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Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, gingen die amerikanischen Sieger daran, ein altes Problem zu lösen: Was tun mit den Italienern, die das Land seit Jahrzehnten in eine blühende Landschaft des organisierten Verbrechens verwandelt hatten? Die Antwort erfuhren viele Gangster, als sie 1945 aus dem Gefängnis statt in die Freiheit in ihre alte Heimat Italien verfrachtet wurden. Hier nahm man sie nicht mit offenen Armen auf. Legenden wir Lucky Luciano, gewohnt in Saus und Braus zu leben, landeten auf einer dürren Insel oder in den beengten und überwachten Verhältnissen der Provinz. Der…mehr

Produktbeschreibung
Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, gingen die amerikanischen Sieger daran, ein altes Problem zu lösen: Was tun mit den Italienern, die das Land seit Jahrzehnten in eine blühende Landschaft des organisierten Verbrechens verwandelt hatten? Die Antwort erfuhren viele Gangster, als sie 1945 aus dem Gefängnis statt in die Freiheit in ihre alte Heimat Italien verfrachtet wurden. Hier nahm man sie nicht mit offenen Armen auf. Legenden wir Lucky Luciano, gewohnt in Saus und Braus zu leben, landeten auf einer dürren Insel oder in den beengten und überwachten Verhältnissen der Provinz. Der Schriftsteller und Entertainer Gian Carlo Fusco hat die Geschichte dieser Unerwünschten geschrieben. Ein ebenso merkwürdiges wie bitteres Kapitel, das nebenbei gewissermaßen zur Repatriierung nicht nur der Verbrecher, sondern auch ihres Gewerbes beitrug.
Autorenporträt
Gian Carlo Fusco, geboren 1915 in La Spezia, starb 1984 in Rom. Er war Schauspieler, Entertainer, Journalist sowie ein noch zu entdeckender großartiger Chronist und Porträtist der italienischen Mentalität. Und er wurde selbst zur Filmfigur: 2003 erschien der italienische Spielfilm "Gli indesiderabili", der Fuscos Recherchen im Mafiamilieu auf die Leinwand brachte.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hannes Hintermeier bildet sich in Kraftausdrücken aus Gangsterslang und broken English und lernt, was "drizzle" ist: wenn einem sämtliche Handknochen gebrochen werden. Den von Gian Carlo Fusco Anfang der 1960er Jahre aufgeschriebenen Lebensbeichten ehemaliger Mafiaschergen, die die USA Anfang des 20. Jahrhunderts in ihre Heimatdörfer zurückschickte, entnimmt der Rezensent außerdem Informatives über die damalige Polizeiarbeit und Heimatkundliches. Dass Fuscos historische Reportage nichts für zarte Seelen ist, merkt Hintermeier allerdings auch rasch. Weniger erzählt wird hier, meint er, als erschossen und erstochen und erflucht. Fusco aber moralisiert und bewertet nicht. Das rechnet ihm der Rezensent an.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2014

Tickets für die Hölle

Mafia, go home. Nach 1945 schickten die Amerikaner Hunderte Gangster zurück nach Italien. Gian Carlo Fusco kennt die Täter, die sich als Opfer fühlten, sehr gut. Ein bleihaltiges Buch.

Dass die Berufswahl nicht immer planbar ist, zeigt der Fall von Nicola Valente. Der achtzehnjährige Sizilianer muss im Juni 1919 erleben, wie sein Vater Giuseppe, der eine Eisdiele in Brooklyn betreibt, Opfer von Schutzgelderpressern wird. Da er ihre erste Drohung ignoriert hat, zwingen ihn die Mafia-Häscher, sechs Kilo Speiseeis zu verzehren, und schlagen ihn zusammen. Der Mann überlebt nur knapp, weswegen Sohn Nicola das Gesetz in die Hand nimmt und die beiden Mafia-Schergen mit einem Messer abschlachtet. Das trägt ihm sofort einen Job bei der Mafia ein, für fünfzig Dollar die Woche als Leibwächter eines Mafioso in der Bronx.

So ist seine Berufslaufbahn vorgezeichnet, ein racketeer wird er, ein Gangster, und ein slayer, ein Auftragskiller. Ein Vierteljahrhundert später zählt dieser Nicky Lily Valentino - "Lily" (englisch für Maiglöckchen) heißt er, weil sein Vater Maiglöckchen-Eis produzierte - zu den "Unerwünschten". Darunter versteht man jene rund sechshundert Mafia-Gangster, welche die amerikanische Regierung unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs zurück in die Heimat schickte. Begründung: Die Männer seien gefährlich, blutrünstig, bewaffnet.

Dort mussten sie in ihre Heimatdörfer zurückkehren, die sie meist als Kinder verlassen hatten, wo sie der Verelendung anheimfielen. So verzweifelt war ihre Lage, dass Frank Frigenti 1951 einen "Hungermarsch" in Rom organisierte, den die Presse als "Marsch der müden Tiger" verhöhnte. Auch weil es auf den verteilten Flugzetteln - "eine "Mischung aus Bittschrift und Ultimatum" - "nur so wimmelte von Ausrufezeichen, Superlativen und Grammatikfehlern".

Aufgeschrieben hat die Lebensbeichten der ehemaligen Killer und Folterknechte ein Journalist, der zeitlebens nah dran war an dieser Szene und nur deshalb das Vertrauen dieser Männer erwerben konnte. Gian Carlo Fusco, 1915 in La Spezia geboren und 1984 in Rom gestorben, ist eine Stimme aus lange vergangenen Tagen, die nun dank einer mutigen Verlegertat auch hierzulande erstmals zu vernehmen ist. Denn Fuscos historische Reportage ist schon 1962 in Italien erschienen, sie wurde aber nie ins Deutsche übersetzt.

Das hat jetzt Monika Lustig unternommen, und zwar mit so viel Sprachwitz und Laune, dass sie sich traute, den Gangsterslang aus gebrochenem Englisch und dialektalem (Süd-)Italienisch eine eigene Gestalt zu geben. "Strit" (Straße), "pigghi" (Schweine), "birdai" (Geburtstag) mögen als Beispiele genügen, der Ausdruck "gusbaimì" bedarf der Erläuterung. Wörtlich übersetzt heißt er "goose by me" (Gans für mich), wo bei sich die Gans (italienisch "oca") an die Stelle des "Okay" geschlichen hat. Heißt: "Für mich geht das in Ordnung."

Neben Nicky Valentino versammelt Fusco diverse Kronzeugen aus den Reihen der Unerwünschten, die ihm anvertrauten, was sie "dort unten", wie sie die Vereinigten Staaten nennen, trieben. Fusco hört zu, schreibt auf, fragt nach und sammelt Beichtgeheimnisse. Seine Porträts malt er aus, in einer muskulösen Sprache, die zwischen Lyrismen ("Bleikugelunverdaulichkeit" ) und Kriegsreportage, Polizeibericht und Heimatkunde changiert. Frank Frigenti schildert er als einen "Roboter der Misere": "Die Lippen, die einst scharfgehäckselte Drohungen und Befehle ausgespuckt hatten, waren nun schlaff wie tote Mollusken." Auch begegnet man dem guten alten "Schießeisen" wieder. Es "spuckt Tickets für die Hölle aus".

Das ist kein erzählendes, sondern ein erschießendes, erstechendes Sachbuch. Es erzählt keinen schönen Geschichten, sondern höchst brutale. Man liest von jahrzehntelangen Blutfehden und Racheakten; man lernt Folterwerkzeuge kennen wie den dressy bone, einen klobigen Bleiklöppel mit einem Handgriff aus Bambus, mit dem dem Opfer sämtliche Handknochen gebrochen wurden in einem Prozess, den man "drizzle" nannte.

Am Ende ihres Lebens stehen die Gangster als nützliche Idioten einer kriminellen Elite da, die sich ihrer bediente. Denn geholfen hat die Mafia jedenfalls diesen ausrangierten Vollstreckern zu Hause nicht mehr, sie landeten als ausrangierte Mängelexemplare auf den Müllhaufen der Geschichte. Geschah ihnen also recht, den ehemaligen Tätern, die sich nun als depravierte Opfer fühlten? Doch die Moral von der Geschicht', die erzählt uns Fusco nicht.

Der Autor enthält sich einer Bewertung, offenkundig war er einer Idee zu nah dran. Weshalb das im Nachwort spendierte Lob, Fusco sei ein "Philologe des Verbrechens", fehlgeht. Schließlich gab es welche, die gleicher waren als die anderen: Lucky Luciano zum Beispiel, der angeblich die Landung der Alliierten auf Sizilien vorbereiten half, konnte mit Hilfe der Amerikaner sein Luxusleben auch nach "Rückbeheimatung" fortsetzen. Und dem Geschäftsgang der Mafia in Amerika tat dieser kleine Aderlass der "Unerwünschten" nun gar keinen Abbruch.

HANNES HINTERMEIER.

Gian Carlo Fusco: "Die Unerwünschten". Als Amerika die Mafia nach Hause schickte.

Aus dem Italienischen von Monika Lustig. Berenberg Verlag, Berlin 2014. 152 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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