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Die neuen Gedichte des mehrfach ausgezeichneten Dichters Andre Rudolph handeln von der Sinnsuche in einer unsicher gewordenen Welt, in der der Kapitalismus noch einmal versucht, die letzten Reserven aus Natur, Mensch und Welt herauszupressen. Wo steht da der Einzelne? Wie kann er neu beginnen, wenn er schon gescheitert ist? Gibt es Frieden? Ist Liebe möglich? Schließen sich Armut und Glück aus oder bedingen sie sich erst? Immer balancieren die Gedichte zwischen ironischem Spiel, Zynismus, Witz und Menschenfreundlichkeit, springen von Wort zu Wort, hangeln sich an einzelnen Silben, bis sie neu…mehr

Produktbeschreibung
Die neuen Gedichte des mehrfach ausgezeichneten Dichters Andre Rudolph handeln von der Sinnsuche in einer unsicher gewordenen Welt, in der der Kapitalismus noch einmal versucht, die letzten Reserven aus Natur, Mensch und Welt herauszupressen. Wo steht da der Einzelne? Wie kann er neu beginnen, wenn er schon gescheitert ist? Gibt es Frieden? Ist Liebe möglich? Schließen sich Armut und Glück aus oder bedingen sie sich erst? Immer balancieren die Gedichte zwischen ironischem Spiel, Zynismus, Witz und Menschenfreundlichkeit, springen von Wort zu Wort, hangeln sich an einzelnen Silben, bis sie neu aufgetrennt werden. Das Spiel ist kein Selbstzweck sondern Rettungsstrategie.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Christian Metz empfiehlt Andre Rudolphs Gedichte, auch wenn der Autor ihn anschnauzt, distanzlos. Die Bildstärke des laut Metz in den Fußstapfen von Plath, Lowell und Sexton sich bewegenden Dichters findet er beeindruckend. Wenn Rudolph Metaphern zu Allegorien-Palästen ausbaut, nur um sie sodann einzureißen, den Zerfall zu feiern und den Leser in einem "Ideen- und Gefühlsschwall" zu ersäufen, setzt Metz sich dem gerne aus. Alles muss raus. Dieser Satz bekommt bei Rudolph für Metz eine unwiderstehliche Bedeutung, fühlt er die "drängenden notzustände . . . der seele, terrorisiert vom gedicht", um den Dichter zu zitieren.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2020

Auf Schnupperkurs mit dem inneren Wolf
Wer den Hörer abnimmt, den erwartet hier Konfrontation: Andre Rudolphs Gedichtband "Ich bin für Frieden, Armut und Polyamorie - welche Partei soll ich wählen?"

Was haben Straßen- und Schriftverkehr gemeinsam? Sie folgen dem Ideal des hindernisfreien Fließens. Auf dieser Gemeinsamkeit fußen die diversen Engführungen etwa von Autor und Auto, die sich - spätestens seit Rolf Dieter Brinkmann - beide möglichst rasant durch unsere Höchstgeschwindigkeitsmoderne bewegen. Insofern hat der selbstfahrende Pkw der nahen Zukunft seinen poetischen Vorgänger im surrealistischen Programm der écriture automatique. Ein so bildstarker Dichter wie der 1975 geborene Andre Rudolph beherrscht alle Facetten dieses Mobilitätsregisters. Da erscheint der Autor als längst verfallener Fahrschein: "ich fahre auf einem uralten / ticket, das ich selbst bin." Oder als zielloser Verkehrsweg: "ich bin eine straße, ich liege, aber zu keinem ziel." Oder das poetische Denken selbst nimmt die Gestalt eines liegengebliebenen Wagens an: "das innere / ordnungsamt hat meinem gedanken- / fahrzeug eine wegfahrsperre verpasst, also habe ich es stehen gelassen und laufe." Vom inneren Ordnungsamt verdammt zum versfüßigen Gedankengang statt zum Haarnadelkurvenkratzen.

Nicht nur in Sachen Verkehrs- und Schreibfluss erweist sich Andre Rudolph in seinem vierten Gedichtband als Meister gewagter Metaphorik. Wobei Rudolph es fast nie bei der einzelnen Metapher lässt, sondern diese zu Allegorien ausgestaltet, um sie nach kurzem Innehalten nonchalant einstürzen zu lassen. Bildwucht und Bildzerknirschung befinden sich bei ihm in einem ständigen Wechselspiel. Seine Gedichte bewegen sich zwischen poetischem Palastbau und übel zugerichteter Sprachruine. "Es ist der Ruin" lautet der Titel eines der fünf Zyklen, die Rudolph jetzt vorlegt. Und schon sein Debüt "Fluglärm über den Palästen unserer Restinnerlichkeit" bewegte sich in diesem Bildfeld.

Wobei Verzweiflung und Zerfall eben gerade nicht das Ende des Dichtens bilden, sondern im Wechsel mit Glücksgefühl und Enthusiasmus den Grundimpuls dieses stoischen Charakters bilden. Für die hier zur Sprache kommenden Figuren gilt der Hölderlin-Satz: "Ich bin zum Stoiker ewig verdorben. Das seh' ich wohl. Ewig Ebb' und Fluth." Und so wechseln sich auch bei Rudolph Zeilen und Gezeiten von Stimmungen ab: "das wölfische in mir macht einen schnupperkurs", kündigt eine aufkommende Zerstörungslust an. Nur um kurz darauf ein "gott bin ich traditionell" zu wimmern. Oder sich schließlich jedes "von sich selbst angeödetes / herumklimpern auf der bedürftigkeit- / klaviatur" zu versagen, "weil man sowieso alle tasten schon / kennt".

Mit dem schnöden Grußwort "Hallo" setzen alle Gedichte ein. Wobei es sich genauso gut auch um jenes altehrwürdige "Hallo" handeln kann, das sich auf Vorschlag von Thomas Alva Edison nach 1876 als Begrüßung am Telefon durchsetzte (gegenüber Bells Vorschlag "Ahoi"). Man nimmt den Gedichthörer ab, und tatsächlich ertönt umgehend die unnachahmliche Rudolph-Stimme, die einen schonungslos mit einem Wort-, Bild-, Ideen- und Gefühlsschwall überspült. Es muss alles unmittelbar raus angesichts der "drängenden notzustände ... der seele, terrorisiert vom gedicht". Wie schon in seinem Band "Confessional Poetry" bleibt Rudolph weiterhin in der Tradition von Robert Lowell, Sylvia Plath oder Anne Sexton. Seine Gedichte legen es darauf an, die Unterscheidung zwischen textuellem Ich und Autor aufzuheben. Sie fordern die identifikatorische Lektüre und bekommen sie auch.

Unhöflich wird es nicht. Andre Rudolph bleibt beim Sie. Aber sein neuer Gedichtband sucht nicht nur Verständnis, sondern führt in fünf Zyklen gezielt zur Konfrontation, die sich unausweichlich zu Leserbeschimpfungen hochschaukeln: "fahren sie doch zur hölle", muss man sich da an den Kopf werfen lassen. Nachdem man sich kurz schon mit der sanften Nettigkeit umgarnen ließ: "Ihr umgang ist trostlos." Herzlichen Dank. Das Kompliment geben wir gerne zurück. Allerdings geben wir zu, dass Rudolphs Trostlosigkeit beeindruckende Kunst ist. Hallo, kann endlich mal jemand diese Lyrik berühmt machen? So höllisch schwer kann das doch nicht sein.

CHRISTIAN METZ

Andre Rudolph:

"Ich bin für Frieden, Armut und Polyamorie - welche Partei soll ich wählen?"

Gedichte.

Parasitenpresse, Köln 2020. 94 S., br., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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