01.05.2003. Silvio Berlusconi ändert die Farben der Trikolore - und das Rot ist ihm dabei besonders peinlich. Auch aus der italienischen Geschichte möchte er es am liebsten tilgen.
Grün, weiß und rot. Diese drei Farben schreibt die italienische Verfassung für die Trikolore vor, ohne die Farbtöne genauer zu bestimmten. Die bunte Mischung, die Anhänger der italienischen Küche so gerne in Form eines Insalata Caprese aus Tomate, Mozzarella und Basilikum zur sommerlichen Grillparty mitbringen, besang der Poet und Patriot
Giosue Carducci 1897, als die Trikolore ihren hundersten Geburtstag feierte, mit heimatlichem Pathos. In der Nationalflagge erkannte er das
Grün der "Täler im April", das
Weiß des "Alpenschnees" und das
Rot der "Vulkanflammen" wieder.
Mit erhabenen oder kulinarischen Vergleichen ist es nun vorbei. Besessen von Reformeifer, ließ Silvio Berlusconi die kräftigen Farbtöne der Trikolore in
dunklere Nuancen abändern - schließlich ist solch eine neue Tönung viel leichter zu realisieren als langwierige institutionelle Neuerungen, zumal wenn es dazu keiner Verfassungsänderung bedarf, sondern nur einer großzügigeren Interpretation. Die nach Berlusconis Gusto reformierte Trikolore fand nicht bei allen Parlamentariern Zuspruch. Einige Oppositionspolitiker sprachen sogar vom
"chromatischen Staatsstreich". Nur Berlusconi könne auf die Idee kommen, eine populäre Fahne in ein "Elitetuch" und ein "Status-Symbol" zu verwandeln, kommentierte Sebastiano Messina in der römischen
La Repubblica den neuen Look der "Tiffany-Tricolore". Das Grün gleicht dem Green in Berlusconis Villa, das Weiß wurde zu Elfenbein veredelt und das
leuchtende Rot, das den Premier ständig ungefragt an die Fahnen ihm verhasster Kommunisten und Revolutionäre erinnerte, funkelt endlich als
"reicheres" Rubinrot - spottete Messina (hier die Seite des
Fahnenherstellers mit
Online-Katalog).
Aber nicht nur das Rot der Trikolore leuchtete Berlusconi zu kommunistisch. Auch die
italienische Verfassung, die er vor kurzem "sowjetisch" nannte, würde er am liebsten neu einfärben. Einen ihrer Grundwerte, den
Antifaschismus, banalisierte er, indem er der Zeremonie am
Nationalfeiertag - der Befreiung vom Faschismus - einfach fernblieb. Statt sich an den italienischen Widerstand gegen nationalsozialistische Besatzung und gegen Mussolini zu erinnern, machte er Urlaub in einer seiner Villen auf Sardinien, an der Costa Smeralda, und rechtfertigte sein Fehlen mit der Ausrede, dass er die
überdehnten Bänder seiner linken Hand schonen müsse, um dann noch schnell zu seiner Tochter nach Nizza zu fliegen.
Seine Unpässlichkeit hielt Berlusconi nicht davon ab, die Opposition zu attackieren: die
Linke "hat immer
Diktaturen und Diktatoren verteidigt und verteidigt sie noch immer. So derzeit auch Fidel Castro. Sie holt ein Thema wie die Resistenza nur hervor, um von den aktuellen Problemen abzulenken. Die Linke hat nämlich das Vertrauen der Italiener verloren und ist orientierungslos." Mehr hatte Berlusconi zum Thema Resistenza nicht zu sagen - als hätte es den antifaschistischen Befreiungskampf in Italien nie gegeben. In der Tat sehen einige Regierungsvertreter nur in den englischen und amerikanischen Truppen die Befreier Italiens.
Der Sprecher von Berlusconis Forza Italia-Partei, Sandro Bondi, greift die Resistenza ohne Umwege an und macht die Partisanen für das Massaker an der Zivilbevölkerung von
Marzabotto (mehr
hier und
hier) verantwortlich, weil sie mit ihrem Verhalten die Repressalien der Nazis provoziert hätten. Mehr als 1800 Zivilisten hatten SS und Wehrmacht 1944 in dem Ort bei Bologna ermordert.
Furio Colombo, Direktor der linksgerichteten
Unita, erkennt in den Äußerungen von Berlusconi und Bondi eine durchdachte Strategie, die darauf abzielt, die Beziehung zwischen Antifaschismus, Resistenza und Verfassung aufzulösen, um die eigene Macht zu stärken: "Die Konstitution ist das
letzte große Hindernis, das der vollen Machtentfaltung Berlusconis im Weg steht."
Für den Schriftsteller
Michele Serra (hier ein
Interview mit ihm) repräsentiert der 25. April ohne Berlusconi, der dem Staatspräsidenten
Carlo Azeglio Ciampi die Feierlichkeiten allein überließ, darüber hinaus die Anschauung des gesamten politischen Rechtsblocks: "Der leere Sessel bleibt demonstrativ leer und offenbart die raue ideologische Wirklichkeit, die unter Berlusconi herrscht: Einerseits eine lang herbeigesehnte Revanche aller rechten Parteien ohne Ausnahme, andererseits die Absicht, den Antifaschismus als Geburtsstunde der italienischen Republik auszuschalten." Dem Regierungschef gelang es allerdings nicht, sein heuchlerisches Verhalten zu verstecken. Serra deutet in La Repubblica Berlusconis Abwesenheit als die "klare und eindeutige Geste eines institutionellen Bruchs."
Langfristig verfolgt Berlusconi mit seiner Strategie mehr als nur den Boykott des Nationalfeiertags,
bemerkt auch
Andrea Colombo im linksintellektuellen Blatt
il manifesto: "Die Entlegitimierung der Resistenza und die ausdrückliche Gleichsetzung von Kommunisten (also Partisanen) und Nazis auf einer Ebene ist notwendig, um die
Wurzeln der Linken im Land zu kappen." Erste Resultate dieser Kampftaktik hat Colombo schon gefunden. So will der
Lega Nord-Abgeordnete
Borghezio den
nationalen Partisanenverbänden die Gelder streichen. In Zukunft könnte dann der Tag der Befreiung vom Faschismus ein so unangenehmes Thema sein, dass niemand mehr darüber reden will.
Das befürchten auch einige Historiker.
Enzo Collotti (
hier einer seiner Aufsätze über die Resistenza), der für den
Einaudi-Verlag das
"Wörterbuch der Resistenza" herausgegeben hat, verschont weder den
linken noch den
rechten politischen Flügel mit Kritik. Laut Collotti haben beide Gruppen ihre historischen Wurzeln verloren, und die Linke ist auf das Niveau der Rechten abgesunken. Als besonders gefährlich beurteilt der Historiker in neinem
Artikel für
il manifesto die Fremdheit der Politiker gegenüber
Widerstand und Befreiungskampf: "denn das führt zur Indifferenz. Wir müssen dazu in der Lage sein, der Jugend den wahren Sinn dessen zu vermitteln, was wir mit der Resistenza erobern wollten; und definitiv auch errungen haben: eine Demokratie und eine Verfassung als ein Miteinander von Werten und nicht von reinen rechtlichen Normen. Unsere Aufgabe für die Zukunft ist, den Faschismus abzuwehren, denn nur allzu oft wird vergessen, dass Mussolinis Italien als erstes mit den Angriffskriegen begann, 1935 in Äthiopien, ein Jahr später in Spanien und 1939 in Albanien."
Der
historische Revisionismus ist das Resultat einer Politikerkaste, die sich Lichtjahre von der politischen Kultur der Gründungsväter - darunter Einaudi, De Gaspari und Togliatti - der italienischen Republik entfernt hat. Den Co-Direktor der
Unita, Antonio Padellaro, wundert das nicht weiter: "die Regierenden von heute haben kein historisches Gedächtnis. Sie kennen die Geschichte nicht, weil sie letztlich keine eigene Geschichte haben."
Umberto Bossi, der Präsident der Lega Nord, feierte am 25. April nicht die Befreiung vom Faschismus sondern ein Folklore-Fest, das die eigenständige Identität seines norditalienischen Herrschaftsgebiets untermauern soll - weiß Padellaro. Auch
Gianfranco Fini hat große Gedächtnislücken, denn seine Alleanza Nazionale ist erst 1994 aus dem neofaschistischen MSI (Movimento Sociale Italiano) entstanden, seitdem gerät Fini ständig durcheinander, wenn es um Faschismus und Antifaschismus geht. "Und schließlich gibt es noch Forza Italia - so Padellaro - die einzige Partei der Welt, die ihre historischen und kulturellen Wurzeln in den Büros eines Unternehmens hat wachsen lassen. Auch hier gab es vor ྙ nur das Nichts."
Historische Wahrheiten sind derzeit in Italien nicht besonders beliebt. Seit Monaten blockieren und verzögern Regierungsvertreter die Einrichtung einer parlamentarischen Untersuchungskommission, die den Verschluss und die Geheimhaltung wichtiger Dokumente zu
Kriegsverbrechen im sogenannten "Schrank der Schande" aufklären soll. Dieser Schrank wurde erst 1994 in den Räumen der Generalstaatsanwaltschaft des Militärs in Rom 'entdeckt'. Seit Kriegsende lagern darin
695 Hefte, die Nazimassaker und Kriegsverbrechen darstellen und anklagen, bei denen circa Fünfzehntausend Menschen ermordet wurden. Die Alliierten hatten nach ཀྵ die Unterlagen über Kriegsverbrechen, die sie selbst nicht gerichtlich verfolgen konnten, wie beispielsweise die Massaker von Deutschen an der italienischen Zivilbevölkerung, an die Behörden in Rom gesandt. Der Schrank war für Jahrzehnte die Endstation für die Dokumente, die eigentlich zur umgehenden Weiterleitung an die zuständigen Staatsanwaltschaften bestimmt waren. Als einer der Gründe für die Geheimhaltung der Unterlagen wird gerne das politische Interesse einiger Partisanenvereinigungen angeführt, die angeblich die Aufklärung der Wahrheit verhindern wollen.
Statt die Arbeit der Historiker zu fördern, versucht die Regierung jedoch mit allen Mitteln, diese zu diskreditieren und zu beeinflussen. Im Dezember des vergangen Jahrs fasste sie den Entschluss, dass das Bildungsministerium in Zukunft den Inhalt der Geschichtsbücher in den Schulen Italiens überwachen sollte, um für "Objektivität" zu garantieren. Entsetzt lancierte damals die Bürgervereinigung
Liberta e Giustizia, der auch
Umberto Eco und
Claudio Magris (mehr
hier) angehören, einen Appell (
"Finger weg von den Geschichtsbüchern") zur Verteidigung der Freiheit von Lehre und Bildung, die von der italienischen Verfassung garantiert wird.
Die Werte der italienischen Konstitution werden jedoch von der Regierung Berlusconi fast täglich missachtet und mit Füßen getreten. Nach den Partisanen und dem Antifaschismus wird die nächste Attacke Berlusconis mal wieder der Justiz gelten; denn sein Freund und ehemaliger Anwalt, Forza Italia Abgeordnete und Ex-Verteidigungsminister Cesare Previti wurde wegen Richterbestechung zu elf Jahren Haft verurteilt (
hier das Dossier der
Repubblica zu Previti und seiner Verurteilung). Zu diesen Nutznießern der Korruption gehört auch Silvio Berlusconi, der aufgrund eines gefälschten Gerichtsurteils, von Konkurrenz verschont, ungehindert den
Mondadori-Verlag aufkaufen konnte. Nach Trikolore, Antifaschismus und Geschichte wird nun endlich die Justiz "reformiert". Das hat Berlusconi schon versprochen.