberts und George Clooney (FAZ, NZZ) und Edgar Reitz' Memoiren "Filmzeit, Lebenszeit - Erinnerungen" (SZ).
Archiv: Film

Design

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Beim Modenachwuchswettbewerb in Triest lässt sich die Zukunft der Mode erahnen - und dies auch noch unter den prüfenden Augen der großen Namen der Gegenwart, freut sich tazlerin Tania Martini, die die betont legere und egalitäre Atmosphäre des Events sichtlich genießt. Die präsentierten Entwürfe und Kollektionen waren "sensationell. Erstklassig gearbeitete Entwürfe, deren Storytelling durch berauschende bis verstörende Videokunst unterstützt wurde. Jede Kollektion eine eindrucksvoll sinnlich-intellektuelle Gegenwartserschließung. Ein ästhetisches Heranantasten an Fragen wie: Was erzählen Plisséfalten über das Nichtsagbare in autoritären Staaten, wie kann Begehren das Binäre durchkreuzen oder wie verändert Covid das Öffentliche und das Private, und kann Mode Familie repräsentieren?" Ausgezeichnet wurde Charlie Constantinou, der für seine Kollektion "bei den Inuit recherchierte. Herausgekommen ist eine sportswear-orientierte, brutalistisch wirkende Funktionskleidung aus Ressourcen der Innuit wie dem Darm einer Robbe. Hier kommen Materialien zum Einsatz, die seit Hunderten von Jahren genutzt werden, doch die dehnbaren Entwürfe mit Strickaccessoires, bauschigen Westen, vielen Schnürsenkeln und Reißverschlüssen sehen nach Zukunft aus. Nach einer katastrophischen Zukunft."
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Stichwörter: Mode, Videokunst, Instagram

Musik

Immer mehr Musikerinnen tummeln sich auf den Spitzenpositionen der Charts. Hinter den Kulissen sieht es allerdings anders aus, entnimmt Kristoffer Cornils von ZeitOnline der Studie "Gender in Music", die am kommenden Montag präsentiert wird: Was Komposition und Text betrifft, sind Männer weiterhin weitgehend unter sich - auch auf den Festivalbühnen sind hauptsächlich Männer zu sehen. Studienleiterin Anna Groß plädiert für eine Quotenregelung: "Jenseits aller Fragen nach Gerechtigkeit sieht Groß auch einen nachweislichen wirtschaftlichen Nutzen in der Einführung von Quoten. ...  'Schon unsere letzte Studie in Kooperation mit Keychange hatte ergeben, dass jüngere Konsument*innen beim Musikkonsum auf die Geschlechterverteilung achten', sagt sie. 'Wer zukünftig erfolgreich sein möchte, sollte sich dem Thema widmen.' Ansonsten drohe sich mit dem Lauf der Zeit die Kundschaft abzuwenden. Dass die Beteiligung von Frauen tatsächlich auch in kommerzieller Hinsicht von Vorteil sein kann, darauf deutet ein weiteres Ergebnis der Studie Gender in Music hin. 'Bei Stücken, die länger als ein halbes Jahr in den Wochencharts vertreten waren, ist die Frauenbeteiligung gemeinhin größer als im Durchschnitt', sagt Groß."

Der Hamburger Musiker und Schriftsteller Rocko Schamoni plaudert in der taz über sein neues Album "All Ein", zu dem ihm unter anderem die französische und italienische Filmmusik der Sechziger und Siebziger inspiriert hat. Auch zu hören gibt es eine Hörspielcollage, in der Romy Schneider die Ehefrau von Peter Hahne geworden ist. "Alles, was sie in Frankreich gemacht hat, finde ich gut", schwärmt Schamoni. "'Trio Infernal' halte ich für ein anarchistisches Meisterwerk. Und Michel Piccoli, mit dem sie sechs Filme gedreht hat, für den besten Darsteller aller Zeiten. Nur einen Tag dabei zu sein, wie Romy Schneider gearbeitet hat - dafür würde ich viel geben."



In der taz kommt Julian Weber auf einen (allerdings bald vier Monate alten) Text von Klaus Walter in der FR zu sprechen, den es bei manchen ukrainischen Popbands in ihrem Engagment gegen Russland eher ungut schüttelt. Wichtiger ist die Solidarität, mahnt Weber Walter: "Anscheinend verhagelt ihm das ästhetische Durcheinander das anglo-amerikanisch geprägte Identitätspolitik-Popbiotop." Walter "sieht auf beiden Seiten nur toxische Männlichkeit. Überlebenswille und ein durchaus westlich inspirierter Erfindungsgeist der ukrainischen Zivilgesellschaft werden so nivelliert."

Außerdem: Jan Brachmann resümiert in der FAZ das Kammermusikfestival Jerusalem. Besprochen werden ein Konzert der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko beim Musikfest Berlin (Tsp), das Konzert des Collegiums Vocale Gent beim Musikfest Berlin (Tsp, hier eine Aufzeichnung), das Album "Born Pink" der K-Pop-Band Blackpink (SZ) und Rina Sawayamas Album "Hold the Girl", auf dem sich zum Vergnügen von ZeitOnline-Kritikerin Juliane Liebert das Tor zu einer "ohrwurmenden Hyperschlagerhölle" auftut. Wir hören rein:

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