9punkt - Die Debattenrundschau

Technologien des Posertums

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.02.2019. Laut Agenturen haben sich die EU-Staaten auf eine Urheberrechtsreform geeinigt: Auch kleine Plattformen sollen Uploadfilter installieren. Die New York Times analysiert die "giftigsten Unterstellungen" heutiger Antizionisten. Das Brandenburger Parité-Gesetz ist verfassungswidrig, meint die Juraprofessorin Monika Polzin im Verfassungsblog. Die SZ kann das Ossi-Wessi-Gerede nicht mehr hören. Nein, Roland Tichy ist kein Opfer der SPD, weisen Meedia und die Uebermedien nach.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 09.02.2019 finden Sie hier

Internet

Die EU-Staaten haben sich auf eine Urheberrechtsreform geeinigt, berichtet Zeit online mit Agenturen. Auch kleinere Firmen müssen Uploadfilter installeren: "Nach dem Kompromiss müssen Firmen für Ausnahmen drei Kriterien erfüllen: Sie müssen mindestens drei Jahre bestehen, ihr Umsatz muss weniger als zehn Millionen Euro betragen und die Nutzerzahl muss unter fünf Millionen pro Monat liegen. Unternehmen, die über diesen Schwellen liegen, müssen hochgeladene Inhalte nach von den Lizenzinhabern bereitgestellten Listen filtern und verhindern, dass nicht genehmigte Werke wieder auf ihrer Plattform erscheinen."

Über Twitter kursiert unterdessen eine Stellungnahme der internationalen Journalistenverbände IFJ und EFJ, die sich für das Leistungsschutzrecht hatten einspannen lassen und nun feststellen müssen, dass die versprochene Journalistenbeteiligung nach dem jüngsten Kompromissvorschlag gestrichen oder reduziert wird. Die neuen Bestimmungen und Vorschläge beseitigten "alle Hoffnungen der Autoren im Pressebereich, eine gerechte und angemessene Vergütung für ihre Arbeit zu erhalten. Sie verankern ein System, in dem mächtige Verlage Journalisten und Freiberufler zwingen, Verträge zu unterzeichnen, in denen sie ihre Rechte aufgeben..."
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Ideen

Es gibt heutzutage kaum etwas künstlicheres als Authentizität, denkt sich Robert Misik, der in der NZZ diesem Paradox nachspürt. Besonders hart trifft es Politiker, die authentisch, aber auch fehlerfrei sein sollen. "Zugleich, das ist die zweite Eigenart der durchmedialisierten Gesellschaft, wird diese Anforderung, die bisher nur an den Prominenten gestellt wurde, heute ein Imperativ, der sich tendenziell an alle richtet. Du musst dich darstellen! In der Berufswelt ist es schon die halbe Miete, als erfolgreich zu erscheinen. Aber auch von Facebook über Twitter bis Instagram, überall setzt sich das Ich einer Öffentlichkeit aus, in der es sich im besten Licht zeigen und zugleich ganz es selbst sein soll. Es lernt, mit Technologien des Posertums umzugehen, die Gefallsucht, früher noch eine Untugend, wird zur zweiten Natur."

Außerdem: "Fortschrittlich" ist für den in Oxford lehrenden Historiker Oliver Zimmer (NZZ) heute eine Kampfvokabel, mit der der Gegner im Meinungsstreit als rückständig und unzeitgemäß diskreditiert werden soll.
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Gesellschaft

Dass in der New York Times ein zorniger Artikel gegen "progressive" Demokraten und Aktivisten und ihre anti-israelische Agenda abgedruckt wird, hat eher Seltenheitswert. Aber Bret Stephens ist wirklich sauer über LGBT-Konferenzen, die sich von BDS-Aktivisten kapern lassen und ihnen auch noch applaudieren, und ähnliche Kräfte, die bis in den Kongress Einfluss gewinnen. Und er analysiert ihre Ideologie: Ihre "giftigste Unterstellung ist, dass Juden in Israel oder den Vereinigten Staaten niemals wirklich als Opfer, ja nicht einmal  als Minderheit betrachtet werden können, weil sie weiß, wohlhabend, mächtig und 'privilegiert' seien. Dies beruht auf einer allzu simplen Vorstellung von Macht, die nach einer Sekunde Betrachtung zusammenbricht. Juden in Deutschland waren wirtschaftlich und politisch sehr wohl mächtig in den Zwanzigern. Und dann waren sie in Buchenwald. Israel erscheint gegenüber den Palästinensern mächtig, aber weit weniger im Kontext eines Nahen Ostens, der vor genozidalem Antisemitismus birst."

Die Abtreibungsgegner haben sich durchgesetzt, schreibt Waltraud Schwab in der taz: Der Paragraf 219a mit seinen Strafbewehrungen bleibt bestehen. Aber auch über ihre Begriffe prägen sie die Debatte: "Der Begriff 'ungeborenes Leben' hat sich breit gemacht. Die Wörter 'Lebensschutz' und 'Lebensschützer' wiederum sind für anderes als die Abtreibungsdebatte nicht mehr zu gebrauchen. Keine Talk-Show zum Thema, in der solche Wörter nicht fallen. Leute jeglicher Couleur benutzen sie, ohne die Hände in die Luft zu strecken und mit Zeige- und Mittelfinger zwei Häkchen zu machen, soll heißen: alles nur in Anführungsstrichen, jetzt werden die Abtreibungsgegner*innen selbst zitiert. Auch wird nicht mehr so oft wie früher das 'sogenannt' vorangestellt. Stattdessen werden die Begriffe einfach dahergesagt; sie sind griffig, eingängig, anschaulich auch."
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Medien

Roland Tichy hat einen Artikel von seiner Seite Tichys Einblick genommen, weil der Madsack-Konzern Unterlassung von ihm verlangte. Der Artikel handelte von dem kleinen Medienimperium der SPD - sie ist unter anderem über ihre Holding DDVG neben Madsack am Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) beteiligt, das zahlreiche Lokalmedien mit Stoff aus Berlin versorgt. Tichy tut melodramatisch so, als müsse er einer Übermacht weichen, schreibt Stefan Niggemeier dazu in Uebermedien: "Er nimmt die eigene Kapitulation als Beleg dafür, dass man Wahrheiten nicht mehr aussprechen darf, die den Mächtigen missfallen." Zu Tichys Artikel, den Niggemeier dankenswerter Weise resümiert, sagt er: "Tichy verband zutreffende, bekannte Fakten, die er als geheim oder wenigstens unbekannt darstellte, mit wüsten Unterstellungen... Indirekt empfahl er CDU-Politikern, dem RND keine Interviews mehr zu geben, und Lesern von Zeitungen, die irgendwie mit dem RND kooperieren, ihre Abos zu kündigen." Dass die Medienbeteiligungen der SPD problematisch sind, sieht allerdings auch Niggemeier.

Tichys Taktik verfängt allerdings, ergänzt Stefan Winterbauer bei Meedia: "In einschlägigen rechten Blogs und so genannten Alternativmedien, unter anderem beim berüchtigten PI-News, sowie in zahlreichen Tweets und YouTube-Videos wird nun das Narrativ von der 'bösen SPD' gesponnen, die versucht ihren angeblichen Medieneinfluss mit juristischen Tricks zu verschleiern, Links auf die archivierte Originalstory oft inklusive."

In einem epischen Interview mit Benedict Neff und René Scheu in der NZZ spricht Springer-Chef Mathias Döpfner über den Fall Relotius, Leistungsschutzrecht, Islamismus, Israelfeindlichkeit, den grassierenden Antiamerikanismus und die politisch recht homogene linksliberale Medienlandschaft in Deutschland: "Mehrere Studien zeichnen ein ähnliches Bild: Deutsche Journalisten fühlen sich weit überwiegend linken Parteien nah, während die Verteilung unter den Bürgern - also Lesern - anders aussieht. Wenn Medien politische Positionen der Bevölkerung so verzerrt repräsentieren, führt das auf die Dauer zu einer Entkoppelung."

Buzzfeed, Vice und Huffington Post, alles Online-Medien, die fast ausschließlich auf Verbreitung über Facebook setzten, bauen massiv Stellen ab (auch die deutschen Redaktionen sind zum Teil betroffen). Ihr Problem ist, dass sie der Willkür von Facebook zu stark ausgesetzt waren, schreiben Anne Fromm und Peter Weissenburger in der taz: "Ab 2015 zum Beispiel entstand in der Branche ein Video-Hype. Facebook hatte behauptet, Anzeigen ließen sich neben Videos besser verkaufen als neben Text. Also zogen die Redaktionen Personal aus dem Bereich Text ab, um mehr Videos zu produzieren. Ende 2016 kam heraus: Facebooks Video-Zahlen waren aufgeblasen. Anfang 2018 veränderte das Netzwerk dann seinen Algorithmus und platzierte die Statusmeldungen von Freunden höher als die der Nachrichtenredaktionen. Die Besuchszahlen bei Vice und Buzzfeed brachen radikal ein."
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Europa

Eingehend begründet Monika Polzin, Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Augsburg, im Verfassungsblog, warum das in Brandenburg beschlossene Parité-Gesetz, das eine 50/50-Geschlechterquote vorsieht, nicht nur verfassungswidrig, sondern "verfassungsidentitätswidrig" sei: "Das Parité-Gesetz beruht, wie insbesondere Udo Di Fabio schon treffend festgestellt hat, im Kern auf Ideen, die Ständeversammlungen zu Grunde liegen. Genau wie bei der Einrichtung von Ständeversammlungen des 19. Jahrhundert wird das Volk nicht als Einheit von Freien und Gleichen gedacht. Es wird stattdessen in verschiedene Bevölkerungsgruppen unterteilt. Das brandenburgische Gesetz teilt das Staatsvolk in zwei Gruppen auf. Es gibt nicht mehr das brandenburgische Staatsvolk als solches, sondern zwei Volksgruppen, die nach ihrem Geschlecht (Mann oder Frau) voneinander unterschieden werden."

In der SZ hat Jens Bisky die Nase voll von den ganzen Ossi- und Wessi-Analysen. Als ließe sich das noch so säuberlich trennen: "Mit dem Label 'Ostdeutschland' lässt sich heute lediglich Identitätspolitik betreiben, die jene Misere verfestigt, die anzuklagen sie vorgibt. Es existiert kein politisches Gebilde dieses Namens, keine wirtschaftlich oder kulturell homogene und abgegrenzte Einheit, die so hieße. Selbstverständlich sind die Jahre der Teilung und die Vereinigungskrise nicht spurlos vorübergegangen. Aber schrumpfende Kommunen, ökonomisch abgehängte Regionen, arme Rentner gibt es im gesamten Land. Wer aufrichtig über den 'Osten' reden will, landet in einer Reformdiskussion über die gesamte Republik."
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