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Als junger Mann wird der Sprengmeister Oskar Johansson bei einer fehlgeleiteten Zündung schwer verletzt. Seine Freundin bricht ihm die Treue, und er heiratet ihre Schwester Elvira. Die beiden führen ein bescheidenes, entbehrungsreiches Leben, damit der knappe Lohn auch für drei Kinder reicht. Trotz seiner Verwundungen kehrt Oskar zurück in seinen Beruf. Er wird politisch aktiv und glaubt an eine Revolution, die nie kommt. Als sein Wohnblock abgerissen wird, kauft er auf einer Schäre ein Saunahäuschen, wo er im Sommer leben kann. Henning Mankells erster Roman erzählt ein Arbeiterleben in der…mehr

Produktbeschreibung
Als junger Mann wird der Sprengmeister Oskar Johansson bei einer fehlgeleiteten Zündung schwer verletzt. Seine Freundin bricht ihm die Treue, und er heiratet ihre Schwester Elvira. Die beiden führen ein bescheidenes, entbehrungsreiches Leben, damit der knappe Lohn auch für drei Kinder reicht. Trotz seiner Verwundungen kehrt Oskar zurück in seinen Beruf. Er wird politisch aktiv und glaubt an eine Revolution, die nie kommt. Als sein Wohnblock abgerissen wird, kauft er auf einer Schäre ein Saunahäuschen, wo er im Sommer leben kann. Henning Mankells erster Roman erzählt ein Arbeiterleben in der aufblühenden Industrie in Schweden und gibt den Benachteiligten eine unverwechselbare, eindrucksvolle Stimme.
Autorenporträt
Henning Mankell (1948 - 2015) lebte als Schriftsteller und Theaterregisseur in Schweden und Maputo (Mosambik). Seine Romane um Kommissar Wallander sind internationale Bestseller. Zuletzt erschienen bei Zsolnay Treibsand (Was es heißt, ein Mensch zu sein, 2015), die Neuausgabe von Die italienischen Schuhe (Roman, 2016), Die schwedischen Gummistiefel (Roman, 2016) und die frühen Romane Der Sandmaler (2017), Der Sprengmeister (2018) und Der Verrückte (2021).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.09.2018

Was ein gewöhnliches Leben wert ist
Nach 45 Jahren zum ersten Mal auf Deutsch: Henning Mankells Debütroman zeigt Fragmente einer Arbeiterbiografie
Henning Mankell verstand es, seinen Lesern einen Schlag in die Magengrube zu versetzen. Blutgetränkte Tatorte, absurde Tötungsarten: In seinen Wallander-Krimis gibt es immer wieder schockierende Passagen, die den Leser – und den Ermittler – durchschütteln und klarmachen: In einer Gesellschaft, in der Menschen zu solchen Verbrechen in der Lage sind, stimmt etwas nicht. Und schon in Mankells erstem Roman „Der Sprengmeister“ ließ der Augenblick nicht lange auf sich warten, der die Hauptfigur für den Rest ihres Lebens zeichnet.
Vor 45 Jahren ist Mankells Debüt in Schweden erschienen. Unter seinen deutschen Fans ist es unbekannt geblieben, weil es bislang keine Übersetzung gab. Das ändert sich erst jetzt, da drei Jahre nach Mankells Tod keine neuen Romane dieses produktiven Autors mehr zu erwarten sind. Der Qualität des Debüts wegen hat die Übersetzung jedenfalls nicht auf sich warten lassen: Der Roman packt den Leser – und zwar beim Genick.
Dabei ist „Der Sprengmeister“ kein Krimi, vielmehr die durchaus spröde Rekonstruktion eines Arbeiterlebens. Einfache Antworten gibt es darin nicht, vielmehr Fragen: Was bleibt von diesem Dasein? Wie viel ist es wert? Aber auch: Was macht gerade das Leben, des Sprengmeisters Oskar Johansson, geboren 1888 in Norrköping, so erzählenswert? Die Hauptfigur selbst hält sich für durchschnittlich. „Oskar stellt keine Betrachtungen über sich selbst an“, heißt es an einer Stelle. „Er erklärt, er sei wie die anderen gewesen. Mehr nicht.“ Ganz stimmt das nicht, dafür sorgt schon ein Arbeitsunfall, den Oskar mit 23 Jahren knapp überlebt.
Mit dieser Szene, die im Jahr 1911 spielt, beginnt der Roman. Eigentlich sollte Oskars Trupp nur einen Eisenbahntunnel in einen Felsen sprengen. Doch die Ladung explodiert nicht. „Das Dynamit war stets dasselbe, unberechenbar und tückisch, aber für jede Sprengung gab es einen Zuständigen, einen Verantwortlichen.“ Das ist in diesem Fall Oskar. Also muss er die Ladung im Bohrloch überprüfen. „Konzentriert und angespannt streckt er langsam den rechten Arm vor, bis die Hand genau über dem Loch schwebt. Dann holt er tief Luft und beginnt vorsichtig, das Sprengkabel aus dem Loch zu ziehen.“ Da ist sie, die schweißtreibende, dichte Sprache, die der Autor in den Wallander-Krimis zur Vollendung bringen sollte.
Henning Mankell fliegt in seinem Debüt schnell über die unweigerlich folgende Explosion hinweg und präsentiert gleich die Ergebnisse: Oskars abgetrennte Hand, die zwischen Löwenzahn gefunden wird, das Auge, das ihm die Druckwelle aus der Höhle reißt, den Unterleib, den ein Splitter durchschlägt. Es krampft einem den Magen zusammen, wie Mankell mit medizinischer Nüchternheit die Verletzungen schildert, um anschließend die ganze Biografie der Hauptfigur in nur einem Satz vorwegzunehmen: „Aber Oskar Johansson überlebte und blieb Sprenger, bis er in Rente ging, und er verstarb erst am 9. April 1969.“
Es geht also in „Der Sprengmeister“ nicht so sehr um Spannung und ihre überraschende Auflösung, sondern darum, diesen Oskar Johansson greifbar werden zu lassen. Dazu etabliert Mankell eine Erzählerfigur. Wer genau das ist, bleibt unklar. Deutlich wird nur, dass er Oskar im Alter regelmäßig besucht, um mit ihm Netze zum Fischfang auszubringen. Mankell bricht die Chronologie der Ereignisse auf und springt wild durch die Zeitebenen, lässt auf Passagen in wörtlicher Rede, die Oskar dem Erzähler diktiert, Betrachtungen des Erzählers selbst folgen.
Jedes Kapitel zersplittert Mankell in Absätze, zwischen denen die Perspektive wechselt. Mit Mitte 20 hatte der Autor offenbar den Mut, manches Fragment bleiben zu lassen. Manchmal sind nur monolithische Sätze übrig, elliptisch aneinandergereiht – anders als in späteren Werken, die weniger Raum für Assoziationen lassen. Und doch liest sich „Der Sprengmeister“ locker und schnell. Wie auf einem impressionistischen Gemälde entsteht ein Bild aus dem Nebeneinander der Sprachtupfer.
Mankell betreibt ein Spiel mit sprechenden Details, die Oskar charakterisieren. Wie das vergilbte Kreuzworträtsel, das nach seinem Tod übrig bleibt: „Er hat Augenblick ohne c buchstabiert, und dadurch sind mehrere Spalten des Kreuzworträtsels unlösbar geworden. Aber er hat sie trotzdem so ausgefüllt, dass die Buchstaben stimmen, obwohl nach ganz anderen Worten gefragt wurde. Er hat sein Kreuzworträtsel gelöst, indem er durch seinen Schreibfehler ein neues geschaffen hat.“
Zu diesem Charakter gehören auch seine politischen Überzeugungen, die radikaler werden mit den Jahren. Oskar wechselt von den Sozialdemokraten ins Lager der Kommunisten und wird zaghaft aktiv: Er hängt ein Flugblatt auf, verfasst einen Leserbrief, lässt sich zu einem kleinen Moment anarchischer Revolte hinreißen, als er einen im Rathaus ausgehängten Bauplan auf den Kopf dreht.
Die Wut auf seine alte Partei nimmt zu: „Arbeiter ist man immer geblieben. Es hat sich schon viel verändert, nur nicht für uns.“ Die Sozialdemokraten an der Regierung erweisen sich auch in Schweden nicht als Heilsbringer der Arbeiterschaft. Oskars Zorn nimmt ähnliche Entfremdungserscheinungen in anderen Staaten Europas vorweg, etwa im Großbritannien der Labour-Party oder in Deutschland, wo spätestens die Agenda 2010 einen Keil zwischen Sozialdemokratie und Arbeiterschaft getrieben hat.
Gleichzeitig durchzieht eine herzhafte Verachtung des Bürgertums Mankells Roman. Wie eine pickelige Studentengruppe mit „Ellbogen, die noch rundlich sind“, Oskar und seine Begleiterin von der Straße rempelt, schrammt hart an der Karikatur vorbei. Umgekehrt überschreitet die Beschreibung des Familienglücks der Johanssons zuweilen die Grenzen zur Sozialromantik: „Wir sangen Lieder mit den Kindern, und wir tanzten um den Weihnachtsbaum. Es war sicher ein schweres Leben, aber wir hatten Spaß.“
Eindringlicher sind die Stellen, an denen das Los der Arbeiter beobachtet wird. Etwa während eines Demonstrationszuges, als sich Oskar in den Reihen umschaut und merkt, dass er mit seinen fehlenden Auge und seinem Armstumpf nicht weiter auffällt. „Fast alle Arbeiter zogen sich früher oder später einen Schaden zu“, berichtet er. Die Arbeit reißt die Menschen in Stücke, buchstäblich. Mit Ausdauer beschreibt Henning Mankell, wie sie ein Leben lang arbeiten, um am Ende nur einen Blumenstrauß dafür zu bekommen. Wie der blaue Overall am Tag vor der Rente im Mülleimer neben der Wurstpelle landet. Wie die Familien in ihren viel zu kleinen Behausungen etliche Kinder in die Welt setzen, von denen nur wenige je erwachsen werden. Mankell nimmt schon in seinem Erstlingswerk die Position des Gesellschaftskritikers ein, die aus späteren Büchern herauszulesen ist.
Die Arbeitersphäre erscheint wie abgekapselt vom Rest der schwedischen Gesellschaft: „Auf der einen Seite standen die Hütten, in denen wir Arbeiter uns drängten und froren. Auf der anderen waren die großen hellen Wohnungen in den Steinhäusern im Zentrum.“
Die Arbeiterklasse als hermetische Lebenswelt – das lässt heute an die Debatte denken, die mit der Übersetzung von Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ in Deutschland begann, dem autobiografischen Essay, in dem der französische Philosoph erzählt, warum er sich die meiste Zeit seines Lebens für seine Wurzeln in der Arbeiterschaft schämte. Im „Sprengmeister“ feiert Oskars Sohn als Unternehmer moderate Erfolge, eröffnet einen Waschsalon und nennt sich „Direktor“. Der Vater hat dafür nur Verachtung übrig: „Das Wort an sich macht mich schon wütend“, äußert Oskar an einer Stelle. Der Sohn wählt bürgerlich-konservativ. „Das ist eine Schande. Es kommt mir vor, als hätte er alles verraten.“ Wie bei Eribon geht sozialer Aufstieg mit dem Bruch mit den Ursprüngen einher. Vater und Sohn entzweien sich und finden nicht mehr zueinander.
„Der Sprengmeister“ ist ein fesselndes Buch und ein trauriges. Oskar wird alt, der lädierte Körper und der Geist geben nach, er verliert seine Frau und vereinsamt. Was bleibt, ist die Wehmut über ein Leben voller Arbeit, Erniedrigung, bescheidener Wünsche und großer Träume von einer sozialistischen Revolution. Und das Warten auf einen zweiten Knall. Aber der kommt nicht.
SIMON RAYSS
„Arbeiter ist man immer
geblieben. Es hat sich schon viel
verändert, nur nicht für uns.“
Sozialer Aufstieg führt zu einem
Bruch mit den Ursprüngen. Vater
und Sohn entzweien sich
Henning Mankell im Sommer vor seinem Tod 2015.
Foto: AP/Nora Lorek
Henning Mankell: Der Sprengmeister. Roman.
Aus dem Schwedischen
von Verena Reichel und Annika Ernst. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2018.
192 Seiten, 21 Euro.
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"Ein anrührendes Buch, das man gelesen und bedacht haben sollte." Annette Spiller, Gießener Allgemeine, 29. 12.18

"Der Roman packt den Leser - und zwar beim Genick [...] Ein fesselndes Buch und ein trauriges. Oskar wird alt, der lädierte Körper und der Geist geben nach, er verliert seine Frau und vereinsamt. Was bleibt, ist die Wehmut über ein Leben voller Arbeit, Erniedrigung, bescheidener Wünsche und großer Träume von einer sozialistischen Revolution." Simon Rayß, Süddeutsche Zeitung, 11.09.18

"Ein multiperspektivischer, sehr experimenteller Roman, mit dem der blutjunge Mankell sein literarisches Besteck ausprobierte." Frank Dietschreit, rbb Kulturradio, 24.08.18

"Die klare Sprache Mankells macht die Lektüre zu einem Genuss." Simon Rilling, Stuttgarter Zeitung, 18.08.18

"Henning Mankell ist einer der großen Konsensschriftsteller unserer Zeit gewesen ... Er ist einer wie Simenon, wie Roth, wie Irving ... Es ist immer ein bisschen wie heimkommen, wenn man ein neues Buch von einem solchen Autor aufschlägt ... Was man an Mankell liebt ist, dass er in die Düsternis, die Einsamkeit, den Wahn hineintaucht, um seine Figuren zu retten." Georg Seeßlen, Die Zeit, 02.08.18

"So entsteht in Einzelbildern eines ganz normalen Lebens das einfühlsame Porträt eines Jahrhunderts." Irene Binal, Deutschlandfunk Kultur, 31.07.18

"Diese Geschichte ist in berührender Weise auch heute gültig." Annemarie Stoltenberg, NDR Kultur, 23.07.18