Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.08.2001.

FAZ, 29.08.2001

Die FAZ bietet heute auf zwei Seiten einen Kalender mit Veranstaltungen im September an: Ausstellungen, Theaterpremieren, Tagungen. Gerhard Stadelmaier stimmt schon mal auf die Theatersaison ein: "In der letzten Saison würfelte die Generation Schmock der leeren Dreißigjährigen, die mangels sonstiger Inhalte sich und ihre Plattensammlungen selbst zum Inhalt machten, um die schon etwas arg verschlissenen Popklamotten des Individuums. Sie teilten diese privat unter sich auf und kamen sich ziemlich ausgeschlafen vor. In der neuen Saison treffen in Andreas Jungwirths Komödie 'Die Schlaflosen' (Uraufführung in Konstanz) lauter Dreißigjährige, die nun überhaupt nicht mehr schlafen können, unaufhörlich auf andere schlaflose Dreißigjährige. So stellt man sich die Hölle vor."

Auf der selben Seite hält Stadelmaier in der Debatte um Thomas Hürlimanns "Fräulein Stark" den "Gesinnungsprüfern" vor, dass Hürlimann bisher eigentlich "durch die Bank eine einwandfreie Gesinnung gezeigt hat".

Verena Lueken schreibt aus New York über den neuen Woody-Allen-Film "The Curse of the Jade Scorpion", der in den 40-er Jahren spielt: "... hätte Woody Allen sich und C. W. Briggs einen Funken Selbstironie in der Hassliebesgeschichte mit der über zwanzig Jahre jüngeren Effizienzberaterin gestattet, verließe man das Kino wahrscheinlich nicht mit dem peinlichen Gefühl, in dieser wunderschönen untergegangenen Welt auch einen Narzissten beim Selbstbetrug beobachtet zu haben."

Joseph Croitoru versucht, den Motiven islamischer Selbstmordattentäter auf die Spur zu kommen. Angetrieben werden sie unter anderem durch das Versprechen auf "zahlreiche wunderschöne, Licht ausstrahlende Paradiesjungfrauen, die den Auserwählten als Gattinnen das ewige Leben in einem im Diesseits unbekannten Maße versüßen. 'Wann immer ihr Gatte sich ihnen naht', so eine der Überlieferungen, 'findet er sie jungfräulich vor.'" Das stellen wir uns eigentlich eher anstrengend vor.

Der Bundestag wird heute beschließen, ob deutsche Soldaten in Mazedonien mithelfen sollen, albanische Waffen einzusammeln. Michael Jeismann ist weder dafür noch dagegen, wünscht sich aber, dass "das wirkliche Interesse" an der Sammelaktion benannt wird: "Die Befriedung Mazedoniens, des Balkans insgesamt ist die Voraussetzung dafür, dass Europa in ein anderes Stadium seiner Politik eintritt und jene Souveränität zurückgewinnt, die es im Staatenkrieg untereinander einst verlor."

Weitere Artikel: Breb. schreibt zum Tod der Schauspielerin Jane Greer. Hansjörg Küster beklagt die Verschandelung Mitteleuropas durch "Agenda-Dörfer". Gerhard R. Koch berichtet, dass in Italien darüber gestritten wird, welche Verdi-Arie die italienische Fußballmannschaft beflügeln soll. Dietmar Polaczek beschreibt Antonio Tabucchis ? vermutlich vergeblichen ? Versuch, den italienischen Staatspräsidenten Ciampi zur Begnadigung Adriano Sofris zu bewegen. Dieter Bartetzko stellt Peter Kulkas "grandiosen" Bau für die Abtei Königsmünster vor. Andreas Kilb kündigt die Filmfestspiele in Venedig an. Oliver Jungen hat einer Diskussion mit Lothar de Maiziere über den Einigungsprozess in Bonn zugehört. Tobias Döring berichtet über einen Streit um das Heilbronner Kleist-Archiv. Siegfried Stadler kritisiert den Hessischen Rundfunk, der mit gestellten Bildern die sächsische Kleinstadt Wurzen als "Neo-Nazi-Nest" denunziert. Und Martin Flashar berichtet über die Eröffnung des neuen Römermuseums Quintana in Künzing.

Besprochen werden eine Ausstellung über tschechischen Kubismus im Salzburger Rupertinum und eine Ausstellung über die Rolle von Künstlerinnen in Boston, die im Museum of Fine Arts gezeigt wird.

Auf der Stilseite beschreibt Enno Stahl eine Performance-Reise durch die baltischen Staaten.

NZZ, 29.08.2001

Johann Reidemeister schwärmt von einem Glashaus, dass der Architekt und Ingenieur Werner Sobek für seine Familie gebaut hat. Es steht "in einer Bergfalte in Stuttgart-Degerloch" und ist ? ästhetisch gesehen ? eine Reminiszenz an Mies van der Rohes 1946 entworfenes Farnsworth-Haus bei Chicago. Die Glashäuser van der Rohes und seiner Zeitgenossen hatten allerdings schwere Mängel, erklärt Reidemeister, weil "die damals neuen Werkstoffe wie grossflächige Glastafeln, Stahlprofile und anodiertes Aluminium nicht hielten, was sie versprachen." Hier aber liege die Leistung Werner Sobeks, der die Technik "revolutioniert" habe. "Das Haus wurde komplett aus vorgefertigten Teilen hergestellt. Die Bauzeit ist rekordverdächtig: In nur vier Tagen stand das Stahlgerüst, nicht mehr als zehn Wochen waren nötig, um das Haus komplett zu installieren. Mit einer Präzision wurde hier geplant und gebaut, die Toleranzen von nur fünf Millimetern über die vier Geschosse ergeben hat - Werte, die eher im Maschinen- als beim Rohbau üblich sind."

Weitere Artikel: Pia Horlacher stellt die Filme in Venedig vor und erläutert die neuesten Schachzüge von Biennale-Präsident Paolo Baratta, Venedig neben Cannes und Locarno konkurrenzfähig zu halten. Besprochen werden eine Ausstellung über Ida Bohattas Bilderbuchwelt im Berner Kornhausforum und viele Bücher, darunter Ota Filips autobiografischen Roman "Der siebente Lebenslauf" (siehe auch unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 29.08.2001

Wie erkennt man, ob einem menschliche oder künstliche Intelligenz gegenübersitzt? Mark Benecke und Klaus Fehling berichten über Versuche zu der immens wichtigen Frage "Wenn eine Maschine denken kann, wie können wir feststellen, dass sie es tut?", die Alan Turing schon 1950 in seinem Artikel "Computing Machinery and Intelligence" stellte. Moralische und religiöse Einwände ? etwa, dass eines Tages intelligente Maschinen die Menschen beherrschen könnten ? hatte Turing damals abgewendet mit der Behauptung "Da diese Einwände rein emotional sind, brauchen sie eigentlich nicht widerlegt zu werden." Bleibt die Frage, wie intelligent ein Mann ? und seine Maschine ? sein kann, der so abschätzig über Emotionen spricht?

Ulrich Baer berichtet über einen unangenehmen Artikel, der von drei Yale-Doktoranden pünktlich zum 300-jährigen Jubiläum der Yale University veröffentlicht wurde. Gegeißelt wird darin, "wie sehr Yale vom Geld einstiger Sklavenhalter und ?händler abhängig war". Selbst heute noch tragen von zwölf Colleges, in denen die Studenten wohnen, acht die Namen einstiger Sklavenhalter. Zur gleichen Zeit bereitet der Harvard-Professor Charles Ogletree "für das kommende Frühjahr eine umfassende Rechtsklage gegen alle amerikanischen Staaten und Firmen vor, die von Sklavenhandel und Sklaverei profitierten."

Weitere Artikel: Fritz Göttler stimmt auf das Filmfestival in Venedig ein. Eröffnet wird es mit "Dust" von Milcho Manchevski. Weiter gibt es Filme von Andre Techine, Philippe Garrel, Joao Botelho, Ken Loach, Richard Linklater, Walter Salles, Larry Clark, Eric Rohmer, Woody Allen, Steven Spielberg und Josee Dayan - mit Jeanne Moreau als Marguerite Duras. Insgesamt sind die Herren also eine Kleinigkeit jünger als in Cannes, aber immer noch unter sich. In der Reihe "Das war die BRD" schreibt Arno Makowsky über den VW Käfer. Hermann Unterstöger mokiert sich über Anzeigen der Deutschen Bank und Redewendungen in der Boulevardpresse. Alexander Menden stellt Yo-Yo Mas "Silk Road Project" vor. Arno Orzessek berichtet über das Schöpfungs-Symposium bei den Luzerner Festspielen. Volker Breidecker schreibt über den 21. Erlanger Poetenwalzer. Und Claus Koch weiß ganz genau, was der Bundeskanzler auf der deutschen Agenda stehen haben muss ? von der Wirtschaftspolitik, über die Biotechnologie bis zur Europapolitik ? um "Herr dieses Wahlkampfs zu sein".

Besprochen werden CDs mit Alter Musik, aufgenommen vom Chor "Cantus Cölln" unter Leitung von Konrad Junghänel, eine CD mit Rene Jacobs' Version von Glucks "Orfeo", Sinopolis letzte Aufnahme der "Ariadne auf Naxos", eine Ausstellung mit den Schätzen der Omayaden in der Residenzstadt Madinat al-Zahra bei Cordoba, der "Triumph" für Nonos "Prometeo" beim Festival in Luzern, Michael Jacksons "triumphale Rückkehr aus dem Exil" (Houellebecq feiert in ihn in seinem neuen Roman " Plateforme" als "le premier cyborg", berichtet Holger Liebs. Hier gibts "You rock my world" zum Hören: absolut perfekte Schunkelmusik. Einfach auf News klicken.) und Ingomar von Kieseritzkys Familienroman "Da kann man nichts machen" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FR, 29.08.2001

Die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk spricht im Interview über ihren neuen Roman "Taghaus, Nachthaus" über die deutsche Vergangenheit Polens: "Ich glaube, dass das Verhältnis meiner Generation zur deutschen Vergangenheit unserer Geburtsorte - von Niederschlesien oder Danzig beispielsweise - sehr kompliziert ist. Am stärksten ist das Bedürfnis nach lokaler Identität, nach Zugehörigkeit und Verwurzelung. Der Mensch braucht doch ein kollektives, nicht bloß ein individuelles Identitätsgefühl . Man hat ein Recht auf eine Vergangenheit, egal ob sie deutsch oder polnisch ist. Man hat das Recht zu sagen: 'Ich stamme aus Wroclaw (Breslau).' Die Generation meiner Eltern, die als Kinder oder junge Menschen in die Westgebiete kamen, pflegte zu sagen: 'Ich wohne in Wroclaw, komme aber aus Lublin.'"

Martina Meister schreibt über das neue Online-Spiel "Majestic": "Das ist das Novum an 'Majestic': Es soll die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit auflösen. Der Spieler wird zur Schachfigur, die auf dem Brett hin und her geschoben wird. Mit dem kleinen Unterschied nur, dass dieses Brett die Wirklichkeit ist oder sein soll. Das Prinzip kennen wir aus David Finchers Film 'The Game' mit Michael Douglas, der in der Rolle des anfangs noch gelangweilten Millionärs Nicholas van Orten zeigte, dass der Einsatz in solchen Fällen das Leben selbst sein kann."

Weitere Artikel: Daniel Kothenschulte behauptet, dass deutsche Kurzfilme, unbemerkt von der offiziellen Filmpolitik, zum schönsten gehören, was Venedig zu bieten hat. Ole Frahm gratuliert der deutschen Micky Maus zum 50sten. Ursula März fragt am Beispiel des neuen Berliner Tatort-Kommissars Felix Stark: Was macht eigentlich die Männlichkeit? Birgit Loff schildert eine erste Begehung des Jüdischen Museums in Berlin bevor es Anfang September eröffnet wird. Schließlich wird gemeldet, dass der Berliner Senat endlich dem Vertrag mit Simon Rattle zugestimmt hat. Hurrahh!!

Besprechungen widmen sich einer Ausstellung von Anna Gaskell im Kölnischen Kunstverein, einem Jazzfestival in Saalfelden und einem "kosmopolitischen Meisterwerk des deutschen Kinos", Achim von Borries "England!".

TAZ, 29.08.2001

Auch Katja Nicodemus ist in Venedig angekommen: "Einen Tag vor der Eröffnung der Filmbiennale wirkt der Ganzjahreskurort derart sediert, dass man sich sehr gut vorstellen kann, im Hotel des Bains einen der schicken weißen Liegestühle zu mieten und wie Gustav von Aschenbach langsam aus der Welt zu dämmern." Sie bleibt dann aber doch lieber wach und stellt die Neuerungen des Festivals vor.

Weitere Artikel: Helmut Höge hat sich in einer Kneipe mit arbeitslosen Fuhrunternehmern unterhalten. Besprochen werden zwei Bücher: Michel Houellebecqs "Plateforme" und Nick Hornbys "How To Be Good".

Schließlich Tom.