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Bachmanns Traumnotate, Briefentwürfe und Aufzeichnungen aus der Zeit ihrer Krankheit sind als Grundelemente der späten »Todesarten«-Texte von großem literarischem Interesse. Darüber hinaus sind diese Schriften dazu angetan, unser Wissen über ihre Krankheit, und über das Phänomen der Krankheit überhaupt, zu erweitern. Sie sind anstößig, mutig in ihrem analytischen Ansatz, geschlagen mit dem Wissen um das Unheilbare - und zugleich erfüllt von dem leidenschaftlichen Wunsch, aus der Krankheit herauszukommen und Heilung zu finden.

Produktbeschreibung
Bachmanns Traumnotate, Briefentwürfe und Aufzeichnungen aus der Zeit ihrer Krankheit sind als Grundelemente der späten »Todesarten«-Texte von großem literarischem Interesse. Darüber hinaus sind diese Schriften dazu angetan, unser Wissen über ihre Krankheit, und über das Phänomen der Krankheit überhaupt, zu erweitern. Sie sind anstößig, mutig in ihrem analytischen Ansatz, geschlagen mit dem Wissen um das Unheilbare - und zugleich erfüllt von dem leidenschaftlichen Wunsch, aus der Krankheit herauszukommen und Heilung zu finden.
Autorenporträt
Ingeborg Bachmann, geboren am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, wurde durch einen Auftritt vor der Gruppe 47 als Lyrikerin bekannt. Nach den Gedichtbänden Die gestundete Zeit (1953) und Anrufung des Großen Bären (1956) publizierte sie Hörspiele, Essays und zwei Erzählungsbände. Malina (1971) ist ihr einziger vollendeter Roman. Bachmann starb am 17. Oktober 1973 in Rom.

Isolde Schiffermüller ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universit t Verona.

Gabriella Pelloni ist Assoziierte Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universit t Verona.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2017

Max kommt überraschend mit Marianne

Die neue Ausgabe der Werke von Ingeborg Bachmann ist auch eine Chance, das lange Jahre gepflegte öffentliche Bild der Schriftstellerin aufzumischen

Als am vergangenen Mittwoch im Verlagsgebäude von Suhrkamp in der Pappelallee in Berlin der erste Band der neuen Werkausgabe von Ingeborg Bachmann vorgestellt wurde, war der Bruder der Schriftstellerin anwesend, Heinz Bachmann, ein freundlicher, zurückhaltender Mann, Geophysiker, dessen Gesichtszüge tatsächlich sehr an Ingeborg Bachmann erinnerten. Stellvertretend für die Familie ergriff er zu Beginn das Wort: Ihm und seiner Schwester, Isolde Moser, habe man nach dem Tod von Ingeborg Bachmann immer wieder vorgeworfen, sie hätten etwas verheimlichen wollen, weil sie den Nachlass für Jahrzehnte sperrten, sagte er. "Aber darum ging es nicht. Es ging uns um Diskretion, was die Briefpartner betrifft."

Die neue Ausgabe hebt diese Sperre jetzt auf. Es werden also nicht nur die schon publizierten Werke noch einmal neu editiert, sondern bisher unveröffentlichte und gesperrte Texte zugänglich gemacht - nach und nach und wo immer es mit den Persönlichkeitsrechten noch lebender Zeitgenossen, die in ihnen vorkommen, zu vereinbaren ist. Das ist eine großartige Nachricht, die weit über das Werk der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hinausreicht. Denn zu dem, was bisher nicht zugänglich war, gehören die Briefwechsel mit: Ilse Aichinger, Nelly Sachs, Adolf Opel, Hans Magnus Enzensberger ("der schönste von allen", findet der Herausgeber Hans Höller), mit ihren Verlegern Klaus Piper und Siegfried Unseld und, soweit die Autorin die einzelnen Dokumente nicht vernichtet hat, auch der mit Max Frisch.

Zwei Briefwechsel gibt es schon seit ein paar Jahren: mit Hans Werner Henze und vor allem mit Paul Celan, der das historische Dokument eines verzweifelten Ringens nach "Worten unter den Trümmern" ist, nach einer, "trotz aller Verluste, unverlorenen Sprache", wie Bachmann und Celan das in ihrer Dichtung nannten. Die, die sich im Mai 1948 in Wien kennenlernten, hätten, was ihre Herkunft anging, unterschiedlicher nicht sein können: die Philosophie studierende Tochter eines ehemaligen österreichischen Mitglieds der NSDAP und ein staatenloser Jude aus Czernowitz, der beide Eltern im Konzentrationslager verloren und selbst ein rumänisches Arbeitslager überlebt hatte. Ihre Briefe lesen sich wie unablässige Versuche, diese Differenz zu überbrücken - mit zahllosen Missverständnissen. Wer etwas über das existentielle Drama der Nachkriegszeit erfahren will, erfährt es in diesen Briefen.

Und auf jeweils unterschiedliche Weise verspricht man sich genau dies auch von den Briefwechseln, die jetzt folgen werden und Auskunft geben über die geschichtlichen und kulturellen Erfahrungen der Zeit. Was Schreiben nach 1945 bedeute und worin die Tragik einer Frau bestanden habe, die sich der Katastrophenerfahrung ihrer Epoche so nah wie möglich aussetzte, um von der Destruktivität, die sie umgab, zu berichten - so die Herausgeber der neuen Ausgabe, Hans Höller und Irene Fußl -, könne man mit Kenntnis der neuen Dokumente einfach besser begreifen: mit den Briefen auf der einen und den Entwürfen, Vorstufen und Fragmenten der Werke auf der anderen Seite, die die beiden Säulen der neuen Ausgabe bilden sollen.

Aber das ist nicht alles. Eine neue Ausgabe der Werke von Ingeborg Bachmann bedeutet noch etwas anderes. Sie bedeutet die Chance, den Blick überhaupt erst mal wieder auf ihr Werk zu richten, ihre Texte noch mal neu oder zum ersten Mal zu lesen - und eben nicht Texte über sie. Es gibt so viele Ingeborg-Bachmann-Mythen, biographische Beschreibungen, die sich Bachmanns oft hohen Ton völlig distanzlos zu eigen machen. Es gibt so ungeheuer viele germanistische Untersuchungen über das "weibliche Schreiben" bei Ingeborg Bachmann, von denen die allerwenigsten wirklich gewinnbringend sind. Sie alle haben das Bild der Schriftstellerin und ihres Werks zum Klischee werden lassen, und zwar so sehr, dass man fast schon schwermütig wird, wenn man den Namen "Ingeborg Bachmann" bloß hört, weil sie so gelitten und so viele Tabletten genommen hat und irgendwann daran gestorben ist.

Jetzt wird der Blick noch mal frei geräumt für das, was sie geschrieben hat - und für die Art und Weise, wie sie es geschrieben hat, für ihre literarischen Verfahren. Bei der Präsentation der Ausgabe am vergangenen Mittwoch erhielten diejenigen, die dort anwesend waren, nicht nur den ersten Band, der jetzt herauskommt, sondern auch schon die Druckfahnen des zweiten Bandes, der Anfang April erscheinen wird: "Das Buch Goldmann". Es ist das Fragment eines "tragikomischen österreichischen Romans", den Ingeborg Bachmann selbst eine "Operette" genannt hat. Und, sehr überraschend, ist er, was man nicht erwartet: Er ist komisch. Etwa dort, wo es um die österreichischen Schriftsteller auf der Frankfurter Buchmesse geht, die sich herausgefordert sehen, sich "den Deutschen" gegenüber zu behaupten. Dem jungen Klaus Jonas (der an Peter Handke erinnert) wird Toni Marek gegenübergestellt, der, wie Malina findet, sich "auf dem Literaturstrich" prostituiert und Jonas beneidet.

"Im Frankfurter Hof", liest man in "Das Buch Goldmann", "standen jetzt einige vor dem Fernsehen, wo eine Übertragung aus dem Frankfurter Hof stattfand, so dass man gleichzeitig die Herren hier sah und die Herren auf dem Fernsehbildschirm, und Malina und Jonas blieben eine Weile stehn, und sahen einander belustigt an. Danach kam ein Schwenk auf die Buchstände, auf ein Interview im Hessischen Hof mit den Franzosen, die darlegten, was der neue Roman nicht sei und welche Missverständnisse, die aber noch nicht bis Frankfurt gedrungen waren. Ich hab Ereignisse gern, sagte Jonas, aber ich bin überzeugt, es ereignet sich nie etwas."

Man muss lachen, wenn man das liest, und denkt an die vielen Fotos von Ingeborg Bachmann, auf denen sie auch lacht. Die gibt es ja auch. Und fast ist es ein bisschen schade, denkt man, dass die Herausgeber sich nicht dazu entschieden haben, diese "Operette", dieses "Buch Goldmann", zum ersten Band der neuen Ausgabe zu machen. Die Ausgabe wäre dann gleich mit einem anderen Ton, einer anderen Bachmann-Stimmfärbung losgegangen, was der Autorin möglicherweise gutgetan hätte. Das öffentliche Bild von ihr jedenfalls hätte es aufgemischt.

"Malo oscuro" heißt jetzt der erste Band, dessen Titel auf einen Roman des italienischen Schriftstellers Giuseppe Berto zurückgeht, "Dunkles Übel". Er enthält bisher nicht zugängliches Material: Aufzeichnungen und Traumprotokolle, die Ingeborg Bachmann, die nach der Trennung von Max Frisch einen psychischen Zusammenbruch erlitt, in den Jahren 1963 bis 1968 für ihre Ärzte anfertigte. Vier Jahre waren Bachmann und Frisch zusammen gewesen, hatten abwechselnd in Rom und in Zürich gelebt - bis Frisch sich in die 23-jährige deutsche Studentin Marianne Oellers verliebte.

"Frau Oellers", "Marianne", "Max" oder "Herr F." kommen in diesen Traumnotizen, die keine Écriture automatique sind, sondern Reflexionen über gerade Geträumtes, auch immer wieder vor: "Max kommt überraschend mit Marianne. Eine Wohnung, die ich nicht kenne. Plötzlich aber ist alles noch ganz anders, ich erfahre, dass Max geheiratet hat, eine ganz andere Frau, die kommt auch, sie ist ein wenig über 40, sie kommen wahrscheinlich aus Mexiko." Wobei in den Aufzeichnungen mit "Herr F." nicht bloß Max Frisch gemeint ist, sondern etwas Generelleres: "Wäre bloß Herr F. mein Unglück, das wäre zu ertragen. Aber es reicht ja weiter. Es ist bloß die Stellvertretung für eine Mentalität, die ich verabscheue, an der ich nicht zugrunde gehen möchte, so nicht, obwohl ich meistens denke, ich bin schon tot."

Was die Ausgabe in ihrer minutiösen und kenntnisreichen Kommentierung nachvollziehbar macht, geht über den biographischen Wert dieser Aufzeichnungen und Notizen weit hinaus. Zum einen führen die Texte selbst vor Augen, wie die Schriftstellerin nach ihrem Zusammenbruch ihre Autorschaft wiederherstellt: In den für die Ärzte geschriebenen Protokollen verwandelt Bachmann ihre Krankengeschichte in Novellen. Zum anderen verschiebt sie Teile dieser Aufzeichnungen, die selbst voller Anspielungen sind, auf Bücher von Ilse Aichinger oder E. A. Poe, Jahre später in ihre eigenen Werke. Die Albträume im sogenannten Traumkapitel von "Malina" etwa gehen auf sie zurück. Schon der erste Traum findet sich zum Teil wörtlich in "Malina" - nur ist es im Roman nicht "Max", der anruft, sondern der Vater, während das Ich "auf einer Insel hier, die weit draußen im Wasser liegt", um seine Rückkehr bittet.

Sichtbar wird auf diese Weise nicht nur ein unterirdisches Netzwerk von Figuren, Motiven und Konstellationen. Nachvollziehbar werden auch die Übergänge der Briefe und privaten Aufzeichnungen zum fiktionalen Werk. Was dran ist an den Bachmann-Mythen, lässt sich auf diese Weise noch einmal neu fragen.

"Im Jahr 2021 wird der Briefwechsel Bachmann-Frisch erscheinen", kündigte bei der Präsentation Hans Höller an. Bachmann hatte ihre Briefe von Frisch zurückhaben wollen, einige, die aus der Zeit nach ihrem Zusammenbruch 1963 stammen, hat sie vernichtet. "Es liegen 80 Blatt Frisch an Bachmann vor und 460 Blatt Bachmann an Frisch", so Irene Fußl. Bachmann selbst wollte sie nicht veröffentlicht sehen, ihre Familie und die von Frisch haben sich aber entschieden, sie zugänglich zu machen. Beide Seiten werden jeweils einen Herausgeber stellen. "Hochemotional" seien diese Briefe, sagt Hans Höller. Aber sicher nicht nur. Wie all diese Briefwechsel sind sie vor allem auch ein Dokument ihrer Zeit. Und sie sind Literatur.

JULIA ENCKE

Ingeborg Bachmann: "Male oscuro. Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit". Hrsg. von Isolde Schiffermüller und Gabriella Pelloni. Suhrkamp-Verlag, 259 Seiten, 34 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2017

Beipackzettels Traum
„Male oscuro“: Im Auftaktband zur ersten Gesamtausgabe der Werke und Briefe Ingeborg Bachmanns
verschwindet die Kunst hinter den Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit
VON WILLI WINKLER
Haben Sie ein Bild der Bachmann? Wie sieht sie aus?“ schreibt der Schriftsteller Bruno Brehm Anfang 1957 an seinen Verleger Klaus Piper und weiß die Kollegin für ihr Gedicht „Erklär mir, Liebe“ gar nicht genug zu preisen: „Wie groß werden große weibliche Gedichte, weil der ganze Körper mitdichtet!“ Der Verleger lässt das Ruhmesblatt abschreiben und an seine junge, damals dreißig Jahre alte Autorin weiterleiten. Ingeborg Bachmann musste, wie sie zuvor an Wolfgang Hildesheimer schrieb, schwer an dem „Bissen Brehm“ schlucken, der 1939 aus der Hand von Joseph Goebbels den Nationalen Buchpreis erhalten hatte, aber sie verfügte eben über ungewöhnliche Verehrer.
Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, der nicht bloß der Gottseibeiuns der Nachkriegsjahrzehnte, sondern ein gebildeter Mann war, zitierte im Jahr 1961 – selbstverständlich mit dem politischen Unterton, wie er zum Atomzeitalter passte – ihr Gedicht „Die gestundete Zeit“: „Es kommen härtere Tage“. Thomas Bernhard, der Frauen sonst nur ertrug, wenn sie erheblich älter waren als er und auch sonst ungefährlich, feierte die als „Maria“ kaum verkleidete „große Künstlerin“ als „meine Dichterin“. Groß sei, was sie schreibe, sagt Franz-Josef Murau in Bernhards Roman „Auslöschung“, größer „als alles andere von allen anderen Dichterinnen“. Sie ist es, im Buch jedenfalls, durch die Murau, sein Alter Ego, zum „Auslöscher“ wird, zu Thomas Bernhard.
So wurde es ihr Schicksal, im Lob und Preis der Männer aufzugehen. Als umgockelter Mittelpunkt der von ehemaligen Soldaten geprägten Gruppe 47, mit dem Büchner-Preis und einer Spiegel-Titelgeschichte ausgezeichnet, war die Lyrikerin nicht bloß ein Star, sondern eine Frau, die sich die Männer aussuchen konnte: Hans Weigel, Paul Celan, Hans Werner Henze, Jacob Taubes, Max Frisch. Sie schliefen aber nicht nur mit ihr, sondern förderten sie auch. Trotzdem wurde sie für die Nachwelt das Damenopfer. Als sie Frischs heute doch recht vergessenen Roman „Mein Name sei Gantenbein“ lesen durfte, freute sie sich über die „Größe des Buchs“, das ihr „bleiben“ werde, „weil es zugleich alles ist, was ich noch zu geben habe“. Selbstlos, ganz die Muse, geht es weiter: „Und es wird meine Tröstung sein, denn so erkenne ich zuletzt, dass die Jahre gut für Dich waren, fruchtbar für Dich waren.“ Für sie waren sie bald furchtbar. Sie lebte neben dem Weltruhm Max Frischs und konnte nicht mehr schreiben.
Im Jahr 1962 trennte er sich von ihr, die alte Geschichte: jünger, weniger kompliziert. Für Ingeborg Bachmann war das eine Katastrophe, ein Lebensabsturz, der ihr aber das Überleben als Schmerzensmadonna in einem rauchgläsernen Schneewittchensarg sicherte. Bachmanns Leben und Schreiben, ihr Scheitern, ihr Neuanfang, ihr Tod brachten unzählige Frauenstudien hervor, und der Körper musste ebenso dabei sein wie der stärkere Mann, der als Schriftsteller über Frauen geht wie sein soldatischer Vorfahr über Leichen.
Bereits in der Erzählung „Das dreißigste Jahr“ (1961) ist die Rede von der „ungeheuerlichen Kränkung, die das Leben ist“. Ihres wurde bei allem Diskretionsbedürfnis so öffentlich geführt, dass alle Welt wissen konnte, wie sehr sie die Trennung von Frisch nicht bloß kränkte. Jahrzehnte nach ihrem Tod in Rom im Herbst 1973 kehrt Ingeborg Bachmann jetzt wieder, als großes Fragment und Teil einer vielbändigen Werkausgabe, die sich bindestrichsparend als „Salzburger Bachmann Edition“ bezeichnet. Sie ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Verlage Piper und Suhrkamp und wird editionsphilologisch betreut von Hans Höller und Irene Fußl.
Der Auftaktband enthält eine fürchterliche Krankengeschichte, literarisch nicht bedeutungslos, aber vor allem: ganz und gar fürchterlich. „Wenn der Traum anfängt, weiß ich schon, daß ich verrückt bin“, beginnt eine Notiz, die wahrscheinlich von Anfang 1966 stammt. Sie nennt, was sie erlebt, nach einem italienischen Roman „Male oscuro“, die dunkle Krankheit, eine Depression, die sich bis zur Psychose steigert und zum Selbstmordversuch.
Auf den Zusammenbruch folgt mutmaßlich eine Gebärmutterentfernung; fruchtbar ist nurmehr Max Frisch mit seinem Roman, in den sie eingegangen ist. Elektroschocks drohen, eine neue Therapie hilft, eine gewaltsame Angstentziehungskur ausgerechnet bei einem Schüler von Konrad Lorenz.
Fast immer geht es um Max Frisch, es geht um dessen neue Frau, es geht um Bachmanns Existenz als Schriftstellerin. „Herr F. hat mich ins Gefängnis gebracht“, in die verschärfte Version des Krankenhauses, aber es muss natürlich Herr F., Max Frisch also, sein, der ihr Unglück verursachte. Trotzdem: „Ich bedaure das Gefängnis nicht, im Gegenteil, ich finde mich leicht ab damit, aber ich bin vernichtet, weil ich nicht schreiben darf.“ Dauernd rede sie auf das Personal ein, das glaube, sie wehre sich gegen die Haft – „und ich will bloß sagen, daß mir das nichts ausmacht, aber ich möchte Papier und Schreiben“.
Das Schreiben muss sie erst wieder erlernen, und wie schmerzhaft der Prozess war, der vermutlich erst mit dem Tod ein Ende fand, wird durch die hier zusammengetragenen Aufzeichnungen überdeutlich. Ob das alles wirklich veröffentlicht werden musste, ist für die Herausgeber eine Frage, die sie offenbar so heftig umtreibt, dass sie einen gewagten dialektischen Sprung probieren: „Ja, die hier vorgelegten Texte verstoßen gegen Schweigegebote, die den kranken Menschen schützen sollen, von denen sich der kranke Mensch aber auch umstellt sieht“. Andererseits, so geht das Argument unbelegt weiter, wäre Ingeborg Bachmann „an diesem Schweigen und einer falsch verstandenen Diskretion fast zugrunde gegangen“. Aber ging sie nicht zugrunde mit Zigaretten und eimerweise eingeworfenen Tabletten?
Der philologische Apparat ist sogar vorbildlich, alle Kreuz- und Querbezüge sind herausgearbeitet, nur das Werk oder sagen wir es gleich: die Kunst verschwindet hinter all den Fragmenten. Das Leben als Krankheit ist stärker. Wenig erfährt man dennoch in dieser Edition über den Hintergrund. Dass Ingeborg Bachmann in den Jahren der hier dokumentierten Krankheit den Georg Büchner-Preis erhielt, dass sie sich im Wahlkontor deutscher Schriftsteller engagierte, vor allem dass sie funktionierte, dass es der Dichterin am Ende sogar gelang, ihre Hofmannsthal’sche Sprachkrise zu überwinden und ihre Rettung in der Prosa zu finden (nur um dann von Marcel Reich-Ranicki altmännerweise als „gefallene Lyrikerin“ denunziert zu werden) – das alles erschließt sich in diesem Zettelgestöber nicht.
Wenn einmal alle Zettelchen, alle Skizzen, Briefe, Arztrechnungen und Rezepte zusammengetragen, ausgewertet und auf ihre Verbindung zum schmalen Werk von Ingeborg Bachmann abgetastet sind, in zwanzig oder dreißig weiteren vorbildlich editierten Bänden, wird die Schmerzensmadonna über einen monumentalen Sarkophag verfügen, und irgendwo tief drinnen bleibt doch das Rätsel. Es heißt: „Erklär mir, Liebe“.
Aber ging sie nicht zugrunde,
mit Zigaretten und eimerweise
eingeworfenen Tabletten?
Ingeborg Bachmann: Male oscuro. Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit.
Herausgegeben von Isolde Schiffermüller und Gabriella Pelloni. Piper Verlag und Suhrkamp Verlag, Berlin, München und Zürich 2017.
260 Seiten, 34 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Paul Jandl hat nichts einzuwenden gegen die Entscheidung der Verlage, die große, voraussichtlich vierzig Bände umfassende Bachmann-Werkausgabe mit den sehr privaten Traumprotokollen und Briefen, die die Autorin in einem therapeutischen Zusammenhang notierte, starten zu lassen. Denn für den Kritiker sind die Texte nicht nur "Prosaminiaturen, deren böse Bilder vom richtigen Leben bis in den Schlaf leuchten", sondern "zitternde Nachbilder der Angst", die in ein literarisches Bewusstsein geholt wurden und nur über einen kurzen Umweg in "Malina" wieder auftauchen. Darüber hinaus staunt der Rezensent, wie vorausschauend Bachmann die psychologischen Fehldiagnosen analysierte.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Der erste Band der Ingeborg-Bachmann-Gesamtausgabe, Male Oscuro, enthält bislang gesperrte Traumprotokolle, Notate und Briefskizzen aus der Zeit ihrer Krankheit - legitimiert wird diese Auswahl durch den Erkenntniswert und die Poetik der Texte.« Tobias Schwartz taz. die tageszeitung 20170315