Helmut Lethen

Der Sommer des Großinquisitors

Über die Faszination des Bösen
Cover: Der Sommer des Großinquisitors
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783737101622
Gebunden, 240 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Helmut Lethen stößt auf eine Gestalt, die ihn in den Bann zieht: den Großinquisitor, der in der gleichnamigen Legende Dostojewskis den auf die Erde zurückgekehrten Jesus zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Diese realpolitische Verkörperung des Bösen wird zum Ausgangspunkt und Begleiter, wenn Lethen den Bogen schlägt von den Schwarzen Messen des Fin de Siècle über den Kult des Bösen in den historischen Avantgarden und die französischen "Salonnihilisten" bis in unsere Gegenwart. Denn siehe da: Der Großinquisitor geistert durch die Schriften der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts, als Denkfigur der Realpolitik bei Max Weber, als regelrechtes Idol bei Carl Schmitt und bei Helmuth Plessner. Noch in Arthur Koestlers Renegaten-Roman "Sonnenfinsternis" tritt eine Art Inquisition auf, und mit ihr das Grauen der Verfolgung politischer Gegner in der Sowjetunion. Wo immer der Großinquisitor auftaucht, wird in Lethens bestechenden Lektüren nicht nur das kalte, moralbefreite Denken erfahrbar, sondern auch die dahinterstehenden historischen Verwerfungen und Brüche.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.12.2022

Helmut Lethen konnte nicht ahnen, wie aktuell sein neues Buch scheinen würde, das in der Corona-Pandemie entstand und sich mit einer Episode aus Dostojewskis "Die Brüder Karamasow" beschäftigt, leitet der Politikwissenschaftler Claus Leggewie seine Rezension ein. Das ist auch als Entschuldigung zu lesen, denn für den Rezensenten hat die Wirklichkeit des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die Thesen des Kulturwissenschaftlers überholt. Trotzdem liest Leggewie interessiert, wie Lethen das von Dostojewski fantasierte Treffen des Teufels mit Jesus als Pole der Herrschaftsstruktur bis ins 20. Jahrhundert beschreibt und welche klugen Köpfe sich sonst noch mit dem Motiv des Großinquisitors in dem Roman auseinandergesetzt haben. Leider hat Lethen unerwähnt gelassen, schreibt Leggewie, dass Dostojewski als Publizist eine zerstörerische Politik Russlands und dessen Aversion gegen den Westen unterstützte - was angesichts von Wladimir Putins Propaganda erschrecken lässt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.11.2022

Fasziniert berichtet Rezensent Adam Soboczynski von der Lektüre dieses neuen großen Lethen-Essays über Dostojewskis "Großinquisitor", den er als assoziationsreich, aber intellektuell überaus gewinnbringend schildert. Lethen beschäftigt sich nach seinem Bericht intensiv mit der Rezeption dieses dunklen und gewaltigen Dreißigseitentextes, in dem der Großinquisitor den wiedergekehrten Jesus zum Scheiterhaufen verurteilt und dieser ihn auf den Mund küsst. Der Großinquisitor steht dabei einerseits für eine Ethik der Kälte, die Lethen seit je beschäftigt und die von den zwanziger Jahren in die Nazizeit führte, und andererseits wird er auch als satanische Kraft begriffen, die besonders in okkultistischen Bewegungen VerehrerInnen hatte, lesen wir. Soboczynski bewundert, wie Lethen dabei immer wieder den Hallraum aktueller Debatten betritt, ohne je aufdringlich Parallelen zur Gegenwart zu ziehen. Auch der persönliche Hintergrund des 83-jährigen Lethen, der mit der 47-jährigen Rechtsextremistin Caroline Sommerfeld-Lethen verheiratet ist, spielt in diesem Buch eine Rolle, so der Rezensent. Er spricht etwas unklar von einer "häuslichen Distanzierung" des einstigen Maoisten vom Freund-Feind-Denken Carl Schmitts.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2022

Rezensentin Sonja Asal empfiehlt Helmut Lethens Erkundung des Nachlebens von Dostojewskis Parabel vom Großinquisitor. Lethens Distanz zu anderen Texten und Autoren sorgt laut Asal dafür, dass das Buch nicht fatalistisch wird und die Faszination der ideologischen Kämpfe des 20. Jahrhunderts vermitteln kann. Von den ersten Übersetzungen des Textes im Jahr 1881 über Georg Lukacs und Helmuth Plessners Beschäftigungen mit dem Stoff bis zu Carl Schmitt reicht Lethens Gang, erklärt Asal, und endet in einem gelassenen Ton bei Dostojewskis Roman "Der Idiot".
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.10.2022

Rezensent Johan Schloemann läuft es beim Lesen von Hemut Lethens Essay kalt den Rücken runter. Auch wenn der Kulturwissenschaftler nichts explizit macht, weiß Schloemann, dass es hier um Russland und die Neue Rechte in Deutschland geht, der Lethens Frau angehört. In den "Brüdern Karamasow" erzählt Dostojewski die Legende von einem Großinquisitor, der sogar Jesus auf den Scheiterhaufen gebracht hätte, weil dieser "schwächliche Rebell" die Ordnung gestört hätte, die die Kirche auf "Wunder, Geheimnis und Autorität" gegründet habe. Lethen liest die Legende als Blaupause zur Rechtfertigung der Skrupellosigkeit, derzufolge nur die Negation der Moral zum Erfolg führt und die nur zu bereitwillig von etlichen Intellektuellen in Russland und Deutschland aufgegriffen wurde. Schloemann versteht und schaudert.
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