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Kastelle sind im Idealfall regelmäßige konzentrische Wehranlagen, die meist viereckig ausgebildet sind und an ihren Ecken gleichförmige Türme aufweisen. Derartige Konzeptionen finden sich in bemerkenswert einheitlicher Form quer über Reiche und Epochen hinweg von den frühen vorderasiatischen Hochkulturen über die Ägypter, Perser, Römer und Byzantiner bis ins mittelalterliche Europa sowie ins neuzeitliche Afrika und nach Asien. In jahrzehntelanger akribischer Forschungsarbeit hat der Autor die wichtigsten Kastellgruppen inventarisiert, sie bautechnisch und politisch verkettet und etwa 900 Pläne…mehr

Produktbeschreibung
Kastelle sind im Idealfall regelmäßige konzentrische Wehranlagen, die meist viereckig ausgebildet sind und an ihren Ecken gleichförmige Türme aufweisen. Derartige Konzeptionen finden sich in bemerkenswert einheitlicher Form quer über Reiche und Epochen hinweg von den frühen vorderasiatischen Hochkulturen über die Ägypter, Perser, Römer und Byzantiner bis ins mittelalterliche Europa sowie ins neuzeitliche Afrika und nach Asien. In jahrzehntelanger akribischer Forschungsarbeit hat der Autor die wichtigsten Kastellgruppen inventarisiert, sie bautechnisch und politisch verkettet und etwa 900 Pläne und 11 Karten erstellt. Dadurch wird erstmals ein fundierter Überblick über dieses bislang kaum untersuchte Phänomen der Architekturgeschichte gegeben. Neben der nach historischen Ländern gegliederten Katalogisierung sowie einer handwerklichen sowie konzeptionellen Verknüpfung einzelner Traditionen und Schulen werden für zahlreiche Herrschaftsgebiete politische Hintergründe erschlossen, diedurchaus ein Gesamtsystem erkennen lassen: Offensichtlich handelt es sich fast ausschließlich um zentralistisch geführte Königreiche, die Kastelle als monumentale Hoheitszeichen an ihren Grenzen sowie an neuralgischen Zentralorten einsetzten. Sie dienten dort entweder als kasernenartige Truppenbasen oder als theatral inszenierte Residenzen, kaum jedoch als nur lokal bedeutende Kleinsitze. Durch die Homogenität von Form, Ausführung und Lage erreichte die Bauherrenschaft dabei oft eine modern wirkende Corporate Identity. In diesem Sinne geht der Autor von einem eigenständigen Bautypus der Architekturgeschichte aus, dessen Intention als "Staatsbauwerk" sowohl durch handfeste überregionale Funktionen als auch durch inhaltliche Aufladungen bestimmt war.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2019

Bauen fürs Hauen und Stechen

Festungsarchitektur und Kriegstechnik: Der Architekturhistoriker Patrick Schicht legt eine Weltgeschichte der Wehrbaukunst vor, in der sich der Krieg als Vater aller Dinge entpuppt.

Herodot zufolge waren die Stadtmauern von Babylon so breit, dass ein vierspänniger Wagen auf ihnen wenden konnte. Weil solche Riesenformate mesopotamischer Stadtbefestigungen den militärischen Grenznutzen weit überschritten, rätselt die Archäologie bis heute über den Sinn dieser Bollwerke. Immerhin hat der Philosoph Peter Sloterdijk versucht, sie als "murale Theologien" und "immunisierende Ganzheitsbehälter" zu verstehen, deren Aufgabe es war, viele Menschen "innerhalb einer Sinnsphäre mit solidarischen Raumvorstellungen zu animieren" - was für die multiethnischen und polyglotten Metropolen im Orient schon früh eine Überlebensnotwendigkeit gewesen zu sein schien.

Eine etwas fachnähere Antwort auf diese archäologische Frage erhofft man sich von dem österreichischen Architekturhistoriker und Denkmalpfleger Patrick Schicht. Doch er enthält sich aller süffigen Deutungen und legt dafür eine dem Thema zumindest quantitativ angemessene Monumentalstudie vor. Sein Buch "Kastelle - Architektur der Macht" liefert eine umfassende Inventarisierung der wichtigsten Wehrbauten, Forts, Festungen, Burgen und Lager in Europa, Asien und Nordafrika. Anhand von neunhundert Bauwerken aus siebenundzwanzig Reichen und Regionen von den frühen Hochkulturen des vierten Jahrtausends vor Christus bis zum Beginn der Neuzeit verfolgt er die Formgeschichte einer Bauaufgabe, bei der nicht die Architektur die Mutter der Künste, sondern der Krieg der Vater aller Dinge war.

Um von dieser Stofffülle nicht erschlagen zu werden, reduziert der Autor die Komplexität seines Themas mehrfach. Zunächst definiert er den Bautypus abstrakt als "profanen rechteckigen Monumentalbau mit turmartigen Verstärkungen der Außenmauern", dann behandelt er nur reine Wehrbauten und keine Sakral- und Stadtanlagen. Und schließlich beschränkt er seine Analysen auf geometrisch-geographische Grundrisse und Lagepläne sowie pauschale historische Einordnungen. Darunter leidet die Orientierung, zumal das fehlende Ortsregister den systematischen Zugriff erschwert.

Gleich zu Anfang findet das Fachpublikum Dutzende von entlegenen altägyptischen, mesopotamischen und persischen Juwelen der Wehrbaukunst. Der halbwegs informierte Ägypten-Tourist freut sich eher, auf einer Nil-Insel bei Assuan die Festung Elephantine wiederzuerkennen sowie im Norden Ägyptens die Umfassungsmauern von Sakkara, die König Djoser als eine der frühesten und zugleich vollkommensten Stein-Architekturen aller Zeiten errichten ließ. Im Laufe der Jahrhunderte wuchsen viele Kastellketten im Orient zu massiv ummauerten Städten mit engen Turmreihen zusammen, um Schutz gegen Nomadenüberfälle zu bieten.

Den Wert befestigter Niederlassungen erkannten auch die Römer zu Beginn der Kaiserzeit unter Augustus, wie der antike jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus berichtete: "Wenn die Römer Feindesland betreten, beginnen sie den Kampf nicht, bevor sie ein festes Lager aufgeschlagen haben; sie errichten es aber keineswegs auf Geratewohl und ohne Ordnung." Von diesem Ordnungsdenken profitieren viele Städte, die aus solchen Militärkastellen entstanden, etwa Basel, Koblenz, Trier, Köln oder Xanten.

Römische Festungen breiteten sich von Nordafrika bis Britannien aus und spiegeln die Entwicklung des frühen Reiches vom angriffsorientierten Eroberungsstaat mit Marschlagern und Vorratsdepots hin zu einem rundum angefeindeten Imperium hinter massiven Mauern mit starker Bewaffnung. Warum die in eine Festung verwandelte römische Engelsburg unerwähnt bleibt, weiß nur der Autor.

Für die Wehrbaukunst der großen Reiche von Ostrom und Byzanz bis zum Islam stellt Patrick Schicht fest, dass sie auf einem rationalen Rastersystem mit maßstäblicher Skalierung je nach Erfordernissen beruhte, was ihre schnelle Ausbreitung begünstigte. Allerdings wird seine selbstauferlegte Beschränkung auf profane Ensembles schwierig, wenn es um Arabien geht, wo die Dynastien ihre Regierungspaläste oft mit Moscheen kombinierten. Das islamische Spanien kommt mit der nur kursorisch behandelten Alhambra in Granada ebenso zu kurz wie das normannische Sizilien, wo der zur Festung umgebaute Wunderwürfel der Zisa in Palermo fehlt. Die kämpfenden Rittermönche der Johanniter und Templer entwickelten die Wehrbaukunst auf ihren Kreuzfahrten weiter; doch einen ihrer Hauptstützpunkte, das stolze Akkon im Norden des heutigen Israel, sucht man vergebens.

Dagegen erhält die vor allem in Süditalien hochentwickelte Militärbaukunst des Stauferkaisers Friedrich II. gebührende Aufmerksamkeit. Wie schon die Normannen ihre Infrastruktur und Verwaltung auf bestehenden byzantinischen, langobardischen und arabischen Festungen aufbauten, so modernisierte der ebenso kriegserfahrene wie kunstsinnige Friedrich II. die Altbauten und schuf neue Bollwerke mit Hilfe der damals führenden Architekturexperten aus dem Orden der Zisterzienser.

Auf dem Oktogon des Castel del Monte in Apulien, entstanden um 1235, soll einst eine krönende Kuppel geplant gewesen sein, damit der Bau als biblischer Tempel dem Kaisertum eine göttliche Legitimation verlieh. Abgesehen von solchen Überhöhungen, gab es durchweg eine Koevolution von Festungsarchitektur und fortgeschrittener Kriegstechnik. Für die Verbreitung dieses Fachwissens sorgten laut Patrick Schlicht hochorganisierte Bauschulen an den Herrscherhöfen, die international bestens vernetzt waren.

Doch spätestens nach der Hälfte der Lektüre, als gerade die Kastelle der europäischen Königreiche in der Frühen Neuzeit an die Reihe kommen, schlägt einem dieses Schwarzbuch der Kriegsbauten deutlich aufs Gemüt. Entgegen Sloterdijks theologischer Deutung der Befestigungen ist offenbar nichts Großes in der Baukunst, das nicht aus Hauen und Stechen, Mord und Totschlag hervorgegangen ist. So behält der zuletzt im preußischen Festungsbau führende Friedrich der Große recht, als er meinte, die Menschen seien eine "bösartige Rasse".

MICHAEL MÖNNINGER

Patrick Schicht: "Kastelle". Architektur der Macht.

Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019. 624 S., zahlr. Abb., geb., 59,- [Euro].

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