9punkt - Die Debattenrundschau

Der ausgebreitete rote Teppich

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.01.2019. Atlantic Monthly wirft einen Blick auf die Lage der amerikanischen Medien: Besser wird sie nicht. In der Welt fragt der Psychiater Joachim Bauer: Ist Claas Relotius vielleicht nur ein Symptom? Die taz zeigt, wie rumänische Nationalisten gegen die deutsche Minderheit Stimmung machen. Die Zeit fürchtet, dass die AfD in allen drei diesjährigen Wahlen in den neuen Ländern stärkste Kraft werden könnte.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.01.2019 finden Sie hier

Medien

Derek Thompson wirft in Atlantic Monthly einen Blick auf die Lage der amerikanischen Medien. Sie ist nicht besser geworden: "Es gab Entlassungen in Vox Media, Vice und Buzzfeed (und Gerede über eine Fusion aus Not). Mic., das einst mit 100 Millionen Dollar bewerte Start Up, hat den größten Teil seiner Mannschaft entlassen und wurde für 5 Millionen Dollar verkauft. Verizon hat fünf Milliarden Dollar auf seine Digital-Media-Unit abgeschrieben, zu der AOL und Yahoo gehören. Reuters  kündigte 3.000 Stellenstreichungen für die nächsten zwei Jahre an. Die Krankheit scheint weit verbreitet zu sein, betrifft Risikokapital-Lieblinge und alte Marken, sorgt für die Ausdünnung lokaler Nachrichten und internationaler Dienste. Niemand ist sicher und fast jeder steht zum Verkauf." Was laut Thompson folgt, ist eine neue Ära der Presse in der Hand reicher Patrone und eine politisch getriebene "Parteipresse". Wie das im einzelnen funktioniert, kann man in dieser GQ-Reportage nachlesen, in der Zach Baron beschreibt, wie Politiker mittels bezahlter Anzeigen das kalifornische Lokalblatt Fresno Bee attackieren.

Kann es sein, dass der Spiegel-Autor Claas Relotius, der seine Reportagen so frisierte, dass sie den Erwartungen entsprachen, nur ein Symptom für einen zynischen Journalismus ist, der am Ende den Populismus bestärkt fragt der Psychiater und Autor Joachim Bauer in der Welt: "Eine als Geschichte ständigen Versagens erzählte Tagespolitik, als Abfolge von lächerlichen oder unfähigen Charakteren, erzeugt ein Gefühl, das Martin Seligman als 'gelernte Hilflosigkeit' beschrieben hat. Frustration kann Wut und Aggression zur Folge haben. Ständig erneuerte Untergangsnarrative sind der ausgebreitete rote Teppich, den Populisten beschreiten, um unsere demokratische Gesellschaftsordnung insgesamt als Wegwerfmodell darzustellen. Das Fehlverhalten des Claas Relotius sollte Anlass sein, über unseren Journalismus grundsätzlich nachzudenken." Bauer verweist auf eine Initiative der amerikanischen Kollegen Tina Rosenberg  und David Bornstein für einen konstruktiven Journalismus (mehr hier).
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Religion

Auch in Frankreich denkt man über den Status des Islams nach. Die Regierung erwägt offenbar eine Änderung des Gesetzes von 1905, das die strikte Laizität in Frankreich regelt, um eine staatlicherseits besser überwachte Finanzierung der Moscheen zu ermöglichen (mehr hier).  Gegen eine Änderung des Gesetzes wendet sich eine Initiative von Organisationen und Einzelpersonen in einem Aufruf, den heute die Zeitschrift Marianne publiziert: "Eine Lösung dieser schweren Probleme lässt sich auf keinen Fall durch eine Änderung des Gesetzes erreichen. Wie sich eine Religion organisiert und ihre theologischen Prinzipien formuliert, betrifft nicht den Staat, sondern die Gläubigen. Die Transparenz der privaten Finanzierung der Konfessionen kann durch die Finanzaufsicht und strenge staatliche Kontrollen gewährleistet werden."
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Europa

Rumänien übernimmt die europäische Ratspräsidentschaft. Die als korrupt geltenden Sozialdemokraten und Nationalisten in Rumänien lenken unter anderem mit Attacken auf den rumäniendeutschen Präsidenten Klaus Iohannis ab, der einst den Demokratischen Verband der Deutschen in Rumänien (DVDR) leitete, erzählt der rumäniendeutsche Autor William Totok in der taz: "In den wüsten Angriffen hieß es, der Verband sei nichts anderes als die Nachfolgeorganisation der ehemaligen NSDAP der Deutschen Volksgruppe aus Rumänien. Der rumäniendeutsche Verband habe sich nun zum Ziel gesetzt, das Eigentum der 1944 verbotenen Naziorganisation unter den Nagel zu reißen, inklusive gewaltsam 'arisierte' jüdische Besitztümer. Gegen derlei Anfeindungen protestierte der Parlamentsabgeordnete der deutschen Minderheit, Ovidiu Gant."

Die Brüsseler Autorin Carmen Paun bereitet die Brüsseler Politiker in politico.eu schon mal auf Bukarest vor: die Stadt mit dem größten Verkehrschaos Europas. Viele ruhiger gehe es in Sibiu zu. "Das beste Beispiel ist Präsident Iohannis, der ehemalige Bürgermeister von Sibiu. In einer Rede im letzten Januar machte er so lange Pausen zwischen den Sätzen, dass er das Notfallsystem eines Readiosenders auslöste, das nach ein paar Sekunden Pause automatisch Musik spielt."

Im Osten Deutschlands finden in diesem Jahr drei Landtagswahlen statt: in Sachsen, Brandenburg und in Thüringen, erinnert Jana Hensel auf Zeit online. "In allen drei Ländern könnte die AfD stärkste Kraft werden, obwohl die Arbeitslosenzahlen im Osten vielerorts so niedrig sind wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr - oberflächlich betrachtet also nicht viel im Argen liegt, Facharbeiter sogar händeringend gesucht werden. Offenbar hat das eine mit dem anderen aber nicht viel zu tun. Die Dinge sind eher in ihren Widersprüchen zu begreifen als in ihren Analogien; so, als würden verschiedene Zeiten, verschiedene Erfahrungsräume einander überlappen."

Außerdem: Patrick Bahners kommt in der FAZ noch einmal auf die falschen Zitate über Europa zurück, die Robert Menasse in mehreren Äußerungen dem Europapolitiker Walter Hallstein in den Mund legte - falsch sei auch die Behauptung, Hallstein habe 1958 in Auschwitz geredet, um das europäische Projekt unter das Motto des "Nie wieder" zu stellen.
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Geschichte

In der FAZ berichtet Joseph Croitoru von einem Streit um das von der PiS-Regierung geplante geplante Museum zum Warschauer Getto in Polen. Kritiker werfen der Regierung vor, dabei den polnischen Antisemitismus herunterspielen zu wollen. Die PiS-Regierung konnte punkten, als sie den israelischen Historiker Daniel Blatman zur Zusammenarbeit gewann. "In Israel wird Blatmans Entscheidung, den Posten zu übernehmen, massiv kritisiert. ... Havi Dreifuss, Geschichtsprofessorin in Tel Aviv und Mitarbeiterin von Yad Vashem, die schon zu den Kritikern der bilateralen Politiker-Erklärung gehörte, warf ihm in der Zeitung Haaretz vor, er lasse sich für die manipulative Gedenkpolitik der PiS-Regierung instrumentalisieren. ... Haaretz befragte auch Blatman: Man habe ihm alle Freiheit bei der Gestaltung der Ausstellung zugesichert. Es liege ihm daran, die gemeinsame Geschichte von Polen und Juden im Zweiten Weltkrieg darzustellen: 'Ich behaupte nicht, dass beide Volksgruppen das gleiche Schicksal teilten, aber beide lebten unter ein und derselben Besatzung und nicht auf verschiedenen Planeten.'"
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