Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.03.2005. Die Zeit beschreibt Bernhard Heisigs Nahkampf mit Kunst und Macht. In der Welt protestiert der ugandische Journalist Andrew M. Mwenda gegen mehr Entwicklungshilfe für Afrika. In der NZZ liest der Arabist Tilman Nagel den Koran als Aufforderung zur Gewalt gegen Andersgläubige. Die SZ prophezeit eine Rückkehr der Schönheit. Die FR feiert den Film "Willenbrock" als bislang radikalste Gesellschaftskritik Andreas Dresens. Die FAZ plädiert gegen eine Zentralisierung der Berliner Gedenkstätten.

Zeit, 17.03.2005

"Nicht die kühle Distanz eines Gerhard Richter. Nicht die gesuchte Eleganz des Werner Tübke. Heisig ist Wühlen, ist Überdruck, Farbgemetzel, ein Nahkampf mit der Kunst": Zum achtzigsten Geburtstag schreibt Hanno Rauterberg ein Porträt des ebenso verehrten wie geschmähten DDR-Malers Bernhard Heisig, der immer - ob im Nationalsozialismus oder in der DRR - die Nähe zur Macht gesucht hatte: "Sein Bekenntnis zur Abhängigkeit, ist es, das viele so empört an Heisig. Dass er die Autonomie der Kunst anders deutet, dass für ihn Freiheit nur dann lebendig ist, wenn sie erstritten, ertrotzt werden muss. 'Avantgarde, wenn ich das schon höre', sagt er. 'Ist doch längst ein verblichenes Klischee. Diese Vorstellung, dass der Künstler ein Außenseiter und Genie sein muss und immer nur Neues schöpft und ganz aus sich heraus, ohne Lehrer, ohne Regeln, originell bis zur Bewusstlosigkeit. Was für ein Blödsinn.'"

Im Interview mit Gisela Dachs spricht der israelische Schriftsteller Aharon Appelfeld über seine europäische Vergangengheit und israelische Gegenwart: "Ich lebe in Mewasseret-Zion bei Jerusalem. Dort gibt es Aschkenasim, Kurden, Marokkaner und äthiopische Neueinwanderer, die nach ihrer Ankunft zunächst eine Weile im Aufnahmezentrum verbringen. Eine breite Palette von Lebenserfahrungen. Im Ausland hingegen hat jeder einen bestimmten Typ von Israeli im Kopf. Ein groß gewachsener Mensch, der einen Panzer bei sich zu Hause hat, mit dem er jeden Morgen direkt nach Jenin fährt. Oft wird übersehen, dass es sich um eine Gesellschaft voller Leid handelt. Leid, das mitgebracht wurde oder das hier entstanden ist. Es ist keine glückliche Gesellschaft. Man lebt unter andauernder Bedrohung in einem Ghetto, aus dem man fliehen wollte. Man kann nirgendwohin, nicht nach Ägypten, Jordanien, Libanon oder Syrien. Nur ans Meer."

Im Aufmacher erzählt der Schriftsteller Adolf Muschg, wie er als amtlich bestellter Juror durch deutsche Kulturstädte reiste und sein Herz in Görlitz verlor: "Wir waren einmütig in sie vernarrt geblieben, und am Ende gestanden wir es uns wie eine heimlich geteilte Liebe. Was machte Görlitz so anders? Zuerst: Es war nicht eine Stadt, und auch nicht fünfzig Städte, aber zwei: Görlitz und Zgorzelec. Die polnische Stadt ist so verschlissen, wie man sich Städte im Osten vorstellt, und die Front, die es der Neiße zukehrt, lückenhaft wie ein ungepflegtes Gebiss. Aber die 1945 aus Ostpolen umgesiedelte Bevölkerung hat Kinder, sie nimmt sich Zukunft heraus... Aber das Spektakulärste am polnischen Neiße-Ufer mit seinen Ödflächen, Stundenhotels und verstaubten Läden bleibt einstweilen der Blick auf das deutsche Görlitz. 'Die schönste deutsche Stadt', hatte es in der Erstfassung des Juryberichts noch geheißen; das durfte so nicht stehen bleiben, aber wahr bleibt es doch."

Weiteres: Der libanesische Dichter Abbas Beydoun fürchtet nach den jüngsten anti-demokratischen Demonstrationen schiitischer Hisbollah-Anhänger eine konfessionelle Spaltung des Libanon. Der Architekt Rem Koolhaas geißelt Theoriedefizite und Selbstüberschätzung der zeitgenössischen Architektur, die inzwischen dazu führen, dass der Berliner Palast der Republik wieder geschätzt wird: "Ironischerweise gelingt das erst jetzt, das wir selbst genauso saturiert und selbstverliebt geworden sind wie die Erbauer des Palastes." Ernst Elitz, Intendant des Deutschlandradios, sieht zwar Modernisierungsbedarf bei den Rundfunk-Orchestern, hat aber trotzdem kein Verständnis für die von seinen Kollegen eingeschlagene Strategie des Totsparens. Malte Henk bereitet uns darauf vor, dass Videojournalisten demnächst das Fernsehen revolutionieren werden.

Auf der Discothek-Seite preist Michael Naumann Francis Ford Coppolas Klassiker "Apocalypse Now", Sabine Horst die frühen Filme von Peter Greenaway auf DVD und Nadja Geer den Minimal Techno Richie Hawtin. Besprochen werden Andreas Dresens Christoph-Hein-Verfilmung "Willenbrock", Hubert Saupers Dokumentarfilm über den Viktoriasee "Darwins Alptraum".

Die Literaturbeilage eröffnet Iris Radisch mit einer Huldigung der Autorin Yasmina Reza, der wir die Rückkehr der "formvollendeten Tristesse in die europäische Literatur" verdanken.

Ausnahmsweise gibt es auch mal Musikseiten: Darauf feiert Thomas Groß zum Beispiel den Sänger Rufus Wainwright, der so herzergreifend über die Liebe singen kann.

Welt, 17.03.2005

Braucht Afrika mehr Entwicklungshilfe? Absolut nicht, findet Andrew M. Mwenda, Redakteur der ugandischen Tageszeitung The Monitor. Afrika habe mehr als genug Geld bekommen, trotzdem werde es immer ärmer. Die Gründe dafür liegen aber bei den afrikanischen Regierungen, schreibt er und nennt als Beispiel Uganda. Dort ziehe die Finanzverwaltung "nur etwa 57 Prozent der anfallenden Steuern ein", zugleich habe das Finanzministerium in einer eigenen Studie zugegeben, dass die "Ausgaben für die öffentliche Verwaltung um die Hälfte reduziert werden könnten". Was getan werden müsse, sei also klar. "Warum aber vermag die ugandische Regierung solche einfachen Reformen nicht umzusetzen? Die Antwort lautet: Entwicklungshilfe. Besteuerung ist ein hochbrisantes Unterfangen, und warum sollte es sich eine Regierung durch Steuerforderungen mit ihren politischen Verbündeten verderben, wenn ausländische Sponsoren nur zu bereit sind, die Rechnung zu begleichen? Indem sie die Korruption und Inkompetenz von Regierungen subventioniert, hat die Entwicklungshilfe negative Auswirkungen auf eine Reform der Finanzpolitik."

NZZ, 17.03.2005

Der Göttinger Arabist Tilman Nagel setzt die lesenswerte NZZ-Reihe über den Islam und Europa fort und fragt, ob die Gewalt gegen Andersgläubige dieser Religion gewissermaßen immanent sei. Die nüchterne Antwort: "Jenseits jeglicher Polemik ist festzustellen, dass Koran und Sunna die Anwendung von Gewalt gegen Andersgläubige ausdrücklich befürworten, vor allem wenn sie den Interessen der 'besten je für die Menschen gestifteten Gemeinschaft' (Sure 3, 110) dienlich ist. Die muslimische Gesetzesgelehrsamkeit hält an diesem Grundsatz unbeirrbar fest und billigt, um ein Beispiel zu nennen, nach wie vor die Tötung desjenigen, der vom Islam zu einer anderen Religion übergetreten ist."

Weitere Artikel: Gemeldet wird, dass die Regierung des Kantons Appenzell Ausserrhoden 500.000 Franken jährlich mehr für die Kultur ausgeben will. Besprochen werden eine Ausstellung mit Henri Toulouse-Lautrecs grafischem Oeuvre in München, ein Film über Nicolas Bouvier von Christoph Kühn, ein neues Album der stets noch aktiven Band New Order und einige Bücher, darunter Thomas Brussigs Satire "Wie es leuchtet" (mehr hier).

SZ, 17.03.2005

"Der 40 Jahre alte Mythos des Eigenheims ist der Mythos von Wiederaufbau, Prosperität und Wirtschaftswunder. Auch der von Individualität und Freiheit," seufzt Gerhard Matzig Richtung Bundeskanzleramt, wo heute im Rahmen des Jobgipfels auch über die Abschaffung der Eigenheimzulage verhandelt wird. "Wenn man die Zulage nun endlich abschafft, wird man das so stadt- wie landfeindliche Ökodesaster des stadträumlich peripheren, dabei übrigens altersuntauglichen und eher jugendfeindlichen Eigenheimglücks nicht abwenden. Aber man wird zumindest nicht mehr jenes unökologische, unökonomische und letztlich unsoziale Suburbia subventionieren, das sich nach vier Jahrzehnten Eigenheimzulage als das trostlose Einfamilienhaus-Ghetto von morgen herauszustellen beginnt."

Ein Festival im Berliner Haus der Kulturen der Welt widmet sich dem Thema Schönheit und blickt dabei nach China. Arnd Wesemann nimmt das zum Anlass, über die unterschiedlichen Vorstellungen von Schönheit nachzudenken. Im Westen, schreibt er, war das Schöne "entmachtet, weil es auf die Seite der Werbung, der Computermanipulationen und der Schönheitsoperationen übergelaufen war. Und weil das Schöne der Gleichheit widerspricht." Nun aber gebe es einen Rollback. Als Beispiel nennt Wesemann eine Aktion der Künstlerin Vanessa Beecroft auf dem JFK-Airport in New York. Dort "posierten kürzlich zwei Dutzend nackte schwarze Models in Fußketten - zum Anbeißen schön. Amerika wollte protestieren, doch mit dem Verweis auf die Altlast der Sklaverei und das entzündete Begehren nach dem schönen Anderen brachte Vanessa Beecroft ihre Kritiker zum Schweigen." Und wie halten es nun die Chinesen? Wesemann zitiert die chinesische Choreografin Jin Xing: "Der chinesische Körper wirkt eben schwach im Vergleich zum schönen Körper Afrikas. Er hat auch nicht diesen Antrieb aus Neid und Gerechtigkeitssinn wie im Westen, der ihn hart und reich gemacht hat. Aber deshalb tragen Chinesen ihr Geld noch lange nicht ins Fitness-Studio. Chinesen arbeiten hart. Denn wahre Schönheit ist für uns: Reichtum."

Weitere Artikel: Amin Farzanefar berichtet vom Filmfestival Türkei/Deutschland in Nürnberg, für das im zehnten Jahr seines Bestehens nun Kulturstaatsministerin Christina Weiss die Schirmherrschaft übernommen hat. Karin Siebert hat an der evangelischen Akademie Tutzing einer Debatte zugehört, in der das Revival der Religion in der Politik verhandelt wurde. Kristina Maidt-Zinke gratuliert dem Schriftsteller und Übersetzer Hans Wollschläger zum siebzigsten Geburtstag. Dirk Peitz berichtet, dass Nicolaus Schafhausen, seit 1999 Leiter des Frankfurter Kunstvereins, im Juni als Gründungsdirektor der Europäischen Kunsthalle Köln vom Main an den Rhein wechseln wird, und Susan Vahabzadeh informiert in ihrer Donnerstagskolumne, wer gerade was mit wem dreht. Gemeldet wird außerdem, dass der japanische Illustrator Ryoji Arai und der britische Autor Philip Pullman den diesjährigen Astrid-Lindgren-Preis gewonnen haben.

Besprochen werden die Elias-Canetti-Schau "Das Jahrhundert an der Gurgel packen" im Literaturmuseum Strauhof in Zürich, Nikolaus Harnoncourts und Jürgen Flimms Version von Claudio Monteverdis Oper "Poppea" in Zürich und Filme: Chris Wedges Animationsfilm "Robots" ("Zeichentrickfilm, kindertauglich - naturgemäß harmlos", stellt Susan Vahabzadeh fest. Aber dann: "Hat eigentlich beim US-Start dieses Films irgendwer gemerkt, wie nah dran Wedge ist an sozialistischem Gedankengut und dem Aufruf zur Revolution?"), Wes Andersons Film "The Life Aquatic with Steve Zissou" ("Die Tiefseetaucher"), Hubert Saupers Film "Darwins Nightmare" und Bücher, darunter Uwe Tellkamps Roman "Der Eisvogel", (hier eine Leseprobe) den Ijoma Mangold großartig findet (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FR, 17.03.2005

"Es gibt keine Rechtssicherheit, es gibt keine Regeln, die den Westen vor dem Hunger des Ostens schützen. Mit 'Willenbrock' ist Andreas Dresen ein Film gelungen, der die kapitalistische Ökonomie der Liebe mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Weltordnung verklammert", feiert Heike Kühn Dresens neuen Film. "Bislang überwogen in Andreas Dresens Filmen Mitleid mit den Verlierern und Ausgegrenzten, Hoffnung auf die anarchischen Reserven ihrer Phantasie, Bewunderung für ihre Überlebenskünste. Nun stellt sich die Frage nach dem Sein und Haben schärfer und bedrohlicher... Der Motor der Gerechtigkeit stottert, die Solidarität läuft nicht rund. Am besten man fängt wie Willenbrock bei sich an: Dresens bislang radikalste Gesellschaftskritik appelliert an die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen."

Weitere Artikel: Im Interview über seine Mutter Anna Seghers erklärt ihr Sohn Pierre Radvanyi, warum seine Mutter nach dem Krieg von West- nach Ostberlin zog: "Meine Mutter hatte keine andere Wahl, denn in der Zeit des Kalten Krieges galt das Motto: 'Entweder bist du mit uns oder gegen uns'. In der Mitte konnte und sollte niemand stehen." Rudolph Walter schreibt den Nachruf für die verstorbene Schriftstellerin, Widerstandkämpferin und Fluchthelferin Walter Benjamins Lisa Fittko. Christoph Schröder formuliert, leider etwas vage, ein gewisses Unbehagen über Christoph Heins Roman "In seiner frühen Kindheit ein Garten", und Burkhard Müller-Ullrich sinnt in der heutigen Kolumne Times Mager über die Magie von Namen in der Welt der Wirtschaft unter besonderer Berücksichtigung der Deutschen Bahn nach.

FR-Plus widmet sich heute dem Thema Unschuld und Schuld. Durchgespielt wird das Thema an Michael Jackson (Unschuld, hier) und Albert Speer (Schuld, hier).

Besprochen werden eine Ausstellung im Berliner Jüdischen Museum, die der Frage nach der identitätsstiftenden Rolle von Gebäuden für das Judentum nachgeht, die Darren-Almond-Schau im Düsseldorfer K21, die Ausstellung "Elvis in Deutschland" im Frankfurter Museum für Kommunikation, das neue Album von Daft Punk "Human after All" und Billy Idols neues Album "Devil's Playground", Eran Riklis Film "Die syrische Braut" und Wes Andersons Film "Die Tiefseetaucher". Eine einsame Besprechung gilt dem Buch eines fast vergessenen Sprachkünstlers, Rudolf Reitzels "Ich will nur auf einem Ohr schlafen, damit ich keinen Weckruf zur Freiheit verpasse" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 17.03.2005

Monatelang hat die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic (mehr hier) den Haager Kriegsverbrecherprozess verfolgt. Für ihr Buch "Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht" wurde sie gestern in Leipzig mit dem Buchpreises für Europäische Verständigung ausgezeichnet. "Wer sind die Täter, wer sind diejenigen, die für alles das verantwortlich sind, was geschehen ist? Ich glaube, dass dies eine normale Neugierde ist, die eigentlich jeder hat. Jeder fragt sich, wer sind diese Leute? Von Anfang an war mir klar, dass ich nicht einfach nur Porträts schreiben wollte. Und mein Fokus entwickelte sich dann wie von selbst. Es ist das, was Hannah Arendt die Banalität des Bösen genannt hat", erklärt sie in einem ausführlichen Interview mit Barbara Oertel. Einen ernüchternden Blick wirft sie auf die Chance, aus der Geschichte zu lernen: "Wir sind sehr schlechte Schüler. Deshalb denke ich, dass eine Wiederholung von Völkermord unvermeidlich ist. Wenn wir doch versuchen zu lernen, müssen wir gegen die menschliche Natur, also uns selbst, kämpfen."

"Es gibt viel Zaghaftigkeit, wenig Mut, viel Grau in Grau, viel Tristesse", bringt Gerrit Bartels in seiner Kolumne zur Leipziger Buchmesse die literarische Lage der Nation auf den Punkt. "Nimmt man einmal die Produktion dieses Frühjahrs zum Maßstab und übt sich ein wenig in Kaffeesatzleserei, dann scheint die deutsche Gegenwartsliteratur wieder an einem Punkt angelangt zu sein, an dem sie Anfang, Mitte der Neunzigerjahre schon stand, kurz bevor die Popliteratur ihren Siegeszug antrat und einige Jahre wild und schnell draufloserzählt wurde. Es herrschen ein Kater nach dem Ende dieser Ära und viel Unsicherheit ob des sicheren Bewusstseins einer Zeitenwende, von der aber niemand weiß, wohin die Reise genau geht."

Besprochen werden Wes Andersons Komödie "Die Tiefseetaucher" und Hubert Saupers Film "Darwin's Nightmare".

Schließlich Tom.

FAZ, 17.03.2005

Patrick Bahners plädiert vehement gegen eine Zentralisierung der Berliner Gedenkstätten, die sich bisher auf die "authentischen" Orte des Widerstands, des Polizeistaats und der Holocaustplanung beschränken und scheint eine Art letzter Instanz der historischen Korrektheit zu fürchten: "Die aus gedenkkalendarischem Anlass beschlossene Einschränkung des Versammlungsrechts lässt ahnen, dass künftig immer häufiger umstritten sein wird, welche Meinungen über den Nationalsozialismus überhaupt unter anständigen Menschen geäußert werden dürfen. In der Geschichtspolitik geht es um den Zutritt zum öffentlichen Raum; wer gegen das Tabu der Relativierung verstößt, zieht das moralische Todesurteil auf sich. Als Resultat des Gedenkjahres zeichnet sich ab, das man von Vertreibung und Ausbombung nicht mehr reden sollte, ohne im selben Satz den deutschen Angriffskrieg als 'die' Ursache dieser Handlungen zu benennen." Anlass des Streits waren Texte von Ulrich Herbert (unser Resümee) und Götz Aly (hier), die den jetzigen Betreibern der Gedenkstätten Schlendrian vorwarfen.

Eva Menasse kritisiert die Verlage (darunter die zur FAZ-Gruppe gehörige DVA), die sich weiterhin weigern, Bücher von Rolf Hochhuth herauszubringen, obwohl er sich längst nach seinen umstrittenen Äußerungen zum Holocaustleugner David Irving entschuldigt hat: "Hochhuth hat einen dummen Fehler begangen, unter dem er selbst am meisten leidet, den er glaubhaft bereut und für den er sich entschuldigt hat. Allein, Deutschland kennt keine Gnade, und es sieht nun so aus, als wäre Rolf Hochhuth samt seinem Lebenswerk unberührbar geworden."

Weitere Artikel: Christian Geyer kritisiert in der Leitglosse übergroße Erwartungen an Reden Gerhard Schröders und Horst Köhlers. Eine Meldung besagt, dass Nicolaus Schafhausen Gründungsdirektor der Europäischen Kunsthalle in Köln wird. Dietmard Dath schreibt zum siebzigsten Geburtstag des Schriftstellers Hans Wollschläger. Gina Thomas meldet, dass die Britin Geraldine McCaughrean eine Fortsetzung von "Peter Pan" schreiben soll

Die Filmseite bringt Hans Noevers Laudatio auf den Kameramann Walter Lassally für den Marburger Kamerapreis. Peter Körte berichtet, dass in Rom ein größeres Filmfestival gegründet werden soll. Bert Rebhandl würdigt die Dokumentarfilme Frederick Wisemans, die zur Zeit in einer Retrospektive im Berliner Arsenal gezeigt werden.

Auf der letzten Seite veröffentlicht Mario Vargas Llosa eine Hommage auf seinen verstorbenen kubanischen Schriftstellerkollegen und Freund Guillermo Cabrera Infante: "Wenn Kuba endlich frei sein wird, sollten die Kubaner immer daran denken, dass niemand so konsequent und radikal in seiner Abwehr der Tyrannei war, die seit 46 Jahren die Insel beherrscht, wie Cabrera Infante." Felicitas von Lovenberg stellt den englischen Kinderbuchautor Philip Pullman vor, der den mit glatten 545.000 Euro dotierten Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis erhält. Und Dieter Bartetzko berichtet, dass die Mumie des Pharaos Tutenchamun einer Computer-Tomographie unterzogen wurde.

Auf der Medienseite meldet "theu", dass die Fernsehgebühren ab 1. April nun endgültig steigen. Und Mark Siemons hat eine Podiumsdiskussion des Perlentauchers verfolgt, bei der die Staatsministerin für Kultur Christina Weiss ihre Sympathie für das Magazin bekannte.

Die Ausstellung "Gegenwelten" in der Berliner Nationalgalerie, ein neues Programm im Düsseldorfer "Kom(m)ödchen", Konzert des Festivals "Die Reihe" mit Neuer Musik in Stuttgart, ein Konzert der Popsängerin Kimya Dawson in Berlin