Magazinrundschau

Negatives Kapital

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
20.10.2015. In Outlook India erklärt der Autor Kiran Nagarkar, wie das Schweigen von Premier Modi die Gewalttaten radikaler Hindus beflügelt. In Caravan erklärt der karnatische Musiker T.M. Krishna, warum Perfektion nur entsteht, wenn das Unperfekte noch eine Chance hat. Ohne kulturelle Aneignung gibt es keine Kultur, erklärt der Musiker Yo Zushi in The New Statesman. Jürgen Habermas erinnert sich in Eurozine an seine Begegnungen mit Foucault. Das Netz vergisst, ruft besorgt The Atlantic. In Ungarn hofft Victor Orban auf das Scheitern der liberalen politischen Elite der EU, erklärt der Philosoph János Kis in HVG. Der Guardian beobachtet einen Boom der irischen Literatur.

Outlook India (Indien), 26.10.2015

Outlook India hat den Titel seiner neuen Ausgabe den Protesten indischer Schriftsteller gegen den religiösen Hindu-Nationalismus der Modi-Regierung gewidmet, der zuletzt zwei Menschen das Leben gekostet hat. Im Interview beschreibt der Autor Kiran Nagarkar die perfide Strategie der Regierung: "Der Premierminister beherrscht den wundervollen Trick des distanzierten, völlig uninteressierten Schweigens in unangenehmen Situationen. Sein eigener Kulturminister bot eine erstaunliche Erklärung für den brutalen Mord an dem muslimischen Schmied in Dadri, der angeklagt war, Rindfleisch in seinem Kühlschrank aufzubewahren. 'Es war ein Unfall', sagte er. Nach dieser Logik hätte auch Hitler behaupten können, die sechs Millionen Toten im Holocaust seien lediglich ein Unfall gewesen. Die Reaktion des Premiers auf die schändliche Ausflucht seines Ministers war das patentierte 'Sorry, niemand zu Hause'."

Doch mit seinem Schweigen wird Modi auf Dauer nicht durchkommen, glaubt Dilip Bobb. Inzwischen kritisierten den Premier auch viele andere, Juristen, Filmregisseure oder Musiker. "In einem offenen Brief schreibt der karnatische Sänger und Autor T.M. Krishna letzte Woche an Modi: 'Heute sehen viele in diesem Land und anderswo Sie als einen Premierminister im amerikanischen Stil, und Sie scheinen diese Zuschreibung gern zu tragen. Deshalb müssen Sie auch aufstehen wie der amerikanische Präsident, wann immer Gewalt in Verbindung mit Rasse, Ethnie oder Religion ausgeübt wird, egal, wo diese Gewalt stattfindet, wer ihre Opfer sind oder wieviele Menschen sie betrifft. Die Bürger mögen mit Barack Obama nicht übereinstimmen, aber sie hören seine Gedanken. Von Ihnen hören wir nur Allgemeinplätze.'"

Unterdessen lebt Uday Prakash, der Autor, der als erster aus Protest seinen Literaturpreis zurückgegeben hat, in Angst: "'Manche sagen, ich hätte sie inspiriert, auch ihre Preise zurückzugeben. Ich antworte ihnen, wer inspiriert wird immer zum Opfer gemacht', sagt er."
Archiv: Outlook India

Caravan (Indien), 01.10.2015

In einem faszinierenden Porträt der indischen Musikerin und Sängerin M.S. Subbulakshmi (1916-2004) gibt der Sänger und Autor T.M. Krishna Einblick in die karnatische Musik, deren Zentrum im südindischen Chennai liegt. Karnatische Musik, lernen wir, lebt von der Improvisation, die den Sänger immer auch zum Mitkomponisten macht und die seine Persönlichkeit offenbart. Genau aus diesem Grund ist Subbulakshmi unter den Hardcore-Karnaten umstritten: Sie hat ihre Musik nämlich geprobt! "Verehrer von M.S. werden sagen, die Proben hätten das Hörerlebnis nur gesteigert, doch muss ich zugeben, dass die Kritik nicht unbegründet ist. Meiner Ansicht nach haftet dieser Vorstellung von Perfektion ein Makel an. M.S. wollte ein vereintes, fehlerfreies Konzert und erreichte das auch. Ob dies aus ihren Konzerten große Kunst machte, ist eine andere Frage. Die Erfahrung des Lebens ist schließlich nicht das Ergebnis von Korrektheit. Perfektion ist die Suche nach der reinen experimentellen Qualität, die geboren wird, wenn man sich einer Kunst ganz unterwirft. Der Künstler gibt alles und stolpert zufällig in die Perfektion. Gut möglich, dass es während dieses Prozesses Momente des technisch Unperfekten gibt. Doch wenn solche Perfektion erreicht wird, führt sie uns über das Persönliche hinaus ins Abstrakte."

Hier eine Hörprobe. Die Musik klingt für westliche Ohren gar nicht unvertraut:


Archiv: Caravan

Eurozine (Österreich), 19.10.2015

Eurozine übernimmt Michaël Fœssels sehr schönes autobiografisches Gespräch mit Jürgen Habermas aus der katholischen Zeitschrift Esprit. Wie tief der Abgrund zwischen Habermas und Foucault anfangs war, illustriert Habermas an den Filmvorlieben der beiden: "Foucault hat mich 1982 für sechs Wochen ans Collège de France eingeladen. Am ersten Abend sprachen wir über deutsche Filme: Herzog und Syberberg waren seine Lieblingsregisseure, während ich für Kluge und Schlöndorff Partei nahm. Später haben wir uns das Curriculum unserer beiden, jeweils anders verlaufenden philosophischen Lehrjahre erzählt. Er erzählte, wie ihm Claude Lévi-Strauss und der Strukturalismus dazu verholfen hätten, sich von Husserl und 'aus dem Gefängnis des transzendentalen Subjekts' zu befreien. Im Hinblick auf seine Diskurstheorie der Macht habe ich ihn damals schon nach den impliziten Maßstäben gefragt, die seiner Kritik zugrunde liegen. Er sagte nur: 'Warten Sie auf den dritten Band meiner Geschichte der Sexualität.'"
Archiv: Eurozine

HVG (Ungarn), 16.10.2015

Victor Orban behauptet zwar, Ungarns Abschottung gegen die Flüchtlinge sei nur eine EU-konforme Sicherung der Schengengrenze, doch in Wahrheit hofft er darauf, "dass die Flüchtlingskrise die europäischen Anführer tödlich verwundet", erklärt der liberale Philosoph János Kis stellt in einem umfangreichen Essay. "Nicht Merkel und Hollande persönlich, sondern die ganze politische Elite nach dem Zweiten Weltkrieg, die ihn nach dem Abbau der liberalen Demokratie in Ungarn zum Paria stempelte. Nach seiner Prognose sind wir am Ende einer 'geistig-ideologischen Ära', in der Europa von der Idee des Liberalismus geprägt war und von den universellen Menschenrechten. In diesem Umfeld war der 'national-christliche Gedanke' nicht salonfähig."
Archiv: HVG

Slate.fr (Frankreich), 18.10.2015

Fanny Arlandis geht der Frage nach, weshalb historische Schwarzweiß-Fotografien und -Filmaufnahmen nachträglich koloriert werden. Isabelle Clarke, Regisseurin eines Dokumentarfilms über den Ersten Weltkrieg, argumentiert für diese Praxis: "Das Schwarzweiß schafft eine Form der Distanz. Will man Geschichte einem größeren Publikum erzählen, muss man sie lebendig machen. Danach suchen wir: die Wahrheit durch dieses Bilder zu erzählen. Um ihnen neues Leben einzuhauchen und dieses zu vermitteln, sind Ton und Farbe nötig. Wir brauchen sie, um uns unsere Geschichte anzueignen." Der Wissenschaftler Adrien Genoudet weist dagegen auf das damit verbundene Paradox hin: "Farbbilder erlauben es, Dinge schöner, evidenter wiederzugeben, in Wirklichkeit schafft man jedoch eine neue Distanz."
Archiv: Slate.fr

New Statesman (UK), 19.10.2015

"Kulturelle Aneignung" ist die Bête Noire der amerikanischen Linken geworden. Yo Zushi verteidigt sie mit dem Hinweis, dass Kultur von Dynamik und Austausch lebt. Niemandem "gehören", HipHop, Cornrows, Chola Chic oder das Recht, einen Kimono zu tragen. "Gegenüber der Website Jezebel erklärte die Juristin Susan Scadfidi von der Fordham University in New York, dass kulturelle Aneignung bedeutet, 'intellektuelles Eigentum, traditionelles Wissen, Ausdrucksweisen oder Gegenstände aus der Kultur eines anderen ohne Erlaubnis zu gebrauchen'. Eine solche Definition geht offenbar von der Existenz einer Zentralorganisation mit dem Mandat zur Minderheitenvertretung, bei dem man Erlaubnis und Autorisierung einholen kann - ein schwarzes Hauptquartier, ein Asienbüro, ein jüdischer Hauptsitz. Noch irritierender ist, dass sie Kultur und Tradition ins Gehege eines moralischen Besitzstands sperrt, dem Copyright nicht unähnlich, was einer legalistischen Perspektive entspricht, aber dem menschlichen Impuls entgegensteht, zu mögen, was man will, und Neues daraus zu schaffen."
Archiv: New Statesman

The Atlantic (USA), 14.10.2015

Das Netz vergisst nichts - heißt es gern bei jenen, die das World Wide Web gern als gigantische Bibliothek von Alexandria beschreiben. Doch was ist dran an diesem Spruch? Wenig bis nichts, behauptet Adrienne Lafrance, die vergeblich nach einer 2008 für den Pulitzerpreis nominierte, aufwändige Reportage in den Rocky Mountain News über ein Busunglück in den 60er Jahren suchte. Mit dem Ende der Zeitung verschwand auch die Reportage aus dem Netz (erst vor kurzem wurde sie mit viel Aufwand online rekonstruiert). Fakt ist: Schon jetzt sind weite Teile des frühen World Wide Web verloren. "1994 gab es weniger als 3000 Websites. 2014 waren es mehr als eine Milliarde. 'Interessant daran ist, dass es damals leichter war, Websites zu archivieren, weil alles aus schlichten Webseiten bestand', sagt Alexander Rose, Geschäftsführer der Long Now Foundation, einer Organisation, die sich der Entwicklung eines Rahmens für langfristiges Denken in der Größenordnung von 10000 Jahren widmet. 'Wenn man damals etwas abspeicherte, stande die Chancen, es tatsächlich sichten und nutzen zu können, bei weitem höher, als wenn heute eine Firma vom Netz geht, mit tief greifenden Backend-Redaktionssystemen wie Drupal, Ringo und Django und all das Zeug. Die Seiten sind gar keine wirklichen Seiten.' Etwas aus dem Netz zu speichern (...), bedeutet also nicht nur, Websites zu bewahren, sondern auch die Umgebung, in der sie zuerst erschienen sind - dieselbe Umgebung, die oft schon nicht funktioniert, wenn sie aktiv unterhalten wird."

Weiteres: Amanda Ripley erklärt, wie man sich gegen die wachsende Zahl von Drohnen schützen kann. Walter Kirn fragt sich, ob er paranoid ist oder ob seine Gadgets und Apps tatsächlich mehr miteinander über ihn kommunizieren als er sich bewusst ist - und ob heutige Vorstellungen von Privatsphäre angesichts sich stetig füllender Datensilos nicht eigentlich schon ziemlich gestrig sind.
Archiv: The Atlantic

Magyar Narancs (Ungarn), 19.10.2015

Vor kurzem erschien der zweite Gedichtsband des vielgelobten jungen Dichters Péter Závada ("Mész", Kalk, erschienen bei Jelenkor, 2015). Im Interview mit Péter Urfi spricht er über die Bedeutung von Geschichte, den Tod seiner Mutter und über Zukunftsperspektiven: "Mit der abstrakten Geschichte kann ich nicht viel anfangen, nur mit der persönlichen. Beide Diktaturen, die Pfeilkreuzler und die Kommunisten folterten meine Familie, darum begreife ich Geschichte durch vererbte Traumata und überlieferte Ängste. Jahreszahlen sagen mir nichts, aber dass meine Großmutter aus Birkenau nach Hause kam, danach meinen Großvater traf, der in Arbeitslagern war und meine Mutter geboren wurde, die als neo-avantgardistische Künstlerin unter der kommunistischen Regierung litt, das sagt mir etwas. Doch solche Geschichten hat jeder, daran ist nichts Besonderes. (…) Ich weiß nicht, welche Überlebensmöglichkeiten es in diesem Land noch gibt. Ich könnte mich von dem Ganzen distanzieren, aufs Land ziehen, nicht mehr fernsehen oder surfen, nur noch lesen und schreiben. Oder ich gehe weg von hier, doch auch das ist nicht mehr so einfach, denn ganz Europa verändert sich. Oder ich versuche mit dieser Situation etwas anzufangen, doch noch habe ich keine Ahnung, was man tun sollte."
Archiv: Magyar Narancs

Aeon (UK), 16.10.2015

Jahrhundertelang galten leere Hände als Zeichen für Luxus: wer etwas Nützliches in den Händen hielt, arbeitete - meist für andere -, während die Reichen und Mächtigen arbeiten ließen und ihre Hände frei hatten für angenehmere Beschäftigungen, schreibt die Harvard-Historikerin Joyce E. Chaplin. Das änderte sich, als Kameras, Radios, Taschenrechner und andere Geräte immer kleiner wurden. Vorläufiger Endpunkt dieser Entwicklung ist das Smartphone: "Darin geballt sind gleich mehrere geschichtliche Schrumpfstücke: Uhr, Ortungssystem, Kamera, Aufnahmegerät, Bildschirm, Telefon, künstliche Intelligenz, Spielkonsole, alles in einem Gerät, das in die Tasche deiner Jeans passt, jetzt wo du und alle anderen so ziemlich jeden Tag Jeans tragen können. Aber die wirklich interessante historische Entwicklung ist, dass du dein Gerät in der Hand hälst, mit stolz, dass jeder es sehen kann. Anstatt dass die meisten von uns Knechte sind, die zur Arbeit mit den Händen gezwungen werden, halten wir nun die Entsprechung dieser Arbeit in den Händen. Es gibt kein Stigma; wir sind Gleichgestellte."

Außerdem untersucht Jacob Burak, warum so viele große Männer von Rivalitäten angetrieben wurden, beispielsweise John Constable und Edward Turner, Michelangelo und Raphael, Gottfried Leibniz und Isaac Newton, Sigmund Freud und Carl Jung, Thomas Edison und Nikola Tesla oder Bill Gates und Steve Jobs. Und Craig Mod erklärt, warum er nach vier Jahren aufgehört hat, Ebooks zu lesen.
Archiv: Aeon

La vie des idees (Frankreich), 19.10.2015

In Zusammenarbeit mit der Online-Zeitschrift Public Books beginnt die aktuelle Ausgabe von La vie des idées mit einem Dossier zu Rolle und Bedeutung des heutigen Russlands. Den Anfang macht die Sozialwissenschaftlerin Carine Clement, die in Sankt Petersburg lehrt, mit einem Versuch, das Phänomen von Putins Popularität in Russland zu erklären. Sie beschreibt Geschichte und Merkmale des Putinismus als ein System aus Begriffen und Praktiken, die sich aus Patriotismus und politischer Apathie speisten. "Die Unterstützung, die die Mehrheit der Russen Putin einräumen, ist weitgehend mit einer panischen Angst vor Chaos und Destabilisierung verknüpft, wie sie die neunziger Jahre unter der Herrschaft des post-sowjetischen Präsidenten Boris Jelzin verkörpern. Sie werden von der Mehrheit der Bevölkerung als schwarze Jahre wahrgenommen, in denen die Priorität dem Überleben galt, während das Land in Trümmer zerfiel, Fabriken schlossen, keine Gehälter gezahlt wurden und die Inflation rapide zunahm. Gleichzeitig predigten im selben Jahrzehnt Politiker und Intellektuelle den Sieg der Demokratie und der Menschenrechte. Warum nicht darin eine der relevanten Ursachen für die Delegitimierung dieser Werte sehen, der Infragestellung einer ungerechten Demokratie, die das 'Volk' missachtet?"

Guardian (UK), 19.10.2015

Mit Immobilien ist im Moment kein Blumentopf zu gewinnen, da können die Iren auch wieder Bücher schreiben: Justine Jordan beobachtet einen neuen Boom der irischen Literatur, neue Verlage entstehen, junge Autoren trauen sich wieder was. Jordan zitiert den in Berlin lebenden Julian Gough: "'Während des letzten Booms war die irische Literatur unglaublich selbstgefällig; reihenweise erzählten Romane, wie schlimm Irlands Vergangenheit war, mit der ganzen Armut und sexuellen Unterdrückung', sagt Gough. 'Es war Traditionsliteratur, sehr konservativ erzählt. Ganz altmodischer lyrischer Realismus, keine Spur von der experimentellen Wildheit eines Beckett, Joyce oder Flann O'Brian. 'Der unausgesprochene Gedanke dahinter war, dass wir jetzt viel klüger, netter und reicher seien. Das war moralische Masturbation. Der Crash hat uns zurückgeworfen auf Selbstzweifel, Wut und schwarzen Humor, auf negatives Kapital; da ist die irische Literatur mehr zu Hause. Irische Schriftsteller funktionieren besser, wenn alles den Bach runtergeht, egal ob seelisch oder ökonomisch."

Weiteres: Greg Grandin fragt sich, ob Niall Ferguson Henry Kissinger nicht einen Bärendienst erweist, wenn er in seiner Biografie, die Kissingers Schurkenstücke nicht unbedingt leugnet, aber ihnen doch die Größe nimmt. Terry Eagleton bestreitet im Schweinsgalopp 500 Jahre utopisches Denken.
Archiv: Guardian

Novinky.cz (Tschechien), 14.10.2015

Bei einem schwindelerregenden Blick quer durch die Menschheitsgeschichte sieht der Politologe Jiří Pehe nichts als Flüchtlingsbewegungen: Das geht schon in der Bibel los, zieht sich durch die Literatur und findet in der Gegenwart kein Ende: "Grenzen", resümiert Pehe, "so wie die moderne Welt sie als Abgrenzung einer fasslichen Heimat entwickelt hat, werden im 'fluiden' Umfeld der Globalisierung entweder zur Fiktion, da Informationen und Finanzen frei über sie hinwegfließen, oder zu einem logistisch durchaus zu überwindenden Hindernis. Weder das Hinzuziehen der Armee noch Befestigungen können hier helfen. Die einzige Lösung kann lediglich eine neue Art von reflektierter Politik sein, die die Funktionsweise des globalen Marktes korrigiert, der die eklatanten Unterschiede zwischen Norden und Süden sowie regionale und lokale Konflikte generiert. Solange das System des globalen Markts sich weiter der politischen Kontrolle entzieht, werden die unkontrollierten Flüchtlingsbewegungen nicht abebben, sondern stärker werden."
Archiv: Novinky.cz

New York Times (USA), 18.10.2015

Im aktuellen Magazin der New York Times erklärt Jonathan Mahler, warum die Geschichte von Obamas wichtigstem außenpolitischem Sieg, der Tötung Bin Ladens, noch immer nicht geschrieben ist. Er stellt die Version des Weißen Hauses, derzufolge eine SEAL-Eliteeinheit den Job alleine erledigt hatte, neben die des Investigativjournalisten Seymour Hersh, der in der London Review of Books die Mitarbeit des pakistanischen Geheimdienstes vermutet hatte. "Die offizielle Fassung liegt irgendwo zwischen Fakten und Mythologie. Geschichtsschreibung ist ein Prozess, und es wird noch lange dauern, bis die offizielle Version der Regierung sich als richtig oder falsch erweist … Nicht dass die Wahrheit über Bin Ladens Tod nicht erfahrbar wäre, wir kennen sie nur nicht. Und nichts deutet darauf hin, dass wir bald Genaueres wissen. Die Geschehnisse in der Schweinebucht sind bis heute nicht geklärt, und das ist mehr als ein halbes Jahrhundert her. Es gibt verschiedene Wege, ein Narrativ zu kontrollieren, den altmodischen Weg: Halte die entscheidenden Dokumente unter Verschluss. Und den moderneren, mit allen Wassern der sozialen Medien gewaschenen Weg: Erzähl die Geschichte, die sie glauben sollen. Schweigen ist ein Weg, ein Geheimnis zu bewahren, Reden ein anderer. Und sie schließen einander nicht unbedingt aus." Ein säuerlicher Mark Bowden, der ein Buch über die Ereignisse geschrieben hat, das der Regierungserzählung recht nahe ist, nennt Mahlers Artikel in Vanity Fair "ein großartiges Geschenk für Verschwörungstheoretiker".

Außerdem: Ganz erstaunlich, wie viele Menschen sich mit einem beschäftigen, nachdem man einsam und unbemerkt in seiner Wohnung gestorben ist, lernt Reporter N. R. Kleinfield während seiner Reportage über den langen Weg des Körpers von George Bell in sein Grab. Katie Benner und Conor Dougherty beschreiben, wie journalistische Medien zerrieben werden zwischen Apples App-Welt und Googles Webwelt. Elisabeth Weil trifft San Franciscos reuigen Untergrund-Boss Nr. 1. Rivka Galchen schreibt über die bindende Kraft des Schlaflieds.

In der Sunday Book Review bespricht Laila Lalami Riad Sattoufs Graphic Novel "The Arab of the Future" und Touré liest John Seabrooks Buch "Inside the Hit Factory" über die Musikindustrie und stellt dabei fest, dass die neuen Streamingdienste den Löwenanteil der Einnahmen an die Labels und ihre Superstars zahlen, während unbekanntere Künstler und vor allem Songwriter fast leer ausgehen.
Archiv: New York Times