Judith Schalansky

Der Hals der Giraffe

Bildungsroman
Cover: Der Hals der Giraffe
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
ISBN 9783518421772
Gebunden, 224 Seiten, 21,90 EUR

Klappentext

Anpassung ist alles, weiß Inge Lohmark. Schließlich unterrichtet sie seit mehr als dreißig Jahren Biologie. Dass ihre Schule in vier Jahren geschlossen werden soll, ist nicht zu ändern - in der schrumpfenden Kreisstadt im vorpommerschen Hinterland fehlt es an Kindern. Lohmarks Mann, der zu DDR-Zeiten Kühe besamt hat, züchtet nun Strauße, ihre Tochter Claudia ist vor Jahren in die USA gegangen und hat nicht vor, Kinder in die Welt zu setzen. Alle verweigern sich dem Lauf der Natur, den Inge Lohmark tagtäglich im Unterricht beschwört. Als sie Gefühle für eine Schülerin der 9. Klasse entwickelt, die über die übliche Hassliebe für die Jugend hinausgehen, gerät ihr biologistisches Weltbild ins Wanken. Mit immer absonderlicheren Einfällen versucht sie zu retten, was nicht mehr zu retten ist.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.10.2011

Als "Glücksfall für die deutsche Literatur" feiert Alexander Cammann die Autorin Judith Schalansky, mit der er sich zum Spaziergang durch Greifswald getroffen hat. Denn auch wenn Cammann gleich erzählt, wie er beim Orgelspiel in St. Marien "feuchte Augen" bekam, klingt seine Hymne auf diesen atheistischen Roman überzeugend, in dem Schalansky als studierte Gestalterin - nach ihrem "Atlas der abgelegenen Inseln" - erneut das Zusammenspiel von Bild und Text probt. Auch sprachlich und psychologisch findet Cammann den Roman meisterhaft, er erzählt die Krisengeschichte einer ostdeutschen Biologielehrerin um die fünfzig, die sich in Hasstiraden auch Schule, Kollegen und Schüler ergeht, ebenso wie die Krisengeschichte einer Region im Umbruch. Und wie Schalansky dabei den biologischen Jargon in Poesie umwandelt, das findet er fast so großartig wie Thomas Manns Musikexkurse im Doktor Faustus.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.09.2011

Es gibt keinen Fortschritt, basta. Für die Dauer dieser Lektüre ist Jörg Magenau sogar bereit, ein solches Diktum zu akzeptieren. Zu schön sind die lehrbuchartigen Bebilderungen der Autorin, zu gut passt es zu Judith Schlalanskys Hauptfigur, einer dem darwinistischen Lebensprinzip verpflichteten, selbst bereits Richtung Abstellgleis der Evolution verschobenen vorpommerschen Biolehrerin. Schön liebevoll findet Magenau auch die Figurenbehandlung, die eine strenge Perspektive ermöglicht. Im Übrigen scheint ihm die bildungspessimistische Unerbittlichkeit der Frau Lehrerin durchaus nachvollziehbar. Bloß mit der Geschichte klappt es nicht so gut in diesem Buch. Die tritt auf der Stelle, meint Magenau. Ein bisschen wie in einem Lehrbuch. Ein bisschen langweilig.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.09.2011

Die Stimme der Autorin durch die Stimme ihrer Figur hallt beim Rezensenten noch lange nach. Die äußerliche Sprödigkeit des neuen Romans von Judith Schalansky, das Lehrbuchhafte des grauen Leinens, das Ulrich Rüdenauer als haptische Besonderheit (Buch schlägt Kindle!) ausdrücklich lobt, korrespondiert für ihn auf einmalige Weise mit der Hauptfigur, eine an der im Zuge der Handlung immer augenfälliger werdenden Differenz zwischen ihrem darwinistischen Weltbild und der Wirklichkeit ihres tristen Daseins leidenden Biologielehrerin. Es kommt, wie es kommen muss, die Vermeidungsstrategin fährt gegen die Wand. Rüdenauer hat hier keinen klassischen Entwicklungsroman entdeckt, sondern ist einer durchaus beschränkten, eben gänzlich undarwinistischen, doch umso glaubhafteren Entwicklung gefolgt, die von der Autorin, wie er schreibt, virtuos, behutsam und vielschichtig arrangiert wird.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.09.2011

Hymnisch bespricht Rezensentin Felicitas von Lovenberg Judith Schalanskys neuen Roman "Der Hals der Giraffe". Denn dieser "aufregend trockene" Roman hat einiges zu bieten, wie die Kritikerin berichtet: das bestürzende Psychogramm einer Frau, Biologielehrerin in einer ostdeutschen Kleinstadt, deren biologistisches Weltbild, das zwar viel Platz für Anpassung, aber leider keinen Raum für Verständnis bietet, zunehmend ins Wanken gerät. Der auch in entsprechendem Erzählton geschilderten Nüchternheit der Protagonistin setze Schalansky die Natur entgegen, nicht nur als individuell bedrohliche Triebgewalt, sondern vor allem als Macht, die sich die Straßen und Gehwege der entvölkerten Landstriche zurückerobere. Sehr elegant spreche die Autorin damit zugleich aktuelle Gesellschaftsthemen wie Überalterung, Klimawandel oder Landflucht an. Darüber hinaus hat die Rezensentin in diesem "umgekehrten Bildungsroman" dank Schalanskys wissenschaftlicher Genauigkeit und der wunderbaren Illustrationen interessante Einblicke in biologische Urprozesse wie Parasitismus oder Artensterben erhalten.
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