16.10.2001. Auch auf der Neumayer-Station ist man entsetzt über die Terroranschläge vom 11. September. Bernd Schuldt erklärt, was ein Funker im Eis alles zu tun hat.
Geneigte Leserin, lieber Leser der "Briefe aus der Antarktis",
der Herbst ist dabei, Einzug auf der nördlichen Halbkugel unserer Erde zu halten. Unsere Erde: Immer weniger Menschen machen sich klar, wie klein und mit
nachlassendem Schutz sich unser blauer Planet durch die Unendlichkeit des Universums bewegt. Schutzlos deshalb, weil wir gerade jetzt in Messreihen feststellen, wie sehr die
Ozonschicht zu dieser Jahreszeit abgenommen hat, wie
riesig das Ozonloch mittlerweile über der Antarktis geworden ist. Doch darüber wird im nächsten Brief von uns eingehender berichtet werden.
Ein anderer Gedanke drängt sich unwillkürlich auf, wenn es um die Begrenztheit des Daseins und die Verletzlichkeit der Erde wie die eines jeden einzelnen Menschen geht. Mit tiefer Bestürzung, einem großen Schock und innerer Bewegung haben wir, bereits wenige Stunden nach den schrecklichen Ereignissen des
11. Septembers, von den ungeheuerlichen wie sinnlosen Attentaten Kenntnis erhalten.
Wie
uns ging es den Mannschaften auf den Nachbarstationen
SANAE,
Maitri,
Novolazarevskaya und
Halley, die sich ebenfalls entsetzt zu den Greueltaten äußerten.
Nach Bekanntwerden der Ereignisse haben wir den Überwinterern der
US-amerikanischen Antarktisstationen Amundsen-Scott direkt am Südpol,
Mc Murdo am Ross-Schelfeis sowie
Palmer auf der Antarktischen Halbinsel unsere tiefe Betroffenheit und aufrichtige Anteilnahme übermittelt. In den Antwortschreiben von den amerikanischen Kolleginnen und Kollegen klang neben dem Dank für unsere Aufmerksamkeit vor allem eins an: Möge durch diese brutale Art der Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln keine nicht mehr beherrschbare
Spirale der Gewalt entstehen. Alle betonten, daß das Beispiel der internationalen Zusammenarbeit und
Solidarität der Antarktisstationen vieler Länder als Signal an die Welt und ihre Politiker zu werten sei, durch friedliches Miteinander im Interesse von Natur und Umwelt alle Probleme zu lösen.
Diese Gedanken wollten wir einleitend unserem heutigen Brief voranstellen.
Der
Frühling bahnt sich langsam seinen Weg an der Neumayer-Station. Nach vielen Wochen
Winter mit reichlich starken bis stürmischen, teils orkanartigen Winden gab es in den vergangenen Tagen
Sonne satt - vom Aufgang bis zum Untergang an einem
strahlend blauen Himmel, dem man die fast nicht mehr vorhandene Ozonschicht selbstverständlich nicht ansieht. Nur die Temperaturen waren noch nicht sehr frühlingshaft:
-25 °C bis -35 °C im Tagesgang.
Dafür waren dann die Nächte sehr schön klar und boten einen Sternenhimmel, an dem die
Milchstraße zum Greifen nah schien und Myriaden von Sterne in der klaren Luft wie kleine Juwele funkelten.
Heute aber wollen wir die
Arbeit von Bernd, dem
Funker, etwas näher vorstellen.
Am KurzwellensenderNeben dem Funkdienst und der Kontrolle der Funktionstüchtigkeit der Funkanlagen betreut er den
Gerätepark der elektronischen Datenverarbeitung und das
lokale Netzwerk. Natürlich versucht er, Funkgeräte oder Anlagen der EDV mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu reparieren, wenn die Technik manchmal nicht mehr so richtig mag. Wie aller Orten, so auch auf Neumayer: Es darf die
Schreibarbeit nicht fehlen. Dazu gehören die monatlichen Abrechnungen der
Funkgebühren, Bestellungen, Berichte und manches andere.
Und nach wie vor gehört der
Kurzwellenfunkverkehr zum fast täglichen Arbeitsablauf des Funkers.
Viele werden sich nun fragen, warum denn, um alles in der Welt, noch einmal über Funk auf den Kurzwellen berichtet werden soll. In der Tat, eine berechtigte Frage.
Selbstverständlich könnte alle Kommunikation zwischen der Neumayer-Station und dem Rest der Welt über die
Satellitenstandleitung beziehungsweise über die Inmarsat-A-Anlage abgewickelt werden.
Aber es gibt einfach Situationen, in denen der Kurzwellenfunkverkehr in der Antarktis
unerläßlich ist. So bei den funkseitigen
Flugbegleitungen (flight followings), die aus Sicherheitsgründen unbedingt erforderlich sind, denn über dem antarktischen Luftraum gibt es keine Fluglotsung, keine Instrumentenlandesysteme, keine Radarberatung oder -überwachung. So bleibt nichts anderes übrig, als die Flüge nach Verlassen der UKW-Reichweite der jeweiligen Stationen auf Kurzwelle zu begleiten, um
Informationen über den Flug und den äußeren Bedingungen am Flugziel auszutauschen.
In diesem Zusammenhang möchten wir auf eine großangelegte
Rettungsaktion verweisen, die im Januar dieses Jahres zur Evakuierung eines
schwerverletzten norwegischen Seemannes ablief. Der junge Norweger wurde vom Unfallort auf 70°07' Süd und 5°03' Ost über die südafrikanische Station SANAE IV, die Neumayer-Station und die Halley-Base (UK) zur Amundsen-Scott-Station mit dem Polarflugzeug
"Polar 4" des AWI geflogen. Anschließend übernahm eine amerikanische "Hercules"-Maschine den Patienten und brachte ihn nach einem Tankstopp in Mc Murdo weiter nach
Christchurch in
Neuseeland. Bei der gesamten Aktion lief ein großer Teil des Funkverkehrs auf
Kurzwelle ab.
Sie zeigt aber vor allem den
vorbildlichen Geist antarktischer Hilfe, Solidarität und Kameradschaft, in der in etwa
45 Stunden nach dem Unfall der Patient in Neuseeland ins Hospital gelangte.
Die letzten Informationen besagten, daß der junge Mann auf Grund der internationalen Hilfeleistung wieder seiner
vollen Genesung entgegensehen kann.
Arbeiten an der AntenneAber auch der Austausch allgemeiner und im besonderen von
Wetterinformationen gehört zum täglichen Kurzwellenfunkbetrieb.Da wird mit den Nachbarstationen - in unserem Falle mit Anton (nicht aus Tirol) auf
SANAE (Republik Südafrika), Bi Pi auf
Maitri (Indien), Boris auf
Novolazarevskaya (Rußland) und Mark auf
Halley (UK) - über das Leben und die Arbeiten sowie über alltägliche und besondere
Ereignisse gesprochen, um so ein Gefühl der
Zusammengehörigkeit für die lange Zeit des südpolaren Winters zu schaffen. Und wenn wir hier von den Nachbarn sprechen, so sind die nächsten unsere südafrikanischen Kollegen in einer Entfernung von etwa
220 km. Bei Nachbarschaft muß in der Antarktis also etwas großflächiger gedacht werden.
Bei den häufigen Gesprächen bleibt es nicht aus, daß zwischen den Funkern auch
persönliche Belange und Interessen zur Sprache kommen. Selbstverständlich tauschen auch die anderen Mitglieder unseres Teams mit ihren Kollegen bei den Nachbarn
wissenschaftliche Erfahrungen und Ergebnisse aus.
Für diese kostengünstigere Art der Kommunikation zwischen den einzelnen Stationen steht auf Neumayer ein
KW-Sender mit einer Leistung von
1kW zur Verfügung, die über zwei Dipolantennen in die Luft "gepustet" werden kann.
Während der
Sommeraktivitäten auf den Forschungsbasen wird trotz vieler anderer Arbeiten versucht, den KW-Funkverkehr mit den Nachbarn aufrechtzuerhalten. Deren Zahl nimmt dann zu, da es einige nur im Sommer betriebene Stationen gibt.
Andererseits wird gerade in dieser Zeit die Kurzwelle intensiv genutzt, um sich von den Basisstationen, wie dann ebenfalls Neumayer eine ist, mit den im
"Gelände" tätigen oder sich unterwegs zu den Außenstellen befindlichen Kollegen in Verbindung zu setzen. Dabei geht es zumeist um
sicherheitsrelevante und logistische Fragen. "Operation normal" ist eine gern genutzte und gehörte Formel, die das Wohlbefinden aller Teilnehmer einschließt.
Die Kurzwellenausrüstung auf den Außenstationen sind
mobile Anlagen mit einer Leistung bis 100 W. Es ist deren Anbindung an die antarktische Nachbarschaft, ohne zu vergessen, daß sie für den Notfall auch mobile Satellitenanlagen mitführen.
Während des vergangenen Sommers auf Neumayer wurde der KW-Funkverkehr vor allem mit
drei Geologen im
Kottas-Gebirge (etwa 400 km südlich von der Station), die dort wissenschaftliche Untersuchungen vornahmen, mit der im Aufbau befindlichen
Tiefeisbohrstelle an der Kohnen-Station auf 75° S und 0° sowie mit den zweimal von Neumayer dorthin und zurück erfolgten Konvois durchgeführt.
Bei diesen Kurzwellengesprächen, die seitens der beweglichen Stationen durchweg von Kollegen ausgeführt wurden, die mehr oder weniger ungeübt sind im Gebrauch der KW-Funkanlagen und die mit den Bedingungen auf Kurzwelle wenige Erfahrungen mitbrachten, haben alle Beteiligten dazu- gelernt und Freude an der Arbeit "auf der Welle" gehabt.
Ein weiteres Nutzungsgebiet des Kurzwellenfunks ist immer wieder die täglich ein- bis zweimalige
Verbindung mit Schiffen, die auf dem Wege zur Neumayer-Station sind oder von dort ablaufen. Hierbei handelte es sich während der jüngsten Sommerperiode um das deutsche Forschungsschiff "Polarstern", die zweimal Neumayer anlief, und die südafrikanische "S.A. Agulhas", die die letzten Sommergäste abholte. Dabei geht es um Informationen über die tägliche Position des Schiffes, die erwartete Ankunftszeit, um Wetter- und Eisverhältnisse und allgemeine logistische Fragen. Häufig werden auch hier persönliche Kontakte auf der Kurzwelle gepflegt.
Nicht genug damit.
Für den Fall, der eigentlich nicht eintreten kann, daß die
gesamte Station aufgegeben werden muß, und daß dies in der Winterzeit erforderlich wird, werden zu Beginn derselben zwei
Notbiwakschachteln unweit der Forschungsstation aufgestellt. Zur Ausrüstung der Notunterkünfte gehört selbstredend
eine Funkanlage bestehend aus einem Kurwellentransceiver (Sender und Empfänger in einem Gerät) mit dazugehöriger Antenne sowie eine Inmarsat-C-Anlage (nur für Telex-Verbindungen ausgelegt). Es versteht sich, daß diese Anlagen zu Beginn des Winters getestet werden.
Natürlich hat die
Kurzwellentelefonie, die ausschließlich genutzt wird - Morsetelegrafie ist so gut wie ausgestorben auf Kurzwelle - ihre
Tücken. Und die liegen im Detail, das da Ausbreitungsbedingung heißt. Mehr als anderswo auf der Erde sind die polaren Gebiete
magnetischen Störungen und Stürmen ausgesetzt. Die führen dazu, daß die Kurzwellenverbindungen sich plötzlich rasch verschlechtern oder, und das kommt hier nicht selten vor, ganz zusammenbrechen. Dann heißt es warten, manchmal
Tage. Häufig ist aber Stunden später eine Verständigung wieder möglich. Ein Gutes jedoch haben diese Turbulenzen in der
Ionosphäre, die durch Sonnenaktivitäten ausgelöst werden. Sie erzeugen bei entsprechender Intensität die spektakulären wie vielfarbigen
Polarlichter. Und die zu sehen ist ein Genuß für die Augen - so man gerade keine Wolken zwischen Himmel und Eis hat. Oft hatten wir das Glück in diesem Winter nicht, diese Farbspiele zu erleben. Aber in der Nacht vom 25. zum 26. September paßte es zusammen:
Magnetstürme in der Ionosphäre und wolkenfreier Himmel über der Station. Wir konnten farbenfrohe Polarlichter beobachten, die beeindruckende Effekte lieferten. Darüber freute sich jedoch auch der gute alte Herr Mond, der mit einem strahlenden Lächeln seiner halben Scheibe dieses Naturschauspiel ausleuchtete und ein Fotografieren wenig erfolgreich werden ließ.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Es war und ist eine große Freude für einen
altgedienten Seefunker, in der Antarktis mit Kollegen und mit den "Funkern auf Zeit" vorwiegend auf Kurzwelle zu arbeiten. Seine ÜWI-Kollegen nennen dies gerne den "täglichen Funker-Chat", wie es so schön Neudeutsch heißt.
In diesem Sinne verbleiben wir mit
sonnigen Frühlingsgrüßen bis zum nächsten Brief, in dem Isabels Arbeit und die Problematik der
Ozonmessungen und deren Auswertung an der Neumayer-Station vorgestellt werden.
Isabel & Bernd