Post aus der Walachei

Fast Music Slow Food

Rumänien in Berlin und anderswo. Von Hilke Gerdes
11.02.2007. Von rumänischen Filmen, die auf der Berlinale zu sehen sind, rumänischem Käse, den es jetzt als Slowfood gibt, und rumänischen Arbeitern, die nicht nach Deutschland kommen. Hilke Gerdes sucht die Walachei in Berlin
Während der Berliner Filmfestspiele läuft am 14., 15. und 17. Februar im Zoo-Palast Catalin Mitulescus Film "Cum mi-am petrecut sfarsitul lumii" (Wie ich das Ende der Welt erlebte, siehe dazu Post aus der Walachei vom 30. Oktober 2006) Auf jeden Fall sehenswert. Und in der Sektion "Kulinarisches Kino" wird am 13.02. ein kurzer Dokumentarfilm von Alexandru Belc über eine Schäfergemeinde in den Karpaten gezeigt, die sich mit der Slow Food-Bewegung assoziiert hat: "The Sound of Mountains".

Ansonsten gibt es auf der Berlinale keine rumänischen Beiträge. Da hätte man Ende Januar in Rotterdam sein müssen. Auf dem Filmfestival dort war Bukarest ein "hot spot". Neben einer Reihe von Filmen, über welche die Post aus der Walachei in früherer Zeit mehrheitlich berichtet hat, waren Djs und Bands aus Bukarest dabei, von Electricbrother, die für Cristi Puiu und Radu Muntean Filmmusik gemacht haben, bis Shukar Collective (siehe Post aus der Walachei vom 3. Mai 2006).

Wer will, kann auch die schnellste Band der Welt, so die Eigenbezeichnung, die legendäre Blaskapelle Fanfare Ciocarlia wieder in Deutschland erleben (Orte und Termine hier). Diesmal im Zusammenspiel mit diversen Größen der Gypsy-Musik des Balkans.

Wer in Berlin regelmäßig U-Bahn fährt oder dem Hauptbahnhof einen Besuch abgestattet hat, um sich die Stahlträger-Ornamentik einmal bewusst anzuschauen, wird es vielleicht bemerkt haben: Rumänien hat eine touristische Werbekampagne gestartet: Romania mit Bildern vom Donaudelta, Schwarzen Meer, den Karpaten und Sibiu (Hermannstadt), das dieses Jahr gemeinsam mit Luxemburg Europäische Kulturhaupstadt ist und ein großes kulturelles Programm organisiert hat. Also nichts wie hin. Rund 350.000 Deutsche haben nach Angaben der Rumänischen Zentrale für Tourismus 2005 Rumänien bereist, das ist eine Steigerung von fast zwanzig Prozent zum Vorjahr. Skeptiker können sich auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin Anfang März überzeugen lassen.


Schon wieder Nicolaescu

Während im Ausland die jungen rumänischen Regisseure Erfolge feiern, gibt es im Inland wieder Ärger mit dem CNC, Consilul National al Cinematografie, der für die rumänische Filmförderung zuständig ist. Cristi Puiu hat das Verfahren kritisiert, das jüngst erst reformiert worden war. Er werde zukünftig nicht mehr an den Wettbewerben teilnehmen und auch die für ein Filmprojekt im letzten Jahr zugespochene Förderung zurückgeben. Dass Sergiu Nicolaescu gewonnen hat, ist ein Skandal. Das Urgestein ­Nicolaescu hatte seine Hochphase mit hagiographischen Historienfilmen vor dreißig Jahren - sollte nicht jährlich finanziell gefördert werden, zumal das langjährige Senatsmitglied es nicht nötig hat. Es wäre opportun, denen das Feld zu überlassen, die künstlerisch mehr zu sagen haben. Gleichzeitig gerät aber auch Puiu in die Schusslinie, denn die Förderrichtlinien, gegen die er sich jetzt ausspricht, hat er vor dem Wettbewerbsergebnis nicht kritisiert. Auf die ihm zugesprochene Förderung zu verzichten, halten die meisten seiner Kollegen für falsch. Gleichzeitig erklären sich zahlreiche Personen aus dem Kulturbereich solidarisch mit Puiu. Der CNN schießt zurück: Mit den mageren drei Seiten, die Puiu als Projektentwurf abgegeben habe, könne man keine Förderung gewinnen. (Überblick: http://www.newsin.ro/Dosare.aspx?dosarId=8a0a7a2b-4b3d-4477-962d-c2c83928997f). Bei dem Konflikt zwischen CNN und Puiu geht es um mehr als um einen gekränkten Star des jungen rumänischen Kinos (diesen Star-Status hat er mittlerweile in Rumänien). Die zentrale Frage ist: Wie kann ein seit Jahren erfolgloser Regisseur jedes Jahr wieder hohe Förderungssummen gewinnen? Macht und Kontrolle im Filmförderungswesen stehen einmal wieder zur Debatte.


Das 27. Mitglied
Der EU-Beitritt Rumäniens ist geschafft. Enthusiasmus ist nirgendwo zu registrieren. Laut einer Umfrage befürwortet nur ein Viertel der Befragten in Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien den Beitritt von Bulgarien und Rumänien. Viele fürchten den Ansturm billiger Arbeitskräfte und die Abwanderung der Industrie in die Länder mit dem niedrigsten Lohngefüge innerhalb der EU. Dass sie schon längst in Rumänien angekommen ist, scheint den meisten nicht klar zu sein. Die Investitionen aus Deutschland beliefen sich im letzten Jahr auf 1,3 Milliarden Euro. Siemens, Continental, ThyssenKrupp sind ebenso vertreten wie Baumärkte, Großhandelsketten, Banken, Energieversorger und anderes mehr. Rumänien bietet mit seinen 22 Millionen Einwohnern einen Absatzmarkt, der kontinuierlich steigt. Die Mehrheit der Investoren-Manager wird von jährlichen Zuwachsraten beflügelt, von denen man in Deutschland nur träumt.

Wer über die 30 Milliarden Euro Zuschüsse für Rumänien aufjault, bleibt als einziger, aber nicht bedeutungsloser Trost, dass deutsche Firmen bei der Vergabe von Aufträgen zur Angleichung an den EU-Standard traditionell gute Chancen haben. So kommt ein Teil der Subventionen wieder zurück nach Deutschland.

Die wenigsten Menschen Westeuropas wollen etwas mit dem östlichen Teil Europas zu tun haben, sie verharren im geopolitischen Zustand des Kalten Krieges. Sie verpassen viel.

Welche Vorteile bietet abgesehen vom Absatzmarkt die rumänische Mitgliedschaft in der EU? Der rumänische Staatspräsident Traiain Basescu betont in Brüssel vor allem die wichtige geopolitische Lage Rumäniens für die EU. Das Öl aus Aserbeidschan könnte über Rumänien nach Westeuropa geführt werden. Rumänien ist jetzt das am weitesten nach Osten reichende EU-Land, mit einer Grenze zur Ukraine und zur Republik Moldau. Als ein europäisch orientiertes Bollwerk gegen das unberechenbare Russland und seinen ehemaligen Sowjetrepubliken kam man das Land auch betrachten.

Basescu spricht von der Rolle Rumäniens, "europäische Werte" östlich der EU-Grenzen zu verbreiten. Er sähe gern die Republik Moldau in der EU. Die alten Mitglieder haben genug zu knabbern an ihrem jüngsten Zuwachs, auch wenn sie ihm strengste Strafen bei Nichteinhaltung der Übergangsfristen für die Reformen, vor allem in der Landwirtschaft, auferlegt haben.

In Rumänien hält sich die Begeisterung ebenfalls in Grenzen. Viele sind sich bewusst, dass sie nicht wirklich willkommen sind in der EU. Und dass die EU-Mitgliedschaft nicht goldene Becherchen bringt, aus denen man nur zu trinken braucht. Oder vom 31. Dezember 2006 zum 1. Januar 2007 aus dem lückenhaften Gebiss ein strahlendes macht (wie die Kulturbeilage einer Tageszeitung aus Iasi jüngst sarkastisch titelte).


Wandernde Arbeiter

Der Sommer in Berlin war schön. Täglich wurden wir an Rumänien erinnert. Durch die Akkordeonspieler unten auf dem Platz vor den Restaurants und Cafes. Sie waren in großer Gruppe aus Buzau gekommen, das knapp einhundert Kilometer nordöstlich von Bukarest liegt. Dort in der Nähe gibt es die so genannten Schlammigen Vulkane, kleine Geysire, die regelmäßig ausbrechen und eine kleine Kraterlandschaft inmitten der grünen Walachei bilden. Hier in Berlin wohnen die Roma-MusikerInnen in einem günstigen Hotel und musizieren von nachmittags bis spät in die Nacht. Der Verdienst scheint sich trotz der Ausgaben zu lohnen. Jetzt ist Winter und sie sind wieder fort. Sie kamen mit ihrem dreimonatigen Touristenvisum. Die Arbeitsregelungen für Rumänen in Deutschland sind ihnen egal.

2006, im "Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer", wie ein Programm der EU lautet, hat Deutschland seinen Arbeitsmarkt Rumänen verschlossen. Es gilt die 2004 im Zuge der Osterweiterung verabschiedete 2+3+2 Formel, das heißt für Rumänien genauer 3+2, 2009 und 2011 sind Revisionen der Restriktionen möglich, 2013 sind die Restriktionen aufzuheben. Diesmal ist auch Großbritannien dabei, dass zur letzten Erweiterungsrunde 2004 noch seine Grenzen offen gelassen hatte. Es kamen mehr Menschen als erwartet, und das möchte man nun nicht noch einmal erleben. Die zehn Neumitglieder von 2004 erlassen keine Beschränkungen.

Die EU teilt mit, dass die Zuwanderung aus Mittel- und Osteuropa seit 2004 geringer ausgefallen ist, als erwartet, und eher positive Auswirkungen hatte.

Der große Exodus wird nach Meinung von rumänischen Experten allerdings nicht einsetzen, weil diejenigen, die sich mit dem Gedanken tragen im Ausland zu arbeiten, bereits im Ausland sind, vornehmlich in Spanien und Italien. Etwa zwei Millionen sollen es sein, die jährlich etwa drei Milliarden Euro in ihre Heimat schicken.

Man muss nicht glauben, dass nur alle wegwollen aus dem Land. Rumänien hatte in den letzten fünf Jahren durchschnittlich ein jährliches Wirtschaftswachstum von fast sechs Prozent. In einigen Regionen beträgt die Arbeitslosigkeit keine zwei Prozent. Der durchschnittliche Monatslohn ist zwar immer noch lächerlich gering im europäischen Vergleich, aber er ist auf etwa 250 Euro gestiegen.

Das Land sucht sogar Arbeitskräfte. 2007 werde für 12.000 Personen eine Arbeitserlaubnis ausgestellt, verkündet der Minister für Arbeit, Familie und Soziales, Gheorghe Barbu, Ende Januar. Darunter 800 für Chinesen und 1200 für Türken. Seit Ende Januar streiken chinesische Arbeiterinnnen einer Textilfabrik in Bacau wegen geringem Lohn und hoher Vermittlungsgebühr der chinesischen Vermitttlungsfirma. Einige von ihnen sind inzwischen nach Chinas zurückgekehrt (mehr hier).

Die Mehrheit der "Gastarbeiter" kommt aus der benachbarten Republik Moldau. In der Hauptstadt Chisinau können sich die rumänischen Visastellen vor Anträgen kaum retten. Die EU hat eine neue Grenze geschaffen zu dem Land mit fast 65 Prozent rumänisch-moldauischer Bevölkerung . Eine halbe Million Bewohner des wirtschaftlich schwachen Landes soll zudem die rumänische Staatsbürgerschaft beantragt haben.


Rechte Identität

Durch die neuen Mitglieder in der EU hat sich auch eine neue Fraktion im Europaparlament bilden können, die zuvor nicht existierte, weil man zu wenige und zudem uneins war. Mit den sechs Abgeordneten rechter Parteien aus Bulgarien und Rumänien, der Ataka-Partei und der Großrumänien-Partei, hat sich jetzt die rechtsgerichtete "Identität - Souveränität - Transparenz" (ITS) formiert. Vom dem Geld, das der zwanzigköpfigen Fraktion jetzt zusteht, können der xenophobe Le Pen, dessen Front National sieben Abgeordnete und damit die Mehrheit stellt, die Mussolini-Enkelin und der Rest der alteuropäischen Rechten Identitätsfindungsseminare mit ihren neuen Freunden am Schwarzen Meer veranstalten. Vielleicht verknäulen sich dabei die Schusslinien für Rassimus und Ausländerfeindlichkeit zu einem schönen Gewirr, das die Handlungsunfähigkeit dieser Fraktion beschleunigt.


Alte Bekannte

Während eine bekannte deusche Kaufhauskette mit bulgarischen Spezialitäten alte Ferienerinnerungen bei ihrem Klientel aus dem Osten weckt, fragen wir uns, was um Gottes Willen der annoncierte bulgarische Büffelkäse aus dem Donaudelta ist, das ja bekanntlich zu Rumänien gehört. Sollten die Bulgaren etwa rumänische Territorien beanspruchen? Ganz einfach ist das Verhältnis zwischen den beiden EU-Neumitgliedern ja schon seit Jahrhunderten nicht. Man nahm sich wechselseitig Gebiete ab, nicht das Donaudelta, aber weiter südlich gelegenen Landstriche am Schwarzen Meer (Dobrogea) und bestand auf seiner kulturellen Andersartigkeit; für Rumänien war/ist Bulgarien der slawische Balkan.
Mit Argusaugen beobachtete man die Reform-Fortschritte des jeweils anderen, lange Zeit hatte Bulgarien die Nase vorn, bis im letzten Jahr das doppelt so große Rumänien aufholte und sogleich Tageszeitungen den Ministerpräsidenten zitierten: Wir unterstützen Bulgarien gern bei seinen Reformen.

Wer zwischen diesen beiden Ländern einmal hin und hergereist ist, der erinnert sich an die vielen Stempel und Gebühren, die zu entrichten sind. Auf beiden Seiten; für die Benutzung der Straßen, für die Umwelt, für die Desinfektion der Autoreifen, für die Einreise, für die Ausreise usw. Es gibt eine einzige Brücke über die beide Länder abgrenzende Donau. Eine spanische Baufirma hat jetzt den Auftrag, eine zweite zu bauen.


Hilke Gerdes lebt inzwischen wieder in Berlin. Dies ist also eine Postpost aus der Walachei, in der sie einige Themen ihrer Koumne wieder aufnimmt. (D.Red.)