Helmut Lethen

Der Sound der Väter

Gottfried Benn und seine Zeit
Cover: Der Sound der Väter
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2006
ISBN 9783871345449
Gebunden, 304 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

"Ich bin kein Menschenfeind. Aber wenn Sie mich besuchen wollen, bitte kommen Sie pünktlich und bleiben Sie nicht zu lange." Zeit seines Lebens hat Gottfried Benn sich als unnahbar dargestellt. Seine "Morgue"-Gedichte machten ihn zum Shooting-Star des Expressionismus. Während des Ersten Weltkriegs entwickelte er in der verachteten Etappe einen schulbildenden Stil. Später bekannte sich der Modernist, der politisches Engagement in der Literatur als unkünstlerisch ablehnte, für kurze Zeit zum Staate Hitlers. Nach 1947 schließlich wurde er zum Übervater der Nachkriegsliteratur. Der große Einsame, der, den Zeitläuften entrückt, allein der Dichtung lebt - das ist Benn bis heute für seine Verehrer wie für seine Kritiker geblieben. "Der Sound der Väter" rückt dieses einseitige Bild zurecht. So schmal Benns Werk ist, so vielfältig sind die Bezüge, in denen es steht. Helmut Lethen macht sie sichtbar. Er schildert u.a. das Verhältnis zu Carl Einstein, Paul Hindemith und Ernst Jünger, Benns Beschäftigung mit der Politik, Literatur und Wissenschaft seiner Zeit, seine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt und Alfred Döblin. Dabei wird eine Welt lebendig, die ebenso faszinierend wie befremdlich wirkt - und einen Schlüssel für die Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts liefert.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.07.2006

Recht kurzen Prozess macht Rezensentin Ursula Pia Jauch mit dem andernorts sehr gelobten Benn-Essay des Literaturwissenschaftlers Helmut Lethen. So recht klar ist ihr schon mal nicht, was das eigentlich sein soll. Eine Biografie erklärtermaßen nicht, aber etwas klar auszumachendes Anderes eben auch nicht. Arg selbstverliebt überlasse sich Lethen, den sie als Verfasser der "Verhaltenslehren der Kälte" sehr schätzt, seinen Assoziationen und schweife ohne rechten Zusammenhang von hier nach da. Gelegentlich gebe es schon Interessantes, etwa im Kapitel "Benns Verbrechen". Insgesamt aber werde der Narzissmus des Ganzen durch wirkliche Erkenntnis nicht aufgewogen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 29.06.2006

"Das ist effektgelockter Tinnef", schimpft Rezensent Stephan Speicher über vieles in diesem Buch. Zwar habe es einen "hinreißenden Titel". Trotzdem sei es wohl eher Helmuth Lethen, der einen "Sound" habe, den poststrukturalistisch angehauchter Germanisten nämlich. Hinter dem aufgedonnerten Sprachduktus sieht er oft abgedroschene Thesen zutage treten, die längst "auch in die kleinste Klabusterbeere von Gehirn" passen würden. Die ernst zu nehmenden Gedanken hätten Speichers Ansicht nach für einen Aufsatz völlig ausgereicht. "Aus mutmaßlich jubilarischen Gründen" seien sie jedoch zu einem Buch "aufgepumpt" worden. Seine Thesen sieht Speicher Helmuth Lethem oft mit recht hemmungslos zurecht gestauchten Fakten belegen. Das alles klinge außen zugegebenermaßen kraftvoll, kann man die Haltung des Rezensenten zusammenfassen, sei aber innen hohl.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.05.2006

Hervorragend findet der Rezensent Ijoma Mangold diese Studie des Literaturwissenschaftlers Helmut Lethen, die sich mit Gottfried Benn im Spiegel seiner Zeit befasst. Und - wie es scheint - noch wichtiger: seiner Zeitgenossen und Mitstreiter, vornehmlich dem "furchtbaren Juristen", dem Nazi Carl Schmitt, und dem Autor Ernst Jünger. Einerseits arbeitet Lethen gemeinsame Züge heraus, die auch zunächst zur alles andere als bußfertigen Nachkriegssolidarität der Drei geführt hatten. Kein Zufall aber sei es, so Lethen, dass Benn der erste war, der sich nach Ansicht der anderen dann doch den Forderungen nach Zerknirschung gebeugt habe. Als dem Stolz, der den Widerruf unmöglich beziehungsweise schwierig machte, zugrundeliegendes Syndrom benennt Lethen den wilhelminischen "Satisfaktionstypus", der auf quasi-soldatische Ehrenwahrung setzt, um beinahe jeden Preis. Freilich sei Benn - so Lethens Deutung, der der Rezensent nur zustimmen kann - vom Soldatischen doch immer schon ein Stück weiter entfernt gewesen als Jünger oder Schmitt. Seine Faszination für das Morbide, Schwache und Kranke ist schon früh nicht zu übersehen. So sei es dann doch nicht ganz verwunderlich, dass er sich der Nachkriegszeit weiter öffnete als die Krieger Jünger und Schmitt, die krampfhaft darauf insistierten, die konservative Haltung zu wahren.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.03.2006

Ein gewisses Interesse an deutscher Geschichte vorausgesetzt, kommt Helmut Lethens Buch über Gottfried Benn für jeden in Frage, schließlich handelt es sich um ein Werk für den "general reader", wie Rezensent Michael Rutschky meint. Das Buch ist "von seiner eigenen Spannung getragen", Müdigkeit beim Lesen komme zu keiner Zeit auf. In zwölf Kapiteln handelt Lethen das Leben Benns ab und konzentriert sich dabei sowohl auf "prägnante Episoden" im Leben des Schriftstellers als auch auf dessen "Einzelwerke". So erfährt man einiges über die glückliche Zeit, die Benn während des Ersten Weltkriegs in Brüssel erlebte, die "rauschhaften Stunden", die er in der Berliner Staatsbibliothek verbrachte, seine Wut auf die nach 1945 zurückkehrenden literarischen Emigranten, die Rechenschaft einfordern könnten, und seinen Spätruhm in den fünfziger Jahren. Besonders gelungen findet der Rezensent die Passagen über Benns Verweilen in Berliner Kneipen - "die Fotos zeigen den dicken alten Kater" - dafür aber fehlt ihm "das Sentimentale", das Benn an sich hatte. Diese Seite des Schriftstellers könne man nämlich schon in seinen frühen "Brutalgedichten" ausmachen. Abgesehen von diesem kleinen Makel aber hat Lethen, so meint der Kritiker, ein "richtig schönes und lehrreiches Buch" geschrieben.