Post aus der Walachei

Von der Geliebten und den Schlammwegen

Von Hilke Gerdes
03.05.2006. Ist die swingende Manele-Musik schädlich für Rumänien? Oder ein moralischer Befreiungsschlag nach dem Muster Buummm Tschak bum tschak? Die junge Musikszene blüht nicht nur im nördlichen Transsilvanien.
Die Manele-Gefahr

Freitagabend in einem der privaten Fernsehsender Rumäniens: Ein Mann mit Brille, Halbglatze, dünnen Lippen und schwarzem Pullover spricht vom Verfall der Kultur, der Volksverdummung und der Verblödung der Jugend. Verantwortlich sind für ihn solche Menschen, wie sie neben ihm sitzen: drei Männer mit schwarzen Haaren, Goldkettchen und weit offen stehenden Hemden. Manele-Musiker.

Nach einer Umfrage im Auftrag des Consiliul National al Audiovizualului gaben etwas mehr als ein Drittel der rumänischen Jugendlichen zwischen elf und vierzehn Jahren als ihre Lieblingsmusik Manele an. Bei den Älteren sind es weniger, 21,9 Prozent. Vielen ist das zu viel. Weshalb jetzt im Fernsehen das Diskussionsthema lautet: "Manele - eine Gefahr für unsere Kinder?"
Manele oder im Singular Manea wird überall und ebenso von Erwachsenen gehört: in Clubs, Restaurants, Trinkhallen und kleinen Grillbuden, auf Hochzeiten und Taufen. Aus den Autos schallt diese Musik heraus, die das Volk wie keine andere Musikrichtung in Fans und Feinde teilt.
Was ist Manele? Diese einfache Frage lässt sich nicht leicht beantworten. Es gibt große Unterschiede zwischen früherem und heutigem Manele und die Stilmischungen, zum Beispiel mit Pop, Hip-Hop oder House, sind vielfältig. Gern wird von einem orientalischen Rhythmus gesprochen. Allerdings ist dies unpräzise, denn der europäische Viervierteltakt ist auch in Manele vorherrschend.

Es ist eher die Betonung des Rhythmus, die, wie der deutsche Musikproduzent und Manager Henry Ernst erklärt, "stark der swingenden türkischen Ciftceli Musik entspricht: Buummm Tschak bum tschak - Buummm Tschak bum tschak. Außerdem wurden mit der Stimme stark ornamentierte und vibratoreiche Gesangslinien intoniert. Das wird heute auch versucht, aber nicht mehr erreicht. Alles in allem ­- die Türkei ist hörbar und nicht weit entfernt.? Alles kann so manea-artig interpretiert werden. Selbst die rumänische Nationalhymne, wie es im letzten Jahr zum Nationalfeiertag am 1. Dezember im Privatfernsehen bewiesen wurde. Einige fanden dies lustig, andere waren empört.

Argumente für anderes


Wie viele Musikkenner ist Henry Ernst von den heutigen Manele wenig begeistert. Seiner Meinung nach reduzieren sie sich auf das Variieren und Simplifizieren erfolgreicher Songs der neunziger Jahre. Außerdem wird nichts mehr arrangiert, sondern nur noch mit Synthesizer gespielt. Dazu brauche es kein besonderes musikalisches Talent. Es gibt andere Musik, die es sich lohnt zu promoten. Ernst ist im Rumänien der neunziger Jahre durchs Land gefahren und hat exzellente Roma-Musiker gefunden, die heute als "Fanfare Ciocarlia" durch die ganze Welt touren. Inzwischen sind vier CDs und eine DVD von ihnen auf dem Markt (hier und hier sind sie zu bekommen. Neben der Tourorganisation für die "schnellste Blaskapelle? Rumäniens verlegt Ernst zusammen mit Helmut Neumann Gipsymusiker des Balkans und seit neuestem alte rumänische Musik, "Sounds From A Bygone Age". Bisher sind Ion Petre Stoican und Romica Puceanu erschienen, weitere werden folgen (mehr hier).

Während Ernst vom musikalischen Qualitätsanspruch aus gegen heutige Manele argumentiert, geht es dem schmallippigen Mittfünfziger der Pro-und-Contra-Manele-Diskussion im Privatsender um die restriktive Durchsetzung von so genannter Hochkultur. Er erzählt, wie sein Vater ihn an die klassische Musik herangeführt habe: im Zimmer für Stunden eingesperrt mit Caruso-Platten. Am liebsten möchte er die ganze rumänische Jugend dieser Art behandelt wissen. Unfreiwillig liefert er ein wunderbares Beispiel für die noch heute weit verbreitete Auffassung, wie der Mensch zu erziehen ist. Dazu passend würde er lieber heute als morgen Manele verbieten. Versuche gab es schon vor ihm. Der ehemalige Ministerpräsident Adrian Nastase war Mitglied einer Anti-Manele-Initiative, im Parlament wurde schon vor langer Zeit über Verbote debattiert.

Die Manele-Musiker im Fernsehstudio des Privatsenders lächeln und sprechen viel von Volk und Sympathie und dass doch jeder die Musik hören könne, die er wolle. Damit haben sie Recht, sagt sich der Zuschauer. Über die Gerüchte, dass manche Fernsehsender sich Auftritte von Manele-Sängern bezahlen lassen und dadurch die mediale Musikvielfalt eingeschränken, gehen sie großzügig hinweg. So einfach wie geschickt argumentiert der intellektuelle Gegner nicht. Mit seiner sauertöpfischen Miene und rigiden Art löst er selbst bei einem von Manele wenig begeisterten Menschen Solidaritätsgefühle mit den Musikern aus.

Wenn den Kindern keine musikalischen Alternativen geboten werden, bleiben sie Manele-Fans. Für "bildungsferne" Schichten gibt es wenig Angebote. Schulklassen besuchen die Bukarester Kinderoper; deren Inszenierungen erfreuen vielleicht noch Siebenjährige, Ältere winken müde ab. Das private wie staatliche Fernsehen schielt nach Einschaltquoten und hat Kindern außer einigen Zeichentrickfilmen nichts zu bieten. Das staatliche Radio konzentriert sich darauf, Erzählungen zu vertonen, die schon vor zwanzig Jahren in der Schule Pflichtlektüre waren. Das ist alles in allem nicht besonders spannend. Manele wirkt im Vergleich dazu wie ein moralischer Befreiungsschlag, ein Ausbruch an Gefühlen.

Viele derjenigen, die außer Bauch auch ein musikalisch geschultes Ohr besitzen, vermögen der Begeisterung allerdings nicht so recht zu folgen. Wenn solche Menschen zu später beziehungsweise frühmorgendlicher Stunde auf einer Hochzeit oder Taufe bei heutigem Manele mitsingen und -tanzen, ist das kein Widerspruch, sondern schlicht und einfach dem Tuica zuzuschreiben, durch den der Bauch über alle anderen Körperteile siegt.

Die Manele-Ursprünge


Als orientalisches Liebeslied wird die Manea im rumänischen Wörterbuch definiert. Seit der türkischen Besatzung im 15. Jahrhundert habe es in der Dobrudscha im Südwesten Rumäniens diese Lieder gegeben, die auch von heute vergessenen großen SängerInnen Rumäniens, wie Gabi Lunca oder Faramita Lambru, interpretiert worden seien, sagt der Sohn des berühmten Geigers Ion Voicu und selbst Musiker und Dirigent klassischer Musik, Madalin Voicu. Nach dem Journalisten Miron Manega sind Manele mit den Fanarioten, den aus dem Istanbuler Viertel Fanar stammenden Griechen, die von den Türken zwischen 1711 und 1821 als Landesfürsten in den besetzten rumänischen Gebieten installiert wurden, nach Rumänien gekommen. Die rein instrumentale Musik sei später, beeinflusst von der städtischen Folkloremusik, mit Texten kombiniert und selbst von Maria Tanase, der Piaf des Ostens, gesungen worden.

Wie immer die historischen Ursprünge von Manele auch zeitlich einzuordnen sind, für Voicu hat diese Musikrichtung heute mit ihren verstärkten Instrumenten, mit Synthesizer, simplen Beats und Texten nichts mit den ursprünglichen Liebesliedern zu tun. Gleichzeitig sieht er, wie auch Henry Ernst, die Qualität dort, wo die Musiker von der traditionellen "muzica lautareasca" kommen. Die "lautari" waren bis ins 19. Jahrhundert an Adelshöfen spielende Roma oder herumziehende kleine Musikformationen mit Geige, Bass und Zymbal. Berühmt sind die "lautari", die in den Gartenlokalen der Bukarester Vorstädte, den so genannten "mahale", spielten. Dan Armeanca soll der Erste gewesen sein, der in den achtziger Jahren diese traditionelle Zigeunermusik der "mahale" zu Manele gemacht hat. Seine musikalischen Qualitäten sind unbestritten. Einer seiner großen Hits ("Can Marraulan") ist auf der in Deutschland verlegten CD "Suburban Bucharest. Mahala Sounds from Romania" zu hören (mehr). Für die Musikauswahl und das äußerst informative Booklet dieser CD zeichnet Grit Friedrich, Musikjournalistin und ausgezeichnete Kennerin der Musik Südosteuropas, verantwortlich. Wärmstens zu empfehlen für alle, die einsteigen wollen in den "Mahala-Sound".

Leben von Musik

Dan Armeanca und Costel Vasilescu, einer der besten Trompeter Rumäniens, gehören zu den Gästen, mit denen "Fanfare Ciocarlia" einige Stücke für ihre dritte CD "Iag Bari" eingespielt hat. Auf dieser CD ist ein kleiner Videoausschnitt, der die Existenz dieser Roma-Musiker mit symbolträchtigen Bildern deutlich macht: Schlammwege im heimatlichen Dorf, Hightech-Hochzüge in Tokio, wo "Fanfare Ciocarlia" die japanischen Zuschauer zum Swingen bringt. Ein Pendeln zwischen extrem divergierenden Welten. "Fanfare Ciocarlia" ist durch die ausländische Unterstützung im Ausland bekannt geworden. Im eigenen Land gelten die Propheten wenig. Es gibt keine rumänischen Plattenlabel, die sich für sie interessieren.

Das Gleiche gilt für die "Taraf de Haidouk", eine Formation von Roma-Musikern aus dem kleinen walachischen Dorf Clejani. Die rumänische Musikethnologin Sperantsa Radulescu hat schon vor Jahren Aufnahmen mit einigen von ihnen gemacht, die innerhalb einer hochinteressanten, von einer Stiftung produzierten ethnophonischen Reihe erschienen. Doch erst durch durch die Belgier Stephane Karo und Michel Winter, die inzwischen vier CDs und eine DVD von ihnen herausgebracht haben, sind sie international bekannt geworden.

Weniger finanziell erfolgreiche Musiker bekommen hart zu spüren, wie sich die Welt zu Hause verändert. Während die Schlammwege noch da sind, ist es ist nicht mehr wie früher selbstverständlich, egal wie arm oder reich man ist, bei einer Hochzeit, einer Taufe oder anderen großen Familienfeier drei, vier Musiker zu engagieren. Und es gibt zwar noch Restaurants, die Wert auf eine gute "Zigeunerband" legen, aber sie werden immer weniger. Insbesondere für die junge Musikergeneration ist diese Entwicklung inzwischen ein existenzielles Problem. Wer heute Manele spielt, mache dies aus finanziellen Gründen, so Voicu, der selbst der Roma-Minderheit angehört und nicht unumstrittener Ehrenvorsitzender der Roma-Partei ist. Alles andere sei Heuchelei. Manele-Sänger selbst bekunden öffentlich natürlich ihre Liebe zu diesem Stil.

Kaiser und König

Eine Freundin berichtet von einer Hochzeitsfeier im Hotel Hilton; ein großzügiger Gast schenkte einen Auftritt von Adrian Minune; 2000 Euro soll er gekostet haben. Minune (das Wunder), früher nannte er sich in Anspielung auf sein Alter Copilul Minune (das Wunderkind), ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Manele-Sänger. Seine musikalische Laufbahn begann im zarten Knabenalter mit rumänischen Volksliedern. Er war lange Jahre die Nummer Eins auf dem Markt, bis 2004 Nicolae Guta in einer Fernsehshow zum Manele-König gekrönt wurde; die Fotos von Guta mit Krone auf dem Kopf und einem wütenden Minune gingen durch die gesamte Presse. Ein Schlagabtausch wüster Beschimpfungen folgte, bis schon bald darauf Frieden geschlossen wurde und Guta von Minune als "Kaiser der Manea" sprach.
Guta hat jahrelang bei der rumänischen Eisenbahn in Petrosani gearbeitet, bis er nach 1989 das Singen entdeckte. Auf Manele-Seiten im Internet wird genauestens aufgeführt, wieviel Häuser er für seine Familie hat bauen lassen. Geld ist wichtig in der Szene. Erfolg spiegelt sich in Besitz.

"Dragoste" und "smecherie"

Die Texte könnten ein bisschen intelligenter sein, sagt Hanno Höfer, Leadsänger der "Nightloser" (und Filmemacher, siehe Post aus der Walachei vom 9. Juni 2004). Die "Nightloser", eine der bekanntesten Bands in Rumänien, deren letzte CD "rhythm & bulz" zu den ersten zehn meistverkauften Titeln eines großes Medienmarktes gehören, kombinieren Rhythm & Blues mit Folk. Höfer drückt sich diplomatisch aus; Anti-Manelisten beklagen das sprachliche Niveau, grammatikalische Fehler und einen reduzierten Wortschatz. Thematisch kreisen Manele um die Freuden und Sorgen des Lebens, um Liebe, Geld, schöne Frauen, tolle Kerle und ihre Feinde.

Besungen wird die "fata frumoasa" (das schöne Mädchen), "iubita mea" (meine Geliebte) und immer wieder "dragoste". Letzteres Wort dürfte vor allem in Teeniekreisen Deutschlands kein unbekanntes mehr sein, stand die rumänische, genauer moldawische Boygroup "O-Zone" doch wochenlang an der Chartspitze mit ihrem Poptitel "Dragostea din tei". Im Vergleich dazu erscheint die ebenfalls aus Moldawien stammende Gruppe "Planeta Moldova" wie von einem anderen Stern, musikalisch wie textlich sind die Satiriker das reine Gegenprogramm.

Dass das kleine Land zwischen Rumänien und der Ukraine auch gute Musiker hat, beweisen "Zdob si Zdub" (mehr), die sich zwischen Ethno, Grunge, Acid und Rock bewegen. Und auch textlich mehr als "drago" zu bieten haben. In den Manea-Texten ist das vermittelte Weltbild so einfach wie eindeutig: Wer gerissen genug ist (auf Rumänisch nennt man solch einen Menschen "smecher"), fährt die dicksten Autos und kriegt die meisten und schönsten Frauen. Feinde zu haben gehört dabei zum guten Ton: "Ein Mann ohne Feind ist wie eine Bank ohne Geld", sagt Minune im Interview, und "wer Freunde hat, ist ein guter Junge, wer Feinde hat, ein besserer".

Alternativen

Für Musiker wie Mihnea Blidariu ist so ein Weltbild einfach nur Bullshit. Der Sänger und Gitarrist von Luna Armara steht für eine ganz andere Musikszene Rumäniens, die man hier "Underground" nennt und die noch keinen Zweig der Musikindustrie bildet. In den Texten der Gruppe geht es um gesellschaftliche Dinge. In hier bisher ungewohnter Radikalität kritisieren sie den Zustand der politischen und intellektuellen Klasse Rumäniens, der Kirche und der breiten Masse. Sie unterstützen aktiv den Kampf um Rosia Montana (mehr), wo Kanadier den ökologisch fragwürdigen Goldabbau mit Zyanid planen (siehe Post aus der Walachei vom 13. September 2004). Die Rockband mit leichtem Grunge-Touch singt auf Rumänisch. Ihr ist die Message genauso wichtig wie die Musik. Vor zwei Jahren haben ihre provokativen Sprüche noch zu Zensurversuchen geführt, Ausdruck der alten Mentalität, wie Blidariu unaufgeregt dazu sagt. Vor kurzem erhielten die Musikkanäle MTV Romania und TVK Lumea eine Geldstrafe, weil sie ein Video der "Paraziti" zeigten, das "Praf" (Pulver, Staub) heißt: Es sei eine Aufforderung zum Drogenkonsum.

Den rumänischen Musikmarkt hält Blidariu für ziemlich schwierig. Es gäbe zu wenige Independent Labels. Die größeren Labels setzen lieber auf Manele, eingängigen Pop oder rumänische Altrockgruppen wie zum Beispiel "Iris", "Holograf" oder "Directia 5". So sind es hauptsächlich die Gigs, mit denen die meisten ihren Lebensunterhalt bestreiten. Zwei Wochen wird Kumm, eine der erfolgreichsten Bands in der Independent-Szene, in Deutschland touren. Anfang Mai sind die Musiker in Berlin (unter anderem im Sage Club). Davor in Süddeutschland, wo sie es schon im letzten Jahr geschafft haben, das Publikum zu begeistern.

"Kumm" kommt wie "Luna Amara" aus Cluj-Napoca (Klausenburg). In dieser Universitätsstadt im nördlichen Transsilvanien hat sich seit 1989 eine sehr lebendige alternative Musikszene entwickelt. "Alternativ" hat hier nicht den Gout des alten Ökolatschenträgers wie in Deutschland, sondern wird positiv konnotiert. Wo vor Jahren von Politikern provozierte gewalttätige Auseindersetzungen zwischen Ungarn und Rumänen stattfanden, machen die jungen Musiker dem Volk die Verständigung zwischen den historischen Erzfeinden vor: Sie spielen gemeinsam.

Eine feste Größe in der Szene ist Blazzaj, rückwärts gelesen "jazz alb", weißer Jazz, der gemischt wird mit diversen Rhythmen, unter anderen von Funk, Latin, Rock und Reggae. Die Band aus Timisoara (Temesvar) singt wie viele überwiegend in ihrer Muttersprache. Trotz eines schwierigen Musikmarktes gibt es auch in Rumänien alle möglichen Musikrichtungen, von Rap, Hip-Hop bis zu Ambient und Electronic: "Bucharest chills &thrills" lautet der Titel eines CD-Samplers mit Electricbrother, Junkyard und anderen. Was es woanders wohl so nicht gibt, ist "Shukar Collective", die Kombination von traditionellem Zigeunergesang und Spiel auf Löffeln mit Electronic Music (mehr). Das ist exotisch für östliche wie westliche Ohren.