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»Aber wo ist das Leben? Wie kann ich mich in das Gedächtnis der Literatur einschreiben? Wer bin ich eigentlich?« Diese Fragen haben Paul Nizon seit seiner Kindheit umgetrieben. Dass es darauf keine endgültigen Antworten geben kann, selbst nach vielen Jahrzehnten einer einzigartigen Künstlerexistenz, weiß er natürlich. Dies hat ihn aber nicht abgehalten, sich ihnen schreibend und wieder schreibend anzunähern.
Denn der radikalen Welt- und Selbsterforschung ist dieser »besessene Jahrhundertdichter schweizerischen Ursprungs« (FAZ) nicht nur in seinen Romanen und Erzählungen nachgegangen,
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Produktbeschreibung
»Aber wo ist das Leben? Wie kann ich mich in das Gedächtnis der Literatur einschreiben? Wer bin ich eigentlich?« Diese Fragen haben Paul Nizon seit seiner Kindheit umgetrieben. Dass es darauf keine endgültigen Antworten geben kann, selbst nach vielen Jahrzehnten einer einzigartigen Künstlerexistenz, weiß er natürlich. Dies hat ihn aber nicht abgehalten, sich ihnen schreibend und wieder schreibend anzunähern.

Denn der radikalen Welt- und Selbsterforschung ist dieser »besessene Jahrhundertdichter schweizerischen Ursprungs« (FAZ) nicht nur in seinen Romanen und Erzählungen nachgegangen, sondern auch in seinen Journalen, die er seit nun 60 Jahren fortschreibt. Unter der Hand ist ihm hiermit ein weiteres, unerwartetes Hauptwerk angewachsen.

In seinem neuen Journal aus der unmittelbaren Gegenwart der Jahre 2011 bis 2020 erzählt er von grundstürzender Einsamkeit, von Verlusten, von einem Schreibvorhaben, das wie ein »Nagel« in seinem Kopf feststeckt, aber auch von euphorisierenden Aufschwüngen und überraschenden Erkenntnissen, die den Blick auf ihn für immer verändern.
Autorenporträt
Paul Nizon, geboren 1929 in Bern, lebt in Paris. Der 'Verzauberer, der zur Zeit größte Magier der deutschen Sprache' (Le Monde) erhielt für sein Werk, das in mehreren Sprachen übersetzt ist, zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, u. a. 2010 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Andreas Platthaus rühmt die andauernde Schaffenskraft von Paul Nizon. Dessen Notate aus den Jahren 2011 bis 2020 halten für Platthaus sowohl die "Keimzelle" eines Romans bereit, in dem der Autor von der tiefreichenden Begegnung mit dem (künstlerisch verhandelten) Schrecken eines Konzentrationslagers im Jahr 1960 berichtet, als auch eine Annäherung an die heutige Schaffenswirklichkeit des über 90-jährigen Autors. Wie untrennbar für Nizon Schreiben und Leben zusammengehören, wie sehr dieser Autor den Begriff der Autofiktion prägte, bevor jemand wusste, was das ist, macht die Lektüre dem Rezensenten deutlich.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2021

Der große
Einsame
Das Glück zieht sich als blassroter Faden
durch die Aufzeichnungen:
Paul Nizons Pariser Tagebuch der Zehnerjahre
VON HILMAR KLUTE
Seit ein paar Jahren erlebt der Schweizer Schriftsteller Paul Nizon so etwas wie eine Wiederentdeckung. Er, der seine Literatur trotzig und gegen alle mitunter harsche Kritik beinahe nur um das eigene Leben kreisen ließ, erfährt genau wegen dieser autobiografischen Manien zusehends Anerkennung. Das hat auch damit zu tun, dass die Autofiktion, also das zwischen biografischer Realität und Assoziiertem pendelnde Schreiben, seit den Büchern von Karl Ove Knausgård und Annie Ernaux populär geworden ist.
Paul Nizon, der seit beinahe fünfzig Jahren in Paris lebt, hat sich einer Art Literatur der Selbstvergewisserung verschrieben, die vor allem der eigenen Unsterblichkeit verpflichtet ist. Deshalb kreisen seine Überlegungen auch immer wieder hochtourig um seine Initialisierung als Schriftsteller – eine „Feuertaufe“ sei ihr vorangegangen, die Erwartungen seien „blutig, ernst, hochfahrend, empathisch“ gewesen, Risiken hätten sie begleitet, und immer geht es um die Wahrheit, also ums Ganze. Die Beschwörung der eigenen Schreibmythologien sind der Refrain dieser Textsammlung, das geht bis hin zur grotesken Überformung der eigenen Schriftstellerexistenz: „Sicherlich bin ich in der deutschsprachigen Literatur nicht mehr wegzudenken.“ Nizons Egozentrik reicht so weit, dass er das Urteil der Nachwelt gleich vorwegnimmt.
Seit Anbeginn, also seit der 1963 erschienenen Prosafantasie „Canto“, werden Nizons Bücher im Suhrkamp-Verlag publiziert, eine Werkausgabe gibt es auch bereits, und in schöner Folge erscheinen seine Tagebücher, die Nizon „Journale“ nennt und die jeweils mit poetisch eingängigen Titeln aufwarten: „Urkundenfälschung“ (2012), „Die Belagerung der Welt“ (2013) und in diesem Jahr „Der Nagel im Kopf“. Ein gleichnamiger Kinofilm porträtierte den über Neunzigjährigen im vergangenen Jahr, Nizon war glücklich über das neuartige Interesse an seiner Person und seinem Werk.
Dieses Glück zieht sich als eher blassroter Faden auch durch die neuen Aufzeichnungen aus den Jahren 2011 bis 2020, denn es ist eingetrübt durch die Bedrückung des Alters, den Schmerz über die Trennung von seiner Ehefrau Odile und die Abschiede von Weggefährten. Die „innere Obdachlosigkeit“, von der Nizon von Beginn an gleichermaßen sozial bedrückt wie poetisch befeuert war, bekommt nun altersgraue Fäden eingewirkt.
Der Autor fühlt sich von der Außenwelt noch stärker abgenabelt, die „Wissensdemokratie via Internet und Handy“ vergrößert das Empfinden, einer Generation anzugehören, der die Instrumente fehlen, am kommunikativen Geschehen teilzunehmen. Das führt dazu, dass sich Nizon in diesen neuen Notizen bilanzierend seiner eigenen Vergangenheit zuwendet.
Die Kindheit in Bern, wo Nizon in einer privilegierten Großbürgerschicht aufwächst, mit weitverzweigter Verwandtschaft und einem Vater, der mit seiner religiösen Bekehrung zur Pfingstbewegung, seiner wissenschaftlichen Rationalität und der Verehrung Robert Walsers eine für Nizon wie für den Leser schwer fassbare Gestalt bleibt. Immer wieder kehrt Nizon in die Schweiz zurück, als gefeierter Autor, als ein der Enge Entflohener, als eher unfroher Gast, der allerdings in der Heimat seine treuste Lesergemeinde sitzen weiß.
Längst hat sich Nizon zum großen Einsamen, zum grotesk Verkannten stilisiert, die wirtschaftliche Erfolglosigkeit ist so etwas wie sein vertracktes Image geworden, auch wenn er an einer Stelle schreibt, er sei „mit über achtzig nach wie vor etwas wie ein Geheimtipp oder geheimer Kultautor“ geworden. Nizon ist immer ein Schriftsteller für Schriftsteller gewesen. Sein Thema ist das Schreiben, seine Sehnsucht der Ruhm, und selbst in den oft dunklen, gelegentlich am Rand des erotischen Kitsches schrammenden Frauengeschichten geht es um die tragische Verführbarkeit des Genies.
„Künstler sind Stellvertretermenschen“ – das Diktum ist bei Paul Nizon gewissermaßen die Legitimation zur Zeitzeugenschaft. Es sind in diesen Tagebüchern wirklich große Prosaetüden zu lesen, die immer wieder von Neuem angesetzten Versuche von kurzen Lebensläufen, mit denen er sich aus seiner Kindheit herausschält, der aufbruchsgierigen Jugendzeit, der in Zwängen erstickten Jahre seiner Festanstellung als Kunstredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, die damals noch frisch und elegant und liberal war. Die Gegenwart erlebt Nizon als Überforderung, weil sie ihm zu wenig Reize gibt, hypermedial und beliebig kommen ihm Sprache und Kunst vor. Aber dazwischen leuchten die Hommagen an verehrte Künstler hervor, die allesamt Spiegelbilder sind. Als Ende 2017 der von den eigentlich so über die Maßen soignierten Parisern grotesk angehimmelte Rocksänger Johnny Hallyday starb, liefen Hunderttausende auf die Champs Ėlysées, um ihre Trauer zu bekunden. „Es geht hier um den Grad der Verehrung, um die Intensität, um Liebe und Tod“, schreibt Nizon. Man muss nicht viel Analogieakrobatik betreiben, um zu begreifen, dass es dabei auch um ihn selbst geht.
Paris triumphiert in diesem Tagebuch als eine Art Kraftwerk für die literarische und erotische Umtriebigkeit des Dichters. 1947 kam Nizon zum ersten Mal hierher, zu Besuch bei der Tante, deren Wohnung auf dem Montmartre er 1973 erbte und zum Ausgangspunkt seines Pariser Lebens werden ließ. Er habe sich in die Stadt einschreiben, ihr „namhaft angehören wollen“, schreibt Nizon.
„Der Nagel im Kopf“ enthält naturgemäß auch Aufzeichnungen aus dem Pariser Schreckensjahr 2015, mit zwei islamistischen Anschlägen, dem Mord an den Satirikern von Charlie Hebdo und dem Massaker im Bataclan sowie den umliegenden Bars und Kneipen im November. In Nizons Aufzeichnungen ist von beiden Ereignissen nur beiläufig die Rede. Dabei hätte man gerne etwas genauer gewusst, wie tief sich auch diese Katastrophen in ihn eingeschrieben haben.
Auch im Nachwort des Herausgebers Wend Kässens finden sich keine Erklärungen für diese Sparsamkeit. Fast rührend und von beinahe woodyallenhafter Komik ist dagegen Nizons Sorge, wo er seine letzte Ruhestätte finden soll. Seine Ex-Frau Odile wird sich in die Familiengruft zurückziehen, wohingegen er, der große Heimatlose, wenigstens dann, wenn sein Nachruhm beginnt, eine sichere Bleibe haben möchte.
Einen schönen Einfall hat Nizon auch angesichts der Corona-Epidemie, die ihm das Reisen noch beschwerlicher macht („Ein leicht mulmiges Gefühl bezüglich der langen Bahnfahrt mit der Maske“): „Bald leben wir angepflockt“, schreibt Paul Nizon unter dem Eindruck der Quarantäneregeln, die in Paris zu Anfang ja besonders streng und hart waren. Am Ende bleibt immerhin noch die vage Lust, seine vorhandenen Texte zu lektorieren, wenn die Kraft schon nicht zum Weiterschreiben reicht. Wer Paul Nizons dramatische Innenwelten liebt, wird in diesen Texten schöne Entdeckungen machen.
In Bern wuchs er als
Kind einer privilegierten
Großbürgerfamilie auf
Fast rührend seine Sorge um
die letzte Ruhestätte, eine
sichere Bleibe für den Nachruhm
Paul Nizon:
Der Nagel im Kopf.
Journal 2011 – 2020.
Herausgegeben und
mit einem Nachwort
von Wend Kässens.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2021.
264 Seiten, 26 Euro.
Paul Nizon wollte Paris „namhaft angehören“: Blick auf Montmartre.
Foto:imago/Hans Lucas 
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»[In Der Nagel im Kopf zeigt] sich die scharfe Beobachtungsgabe Nizons.« Eberhard Geisler Frankfurter Rundschau 20211008