Ljudmila Ulitzkaja

Daniel Stein

Roman
Cover: Daniel Stein
Carl Hanser Verlag, München 2009
ISBN 9783446232792
Gebunden, 484 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Ein Roman über die Menschen und die Liebe, über Geschichte und Religion: Als Jude organisierte Daniel Stein die Flucht aus einem Ghetto in Polen. Er war Dolmetscher bei der Gestapo, Partisan und Mitarbeiter des NKWD. Dreimal wurde er zum Tode verurteilt, jedes Mal überlebte er. Er konvertierte und ging nach Israel, wo er als Mönch eine Gemeinde nach Vorbild der ersten Christen gründete. Er starb bei einem Unfall, der vermutlich ein getarntes Attentat war. In dem Porträt dieses großen Idealisten spiegelt sich das ganze 20. Jahrhundert. Anhand seiner Person zeigt Ljudmila Ulitzkaja uns eine andere Welt und gibt zugleich Antworten auf brennende heutige Fragen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.08.2009

Sehr eingenommen ist Rezensentin Sabine Berking von Ljudmila Ulitzkajas Roman "Daniel Stein". Das Werk, das auf der Lebensgeschichte Oswald Rufeisen basiert, trifft für sie einen "Nerv unserer postsäkularen Ära": die Suche nach Gott. Der Autorin geht es in ihren Augen bei der Geschichte Steins, der als Dolmetscher für die Gestapo vielen Juden das Leben rettete, für den sowjetischen Geheimdienst arbeitete, vom Judentum zum katholischen Glauben konvertierte, Mönch wurde und sich in Jerusalem für die Aussöhnung zwischen Juden und Christen engagierte, nicht in erster Linie um eine Biografie Rufeisens. Der "menschelnde Ton" und die Fülle von Dostojewskischen Figuren wird nach Berling vielleicht nicht jedem zusagen. Die Rezensentin jedoch hat der Roman tief beeindruckt und berührt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.08.2009

Rezensentin Katharina Granzin schluckt schwer an dem unbekömmlichen Gemisch, das die Autorin Ljudmila Ulitzkaja mit dieser fiktionalisierten Biografie eines realen in Israel lebenden katholischen Priesters mit jüdischer Herkunft und zionistischem Lebenstraum gebraut hat. Sie betont, dass Literatur so einiges darf. "Die Wirklichkeit nachträglich umzuschreiben aber sollte sich von selbst verbieten." Vor allem hadert sie damit, dass dem Priester in Ulitzkajas Geschichte ein erfundener gewaltsamer Tod widerfährt, und dass nirgendwo erklärt wird, dass es sich dabei um eine Fiktionalisierung handelt. Auch an anderen Stellen funktioniert die allwissende Erzählhaltung der Autorin nicht. Lesbar sei das Ganze zwar durchaus, findet Granzin, obwohl das Buch, insbesondere bei den erfundenden Dokumenten, Tagebucheinträgen etc, "hochartifiziell" wirkt. Funktionieren tut dieser biografische Roman unterm Strich aber leider gar nicht

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.07.2009

Mit viel Lob bedenkt Jutta Person diesen Roman über das Leben des christlich-jüdischen Mönchs Daniel Stein von Ljudmila Ulitzkaja. Sie sieht darin auch ein Denkmal für Oswald Rufeisen, dem realen Vorbild von Daniel Stein. Die Befürchtung, bei der Geschichte dieses polnischen Juden, der als Dolmetscher für die Gestapo und für den sowjetischen Geheimdienst arbeitete und vielen Juden das Leben rettete, sich später taufen ließ und in Israel als katholischer Ordensbruder und Judenchrist eine kleine Gemeinde betreute, handle es sich um "Erweckungskitsch?, erweist sich für Person als grundlos, das Buch ist in ihren Augen "weder missionarisch noch frömmlerisch?. Im Gegenteil: der Roman scheint ihr recht nüchtern und oft auch komisch. Zunehmend fasziniert zeigt sie sich von der Figur des Daniel Stein und dessen wechselvoller Biografie, die Ulitzkaja aus Briefen, Tagebüchern und Tonbandprotokollen collagenhaft zusammensetzt. Sie hebt hervor, dass der Zweite Weltkrieg und die unglaubliche Überlebensgeschichte Steins nur einen kleinen Teil des Romans ausmachen, der in ihren Augen "schlicht und ergreifend? vom Sinn des Lebens handelt. Dies gelinge der Autorin auch deshalb so überzeugend, weil sie fast vierzig Nebenfiguren auftreten lasse, "die alle ihre eigene Version von Krieg und Frieden, Liebe und Hass, Unterdrückung und Toleranz in Szene setzen?.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.06.2009

Tiefen Eindruck hat Ljudmila Ulitzkajas Roman "Daniel Stein" bei Rezensentin Natascha Freundel hinterlassen. Im Mittelpunkt des Werks sieht sie das außergewöhnliche Leben des jüdischen Karmelitermönchs Bruder Daniel, der für die Gestapo und den sowjetischen Geheimdienst als Dolmetscher tätig war, 300 Menschen die Flucht aus dem Getto ermöglichte, zum Katholiken wurde, nach Israel ging, wo er als Jude und Christ für die Wiedererstehung der christlich-jüdischen "Urgemeinde" arbeitete. Als reales Vorbild für Daniel Stein nennt sie Oswald Rufeisen, den Ulitzkaja gut kannte. Die Autorin zitiere aus Tagebüchern und Briefen, Vorträgen und Reiseprospekten, aus Gesprächsprotokollen und Archivdokumenten des NKWD, aus Zeitungen und Zetteln. Zudem lasse sie echte und erfundene Menschen zu Wort kommen. Was dabei Fakt, was Fiktion ist, spielt für Freundel letztlich keine Rolle, so "überzeugend" sind für sie die Sätze, die Ulitzkaja schreibt. Auch die auftretenden Figuren hat sie in ihr Herz geschlossen, besonders Daniel Stein mit seinem Humor, stets ein "Fels in der Brandung". Die Welt, die Ulitzkaja in diesem Roman schildert, ist komplex, "abgründig" und zugleich "liebenswert". Ihr Resümee: "einer der seltenen Glücksfälle in der Weltliteratur, in der Dichtung und Wahrheit Hand in Hand gehen."

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.04.2009

Nicht ohne Distanz, aber auch nicht ohne Faszination bespricht Felix Philipp Ingold diesen Roman, der auf dem Leben des in Deutschland kaum bekannten Oswald Rufeisen beruht. Ingold erzählt seine Geschichte nach: ein polnischer Jude, der im Krieg zwischen den Fronten agiert, viele Menschen rettet und selbst ausgerechnet von einem Wehrmachtsoffizier gerettet wird. Eine Geschichte über Verstrickung, Schuld, die Chance, ein guter Mensch zu sein, und Versöhnung also, etwas ganz anderes als die gehobenen Schmonzetten, für die die Autorin sonst so steht. Im Roman heißt Oswald Rufeisen, der später als Bruder Daniel in Israel Christentum, Judentum und Islam versöhnen wollte, Daniel Stein. Ingold betont, wie sehr sich die Autorin um Authentizität bemüht, kritisiert, dass die von ihr konstruierten Stimmen von Zeitzeugen eben doch immer nur mit der Stimme der Autorin sprechen. Und am Ende lobt er den Roman, der in Russland ein Bestseller war, doch als einen Versuch, die "Erneuerung moralischer und religiöser Werte" in eine belletristische Form zu bringen.