Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.07.2005. In der FAZ erklärt Monika Maron, wo rechts und links ist, wenn man sich um 180 Grad dreht. Die taz erklärt, warum die italienische Herrenmode heute solchen Wert darauf legt, italienisch zu sein. In der NZZ erzählt Richard Wagner, wie Europa auch in Osteuropa zur realen Existenzform wird. In der SZ resümiert Björk ihren neuen Film: " Die Beine fallen ab, uns wachsen fötusähnliche Schwänze."

FAZ, 01.07.2005

Einige Schriftsteller haben in der gestrigen Welt vor populistischem Geist in der neuen Linkspartei gewarnt. Regina Mönch fragt heute, warum sich eigentlich niemand aufregt, wenn Oskar Lafontaine vor "Fremdarbeitern" warnt, und sie zitiert Monika Maron zu ihren Beweggründen, das Statement der Autoren zu unterschreiben: "Was dieses Bündnis so gefährlich macht, dass man vor ihm warnen muss, ist seine linke Maskierung. Die rechten Parteien und Gruppierungen sind geächtet, und die allermeisten Menschen würden sich niemals mit der Rechten verbünden, um mehr soziale Sicherheit und Gerechtigkeit einzuklagen. Das Linksbündnis gaukelt ihnen vor, auf der richtigen Seite zu stehen, allerdings mit dem Rücken zur Zukunft. Würden sie sich um hundertachtzig Grad drehen und den Blick nach vorn richten, auf Europa und eine globalisierte Welt, würden sie sich, wahrscheinlich zu ihrem eigenen Entsetzen, am rechten Flügel der Gesellschaft wiederfinden."

Weitere Artikel: Heinrich Wefing zeichnet im Aufmacher ein Stimmungsbild aus den politischen Stäben, wo man sich in Zeiten des Umbruchs Sorgen um die eigenen Arbeitsplätze macht. Freddy Langer gratuliert "Blondie" Deborah Harry zum Sechzigsten. Niklas Bender besucht den aufwendig renovierten Flaggschiffladen des Parfumhauses Guerlain an den Champs Elysees. Andreas Platthaus extemporiert in der Leitglosse über den kleinen Wasserfall im Frankfurter Stadion neulich beim Endspiel des Confederation Cup. Dieter Bartetzko besucht Baustellen in Pompeiji. Eduard Beaucamp erinnert in seiner Kolumne "Kunststücke" daran, dass die moderne Kunst bis in die sechziger Jahre kaum Eingang in die akademische Kunstwissenschaft fand. Joseph Croitoru berichtet, dass die Klassenreisen israelischer Schüler nach Auschwitz sowohl in Israel als auch in Polen umstritten sind - in Israel werden sie als "nationale Pilgerreisen" kritisiert, in Polen bemängelt man, dass das jahrhundertelange friedliche Zusammenleben der Kulturen nicht gewürdigt werde. Eleonore Büning beschreibt die neue Blüte des Leipziger Gewandhausorchesters unter seinem neuen Dirigenten Herbert Blomstedt. Brita Sachs gratuliert dem Bayerischen Nationalmuseum zum 150. Jubiläum. Wolfgang Sandner berichtet vom Britten-Festival in Aldeburgh. Das FAZ-Net meldet überdies die Grimme Online Awards.

Auf der Medienseite melden Michael Hanfeld und Marcus Theurer, dass die Übernahme von Pro 7 Sat 1 durch den Springer-Verlag voranschreitet. Peer Schader berichtet über den wenig souveränen Umgang der ARD mit dem "Marienhof"-Skandal. Und Melanie Mühl erzählt, wie ARD und ZDF mit der Fußball-WM 2006 möglichst hohe Reklame-Einnahmen erzielen wollen.

Auf der letzten Seite lesen wir einen Horrorbericht des Osteuropa-Historikers Jörg Baberowski, der in Berlin einen universitätsübergreifenden Studiengang zur Geschichte und Kultur Osteuropas einrichten wollte und an den Unileitungen, aber auch an anderen Professoren scheiterte: "Man hätte ahnen können, worauf es hinauslief, als der Ordinarius für Slawistik am Osteuropa-Institut der Freien Universität verkündete, er werde jeden Studiengang verhindern, der den Begriff 'Kultur' im Titel führe. Für Kultur sei er allein zuständig, wir, die Historiker, müssten die Geschichte ohne Kultur verwalten." Lorenz Jäger schreibt eine kleine Hommage auf Maria Gazzetti, die Leiterin des gerade in ein neues Domizil umziehenden Frankfurter Literaturhauses. Und Edo Reents erinnert sich an die schöne Zeit vor den Sommerferien einst in der Schule.

Besprochen werden eine Jean-Nouvel-Ausstellung im dänischen Humlebaek und Sachbücher, darunter ein Sammelband über die Geschichte der Seele im Abendland.

TAZ, 01.07.2005

Kathrin Kruse war bei den Herrenmodenschauen in Florenz und Mailand. Neben Mode ging es dort vor allem um: "Die Tradition, die Tradition, die Tradition. Einige spielen es herauf, andere müssen es herunterspielen, aber seit zu Beginn des Jahres die Textilexportbeschränkungen für China gelockert wurden, wird das 'Made in Italy' sehr, sehr deutlich kommuniziert. Simon Collins, der mit "Kinross Cashmere" ausschließlich in China produziert, glaubt zwar, dass es in zehn Jahren keine italienische oder schottische Spinnerei mehr geben wird, Heritage hin oder her. Noch aber, sagt er, brauche man ein westliches Gesicht, um Kaschmir 'made in China' zu verkaufen. Manchmal reicht auch das nicht. Ein japanischer Einkäufer kommt näher, nestelt durch die Kollektion. Chinesische Produktion? Schon ist er wieder verschwunden."

David Denk porträtiert den Musiker Olli Schulz als Banalpoeten. Besprochen wird die CD "Plat Du Jour" von Matthew Herbert.

Und Tom.

FR, 01.07.2005

Michael Rutschky denkt über Vertrauen als Grundstoff des Sozialen nach. Katajun Amirpur kommentiert die Wahl des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad: Sie glaubt, er sei vor allem von den Armen gewählt worden, die sich neue Jobs erhoffen. Besprochen wird eine Ausstellung mit Picassos Strandbildern und Skulpturen in der Staatsgalerie Stuttgart.

NZZ, 01.07.2005

Nach der französischen und niederländischen Absage an die europäische Verfassung erhalte Europa "auch in den Augen der Ostmitteleuropäer Schritt für Schritt eine reale Existenzform", diagnostiziert Richard Wagner. "Besonders bei den Jüngeren ist dies festzustellen, so in dem recht vieldeutigen Satz des westukrainischen Schriftstellers Juri Andruchowytsch: 'Die Initiation durch den Supermarkt, dieses besondere Ritual der Heranführung des Homo sovieticus an die westlichen Werte, wurde zum Wendepunkt des Lebens.' Von dieser Art Neu-Design der sozialen Existenz bleibt auch der Europa-Begriff nicht unberührt. Die europäische Realität gewinnt an Zuspruch, indem die Erwartungen an sie mehr an alltäglichen Interessen orientiert sind als am europäischen Traum."

Joachim Güntner informiert, dass Forscher der Universität Zürich herausgefunden hätten, wie sich Vertrauen biochemisch manipulieren lasse. Demnach "vermindert das Hormon Oxytocin, in Nasensprays verabreicht, Angst und Stress und erhöht die Bereitschaft, im Umgang mit fremden Menschen größere Risiken einzugehen."

Weiteres: Franz Haas rätselt, ob der als Antifaschist bekannte italienische Schriftsteller Ignazio Silone nun jahrelang ein Informant der faschistischen Polizei war, wie eine neue Biografie behauptet, oder nicht. Besprochen werden eine florentiner Schau über Mario Bottas Sakralbauten sowie eine Ausstellung zum Thema "Kunst und Pressebild, von Warhol bis Tillmans" im Kunstmuseum Basel.

Auf der Filmseite berichtet Heinz Kersten von den russischen Filmfestivals in Moskau und Sotschi. Besonders beeindruckt hat ihn Sergei Potyomkin mit "Sunless City": "Die Geschichte vom Ingenieur, der sich in eine drogenabhängige Laienschauspielerin verliebt, deren Bruder an Aids stirbt, vermittelt Einblicke in eine Petersburger Boheme und ist nebenbei eine Hommage an den während der Blockade Leningrads in einem Gefängnis verhungerten absurden Dichter Daniil Charms." Außerdem besprochen werden das Debüt des Brasilianers Karim Ainouz "Madame Sata" und der Film "El corazon de Jesus" des Bolivianers Marcos Loayza.

Auf der Medienseite gratuliert Irena Ristic den Machern von Crossradio, einem Zusammenschluss unabhängiger Alternativ- und Jugendradios aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawien, zur zweihundertsten Sendung. Der Mitbegründer Dejan Ubovic betrachte das Projekt auch als Schritt in Richtung europäische Integration, die "von innen kommen muss und nicht von den Politikern von oben herab indoktriniert werden kann. Für ihn muss diese Annäherung zuerst vor Ort und in den Herzen der Menschen geschehen, bevor das Projekt Europa in Angriff genommen werden kann. 'Die Tatsache, dass wir Crossradio zusammen mit Radio Student in Ljubljana und Zagreb auf eigene Initiative und aus einem Bedürfnis heraus gegründet haben, gehört sicherlich zu den Hauptgründen für unseren Erfolg', ist der Belgrader überzeugt."

Weitere Artikel: Uwe Paul klagt, dass "für die in deutschen Fernsehkrimis neuerdings gepflegte Esskultur bereits jeder Pfannen-Prolo, dem es auch nur gelänge, eine Tütensuppe halbwegs klumpenfrei anzurühren, hoffnungslos überqualifiziert wäre ... Während auf allen privaten und öffentlichen Kanälen gekocht und geköchelt wird wie noch nie, ruht das Auge des Gesetzes zwischen zwei Einsätzen bestenfalls auf einer Currywurst." S.B. berichtet von der Java-One-Konferenz im Moscone Centre in San Francisco. Christa Piotrowski stellt eine Studie zur Situation der US-Nachrichtenmedien vor, denen es trotz ins Internet abwandernder Leserschaft noch gut gehe. "Sna" vermeldet mit einem Urteil des obersten US-amerikanischen Gerichtshofs einen "Punktesieg im Kampf gegen die allseits proliferierende Piraterie geistiger Eigentumsrechte auf dem Internet."

SZ, 01.07.2005

Im Interview mit Alex Rühle beschreibt Björk ihre Lieblingsszene aus dem Film "Drawing Restraint 9", den sie zusammen mit Matthew Barney gemacht hat. Die beiden schneiden sich gegenseitig ihre Unterleiber ab! "So hat diese Verstümmelung nichts Grausames, sie ist Teil der erlösenden Verwandlung. Wenn wir ineinander schneiden, ist das offene Fleisch schon kein menschliches Fleisch mehr. Es ist weiß wie bei Walen. Die Beine fallen ab, uns wachsen fötusähnliche Schwänze, dann werden wir zu Walen und schwimmen in Richtung Antarktis."

Lothar Müller analysiert das Drama "Neuwahlen vor der Zeit", dessen dritter Akt heute beginnt, und erklärt, warum Kanzler Gerhard Schröder im zweiten Akt das Heft aus den Händen verloren hat: "Auf der politischen Bühne gilt nicht nur Hamlets Einsicht, derzufolge Reflexion handlungshemmend ist. Es gilt auch umgekehrt: Handlungshemmung ist reflexionsfördernd." Andrian Kreye berichtet, wie New Yorks "brachiale Politikgewalt" aus Daniel Libeskinds "Freedom Tower" David Childs "Siegessäule" machte. Die amerikanische Dokumentarfilmerin Barbara Kopple beschreibt, wie bei Kriegsreporterinnen "innere und äußere Schönheit" zusammenfinden (nachzuprüfen in ihrem Film "Bearing Witness").

Auf der Medienseite wird gemeldet, dass Time-Reporter Matthew Cooper nun doch einknickt und seine Aufzeichnungen im Fall um die Enttarnung der CIA-Agentin Valerie Plame dem Gericht übergibt.

Eva-Elisabeth Fischer hat beim Montepellier-Tanzfestival Stücke von Merce Cunningham, William Forsythe, Saburo Teshigawara und Shen Wei gesehen und einen "Zuwachs von Prätention auf Kosten von Kunst" bemerkt. Michael Struck-Schloen berichtet vom Klavierfestival Ruhr. Besprochen werden Bücher, darunter Alexandre Dumas' lange unveröffentlichte Scharteke "Le Chevalier de Sainte-Hermine" und Ulrich Sonnenbergs "Andersens Kopenhagen (mehr in unserer Bücherschau ab 15 Uhr).

Ein Blick lohnt heute auch ins SZ Magazin: Mariam Lau wagt einen Annäherungsversuch an die neuen Konservativen, zum Beispiel den ästhetischen der Generation Golf: "Der Journalist und Autor Alexander von Schönburg beispielsweise kann in seinem neuesten Ratgeber 'Stilvoll verarmen' trotz aller heroischen Selbstbelustigung des gefallenen Adligen nicht verhehlen, dass ihm die ganze Richtung des Politikbetriebs nicht passt. Für ihn ist die Sozialdemokratisierung der Bundesrepublik ein Geschmacksproblem; fehle es den Massen an konsequenter Führung, dann kauften sie haufenweise hässliche Plasmasessel und Entsafter ohne Sinn und Verstand. Lesungen seines Buches finden mitunter im Kreise seiner Familie statt: Und wenn dann die Schwester Fürstin Gloria von Thurn und Taxis Passagen über hässliche Handtaschen vorträgt oder sein Onkel, Graf Henckel von Donnersmarck, die Gäste des Berliner Kulturlebens begrüßt, dann fällt einem auf, dass die konservativen deutschen Eliten schon immer herzlich wenig Lust hatten, sich des Geschmacks der Massen einmal tatkräftig anzunehmen. Große amerikanische Konservative machen sich einen Namen, indem sie Bibliotheken, Opernhäuser oder Museen stiften. Auf diese Weise stilvoll zu verarmen, käme hierzulande wohl den wenigsten Angehörigen gehobener Kreise in den Sinn."