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In ihrer unnachahmlich poetischen Sprache erzählt Sinha von einer verlorenen Kindheit in Indien, zwischen gestern und heute, zwischen der Familien- und der politischen Geschichte:Nach vielen Jahren in Frankreich kehrt Trisha anlässlich der Einäscherung ihres geliebten Vaters zurück in ihre Geburtsstadt Kalkutta. Im verlassenen Haus der Familie, in dem sie aufgewachsen ist, schicken die Möbel und vertrauten Gegenstände aus alten Tagen ihre Gedanken auf eine Zeitreise in die Vergangenheit. Da ist zum Beispiel die rote Steppdecke, die sie nicht nur an die Hausierer erinnert, die solche Decken…mehr

Produktbeschreibung
In ihrer unnachahmlich poetischen Sprache erzählt Sinha von einer verlorenen Kindheit in Indien, zwischen gestern und heute, zwischen der Familien- und der politischen Geschichte:Nach vielen Jahren in Frankreich kehrt Trisha anlässlich der Einäscherung ihres geliebten Vaters zurück in ihre Geburtsstadt Kalkutta. Im verlassenen Haus der Familie, in dem sie aufgewachsen ist, schicken die Möbel und vertrauten Gegenstände aus alten Tagen ihre Gedanken auf eine Zeitreise in die Vergangenheit. Da ist zum Beispiel die rote Steppdecke, die sie nicht nur an die Hausierer erinnert, die solche Decken anfertigten, sondern auch daran, wie sie eines Nachts ihren Vater dabei beobachtete, wie er in ebendieser aufgerollten Decke einen Revolver versteckte. Oder das kleine Fläschchen mit Hibiskusöl, mit dem man ihrer Mutter Urmila die Kopfhaut massierte, wenn diese wieder einmal von schwerer Melancholie überwältigt wurde. Indem Trisha sich in die Kratzer und Risse dieser Objekte, der Möbel, des Hauses versenkt, ersteht die Vergangenheit mehrerer Generationen einer Familie wieder auf, und damit auch die kollektive, politische Vergangenheit Westbengalens - von der britischen Kolonialzeit bis zur jahrzehntelangen kommunistischen Regierung seit den späten 1970er Jahren.
Autorenporträt
Shumona Sinha, geboren 1973 in Kalkutta, lebt seit 2001 in Frankreich. An der Sorbonne schloss sie ihren Magister in Literaturwissenschaft ab. Sie ist Herausgeberin mehrerer Lyrikbände auf Bengalisch und Französisch. Ihr Roman »Erschlagt die Armen!« (2011, dt. 2015) wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, 2016 erhielten Shumona Sinha und Lena Müller den Internationalen Literaturpreis für Roman und Übersetzung. 2016 und 2017 erschienen die Romane »Kalkutta« und »Staatenlos«, 2021 »Das russische Testament«.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Angela Schader erkennt den autobiografischen Grund von Shumona Sinhas drittem, nun auf Deutsch zu lesendem Roman. Wie die Autorin die Geschichte der Heimkehr ihrer Protagonistin mit der politischen Geschichte Westbengalens und einer sich in mythischen Vorzeiten verlierenden Familienchronik verbindet, hat Schader gut gefallen. Bezaubernd scheint ihr die literarische Sensibilität der Autorin selbst da, wo sie Beunruhigendes schildert. Einprägsam und rhythmisch ausgewogen, nuanciert durch Szenerien aus ihrer Heimatregion, vermittelt ihr Sinha kein geschöntes Bild, sondern übt auf differenzierte Weise Gesellschaftskritik, so Schader.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2017

Surreales Kalkutta
Shumona Sinha erzählt von einer besonderen Stadt

Wie es ist, zwischen zwei Welten zu stehen, weiß Shumona Sinha aus eigener Erfahrung. Geboren 1973 in Kalkutta, lebt sie seit 2001 in Paris. Ihr Roman "Erschlagt die Armen!", 2012 in Frankreich und 2015 auf Deutsch erschienen, beschrieb Missstände in einem Amt für Migration. Der damals selbst in einem solchen Amt als Dolmetscherin Beschäftigten wurde daraufhin gekündigt, ihr Fall machte Schlagzeilen. Darüber vergaß man fast, dass Sinha das heikle Thema der zweifelhaften Unterscheidung zwischen "Wirtschaftsflüchtlingen" und anderen literarisch komplex verarbeitet hatte. Doch auch wegen einer ausgesprochen poetischen Sprache ist sie zu entdecken. "Kalkutta" ist ihr dritter Roman - behutsamer im Ton als der zornigere frühere Roman.

Eine Frau, die schon lange in Paris wohnt, kehrt nach dem Tod des Vaters in ihre Heimatstadt Kalkutta zurück. Das Stöbern und die Rückblende sind Merkmale dieser Erinnerungsreise, auf der die Ich-Erzählerin schließlich selbst zur dritten Person wird: zu dem Mädchen Trisha. Der Vater ist politisch aktiv, die Mutter, eine Lehrerin, von Depressionen oft wie gelähmt. Die Unheimlichkeit dieser Krankheit, vom Kind wahrgenommen, wird in der Sprache der Erwachsenen fast surreal: "Trishas Nächte waren mit den weißen Pillen ihrer Mutter versiegelt. Ihr Vater verriegelte nicht nur die Tür von Urmilas nächtlichem Gefängnis, er verteilte drei Tropfen eines Zaubertranks, und Trisha begann, neben ihrer Mutter zusammenzuschrumpfen, zu verschwinden." Sie erinnert sich an das Hibiskusöl, mit dem sich die Mutter oft einreibt, weil sie keine Kraft mehr hat, sich zu waschen, oder an den Revolver, den die Familie hütet - vielleicht, um doch einmal aufzubegehren. Es liegt eine Trägheit über allem; ein Warten auf den lebensverändernden Moment inmitten einer pulsierenden Stadt, die als ehemalige Hauptstadt Britisch-Indiens eine besondere Vergangenheit hat.

Sie habe mit dem einseitigen Bild Kalkuttas, das immer nur mit Armut und Mutter Teresa assoziiert werde, aufräumen wollen, sagt Shumona Sinha im Interview. Das gelingt ihr durch die eigenwillige Verknüpfung von privater und allgemeiner Geschichte. Und so erfährt man beim Lesen viel über die Großstadt in Westbengalen, jene Region, die immer wieder Herd blutiger Unruhen war. Mehr als dreißig Jahre lang kommunistisch, hat sie eine andere Geschichte als das restliche Indien. Es ist die Zeit, in der Trisha die Bücher des Vaters studiert und erstmals das Wort "Guerrilla" registriert, das sie immer mit "Gorilla" verknüpft. Die Geschichte ihrer Eltern Shanky und Urmila, die 1972 heirateten, wäre undenkbar ohne die Prägungen durch eine zweischneidige Kultur, die hier eindrücklich geschildert wird. Händler verkaufen Porträts indischer Gottheiten, während Männer, die Bidis rauchen, in Hinterhöfen über die Notwendigkeit des Klassenkampfes diskutieren.

Vielen Frauen ist der Besuch einer Schule nicht erlaubt. Sie sorgen sich um ihre Haut, damit sie "weiß und weich wie Butter" bleibt. Dass manches Erzählte in seiner poetisch verdichteten Form umrissartig wirkt, ist notwendiges Resultat: Trisha setzt hier ein Puzzle mit fehlenden Teilen zusammen. Manche nachgetragene Information kommt da vielleicht etwas lexikonhaft daher. Doch von genau dieser Differenz im Tonfall lebt die Prosa. Shumona Sinha ist eine starke Erzählerin dieses erinnerten, fragilen Stoffs.

ANJA HIRSCH.

Shumona Sinha: "Kalkutta". Roman.

Aus dem Französischen übersetzt von Lena Müller. Edition Nautilus, Hamburg 2016. 192 S., geb., 19,90 [Euro].

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