Post aus New York

Beruhigender Einfluss

Von Ute Thon
07.01.2003. Die amerikanische Regierung beauftragte 15 Schriftsteller, darunter Richard Ford, mit einem Propagandabuch über die amerikanischen Werte. Nur die Amerikaner dürfen es nicht lesen.
Propaganda ist in Amerika ein schmutziges Wort. Der Begriff steht für etwas, das totalitäre Machthaber zur Manipulierung der Massen einsetzen: Saddam Husseins riesige Porträts auf jedem öffentlichen Platz im Irak, Goebbels-Reden im Sportpalast, ein Regen demoralisierender Flugblätter über feindlichen Frontlinien. Zwar unterhält die US-Regierung seit Jahrzehnten selbst eine Art Propagandaministerium, früher die so genannte "United States Information Agency", die unter anderem die Programme der "Voice of America" steuerte und Auslandskonzerte der New Yorker Philharmoniker buchte. Mit dem Ende des kalten Krieges wurde die Agentur abgespeckt und ins Außenministerium eingegliedert.

Seit dem Anschlägen vom 11. September läuft die Maschine jedoch wieder auf Hochtouren. Präsident Bush hat eigens eine PR-Experten, Charlotte Beers, die Chefin einer großen Werbeagentur eingestellt. Statt plumper Holzhammer-Methoden setzt Bushs Propagandateam heute auf coole Imagekampagnen. Das "Büro für Internationale Informationsprogramme" sponsort muslimische Rapbands und heuert prominente Schriftsteller als Werbeträger an. Dass es sich bei den smarten Kulturangeboten in Wirklichkeit um staatliche Propaganda handelt, zeigt sich daran, dass die Amerikaner selbst davon nichts zu sehen bekommen. Ein erst kürzlich erneuertes Gesetz von 1948, der Smith-Mundt Act, untersagt der US-Regierung nämlich die Verbreitung indoktinierender Informationen im eigenen Land.

So kommt es, dass den Amerikanern nun auch der neueste Schritt der US-Propagandisten vorenthalten bleibt: das Außenministerium als Literaturverlag. Die Bush-Regierung hat 15 namhafte US-Schriftsteller, darunter auch die Pulitzer-Preisträger Richard Ford, Michael Chabon und Robert Olen Butler, als Autoren eines patriotischen Sammelbands rekrutiert. Das Buch, "Writers on America: 15 Reflections", ist Teil der Image-Kampagne, mit der die US-Regierung der wachsenden anti-amerikanischen Stimmung im Ausland entgegenwirken will, und soll in den US-Botschaften Europas, Afrikas und Asiens gratis verteilt werden. Die erste Auflage von 31.000 englischsprachigen Exemplaren wurde bereits verschifft. In den kommenden Monaten sollen Übersetzungen in arabisch, französisch, spanisch und russisch dazukommen. Gleichzeitig plant das State Department mit den Autoren Lesungen in aller Welt. Nur vom amerikanischen Markt ist das Buch verbannt. Wegen des Smith-Mundt-Gesetzes darf das Außenministerium es nicht auf US-Boden vertreiben. Alle Texte sind allerdings auf der Webseite des Außenministeriums postiert und können somit auch von Amerikanern mit Internetanschluss abgerufen werden.

Ziel der Buchpublikation sei es, "ein positives Licht auf die guten Aspekte der amerikanischen Kultur", Werte wie Freiheit, Toleranz und Demokratie, zu werfen, sagt Stuart Holliday, der die Veröffentlichung der Anthologie fürs Außenministerium koordiniert hat. Diese Zielsetzung erklärt, warum man im Inhaltsverzeichnis vergeblich nach den kritischeren Stimmen der amerikanischen Literaturszene, Schriftstellern wie Norman Mailer, Susan Sontag oder Michael Moore, sucht. Die Autorenwahl reflektiert nicht nur die Suche nach bekannten Namen, die Gutes über die USA zu berichten wissen, sondern auch den Wunsch nach ethnischer Vielfalt. Neben diversen Literaturpreisträgern wurden zwei arabisch-amerikanische Stimmen, Elmaz Abinader und Naomi Shihab Nye, der afro-amerikanische Schriftsteller Charles Johnson und die Indianer-Dichterin Linda Hogan verpflichtet. Trotzdem liest sich das Buch auf weiten Strecken wie eine einzige Jubelhymne auf den "American Dream". Traurige Umstände, wie die Tatsache, dass über tausend arabischstämmige Menschen seit dem 11. September allein aufgrund ihrer Herkunft verhaftet wurden und ohne Anklage und Rechtsvertretung in Amerikas Gefängnissen schmoren, kommen dabei nicht zur Sprache.

Alle Essays drehen sich mehr oder weniger um die Frage, wie die amerikanische Staatsangehörigkeit das literarische Schaffen der Autoren beeinflusst hat. Wenig überraschend loben fast alle Autoren die Offenheit der Gesellschaft, die guten Ausbildungsmöglichkeiten und Amerikas kulturelle Vielfalt. Johnson beispielsweise erzählt vom Triumph seiner schwarzen Südstaatenfamilie über Sklaverei und Rassentrennung. Amerikas Demokratie sei ein "work-in-progress, ein offenes Experiment für Freiheit, die wie eine Fackel von einer schwarzen Generation zur nächsten weitergereicht wurde, zu ihrer Verfeinerung und Verwirklichung", schreibt er. Systemkritik kommt in der Aufsatzsammlung, wenn überhaupt, nur in der Vergangenheit vor. So schreibt Elmaz Abinader, die Tochter libanesischer Immigranten, in ihrer Reflexion über ihre Kindheit als dunkelhäutiges, muslimisches Mädchen in einer christlich-weißen Gesellschaft zwar auch über den alltäglichen Rassismus auf dem Schulhof. Aber ihre Geschichte endet mit der Erfolgstory der gefeierten Minderheitendichterin, die in der Literatur ihre Befreiung fand. "Ich begann zu verstehen: als Schriftsteller bin ich auch eine Aktivistin. Eine gute Geschichte zu erzählen oder ein schönes Gedicht zu schreiben, ergreift den Leser tiefer als jede Rhetorik das hinkriegen könnte", schlussfolgert sie und bringt damit auch die Absichten des Außenminsteriums auf den Punkt.

Die Frage, warum sich seriöse US-Schriftsteller für Propaganda-Missionen ihrer Regierung einspannen lassen, ist nicht so leicht zu beantworten. Geld kann jedenfalls nicht das treibende Motiv gewesen sein. Das Autorenhonorar vom Außenministerium betrug 2500 Dollar, weit weniger als Magazine wie Vanity Fair oder der New Yorker für einen vergleichbaren Auftrag zahlen würden. Als Begründung nannten viele der Autoren den Wunsch, das Bild der USA im Ausland und die Diskussion um die Rolle im Nahost-Konflikt zu beeinflussen. "Ich glaube nicht, dass ein Gruppe amerikanischer Schriftsteller Frieden im Nahen Osten herbeiführen kann", erklärt Billy Collins, ein mit höchsten US-Weihen ausgezeichneter Lyriker, seinen Beitrag fürs Außenministerium. "Aber die Sache bringt etwas in die Medien, das ein Gegengewicht zu dem Gebrüll und den Feindseligkeiten darstellt. Das könnte einen positiven und beruhigenden Einfluss auf die Dinge haben."

Der einzige, der sich eine regierungskritische Position erlaubt, ist Richard Ford. Der preisgekrönte Autor von Romanen wie "The Sportswriter" und "Independence Day" versteht seine Teilnahme an dem Buchprojekt als kreative Form von Opposition. "Mit einer Regierung wie dieser, bei der nicht einmal die Hälfte der Amerikaner den Präsidenten gewählt haben, ist die Meinungsvielfalt nicht gewährleistet", erklärte Ford unlängst in einem Interview. "Im Ausland entsteht dadurch der Eindruck, dass alle Amerikaner sich kulturell übergeordnet fühlen und intellektuell gleichgültig sind. Diese Stereotypen müssen gebrochen werden." In seinem Textbeitrag entlarvt Ford die Ausgangsfrage, welchen Einfluss sein Amerikanisch-Sein auf sein Schreiben hat, als versteckte Form von Kulturimperialismus. Statt in den Jubelchor seiner Kollegen einzustimmen, zählt der in Jackson, Mississippi, geborene Autor Amerikas negative Seiten - Rassendiskriminierung, Berufsverbote in der McCarthy-Ära und den Vietnam-Krieg - als Einflüsse auf sein Werk auf. Statt für patriotisches Imponiergehabe plädiert er für globale kulturelle Solidarität. "Heute schreibt ein Schriftsteller in Tschetschenien vielleicht über den Einfluss Tschetscheniens auf sein Werk, und er schreibt dieselben Dinge, die ich geschrieben habe, oder sogar bessere Sachen", schließt Ford seinen Essay. "Das finde ich gut. Denn wenn mich all die Jahre des Amerikanisch-Seins darauf vorbereitet haben sollten, dass ich die Ähnlichkeiten sehe, die Verwandtschaft und Kollegialität mit jemanden, den ich niemals kennen lernen werde, dann habe ich die kostbarste Weisheit der Literatur erfahren. Und dann hat mir mein Dasein als Amerikaner und nicht zuletzt als Schriftsteller wohl gedient."